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Kurzentschlossen

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Kalifornien war ein immer gut gelaunter Angeber mit seiner Sonne, den weiten Stränden und den Surfern. Ein blauer Camper-Van mit türkisblauer Plüsch-Innenverkleidung brachte uns – meine Freundin, Wichtel und mich – von Colorado über die Rocky Mountains an die Westküste. Den perfekten Ort fürs Aufatmen fand ich in Encinitas, wo ich den Camper-Van dauerhaft neben anderen Abenteurern und Aussteigern parkte. Als meine Freundin zurück nach Deutschland flog, waren Wichtel und ich allein. Ich verdiente mir Geld, indem ich Mädchen bunte Strähnen am Strand einflocht oder auf Häuser aufpasste, und hörte viele Geschichten von neuen Freunden – Künstler, Aussteiger und Lebenskünstler. Am Ende war der Van voll mit Erinnerungen. Es fiel mir schwer, ihn so zurückzulassen. Mit anderthalb Jahren Abstand und neuen Impulsen im Gepäck kam ich zurück nach Deutschland.

In Köln startete ich neu in ein Berufsleben, in dem Pferde nichts mehr zu suchen hatten. Die Zeit war wild, turbulent und das, was man im Nachhinein als die beste Zeit des Lebens bezeichnet. In einem Laden für Künstlerbedarf, in dem ich als Verkäuferin arbeitete, fand ich eine Unterstützerin, die mir die Ausbildung zur Maskenbildnerin ermöglichte. Durch das Face- und Bodypainting lernte ich Eve kennen, die gleichsam zu meinem Zwilling wurde. Nicht nur, weil wir oft auch rein äußerlich für Schwestern gehalten wurden, wenn wir zusammen Jobs hatten; wir teilten die Wohnung, den Spaß und die Nächte – nicht anders als platonisch, aber Männer brauchten wir trotzdem nicht. Unsere Ideen ergänzten sich: Es machte großen Spaß, zusammen Tanz- und Körperbemalungs-Projekte für Messen und Veranstaltungen auszuarbeiten. Eve war nicht nur Künstlerin, durch sie kam ich auch in die Tänzer-Szene hinein. Eine unserer gemeinsamen Freundinnen war gebürtige Ghanaerin.

In Ghana machte ich nach zwei Jahren endlich wieder Urlaub, an der Atlantikküste und im Landesinneren. Accra – das war die faszinierende Fremde, mit ihrem neuartigen Rhythmus und ihrer exotischen Würze. Unvorstellbar, dass mich dies je wieder loslassen würde, dachte ich schon in dem Moment, in dem ich zum ersten Mal durch die Stadt fuhr und durch das Fenster des Wagens nach draußen sah. Meine Freundin Ereka hatte mich hierher eingeladen. Wir fuhren vorbei an den Straßenhändlern vor großen modernen Gebäuden, an kleinen Blechhütten und auf dem Markt trugen Frauen Körbe auf dem Kopf oder Babys auf dem Rücken. Wir schlängelten uns durch den dichten Verkehr, die Autos um uns herum hupten, Erekas Bruder hupte auch und redete laut mit seiner tiefen Stimme, ohne dass ich sein Englisch verstand.

Während Ereka sich mit ihrem Bruder unterhielt, starrte ich aus dem Fenster. Das hier war eine ganz andere Welt für mich. Ich konnte den Blick nicht von den Menschen losreißen. Das Leben schien sich auf der Straße abzuspielen, überall sah ich tobende Kinder. Wir fuhren durch Straßen mit großen Häusern, die nach Wohlstand aussahen, mit von Mauern umgebenen Villen und Einkaufsmalls; dann wechselte das Bild, als wir die Stadt verließen. Staubige Straßen und ärmliche Hütten prägten nun die Szenerie. Vor einer davon hielten wir. Zwei Frauen saßen auf der Veranda davor, jede mit einem kleinen Kind auf dem Schoß – eine davon musste Erekas Schwägerin sein.

Ereka und ich hatten uns in Köln kennengelernt. Ihre Familie lebte in Ghana und ihr Bruder machte jetzt in seinem kleinen Haus ein Zimmer für mich frei. Meine Freundin besuchte ihre Großeltern, Tanten, Großtanten, Cousins und Cousinen in Accra und Kumasi und nahm mich überallhin mit. Egal, wie klein ihre Hütten waren, ihre Verwandten hatten immer Platz, eine Matratze und einen Teller voll Essen für uns.

