Читать книгу Lebendige Seelsorge 1/2022 - Verlag Echter - Страница 15
Die zwei Seiten der ‚Klerikalismus-Medaille‘
ОглавлениеDie Replik von Johanna Beck auf Wolfgang Metz
Lieber Wolfgang,
ich war sehr gespannt, was Du schreiben würdest! Wir haben uns ja im Vorfeld unseres ‚gemischten Doppels‘ (zum Glück ohne Kollar) kennengelernt und uns über tausend interessante Dinge ausgetauscht – aber eigentlich gar nicht über unser Auftragsthema.
Umso mehr freut es mich, dass wir zwar aus völlig unterschiedlichen Positionen, Rollen und Erfahrungen heraus schreiben, aber doch immer wieder auf ähnliche Punkte zu sprechen kommen. Darüber hinaus benennst Du weitere Aspekte, die ich in meinem Text nicht aufgeführt habe, aber eigentlich – gerade im Kontext der Missbrauchsproblematik – für sehr wichtig erachte und auf die ich nun in meiner Antwort noch etwas genauer eingehen möchte:
Du schilderst, wie der Klerikalismus von verschiedenen Gläubigen an Dich herangetragen, ja geradezu eingefordert wird. Dies verweist auf einen großen Problembereich, der bei der Aufarbeitung des Missbrauchsabgrundes nach wie vor viel zu wenig Beachtung findet und für den noch viel stärker sensibilisiert werden muss: der Co-Klerikalismus unter den Lai*innen.
Den inzwischen zahlreichen Studien zum Thema Missbrauch in der katholischen Kirche und den erschreckenden Zeugnissen Betroffener ist immer wieder zu entnehmen, dass die Täter zwar in der Regel Kleriker waren, es daneben aber auch zahlreiche stumme Kompliz*innen, Ermöglicher*innen und Vertuscher*innen unter den Nichtgeweihten gab: Eltern, die ihren Kindern nicht glauben konnten oder wollten, weil es doch der Pfarrer war, der da beschuldigt wurde. Erwachsene Bezugspersonen, die die Hilferufe der Kinder einfach ignorierten. Leiter*innen, die ihre Schützlinge für ihre Aussagen ohrfeigten. Kirchenverantwortliche, die sich ebenfalls an der Vertuschung der Taten beteiligten. Oder, um den Bostoner Betroffenenanwalt aus dem Film Spotlight zu zitieren: “If it takes a village to raise a child, it takes a village to abuse one.” Man muss also, was die Sensibilisierung und die dringend notwendigen Veränderungen angeht, an beiden Seiten der ‚Klerikalismus-Medaille‘ ansetzen: Bei den Klerikern selbst UND bei den Lai*innen. Natürlich müssen die priesterliche Macht beschränkt und kontrolliert, das Priesterbild entgiftet und die Kleriker dazu bewegt werden, ihr Amtsverständnis immer wieder zu reflektieren und den Versuchungen des Klerikalismus zu widerstehen. Aber darüber hinaus muss man auch die Lai*innen zu einer kritischen Reflexion animieren, das Priesterbild in den Köpfen mancher Nicht-Geweihten abwandeln, sie zu mehr Mündigkeit, Selbstbestimmtheit und Freiheit im Glaubensleben ermutigen und sie vor allem immer wieder an die heikle Rolle des Co-Klerikalismus im Missbrauchskontext erinnern.
Auch die von Dir beschriebene Tendenz der Lai*innen, die immer weniger werdenden Priester zu ‚pampern‘ halte ich für äußerst problemverstärkend. Umso notweniger ist es auch, dass es Priester – wie Dich – gibt, die auf solche Tendenzen mit Befremden reagieren und sich ihnen bewusst widersetzen (auch wenn sie manchmal geradezu in diese Richtung gedrängt werden, wie Du schreibst).
Aber es gibt noch einen weiteren Aspekt in Deinem Beitrag, auf den ich etwas intensiver eingehen möchte, denn wir kommen tatsächlich zu einer sehr ähnlichen Schlussfolgerung: Wenn es um Macht- und Umgangsformen (bzw. deren Reformen) in der katholischen Kirche geht, müssen wir radikal vom Evangelium her denken! Alle – egal welchen Titel sie tragen oder welches Amt sie innehaben – müssen ihre Macht der Botschaft des Evangeliums gemäß ausüben. Es geht, wie Du auch betonst, um eine Grundhaltung und ein Verhalten „im jesuanischen Sinne“, um eine Liebe zum Nächsten, die sich auch aus dem eigenen Geliebt- und Angenommensein durch Gott speist.
Aber ein bisschen Widerspruch muss natürlich auch sein: Wenn Maria 2.0-Vertreterinnen in der Öffentlichkeit selbstbewusst, klar und ruhig Forderungen stellen, dann empfinde ich das nicht als eine dem Klerikalismus ähnliche Machtdemonstration, sondern vielmehr als einen wichtigen und guten Akt der Selbstermächtigung, mit der deutlich gegen eben jene klerikalistischen Glasdecken angehämmert wird. Mir ist jedoch bei Deinen Schilderungen eines ‚bischöflichen‘ Maria 2.0-Interviews ein Gedanke gekommen: Ich habe das von Dir angeführte Bild einfach einmal umgekehrt, weitergesponnen und mir vorgestellt, wie ein Bischof in einem Fernsehinterview klar, ruhig und bestimmt die Forderungen von Maria 2.0 verkündet – und DAS würde einer Kirche und einem Bischof, wie ich sie mir wünschen würde, doch SEHR nahekommen! Ich freue mich jedenfalls auf einen weiteren Austausch und auf weitere Diskussionen mit Dir. Liebe Grüße
Johanna