Читать книгу Elfenzeit 4: Eislava - Verena Themsen, Uschi Zietsch - Страница 10

2.
Von Schafen und Wölfen

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Glitzernder Kristallstaub tanzte durch die Luft des Gangs in der Zitadelle der Königin Bandorchu, gelöst durch einige kleine Windwirbel, die über die Deckenstuckaturen fegten. Rings um Ainfar sank er zu Boden, während der Elf das grünhäutige, von braunen Linien durchzogene Gesicht nach oben gewendet hielt und mit kleinen Bewegungen seiner schlanken Finger die Wirbel dorthin steuerte, wo ihre Arbeit benötigt wurde. Seine in labyrinthartige Knoten verflochtenen Locken wurden vom Staub belagert und verwandelten den Raum um sein Gesicht in eine schimmernde Aureole, wann immer durch eine Kopfbewegung etwas Licht dorthin gelangte. Doch die Gedanken, die er während seiner Arbeit wälzte, waren düster.

Wer bin ich? Warum bin ich hier?

Ununterbrochen wehte draußen vor der Burg der Wind, der die Schreckenswolken über den grellen Himmel des Schattenlandes trieb, und fegte feinen Kristallstaub von den umgebenden Spiegelhügeln hinunter in das Tal. Dort sammelte er sich rings um die Dunkle Zitadelle und drang durch jede Ritze herein, um sich auf Flächen und in Spalten abzusetzen. Einer von Ainfars Aufträgen war es, in den unteren Wohnebenen des Schlosses gegen diese dauerhafte Invasion anzukämpfen. Es war keine erfüllende Aufgabe, aber besser, als wenn er hinaus auf die Spiegel hätte gehen müssen, ständig dem quälenden Bild seines Innersten und zugleich den Schrecken der Wolkenschatten ausgesetzt, um Pflanzen oder andere Rohstoffe zu suchen. Das war nur noch selten notwendig, aber wenn, dann traf es stets diejenigen, die aus dem einen oder anderen Grund den Unwillen der Königin auf sich gezogen hatten. Ainfar gab sich alle Mühe, das nicht zu tun und auch sonst nicht aufzufallen.

Weder der Königin, noch ihrem engsten Vertrauten, dem Getreuen.

Er versuchte, sich zu geben, als sei er gar nicht da.

Aber ich bin hier. Und es gab einmal einen guten Grund dafür. Einen sehr guten Grund. – Aber wer bin ich jetzt?

Ein hoher, lang gezogener Ton durchschnitt die Luft, riss Ainfar aus seinen Gedanken und brach dann in einem Gurgeln ab, das den Gestaltwandler schaudern ließ. Dennoch wagte er es nicht, die Konzentration von seiner Arbeit zu lösen. Lediglich die großen braunen Augen, die von keinerlei Weiß umgeben waren, verrieten die Angst in seinem Inneren. Sie weiteten sich, und die schwarzen Löcher der Pupillen darin vergrößerten sich wie bei einem Reh kurz vor der Flucht. Doch er widerstand dem Drang des Instinkts, den die Vertrauteste seiner Tierformen in ihm erzeugte. Und wohin hätte er auch fliehen sollen? Jeder Fluchtversuch hätte Fragen aufgeworfen und die Dinge nur verschlimmert, und dann würden andere seine Schreie durch die Zitadelle hallen hören.

Die Gänge, die Ainfar reinigte, lagen direkt über den Katakomben. Dort unten waren die Kerker und Folterkammern, in denen diejenigen endeten, deren Vergehen nicht mehr nur durch die Arbeit draußen abgegolten werden konnten.

Während seine Windwirbel selbstständig den Deckenbögen folgten und die Reliefs reinigten, schob Ainfar einige Haare zurück, die sich aus den Knoten gelöst hatten, und streckte die Hand nach der Mündungsöffnung eines der Kristallschächte aus, die Licht aus mehreren Himmelsrichtungen diffus in den Palast hinein brachten und die gedankengeschwärzten Gänge in ein sanftes Zwielicht tauchten.