Gleich am ersten Tag in Kumasi zog mich Erekas Cousine als Helferin hinzu. »Wir machen Fufu zum Abendessen«, sagte sie und gab geschälte Plaintains, so etwas Ähnliches wie Bananen, die sie vorher gekocht hatte, in eine massive Schüssel, die auf einem kleinen Podest stand. Dann nahm sie mit beiden Händen einen dicken Holzstampfer und schmetterte ihn auf das Gemüse, immer wieder.

Nachdem sie mir das vorgeführt hatte, war ich dran. Der Stampfer war schwer. Schon nach zwei Minuten brauchte ich eine Pause. Die Cousine lachte und Ereka musste einspringen. Wir bearbeiteten das Gemüse abwechselnd mit dem Stampfer, während Erekas Cousine es in der Schüssel rührte und wendete. Als die Plaintains matschig genug waren, gab sie Cassava in feinen Stücken dazu – ein Wurzelgemüse. Mit ein wenig Wasser und durch ewiges Stampfen wurde die Masse allmählich feinsämig und langsam immer fester.

»Das ist Fufu!«, erklärte sie, als sie mir den glatten Klumpen präsentierte. Dazu gab es einen würzigen Dip und Fischsuppe.

Ereka war nach Deutschland gekommen, um als Tänzerin Karriere zu machen. Hier in Ghana tanzte sie auch, in einem Club am Silvesterabend. Wir fuhren zu siebt in einem Geländewagen an den Rand der Stadt. Mit Erekas Freunden, die mit uns im Auto saßen, hatte ich ebenfalls schon Kontakt gehabt.

Im Club angekommen, stellte sie mir noch viele weitere Freunde und Bekannte vor. Schon nach einem Bier war ich nicht mehr in der Lage, mitzuzählen, geschweige denn, mir Gesichter und Namen zu merken. Der Alkohol machte meinen durch die tropische Hitze geschwächten Körper nicht stabiler. Aber ich war ja erst fünf Tage hier, es würde sich sicher noch bessern.

Bald bemerkte ich, dass ein junger Mann beharrlich an meiner Seite blieb. Ereka war verschwunden – sie musste ihren Auftritt vorbereiten. Egal, sie würde mich schnell finden, ich war die einzige Weiße hier. Und außerdem hatte ich einen selbsternannten Aufpasser. Robert hieß er, der Name war leicht zu merken.

Robert hatte einen kahl rasierten Kopf und Muskeln, die sein Shirt nicht verbergen konnte oder sollte. Wir standen an der Bar und er drückte mir das nächste Bier in die Hand. Ich war zu gut drauf, um mich zu wehren, und froh, dass ich mich in der Dunkelheit des Clubs und hinter seinem breiten Körper wenigstens vorübergehend verstecken konnte.

»Wovor versteckst du dich?«, fragte er.

»Vor ihren Blicken. Manche gucken sehr gruselig … Machen die das immer so oder nur bei mir?« Erst das zweite Bier und ich wurde schon redselig.

»Welche Blicke?«

»Die Frauen. So wie die da! Wenn du dich jetzt umdrehst …«

Er drehte sich um.

»Was ist deren Problem?«, fragte ich, in der Hoffnung, dass Robert Ahnung von Frauen hätte.

»Die haben Angst, du könntest ihnen den Freund ausspannen.« Er grinste und ich wusste nicht, ob er das ernst meinte. »Manche sind einfach neidisch auf weiße Frauen.«

»Also, wenn du eine Freundin hast, bleib lieber fern von mir. Ich habe keine Lust, in meinem Urlaub die Augen ausgekratzt zu bekommen …«

Robert wich jedoch nicht von meiner Seite. Er hatte wohl keine Freundin.

Ich wollte aus naheliegenden Gründen dann wissen, ob er viel Sport treibe. Er erzählte mir, er sei Fitnesstrainer und wolle sich selbständig machen. Wenn er dann viel Geld als Personal Trainer verdiene, würde er sich ein eigenes Haus am Strand bauen, hier in Ghana.

Robert hatte sehr genaue Vorstellungen. Ich forderte ihn auf, mir eine architektonische Skizze von seinem Traumhaus zu machen.

