Читать книгу Sagenhafte Geschichten - Вильгельм Гауф - Страница 10

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Die Literamorphin

Karin Braun

„Nanu, ich dachte Sie bleiben bis Dezember,“ sagte meine Besucherin mit Blick auf die verschiedenen Gepäckstücke im Flur.

Ich lächelte unverbindlich. „Mir stehen noch einige Tage Urlaub zu und da dachte ich, ich könnte schon mal ein paar meiner Sachen nach Hause bringen. Bis Dezember ist es ja nicht mehr lange hin.“

Meine Besucherin ging an mir vorbei ins Wohnzimmer. „Vielleicht können wir uns einen Augenblick setzen, ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen.“

‚Fühl dich wie zu Hause,‘ dachte ich. Lächelte aber freundlich und sagte: „Natürlich. Möchten Sie einen Kaffee?“

Sie saß bereits auf meinem Lieblingsplatz an dem kleinen Esstisch vor der Terrassentür und schob den Stapel Papier, der dort lag, achtlos zur Seite. Als ich sah wie sie ihn berührte, stockte mir der Atem. Aber sie versuchte nicht einmal zu erkennen, was dort geschrieben stand. Ich nahm das Bündel, legte es wie beiläufig auf den Schreibtisch und wiederholte meine Frage. Sie lehnte, wie ich erwartet hatte, ab. Ihr sah man schon auf hundert Metern Entfernung die passionierte Teetrinkerin an. Eine der Art, die auch im billigsten Teebeuteltee einen Hauch Jasmin entdeckte. Ich setzte mich ihr gegenüber.

„Nun, was kann ich für Sie tun?“

Es freute mich zu sehen, wie sie sich vor Verlegenheit wand, ich konnte diese arrogante Ziege nicht leiden und im Grunde wusste ich ja was sie mir zu sagen hatte. Die Neuigkeiten hatten sich rasend schnell herumgesprochen und waren in der Nachbarschaft nicht ohne Sympathie aufgenommen worden. Doch warum sollte ich es ihr einfach machen. Schließlich rang sie sich zum Sprechen durch.

„Sie wissen ja, dass das Haus meiner Tochter gehört und dass sie diese Wohnung bewohnt hat. Meine Tochter ist sehr krank und hat lange jede Behandlung verweigert. Sie leidet unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung und ist nach einem Vorfall in die Klinik gekommen.“

Ich zog überrascht die Augenbrauen hoch: „Multiple Persönlichkeit? Gibt es das wirklich? Ich habe es immer für eine Verlegenheitsdiagnose gehalten.“

„Doch doch, das gibt es, wenn ich auch einräumen muss, dass Eleonora an einer sehr speziellen Form leidet. Sicher haben Sie das eine oder andere gehört … von den Nachbarn.“ Sie verzog angewidert die schmalen, rotgeschminkten Lippen. „Die Leute klatschen nun mal gerne und Eleonora hat ihnen weiß Gott genügend Anlass gegeben.“

Ich räumte ein, dass ich einige Geschichten gehört hätte, konnte es mir aber nicht verkneifen, hinzufügen, dass aus den Berichten durchaus Zuneigung für meine Vermieterin herausklang.

Sie schnaubte förmlich: „Oh ja, bis zu dem Tag, in dem sie Herrn Hansen aus der Nummer 7 angegriffen hat.“

„Wie ich gehört habe, hatte sie durchaus einen Grund dafür. Er hat seine Frau verprügelt und sie ist dazu gekommen“, warf ich ein.

„Frau Hansen hat das nicht bestätigt.“ Stimmt, dachte ich, die wollte sicher nicht noch eine Abreibung kassieren. Frau Hansen trug sehr oft bei Regen Sonnenbrille und auch im Hochsommer lange Ärmel. „Wie auch immer, Eleonora wurde von der Polizei festgenommen und bestritt auch gar nicht, dass sie Herrn Hansen bewusstlos geschlagen hat … in Batgirlkostümierung. Sehen sie, Eleonora hat eine besondere Persönlichkeitsstörung. Sie bildet sich ein die Person, über die sie gerade liest, zu sein. Ihr Mann, nannte es Literamorphismus und sah es nicht als Krankheit, sondern als Erweiterung der Persönlichkeit an.“

„War ihre Tochter mit Prof. Harro Schabowski verheiratet? Ich habe über seine Forschung gelesen. Sehr viele halten ihn für ein Genie und bedauern seinen frühen Tod.“

Sie schüttelte den Kopf. „Er war eindeutig eines, ein Beweis dafür, dass Genie und Wahnsinn dicht beieinander liegen. Eleonora war seine Studentin und ich bin sicher, dass seine Versuche sie zu dem gemacht haben, was sie ist. Sie hatte schon als Kind die Fähigkeit sich ganz und gar in ein Buch zu versenken, es wurde zu ihrer zweiten Welt und sie wechselte hin und her. Damit war ihr, wenn sie sich von Büchern fernhielt, ein nahezu normales Leben möglich. Dann lernte sie Harro kennen, sie heirateten und Eleonora wurde zu seinem Versuchskaninchen. Sie versank nicht mehr in den Büchern, sie wurde zu der Figur, die sie am meisten ansprach. Nach Harros Tod führte sie die Experimente weiter, allerdings unkontrolliert und immer intensiver. Wenn wir uns trafen, wusste ich nie, in welcher Gestalt sie auftauchen würde. Es konnte von einer Georgette Heyer Figur bis Batgirl alles sein, nur eine war es nie: Meine Tochter.“

Sie sah aus dem Fenster zum Turm hinüber, der dem Haus so einen märchenhaften Charakter gab. Ich beschloss, den Bericht ein wenig zu beschleunigen.