Die Gedanken und Erinnerungen der Königin, dachte Ainfar. Sie sind schwarz genug, um damit die aus der kristallenen Materie dieser Welt geschaffenen Wände zu verdunkeln und uns vor den Spiegelungen zu schützen, so wie die Wände selbst uns vor dem Anblick der jagenden Schatten der Schreckenswolken bewahren. Aber zu welchem Preis ist das alles geschehen …

Mit einem Finger strich er über den mit Zierreliefs versehenen Rahmen des Schachts. Gesichter waren dort zu sehen, zu Schreien verzogen, von Wesen, die in verschlungenen Ranken gefangen waren. Zwischen all den Bildern fand sich unter Ainfars Fingern ein Gesicht, das von hochragenden Geweihstangen beherrscht wurde und einen zotteligen Bart trug. Fast zärtlich fuhr der Elf die Linien der Figur nach.

Regiatus …

Er schloss die Augen, und vor ihm erschienen wieder die Bilder, an denen er sich festhielt, seit sie wiedergekehrt waren. Seine letzten Momente im Thronsaal des Baumschlosses. Der geflüsterte Disput mit seinem Bruder.

»Ich werde gehen, Regiatus. Jemand muss es tun. Gwynbaen ist zu gefährlich, sie darf nicht unbeobachtet bleiben.« Ainfars Magen zog sich zusammen, während er die Worte sprach.

Regiatus schüttelte den Kopf so heftig, dass das eingeflochtene Blattwerk in seinem Geweih protestierend raschelte. »Das ist Unsinn! Sie wird im Schattenland sein! Was soll sie deiner Meinung nach dort anrichten?«

»Sieh sie dir an, Bruder! Sieh dir an, wie ruhig sie ist, wie gefasst, selbst in der Niederlage noch Herrscherin. Du spürst ihre Macht ebenso wie ich! Das ist kein reiner Trotz. Sie hat keine Angst vor der Verbannung, und dafür muss es einen Grund geben.« Beschwörend sah Ainfar den Cerviden an, mit dem er den Vater teilte. »Regiatus, gib mir deine Zustimmung. Ich werde mit ihr gehen, und ich werde mit euch Verbindung aufnehmen, sobald ich es kann. Ich werde einen Weg finden. Du und ich … wir sind uns so nahe. Diese Verbindung muss auch über die Welten hinweg wieder herstellbar sein.«

»Ich will mich ungern darauf verlassen, Ainfar. Ich will dich nicht verlieren. Sie hat uns schon genug gekostet, ohne dass du dich opferst.«

»Es muss sein. Es … es ist auch wegen unseres Bruders.«

»Was soll es dich kümmern, was er getan hat oder tut? Du hast ihn nie gemocht, und er dich nicht. Und ich teile deine Einstellung ihm gegenüber. Er war schon immer arroganter und mehr von sich selbst überzeugt, als es gut für ihn war.«

»Das ändert nichts daran, dass er unser Bruder ist, und dass seine Taten Schande über uns bringen. Und jetzt ist er ein Meidling … einer von denen, die den doppelten Verrat begangen haben, nicht mit Gwynbaen durch das Tor gehen zu wollen. Ein Ausgleich ist gefordert. So sind die Regeln im Gewebe unseres Daseins, und das weißt du genausogut wie ich. Wenn ich es nicht tu, wird der Ausgleich auf andere Weise geschehen, ohne dass wir es steuern können. Und so ziehen wir vielleicht noch unseren Nutzen daraus.«

»Bruder …« Regiatus verstummte, als er Ainfars Entschlossenheit erkannte.