Er nahm eine Serviette und kritzelte drauflos, eine Minute später zeigte er mir seinen Entwurf: ein Haus, das ein Dreijähriger genauso gemalt hätte, mit einer Frau daneben, einem Zaun und einem vierbeinigen Tier, das vielleicht eine Ziege oder eine zu groß geratene Katze darstellen sollte – er konnte überhaupt nicht malen.

Robert grinste, seine Grübchen auf den Wangen zeigten sich und wir prusteten los. Wir lachten, bis wir außer Atem waren.

Ich brauchte dann eine Verschnaufpause vom Lachen, also tanzten wir. Nach einer Weile merkte ich, dass der Boden unter meinen Füßen immer näher kam und die Wände schwankten. Robert packte mich plötzlich am Arm, zog mich durch die Menge und ich stolperte ihm mit Tunnelblick hinterher bis nach draußen. Er hielt mich an den Schultern, als ich mich auf die Treppenstufen setzte, und bat jemanden, mir Wasser zu bringen.

Hier draußen war es mitten in der Nacht immer noch tropisch warm, aber die Luft war wenigstens besser als drinnen. Kalter Schweiß trat mir aus den Poren. Ich klammerte mich an der Wasserflasche fest, die mir jemand kurz darauf reichte, und atmete tief ein und aus, bis das schummrige Gefühl verschwunden war.

Robert setzte sich eine Stufe unter mich. Die Musik drang nach draußen und wir schwiegen eine Weile. Ich lehnte meine Schulter an seine. Keiner von uns machte Anstalten, wieder in den Club zu gehen.

Ich erzählte von meinem Roadtrip durch die USA. Robert war noch nie außerhalb Ghanas gewesen.

Später versuchte ich ihm den Kölner Karneval zu erklären, die Hauptgeschäftssaison für mich als Maskenbildnerin und für den Laden, in dem ich arbeitete. »Ihr zieht durch die Straßen – aber wie kalt ist es denn im Winter in Deutschland … im Februar?«

»Kalt, sehr kalt«, sagte ich.

»Ich hab keine Ahnung, wie fühlt sich das an?«

»Setz dich längere Zeit in einen Kühlschrank, dann kannst du’s dir vorstellen. Mir macht Kälte keinen Spaß.«

»Dann musst du in einem warmen Land leben … so wie Ghana«, sagte er.

»Aber Schnee würde ich schon vermissen«, wurde mir bewusst. Ich erzählte ihm, wie ich als Kind einmal einen Schlitten an ein Pony gebunden hatte. Der Schlitten war extra groß, von meinem Großvater selbst gebaut. Das Pony zog ihn mit uns drei Kindern die Straße hinunter, an einer Kurve bog das Pony ab. Wir schossen aber weiter geradeaus auf eine Gartenmauer zu. Ich schmiss mich nach unten und riss meine Geschwister mit. Der Schlitten krachte mit voller Wucht an die Mauer und zerbrach in Einzelteile. Das Pony lief, als wäre nichts gewesen, allein weiter. Meine Mutter war geschockt und mein Großvater enttäuscht, als ich ihnen erklärte, wo sie die Einzelteile des Schlittens finden könnten …

Robert kicherte und legte mir einen Arm um die Schulter. »Du bist eine Lebensretterin.«

»Aber wenn ich nicht diese dumme Idee gehabt hätte …«

»Tja, Kinder …«

Plötzlich sah er auf die Uhr, sprang auf und zog mich hoch. Es war kurz vor Mitternacht. Wir drängten uns durch die tanzende Menge, bis wir Ereka und die anderen wiedergefunden hatten.

»Fünf, vier, drei, zwei, eins«, schallte es durch den Club und ich stimmte mit ein. »Happy new year!« Ich küsste Robert auf die Wange. Er sah mich überrascht an und hielt mich fest im Arm.

Ein paar Stunden später, am Morgen des ersten Januars, küssten wir uns zum ersten Mal richtig. Ab dem Moment hörten wir gar nicht mehr auf mit dem Küssen. Und ich wollte auch nicht, dass wir damit aufhören mussten, also verlängerte ich meinen Urlaub. Es ging um viel mehr als das Küssen. Ich war jeden Tag mit ihm zusammen und es war so einfach und vertraut, als würden wir uns ewig kennen.

