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5. Mythen a) Oidipus

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Definition von „Mythos“

Auch wenn die Mythologie heute nicht mehr als der Universalschlüssel zum Verständnis der antiken Religion gesehen wird, bieten Mythen oft genug einen Zugang zur Religion. Der Begriff „Mythos“ meint nicht nur Erzählungen über Götter oder Halbgötter, sondern seit dem so genannten cultural turn in den Geisteswissenschaften hat sich eine weitere Definition von Mythos durchgesetzt. Als Mythos gilt, etwa in der Formulierung des Heidelberger Ägyptologen Jan Assmann, jede semantisch aufgeladene Erzählung über die Vergangenheit. Es reicht also, wenn die Erzählung für die Herausbildung oder Stärkung einer Gruppenidentität konstruiert worden ist. Götter sind nicht zwangsläufig nötig. In der „Medea“ des Euripides etwa wird geschildert, wie Medea, mit ihrem Gatten Iason und zwei gemeinsamen Söhnen nach Korinth geflohen, ein Blutbad anrichtet, weil Iason sich mit der Tochter des korinthischen Königs vermählen möchte; Medea tötet die Nebenbuhlerin, den König und ihre eigenen Söhne, um Iason zu verletzen. Mitten im Stück tritt der athenische König Aigeus auf und bietet Medea Asyl in seiner Stadt an. Schon Aristoteles wunderte sich über das unmotivierte Erscheinen des Aigeus (Poetik 25). Doch da das Stück in Athen aufgeführt wurde, hatte Aigeus seine Funktion: Während in Korinth Chaos herrschte, war Aigeus mit seinem Versprechen der ruhende Pol. Aus anderen Texten ist bekannt, dass Medea von Athen nach Asien gegangen sei. Dort habe sie das Volk der Meder begründet – hier musste die Namensähnlichkeit der Meder zu Medea herhalten. Meder wiederum war eine andere Bezeichnung für die Perser. Als das Stück 431 v. Chr. aufgeführt wurde, konnten die athenischen Zuschauer noch weiterdenken: Ein halbes Jahrhundert zuvor hatten ausgerechnet die Perser Athen zerstört, wo ihre Urahnin einst Asyl erhalten hatte. Ein klarer Fall von Undankbarkeit, die zu Recht durch den Sieg der Athener bestraft wurde.

Besonders in der zersplitterten griechischen Welt war es möglich, dass über dieselbe mythologische Gestalt unterschiedliche Geschichten kursierten. Pausanias, ein Reiseschriftsteller aus dem 2. Jahrhundert n. Chr., berichtet über das Grab der Amazone Antiope, das man erblickt, wenn man Athen betritt; er referiert drei Varianten:

Religion in der Antike

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