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Aus der Fülle Gottes heil werden
ОглавлениеWenn wir den Ausführungen von Keating und Bourgeault bis hierhin folgen, ist kenosis nur oberflächlich ein „zügelnder“ Akt – nämlich für das Falsche Selbst. In der Tiefe ist es Heilung der nicht-befriedigten Bedürfnisse aus der Kindheit, die sich zum Falschen Selbst entwickelt haben. Sie wird Teil der „göttlichen Therapie“44, welche Gott in seiner Beziehung zum Menschen diesem zukommen lassen will. Der Mensch kann heil werden, indem er immer wieder mit Selbstliebe das tut, was dem Falschen Selbst widerstrebt. Seine Anhänglichkeiten werden aufgelöst. So kommt das Wahre Selbst, welches von einer tiefen inneren Freiheit erfüllt ist, zum Vorschein. Dieses ist dann nicht nur eine Hochglanzversion des Falschen Selbst, sondern Gottes Leben im Menschen. Die Gleichgestaltung mit Christus wächst in und mit der Hingabe an den unendlichen Liebesstrom der Trinität.45
So führt uns das Verständnis von kenosis im Kontext des Centering Prayer weit weg von sich geißelnden Mönchen. Im Gegenteil: Es wird ein Weg aufgezeigt, der den Menschen von der (Selbst-)Verletzung hin zur Heilung und einem Leben in Fülle gelangen lässt.
1Für eine kleine Einführung vgl. K. Kieslinger, Wie die Stille in das Leben überschwappt. In memoriam Thomas Keating OCSO (1923–2018), in: GuL 92 (2019), 178–182.
2C. Bourgeault, Das Herz im Gebet der Sammlung. Non-duales Christentum in Theorie und Praxis. Aus dem Englischen v. H. Jacobsen u. R. Cathomas. Xanten 2021, 45, Herv. im Original.
3Vgl. T. Keating, Intimacy with God. An Introduction to Centering Prayer. New York 22009, 168.
4Vgl. T. Keating, Manifesting God. New York 2005, 114.
5Vgl. T. Keating, Reflections on the Unknowable. New York 2004, 153.
6Vgl. T. Keating, Intimacy, 169–172 [s. Anm. 3].
7T. Keating, Reflections, 153 [s. Anm. 5].
8Vgl. ebd., 91: „The Trinitarian humility is boundless, exquisitely beautiful, compassionate, relentlessly overcoming all evil, transforming sin itself into pure love.“
9Vgl. T. Keating, Reflections, 130 [s. Anm. 5].
10 Vgl. C. Bourgeault, Herz im Gebet der Sammlung, 44, 80 [s. Anm. 2].
11 Vgl. T. Keating, Intimacy, 179 [s. Anm. 3].
12 C. Bourgeault, Herz im Gebet der Sammlung, 45 [s. Anm. 2].
13 Ebd., 80.
14 Vgl. ebd., 25.
15 Vgl. T. Keating, Intimacy, 176f. [s. Anm. 3].
16 T. Keating, Open Mind, Open Heart. The Contemplative Dimension of the Gospel. New York u.a. 2006, 15.
17 Es ist schwer, sich nicht durch diesen harten Begriff, der schon fast eine dualistische Sicht auf den Menschen nahelegt, abschrecken zu lassen. Dieser ist der Gegenbegriff zum „Wahren Selbst“ – „God’s idea of who we are“ (T. Keating, Manifesting God, 56 [s. Anm. 4]) –, welches aber als Konzept nicht auf einer Ebene mit dem Falschen Selbst steht: Das Wahre Selbst ist nicht einfach „eine gründlich gesäuberte, hochfunktionelle Version des ‚falschen Selbst‘“; C. Bourgeault, Herz im Gebet der Sammlung, 98 [s. Anm. 2].