Er war witzig, charmant und er trug mich auf Händen – buchstäblich, denn er hatte ja diesen unglaublich durchtrainierten Körper mit den starken Armen. Ich hätte nicht geglaubt, dass ich einmal so denken würde, vor allem so schnell, doch so war es – ich wünschte mir, meinen Weg mit Robert zusammen zu gehen. Ghana war für mich aufregend, aber mein Leben war in Deutschland. Die Lösung war einfach – wenn wir verheiratet wären, könnte Robert mit mir nach Deutschland kommen. Er wollte dort als Fitnesstrainer arbeiten und auf seinen Traum – sein Haus an der Atlantikküste in Ghana – sparen.

Bei unserer Hochzeit, vier Wochen nachdem wir uns kennengelernt hatten, trug ich ein buntes traditionelles Gewand. Seine ganze Familie war dabei. Meine Freundin Ereka hingegen war schon längst wieder in Deutschland.

Als ich zurück nach Köln kam, war die Wohnung, die ich mir mit Eve teilte, leer. Ich sah Eve wochenlang nicht.

Robert musste währenddessen noch auf seine Dokumente warten, bevor er einreisen konnte.

Eve aber war wie vom Erdboden verschluckt. Auf dem Tisch hatte eine Glückwunschkarte zur Hochzeit gelegen und ein Zettel: »Mach dir keine Sorgen, falls du nichts von mir hörst. Ich trainiere für eine neue Show und lebe im Wohnwagen. Du und dein Frischgebackener, ihr habt also die Wohnung für euch. Ich freue mich darauf, deinen Ehemann bald kennenzulernen.«

Ich schüttelte den Kopf. Ich musste mich erst an die Worte »Ehemann« und »Ehefrau« gewöhnen, weil sie mich automatisch an Verhältnisse denken ließen, wo der Mann das Geld verdiente, während die Frau die Wohnung putzte, abends Essen kochte und auf ihren Schatz wartete. Wir würden das natürlich anders machen.

Ereka freute sich, dass Robert bald bei mir in Deutschland war. Sie war ja sozusagen mit Schuld an dem Ganzen und sie mochte ihn.

Meine Mutter reagierte gelassen, wenn auch nicht begeistert. »Ich hoffe, du weißt, was du tust. Aber offensichtlich bist du verliebt. So hab ich dich noch nie von einem Mann reden hören«, hatte sie gesagt und ich konnte ihr Lächeln durchs Telefon hören, als ich sie vor der Hochzeit aus Ghana angerufen hatte. Wir beide wussten, dass sie mich nie von irgendetwas abhalten könnte, was ich mir in den Kopf gesetzt hatte. So war sie glücklich, wenn ich glücklich war. So war und ist meine Mama.

Anders als meine Chefin im Laden für Künstler- und Schminkbedarf. Das lag aber daran, dass ich meinen Urlaub eigenmächtig von vier auf sechs Wochen verlängert hatte, um länger in Ghana zu bleiben. Ein schlechtes Gewissen hatte ich deswegen schon. Es war Karnevalszeit gewesen, da wurde der Laden fast überrannt und sie hatte auf mich als Vollzeitkraft verzichten müssen. Ganz offensichtlich brauchte ich so schnell wie möglich eine neue feste Einnahmequelle. Die Anstellung im Laden hatte mich zwischen meinen Visagisten-Jobs immer über Wasser gehalten. Nicht umsonst hatte ich dort so viele Künstler und Kreative kennengelernt: Jetzt konnte ich mir ein Netzwerk aufbauen.

Ja, und dann war da noch mein Vater. Ich hatte mich davor gedrückt, ihn von Ghana aus anzurufen. Er hätte doch nur mit aller Macht versucht, es mir auszureden. Und dann hätte er völlig verärgert und besorgt aufgelegt. Das wollte ich uns beiden ersparen. Lieber wollte ich vor ihm sitzen und ihm zeigen, wie glücklich ich war. Er konnte ja doch nichts daran ändern, wie es war. Ich ersparte ihm so im Grunde einige Wochen voller Sorge.

Ich war mir nicht sicher, ob die Strategie gut war, aber ich zählte auf Robert, auf sein ansteckendes Lächeln und seine tolle Ausstrahlung. Man musste ihn einfach mögen!

In der Ferne scheint das Glück

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