Читать книгу Lebendige Seelsorge 1/2022 - Verlag Echter - Страница 12
ES KÖNNTE SO EINFACH SEIN
ОглавлениеZwei Dinge haben mich damals ratlos zurückgelassen: Zum einen, dass dieser Mann mich sozusagen in eine Rolle bugsiert hatte, die ich niemals wollte. Nämlich, dass es in einem Dialog bzw. einer Diskussion plötzlich nicht mehr um das bessere Argument und den Inhalt geht, sondern schlicht und ergreifend um den, der am längeren Hebel sitzt. Und zum anderen, dass er sich schlussendlich nur mit dem ‚Argument‘ zufriedengegeben hatte, dass ich als Pfarrer ein Machtwort gesprochen und entschieden habe. Denn das war er nachher wirklich: zufrieden. Er war nicht verärgert, nicht gehässig oder sonst etwas. Er wollte nicht weiterdiskutieren. Er war total freundlich und ist auch weiterhin regelmäßig in den Gottesdienst gekommen. Der Mann hatte mich mit dem Gefühl zurückgelassen, dass er nun genau den Pfarrer hat, den er sich immer schon gewünscht hatte.
Diese Begegnung hat mir aufgezeigt, dass viel darüber gesprochen wird, dass Kleriker klerikalistisch auftreten und handeln, aber wenig davon, dass es auch Menschen gibt, die klerikalistisches Auftreten und Handeln wollen und einfordern, und dabei meine Mitbrüder und mich auf die eine oder andere Weise formen. Ich habe nicht wenige Menschen aus meiner Kirchengemeinde vor Augen, bei denen ich das Gefühl habe, dass sie immer noch einen Pfarrer wollen, der nicht nur klar sagt, was richtig und was falsch ist, sondern auch, was zu tun und zu lassen ist. Diesen Menschen kann man nichts Schlimmeres antun, als sie in die Selbstverantwortung zu entlassen. Diese Menschen sehnen sich nach Klarheit und nach einer gewissen Art von Einfachheit. Zum Glück gibt es auch viele andere Menschen, aber die Beschriebenen gibt es eben auch.
Es gibt nicht nur die Art von Klerikalismus, die ich als Kleriker ausübe, sondern auch jene Art, die an mich als Kleriker hingetragen wird. Wodurch versucht wird, mich in eine Rolle zu pressen und mich zu erpressen, auf eine gewisse Art und Weise klerikal zu handeln.
Ich möchte mich und meinen Berufstand sicherlich nicht als Opfer darstellen und sagen, dass nicht die Kleriker, sondern vor allem alle anderen am Klerikalismus schuld sind. Aber ich glaube, dass auch das Verhalten einiger Nicht-Kleriker:innen nicht unterschätzt werden darf. Es gibt eben nicht nur die, die sich aufregen, weil der Pfarrer von einem hohen Sockel aus auf sie herunterblickt, agiert und regiert, sondern es gibt ebenso die, die ihn gerne auf diesem Sockel sehen oder ihn auf diesen hochhieven wollen und es auch tun. Letzteres ist für meinen Berufsstand keine Opfersituation, sondern eine gefährliche Versuchung, weil es natürlich toll ist, wenn Leute zu mir emporschauen und ich jemand bin. Es ist auch deshalb eine Gefahr, weil dieses System von oben und unten so schön klar und einfach daherkommt. Darüber hinaus glaube ich, dass jene Versuchung mit dem zunehmenden Priestermangel noch größer wird, denn die wenigen Priester, die noch da sind, werden gehegt und gepflegt. Ihnen wird bewusst oder unbewusst gezeigt, dass sie etwas Besonderes sind und sie werden auf ganz unterschiedliche Weise bewusst oder unbewusst auf den hohen Sockel gestellt.
Was ich sagen möchte, ist, dass die Sache, wie Klerikalismus auftaucht, geformt und gepflegt wird, ungefähr so ist, wie der Beziehungsstatus vieler Menschen: Es ist kompliziert.