»Ich gehe. Berichte du Fanmór.«

»Er wird nicht erfreut sein.«

Ainfar lächelte schief. »Doch, das wird er. Was kümmern ihn schon unsere Schicksale? Aber die Möglichkeit, einen Spitzel in den Reihen der Weißen Frau zu haben, wird er sehr begrüßen. Er ist ein Herrscher, Regiatus. Er weiß, was wichtig ist und was nicht.«

»Und was, wenn du es doch nicht schaffst? Was, wenn du einfach nur mit ihr dort gefangen bleibst?«

»Das wird nicht geschehen.« Er legte eine Hand auf Regiatus’ Arm. »Vertrau mir, Bruder. Ich werde einen Weg finden.«

Vertrau mir, Bruder …

Er hatte sich bei denen eingereiht, die von den anderen Regionen Earrachs aus zum Baumschloss gekommen waren, um das Portal zu durchschreiten. Niemand hatte ihm besondere Beachtung geschenkt, denn niemand hätte erwartet, dass irgendein Elf ohne den Zwang von Fanmórs Urteil diesen Schritt gehen würde. Und dann hatten die Qualen begonnen, das Leiden unter den scharfen Wolkenschatten und den schneidend grellen Widerspiegelungen und die stetige Gefahr des Vergessens, des sich Verlierens.

Ich habe dich vergessen … habe die Erinnerungen verloren, sie als Auswüchse an mir getragen, bis der Schutz der Zitadelle mir langsam erlaubte, mich wiederzufinden. Und seither lähmt mich die Angst vor all dem, was Gwynbaen … nein, jetzt ist sie Bandorchu, die Dunkle Frau … hier aufgebaut hat. Vor ihrer grausamen Herrschaft, die durch ihre kalte Schönheit noch an Schrecken gewinnt.

Er öffnete die Augen und strich erneut über das Gesichtsrelief. Ob du noch auf mich wartest? Ob du noch glaubst, was ich gesagt habe? Ob du überhaupt noch an mich denkst?

Ein eisiger Hauch strich durch den Gang, und Ainfars Finger verharrten auf dem Ornament. Seine Augen weiteten sich, kalte Angst umschloss seine Gedanken und ließ sie erstarren.

»Welch seltsame Art, die Gänge zu reinigen«, erklang eine heisere Stimme. Eine Aura berührte den Tiermann, die so kalt war wie derjenige, von dem sie ausging. Ainfars Finger krallten sich um den Schachtrahmen. Er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass der Getreue im Gang stand, Bandorchus mächtigster Verbündeter, der tun und lassen konnte, was ihm beliebte.

»Ich hätte nicht gedacht, dass jemand den scharfen Kristallstaub mit den eigenen Fingern beseitigen würde. Oder willst du dein Blut über die Mauern der Zitadelle verteilen, um die Bemühungen deiner Herrin zu unterstützen? Es wäre bestimmt eine interessante Art, den Kristall am Widerschein zu hindern, und eine, die deine Herrin nicht so viel Kraft kosten würde. – Wie viel Blut wohl in deinen Adern rinnt, und wie viel Fläche man damit verdunkeln könnte? Eine interessante Frage …«

Etwas huschte den Gang entlang, und Ainfar spürte körperlich, wie Blick und Aufmerksamkeit von Bandorchus Verbündetem sich von ihm lösten. Die lange schwarze Kapuzenkutte des Getreuen raschelte, als er herumfuhr. Im nächsten Moment war ein Quieken zu hören. Ainfar drehte langsam den Kopf. Eine kleine wollige Gestalt wand sich im Griff des Getreuen und strampelte. Knopfaugen schillerten zwischen den wuschligen Haaren hindurch, und ein ebenso kleiner Mund stand weit offen. Langgezogenes Winseln drang daraus, während der Getreue das Wesen am Fell in die Luft hob.

»Und was treibt dich hierher? Du hast momentan keine Aufgabe, oder? Ich werde schon etwas für dich finden …«

Das Winseln stieg zu einem durchdringenden Klagelaut an, und der kleine wollige Kerl schlug mit dürren Ärmchen und Beinchen um sich im Versuch, sich aus dem Griff des Hünen zu befreien. Doch all seine Anstrengungen waren vergeblich. Mit langen Schritten ging der Getreue den Gang hinunter, das gefangene Kerlchen fest in seiner Hand, und redete leise weiter mit seiner heiseren Stimme, als wolle er nur plaudern.

Die Kälte ließ nach, und Ainfar schüttelte sich.

Mit einer Handbewegung löste er die Windwirbel auf, raffte sein Gewand und rannte so schnell er konnte den Gang in der entgegengesetzten Richtung hinunter.

Elfenzeit 4: Eislava

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