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Eine neue Küche

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Lange Zeit war die Schule meine berufliche Heimat. Noch bevor ich meine Tätigkeit als literarische Lehrerin an einer Hauptschule hinter mir ließ und zu den Beratungs- und BetreuungslehrerInnen wechselte, verspürte ich jedoch schon so etwas wie pädagogisches Bauchweh. Immer öfter machte sich das Gefühl der Appetitlosigkeit auf das, was das System zu bieten hatte, breit. Vieles von dem, was ich aus meiner Ausbildung, zum Teil auch noch aus der eigenen Schulzeit übernommen und praktiziert hatte, war für mich ungenießbar geworden und ließ mich nach „alternativer Kost“ suchen. Reformpädagogische Fortbildungen und ein Pädagogikstudium vermochten den Appetit kurzfristig wieder anzuregen, aber die Veränderung, die ich gesucht hatte, fand ich darin nicht. Aus ersten Kochexperimenten in meiner Kindheit weiß ich, dass ein einmal verdorbenes Gericht auch durch ein paar neue Zutaten (als gut gemeinte Rettungsversuche) nicht mehr genießbar wird. Dieses „Gericht“ namens Schulsystem ist dabei, gründlich zu verderben. Die Zutaten sind alt und unbrauchbar geworden. Zu viele Maitres, die in Ego-Manier und zueinander in Konkurrenz stehend, ohne Rücksichtnahme oder Befragung der Klienten (denen die Kost ja schließlich zumutbar sein sollte) ihre Rezepte durchsetzen wollten, haben daran herumexperimentiert, sodass der Geschmack immer schaler wird. Die wenigsten essen noch mit Lust und die Übelkeit manch zwangsweise „Verköstigter“ wird immer stärker. Die Hoffnung, wir könnten die verdorbene Suppe endgültig auslöffeln und in einer komplett neuen „Küche“ etwas ganz Neues, Innovatives kreieren, hegen, denke ich, viele. Auch mangelt es nicht an Bereitschaft und Einsicht in die Notwendigkeit einer Reform. Solange sich darin jedoch das gegenwärtige Menschenbild spiegelt und der Mensch nach seiner (ökonomischen) Nützlichkeit für die Gesellschaft bewertet wird, werden wir auch durch noch so ambitionierte Reformen keine wesentliche Änderung erzielen. In jedem Gedanken, jeder Intervention, jeder Reform drückt sich eine menschliche Grundhaltung aus. Genau diese Haltung macht den Unterschied aus und entscheidet, ob eine Reform die beklagten Phänomene, vor allem aber die Reformer selbst im erstrebenswerten Sinn verändert oder ob wir im neuen Kostüm die Alten bleiben.

Direktiven wie Bewertung und Beurteilung, Fächerkanon und Lehrplan, das Eingebundensein in rigide Strukturen und Rahmenbedingungen ließen mich in der Vergangenheit öfter als mir lieb war mit dem System Schule hadern. Heute weiß ich, dass gerade dieses Hadern, diese Unzufriedenheit mit Bestehendem enorme Bindungskraft hat und man nur im Frieden gehen kann, möchte man nicht mit altem Gepäck reisen. Zum Zeitpunkt meines Ausscheidens aus dem Schuldienst hatte sich diese Voraussetzung erfüllt. Dankbar für das viele Gute, das mir meine langjährige Tätigkeit als Lehrerin beschert hatte, konnte ich den Anspruch innerhalb der „Systemmauern“ etwas ändern zu müssen versöhnlich loslassen – im Vertrauen darauf, dass das, was ich tue, unabhängig vom Standort auf das Ganze wirkt und jeder Wandel sich mühelos wie von selbst vollzieht, ohne dass man um ihn kämpfen müsste, wenn seine Zeit gekommen ist. Und das ist dann, wenn ein breites Umdenken stattgefunden hat und wenn das bestehende (alte) Paradigma einem neuen Bewusstsein gewichen ist: einem Bewusstsein, das Kontrolle, Bewertung und Vergleich – kurz Schule, wie sie heute ist – nicht mehr als notwendig erachtet. Wir müssen die Schule nicht reformieren, wir müssen sie von einem neuen Menschenbild her denken.

Zum Beispiel so:





Das Vertrauen der Erde in die Samen

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