Читать книгу In der Ferne scheint das Glück - Veronika Danzer - Страница 9

Applaus, Applaus

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»Ganz ruhig, Nelson«, beschwor ich das schwarze Pferd und rückte ihm hinter der Bühne den Kopfschmuck zurecht. Dann zupfte ich an Nelsons schwarzem Umhang – zum zehnten Mal –, prüfte den Sitz des Halfters und der Trense. Ich legte meine Hand an den Hals des kräftigen Friesen. Seine Körperwärme entspannte mich immer.

Links und rechts von mir warteten meine schwarz gekleideten Kolleginnen mit ihren Pferden ebenfalls auf unseren Auftritt. Automatisch bewegte sich meine Hand an Nelson Hals auf und ab, bis mir bewusst wurde, dass ich ihn damit wahrscheinlich noch nervöser machte.

Ich richtete meine Jacke und sah an mir herunter. Alle Knöpfe zu, die Hose saß perfekt, meine Stiefel glänzten, Kostüm – check!

Auf der anderen Seite des Vorhangs sang die Fee Angie, der Publikumsliebling des Pferdemusicals, gerade zum zweiten Mal an diesem Sonntag ihr fröhliches Lied. Noch war da draußen im »Zauberwald« heile Welt, aber gleich würden wir, die Mächte der dunklen Seite, alles durcheinanderbringen – auch zum zweiten Mal, wie jeden Sonntag.

Noch dreißig Sekunden bis zum Einsatz. Ich setzte einen Fuß in den Steigbügel und schwang mich in den Sattel. Ein Griff an den Hut, der in perfekter Position fest saß. »Also gut, Nelson, wir machen das schon.«

Ein knappes Nicken nach links und rechts, dann richtete ich meinen Blick nach vorn auf den Vorhang, der sich gleich für uns öffnen würde. Ich hob das Kinn und lächelte, als ich Nelson das Startsignal gab.

Der Einmarsch verlief perfekt. In der Mitte der Manege bildeten wir eine Reihe, teilten uns dann auf, fünf Reiter nach links, ich drehte mit vier anderen Reitern nach rechts ab. Stehen, linker Vorderhuf hoch, drei Sekunden stehen. Ich zog am Zügel, damit Nelson seinen Kopf hochnahm, die Nase heranzog und möglichst imposant aussah. Dann drehten wir uns Richtung Mitte der Manege und ritten in einer Reihe mit den anderen auf die Gegenseite zu. Die weißen Einhörner und ihre Königin Angie drängten sich ängstlich in der Mitte zusammen, während wir sie einkesselten.

Die donnernde Musik steigerte sich, das Licht erlosch, bis auf die Spots im Zentrum der Manege. Nelson hasste diesen Part. Ich spürte mein verkniffenes Lächeln und versuchte die Lippen wieder zu öffnen. Nelson wurde langsamer, wir hingen hinter den anderen her, erst nur ein paar Zentimeter.

Bleib dran, das können wir noch schaffen, flüsterte ich ihm ein. Der Abstand wuchs, einen halben Meter zurückgesetzt, blieb er auf einmal stehen. Mir brach der Schweiß aus. Am liebsten hätte ich laut geflucht. Weiter, weiter, nichts gewesen!

Ich zog die Zügel an, damit Nelson seine Vorderhufe synchron zu den anderen hochriss, so weit er konnte. Mein Hut rutschte nach hinten, ich streckte einen Arm aus, fing ihn auf und setzte ihn schnell wieder an seinen Platz. Da hatten sich meine Haare aber schon gelöst. Der dicke zusammengedrehte Zopf lag auf meiner Schulter, entwand sich, während wir die Manege umkreisten, und schließlich breitete sich mein braunes Haar ungehindert auf meiner Schulter aus. Mein Kopf glühte. Negativ auffallen – check.

Die tadelnden Blicke meiner Kolleginnen konnte ich gar nicht gebrauchen.

»Mach dir nichts draus«, versuchte die Höllenfürstin mich zu trösten, während wir auf den nächsten Einsatz warteten, aber was geschehen war, konnte man nicht herunterspielen. Nelson machte immer wieder die gleichen Probleme während der Show, obwohl beim Proben alles funktionierte. Da war er eben nicht den gleichen Reizen ausgesetzt wie in der Show.

Wir kämpften uns durch den Rest der Vorstellung. Nachdem ich mein Haar wieder hochgesteckt und unter dem Hut verborgen hatte, war ich für das Publikum nicht mehr von den anderen Reitern der Höllenfürstin zu unterscheiden, hoffte ich.

Es lief dann einigermaßen glatt für uns, dennoch war es an manchen Stellen Glückssache, dass Nelson nicht streikte. Erleichtert ritt ich nach dem letzten Vorhang in die Manege.

