Читать книгу In der Ferne scheint das Glück - Veronika Danzer - Страница 8
Friesen und Einhörner
ОглавлениеEine junge Frau in einem Kleid aus hauchdünnem weißem Stoff tritt auf eine Lichtung im Wald, der dicht und grün hinter ihr aufragt. Ihre zarten Gliedmaßen bewegen sich geschmeidig zu sphärischer Musik. Verspielte Glocken- und Flötenklänge tönen durch die Luft wie Schmetterlinge. Ihr Kleid weht bei jedem Schritt und jedem Sprung über die Lichtung, bewegt sich im unsichtbaren Wind, wenn sie verharrt, und lässt die Tänzerin so durchsichtig wirken, als wäre sie eine Fee in einem Zauberwald. Ihre langen, lockigen braunen Haare umspielen ihre Schultern, als sie ihre Arme ausstreckt und sich einmal um die eigene Achse dreht. Fünf strahlend weiße Einhörner umkreisen sie jetzt mit federleicht wirkenden Schritten. Sie bleiben stehen und verneigen sich vor ihr wie vor einer Angebeteten. Die Fee lacht und geht zu jedem Einhorn, um es zu begrüßen. Ein friedliches Bild, das minutenlang anhält …
Bis die Musik verstummt. Die weißen Einhörner werden unruhig. Jetzt bemerkt auch die Fee die Veränderung und kauert sich hinter einen Baumstumpf. Die Lichtung verdunkelt sich, als schöben sich Gewitterwolken vor die Sonne. In die Stille hinein hallt ein Donnerschlag, dann noch einer. Dramatische Musik von Streichinstrumenten begleitet die fünf schwarzen Pferde mit ihren schwarz gekleideten Reitern, die nun auf die Lichtung stürmen. Die Einhörner flüchten. Eine Frau in einem knappen rot-schwarzen Anzug stolziert in schwarzen Stiefeln auf die Lichtung. Von der Fee ist keine Spur mehr zu sehen. Die Verkörperung des Bösen singt alsdann mit dunkler boshafter Stimme und verhängt einen Fluch über den Zauberwald. Ihre Friesenpferde marschieren hin und her wie Platzhirsche und reißen auf Kommando ihrer Höllenfürstin die Vorderbeine so weit hoch, wie sie können. Eine Reihe von Donnerschlägen macht die Bedrohung greifbar, bis der Wald in Dunkelheit und Stille versinkt. Eine Erlösung.
Nach einigen Momenten der Dunkelheit scheint das Licht wieder auf. Die hellen Mauern einiger flacher Häuser umrahmen einen Marktplatz, in dessen Mitte eine spanische Tänzerin in einem orange-roten Kleid auf der Stelle steppt. Sie sieht sich dabei anscheinend verwundert um. Ihre Schultern sind eingezogen, die Hände umklammern eine Glaskugel und reiben daran. Sie hält die Glaskugel freudestrahlend in die Höhe. Weiße Einhörner mit Kopfschmuck stoßen dazu und man erkennt in der Spanierin die Fee aus dem Zauberwald. Sie hat sich vor der Höllenfürstin in eine andere Welt gerettet. Traditionelle spanische Klänge setzen ein und sie führt einen Flamenco-Freudentanz auf, begleitet von ihren Einhörnern. Athletische Männer laufen auf die Bühne, heben die Tänzerin hoch, bauen eine Pyramide auf und strahlen ins Publikum. Händeklatschen ertönt und schwillt an zu lautem Applaus.
Da wird der Bildschirm schwarz und im Raum herrscht Stille.
Ich fühlte den Schweiß in meinen Handflächen, als würde ich gerade in diesem Moment wieder auf der Bühne stehen.
»Ein paar kleine Patzer, aber für unsere erste Show in dieser Besetzung – grandios«, resümierte Günther Fröhlich und alle atmeten erleichtert auf. Dem Chef gefiel es. »Die Bühnenbilder vermitteln einen starken Kontrast. Genau so hab ich es mir vorgestellt.«
Man nannte Fröhlich in Kennerkreisen auch den »Friesenpapst«. Er arbeitete bereits seit Jahrzehnten erfolgreich mit Pferden, züchtete die starken schwarzen Pferde auf seinem Gestüt und trat mit ihnen auf. Erstmals nun auch im großen Stil. Eve war eine der Tänzerinnen, Robert übernahm eine artistische Nebenrolle. Ich ritt eines der schwarzen Pferde im Hintergrund und hatte an den Kostümen mitgearbeitet.
»Die Kostüme wirken richtig gut«, gab Eve mit ihrem strahlenden Lächeln dazu.
»Licht und Musik könnten noch besser aufeinander abgestimmt werden. Der Ton beim Gesang – wir brauchen eine bessere Anlage, wenn es größer werden soll«, fügte unser Techniker hinzu.
»Größer?« Die Show sollte größer werden? Ich hätte es fast überhört, aber Robert, der noch Deutsch lernte, hakte nach. Eine gute Frage. Größer als zehn Pferdeanhänger und vier Lkws? Zwei Dutzend Männer und Frauen saßen gespannt da und warteten auf eine Antwort des Chefs.
»Überlegt euch bitte, ob ihr mit mir auf Tour durch Europa gehen wollt. Diese Show, so wie sie jetzt ist, werden wir in den nächsten Monaten aufführen. Aber bald soll daraus eine abendfüllende Veranstaltung werden. Eine Mischung aus Pferdeshow, Musical und Zirkus. Das plane ich natürlich nicht allein, ich habe einen wichtigen Mann dafür an meiner Seite. Und ich möchte euch alle«, er blickte jeden einzelnen von uns an, »einladen, nein, bitten, auf den Zug aufzuspringen. Ohne euch hätte ich diese Show nicht auf die Beine stellen können.« Er sah uns gespannt an, rieb sich über seinen Bart und zwinkerte. »Ich bin nur der Mann mit den Friesen und dem Größenwahn …«
Robert sah mich aufgeregt an. Wir dachten offensichtlich das Gleiche – wenn wir auf Tour gingen, dann zusammen. Er müsste nicht weiter im Fitnessstudio arbeiten und ich – ich wollte einfach Teil dieser Show sein, auch wenn ich für die Bühne noch so viel lernen müsste. Ich war doch nur die Frau, die gut mit Pferden, Make-up und Nadel und Faden umgehen konnte.