Читать книгу Die zwölf Jünger Jesu - Viktor Löwen - Страница 28
2.3 Ergebnis und Schlussfolgerungen
ОглавлениеErstens. Mit μαθητής werden nicht nur konkrete Anhänger (oder „Schüler“) Jesu bezeichnet, sondern auch die Anhänger des Johannes, die Anhänger der Pharisäer und allgemeine, „ideale“ Anhänger (oder „Schüler“) Jesu. Welche dieser Jüngergruppen Mt mit μαθητής meint, lässt sich jeweils am unmittelbaren Kontext feststellen. Zweitens. Klar ist, dass alle Glieder des Zwölferkreises „Jünger“ sind: Mt bezeichnet sowohl eine Teilmenge der Gruppe als auch die Gesamtgruppe so. Damit scheiden die Modelle 5, 4 und 1 aus (s.o. I,2.1). Drittens. Wesentlich schwieriger zu bestimmen ist, ob Mt mit dem Substantiv μαθητής auch weitere (historische) Personen außerhalb des Zwölferkreises bezeichnet: stimmt also Modell 2 (Jünger = 12) oder Modell 3 (Jünger = 12 + x)? Selbst wenn neben dem „anderen der Jünger“ (Mt 8,21) auch der Schriftgelehrte (8,19) ein Jünger war, besteht die Möglichkeit, dass beide Personen Teil des Zwölferkreises waren. Doch weil der „andere der Jünger“ bereits in 8,21 zu den Jüngern gezählt wird, also am Anfang des Gesprächs mit Jesus über eine Jesusnachfolge, die die Vernachlässigung familiärer Pflichten zur Folge haben kann, ist es durchaus wahrscheinlich, dass es zwei verschiedene Arten der Jesusjüngerschaft gab, und das schon relativ früh in Jesu Wirken, wie es Mt darstellt (vgl. 8,21 mit 4,18-22). Desweiteren spricht mehr dafür, dass Jesus in 10,1 den (evtl. bereits bestehenden) Zwölferkreis aus einer größeren Jüngergruppe herausrief (wenngleich nicht unbedingt „berief“ im Sinne einer Konstituierung), als dass Jesus bereits in 9,37f ausschließlich den Zwölferkreis adressierte. Doch am deutlichsten ist das Verb μαθητεύω: weil es zu demselben semantischen Feld zählt wie das Substantiv, gibt es einen eindeutigen Beleg für die Existenz einer historischen Person, die ein Jesusjünger war, aber nicht dem Zwölferkreis entstammte, nämlich Joseph von Arimathäa (27,57). Diese drei Sprachverwendungen, von μαθητής in 8,21 und 9,37 und von μαθητεύω in 27,57 sollten auf der Sprachsystemebene berücksichtigt werden. Deswegen spricht der Gesamttext eher für Modell 3.
Viertens. Dieses Hyperonym – Hyponym-Modell erklärt auch Einzelpassagen, in denen Mt offensichtlich μαθητής als absolutes Synonym für die Zwölf verstanden haben will. Diese kontextbedingten Synonyme sind aber kein Beleg für die Synonymität beider Größen auf der Sprachsystemebene. Mit anderen Worten: Man darf kontextbedingte Synonyme nicht dahingehend pauschalisieren, dass in allen anderen Kontexten ebenfalls Synonymität vorliegt! Konkret bedeutet das: Man sollte mit einem größeren Jüngerkreis (inklusive der Zwölf!) rechnen, außer Mt deutet es im Kontext an, dass nur die Zwölf oder Einzelne der Zwölf mit „Jünger“ gemeint sind.1 Fünftens. Wenn man nun grundsätzlich mit der Möglichkeit rechnet, dass Mt mit „Jünger“ verschiedene Jesusjünger meint, dann ist es nicht nur erlaubt, sondern sogar geboten, dass der Leser beim Auftreten von μαθητής zunächst an die ihm bekannten Personen denkt: ab Mt 4,18-22 an die beiden Brüderpaare, ab 9,9-13 zusätzlich an den Zöllner Matthäus und ab 10,1-4 an die Zwölf, usw. Dennoch müssen nicht immer alle als „Jünger“ bekannten Personen vollzählig anwesend zugegen sein, wenn von οἱ μαθηταί die Rede ist. Mit anderen Worten: Mit οἱ μαθηταί können mehr oder weniger als die zwölf Jünger gemeint sein (die in Modell 3 verschieden groß gezeichneten Kreise sollten nicht als Widerspiegelung des realen Größenverhältnisses verstanden werden). Demnach sollte der Leser die genaue Größe der Gruppe der Jünger und ihre genaue personelle Zusammensetzung offenlassen, wenn Mt im Kontext keine klaren Angaben zur Personenidentität macht.