18 Vgl. T. Keating, Invitation to Love. The Way of Christian Contemplation. 20th Anniversary Edition. New York 22012, 9.
19 Vgl. ebd., 105.
20 T. Keating, Intimacy, 100 [s. Anm. 3].
21 T. Keating, Open Mind, 32 [s. Anm. 16].
22 Nach Keating gibt es fünf Arten von Gedanken: das Wandern der Vorstellung; Gedanken, die mit einer emotionalen Qualität aufgeladen sind; Erkenntnisse und psychologische Durchbrüche, Selbstreflexionen und jene, die durch den inneren Reinigungsprozess entstehen. All diese sind loszulassen (vgl. T. Keating, Manifesting God, 137 [s. Anm. 4]). Allerdings sind Gedanken kein Hindernis für das Gebet, sondern „Gelegenheiten zu Gott zurückzukehren“ (C. Bourgeault, Herz im Gebet der Sammlung, 24 [s. Anm. 2]).
23 C. Bourgeault, Herz im Gebet der Sammlung, 121 [s. Anm. 2].
24 T. Keating, Reflections, 64 [s. Anm. 5], Herv. im Original.
25 „As we sit there and sweat it out and allow the pain to come up, we realize that it is Christ suffering in us and redeeming us“ (T. Keating, Intimacy, 177 [s. Anm. 3]).
26 Vgl. T. Keating, Reflections, 65 [s. Anm. 5]; T. Keating, Intimacy, 177f. [s. Anm. 3].
28 Vgl. T. Keating, Reflections, 130 [s. Anm. 5].
29 Vgl. T. Keating, Manifesting God, 106 [s. Anm. 4].
30 Vgl. C. Bourgeault, Herz im Gebet der Sammlung, 149 [s. Anm. 2].
31 Generell ist Keating gegenüber Phänomenen ekstatischer Mystik oder besonderen Gaben eher skeptisch; vgl. T. Keating, Manifesting God, 105 [S. Anm. 4].
32 C. Bourgeault, Herz im Gebet der Sammlung, 22 [s. Anm. 2].
33 Ebd., 45. Bourgeault betont die Wichtigkeit der kenosis stärker, als dies bei Keating explizit und in Contemplative Outreach insgesamt der Fall ist; vgl. ebd., 22.
34 Ebd., 129.
35 Ebd., 146.
36 Ebd., 81.
37 Vgl. C. Bourgeault, Centering Prayer and Inner Awakening. Lanham et al. 2004, 43–54.
38 T. Keating, Manifesting God, 67 [s. Anm. 4].
39 C. Bourgeault, Herz im Gebet der Sammlung, 46 [s. Anm. 2]. Nach Bourgeault „entwickelt sie [die kenotische Haltung; KK] sich schließlich zu unserer Standardreaktion auf alle Situationen des Lebens“ (C. Bourgeault, Herz im Gebet der Sammlung, 146 [s. Anm. 2]).
40 Vgl. K. Kieslinger, Ethik, Kontemplation und Spiritualität. Thomas Keatings „Centering Prayer“ und dessen Bedeutung für die Theologische Ethik (SthE 155). Freiburg i.Ue. 2020, 378, 394, 421, 428, in Anlehnung an K. Rahner, Das Dynamische in der Kirche (QD 5). Freiburg i.Br. 1958, 137.
41 Ein amüsantes Beispiel ist das „Fastenopfer“, das Keating in seiner Zeit als strenger Novizenmeister von seinem Prior auferlegt wurde: jeden Tag ein Glas Sahne zu trinken und einen Schokoriegel zu essen. Neben den paar zusätzlichen Kilos hatte Keating die Einsicht gewonnen, dass auch er nicht zu sehr an seiner Vorstellung eines asketischen Novizenmeisters und der Identität, die er daraus zog, festhalten durfte, vgl. T. Keating, Invitation, 42f. [s. Anm. 18].
42 Die Menschen sind in den Augen Keatings „co-creators and co-redeemers“ mit Gott; T. Keating, Reflections, 69 [s. Anm. 5].
43 C. Bourgeault, Herz im Gebet der Sammlung, 106 [s. Anm. 2]. Auch hier dürfte den entscheidenden Unterschied die Haltung der non-possessiveness machen, denn diese bewahrt davor, an den eigenen Vorstellungen, wie das Leben zu verlaufen hat, festzuhalten und dadurch ein Leiden, wenn dem nicht so ist, verhindert.