Das Publikum applaudierte den Darstellern, Tänzern, Artisten und den Pferden. Immer mehr Menschen im Publikum erhoben sich von den Sitzen. Das Klatschen erzeugte ein Rauschen in meinen Ohren, ließ mich aufatmen und meine Mundwinkel hoben sich immer weiter, als ich die glücklichen Gesichter im Publikum sah. Meine Kolleginnen lachten ebenso ausgelassen wie ich.

Robert drehte sich kurz um und warf mir eine Kusshand zu. Er stand immer ganz vorn in der Manege mit den anderen Artisten.

Sobald Nelson und ich aus der Manege hinausritten in Richtung der Ställe, war der Glücksrausch für mich allerdings abrupt vorbei.

Das war keine gute Show für uns beide, das war eine Katastrophe! Ich wollte nichts hören, keine Kommentare, keine als Ratschläge getarnten Vorhaltungen.

Ein Pfleger im Stall nahm mir Nelson ab und ich stapfte durch das Wohnwagendorf zum Trailer. Ich knallte die Tür hinter mir zu und schmiss den Hut aufs Bett. Hektisch fummelte ich an den Knöpfen meiner Jacke und zerrte mir das steife Teil vom Körper. So fiel mir das Atmen wieder leichter. Ich setzte mich hin und machte mich ans Abschminken.

Eine Weile später öffnete sich die Tür des Wohnwagens. Robert kam herein, der Schweiß glänzte auf seinem Oberkörper.

Ich streckte den Arm aus, bevor er mir mit seinem Schweiß zu nahe kommen konnte, und gab ihm schlecht gelaunt einen flüchtigen Kuss. Aber er konnte ja nichts dafür.

»Probleme mit deinem Pferd?«, fragte er.

»Das Pferd will einfach nicht so, wie ich will. Da hilft auch das Üben nichts. Wir machen acht Shows pro Woche und dann soll ich ihn in seiner Freizeit auch noch dazu zwingen? Bei den Proben können wir die Choreo fast im Schlaf.« Mir stiegen vor Wut die Tränen in die Augen. »Was sagen die Chefs? Hast du sie gesehen nach der Show?«

Er schüttelte den Kopf und lachte. »Das war eine tolle Idee, die Haare zu zeigen. Du hast so schöne Haare!«, sagte er.

»Der Hut ist mir vom Kopf gerutscht …«, protestierte ich, nur halb ernst gemeint. Selbst wenn ich mich ärgerte, brachte er mich zum Lachen. »Die wollen mich bestimmt am liebsten feuern.«

»No way. Du bist von Anfang an dabei. Shit happens.«

Mein Fauxpas war ein Unfall, ein peinlicher Patzer, aber das konnte jedem mal passieren. Nelsons Fehler hingegen waren keine Ausnahme, das wusste Robert auch. Deshalb schwiegen wir. Er zog sich die schwarze Pluderhose aus.

»Ich muss heute früh ins Bett.«

»Okay, und morgen ist unser freier Tag«, sagte Robert, warf sich ein Handtuch über die Schultern und küsste mich auf die Stirn. »Sei ehrlich. Willst du nicht mehr auf Tour sein?«

»Das ist es nicht.« Das stimmte. Ich konnte zumindest nicht ernsthaft behaupten, dass ich nicht gern unterwegs war.

Dieser Trailer war jetzt unser Zuhause. Egal, wo wir waren, die Show war meist ausverkauft. Das bedeutete zweitausend Zuschauer in einem riesigen Acht-Mast-Zelt. Es gab ein Extrazelt für Garderobe und Maske und noch eins zum Warmreiten der Pferde. Nach ein paar Wochen wurde alles eingepackt, inklusive dem Sand in der Manege, und unser Dorf zog in die nächste Stadt. Eine riesige Kolonne von Lkws, Anhängern und Wohnwagen mit 55 Pferden, 65 Darstellern und noch mal 120 Menschen, die für Tiere, Technik, Auf- und Abbau sowie viele weitere Aufgaben zuständig waren.

»Aber?«

»Ich möchte nicht mehr reiten.« Es war schwer, es auszusprechen. Ich hatte mich schon schwergetan damit, es mir selbst einzugestehen.

»Was willst du dann machen?«

»Ich möchte nur noch hinter den Kulissen arbeiten. Schminken, Kostüme herstellen, wie früher.«

»Rede mit Fröhlich.« Jetzt nahm er mich doch in den Arm. Ich lehnte meine Stirn an das Handtuch auf seiner Schulter.

»Weißt du, wie glücklich ich bin, hier mit dir?«, fragte er, ohne eine Antwort zu erwarten. Er sagte oft solche Sachen und hatte schon gelernt, dass mir die Worte nicht so leicht aus dem Mund kamen wie ihm. Ich küsste ihn.

»Nelson ist vielleicht aber nicht glücklich hier.« Ich seufzte und fragte mich, wie wir den Rest der Saison überstehen sollten. Niemand konnte mitten in der Tour aussteigen. Kein Pferd konnte so schnell ersetzt werden und auch kein Mensch.

In der Ferne scheint das Glück

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