„Was beunruhigt sie denn nun so?“

„Eleonora ist gestern aus der geschlossenen Abteilung geflohen und niemand kann mir erklären, wie ihr das gelungen ist.“ Sie griff nach meiner Hand. „Verstehen Sie, es steht zu befürchten, dass sie hierherkommt. Wo soll sie auch sonst hin. Sie müssen mir versprechen, dass sie mich sofort informieren, wenn Eleonora hier auftaucht. Und Frau Großmann, seien sie vorsichtig. Meine Tochter kann sehr charmant sein, aber sie ist auch gefährlich.“

Ich nickte nachdenklich. „Okay, ich rufe sie an, wenn ich etwas bemerke.“

An der Tür sah sie mich noch einmal ernst an: „Bitte nehmen Sie meine Warnung ernst, Eleonora ist gefährlich. Ihren Äußerungen habe ich entnommen, dass sie eine gewisse Sympathie für sie hegen.“

„Machen Sie sich keine Sorgen. Ich melde mich, wenn ich etwas höre.“ Damit schloss ich hinter ihr die Tür, ließ mich schwer dagegen fallen und flüsterte: „Auf Nimmerwiedersehen … Mutter!“

Es wurde Zeit zu gehen, bevor noch jemand auf die Idee kam, hier nach mir zu suchen oder sich näher im Haus umzusehen. Zurück im Wohnzimmer, nahm ich das Manuskript an mich, das ich dort abgelegt hatte. Ich darf mich nicht davon trennen, bis ich diese Geschichte sauber beendet habe.

Eigentlich müsste ich dankbar sein, dass man mich in die Psychiatrie verfrachtet hatte. Dort hatte man mich von Büchern ferngehalten und so entdeckte ich, dass ich meine eigene Geschichte schreiben konnte. An einen Stift zu kommen, war einfach, in der Ergotherapie gab es so viele, da fiel einer mehr oder weniger nicht auf. Papier war schon schwieriger, zumal niemand erfahren durfte, das und vor allem was ich schrieb. Letztendlich schrieb ich auf Klopapier und Servietten. So entstand Schwester Anja und in ihrer Gestalt war es mir gelungen, die Klinik zu verlassen. Das Kommen und Gehen des Personals, wurde so gut wie nie vom Wachpersonal zur Kenntnis genommen. Doch nun war nicht die Zeit in Erinnerungen zu schwelgen. Erst einmal musste Eleonora/Sabrina in die Klinik zurück und dort schnell gesunden. Nachdem ich mir ihr Leben angeeignet hatte, war ich es ihr schuldig, ihr eine gute Ausgangsbasis zu verschaffen.

Da ich im Grunde nicht gewalttätig bin, war es mir schwergefallen, sie in den Turm zu locken und bewusstlos zu schlagen. Doch als ich sie aufs Bett gelegt und zu schreiben begonnen hatte, war ich einfach nur fasziniert. Sie ist ein wenig größer als ich, leider auch fetter, ihre Haut ist dunkler und ihre Haare länger und braun. Während ich schrieb, beobachtete ich die Veränderung, ich merkte, wie ich mich streckte und ausdehnte, wie meine Haut dunkler wurde und als ich aufsah, konnte ich beobachten, wie Sabrina auf dem Bett zu Eleonora wurde. Es war schon gruselig, aber es war auch in dem Moment, dass ich begriff, welche Macht ich nun hatte. Alles war möglich. Ich war nicht mehr begrenzt auf das, was bereits geschrieben war. Ich konnte alles sein und alles erreichen.

Ich ging noch einmal den Plan durch. Am späten Abend würde ich über ein Prepaidhandy anonym die Polizei informieren, dass ich Licht im Turm gesehen habe. Dann musste ich meine Ersatz-Eleonora wachschreiben. Natürlich würden sie sie erst einmal zurück in die Psychiatrie bringen, was mir leid tut, aber sich nicht ändern lässt. So wie ich einen sicheren Platz gefunden habe, werde ich sie gesundschreiben. „Eleonora“ wird absolut geheilt sein und in ihr Haus zurückkehren. Ein doppelter Gewinn, das Haus hätte wieder eine Bewohnerin, die es wirklich mochte und meine Mutter konnte ihre Pläne, es abzureißen, begraben, was wiederum ihren smarten Architektenfreund verdrießen wird. So wird also diese Geschichte enden und meine als Sabrina Großmann beginnen. Sicher der Name macht nicht viel her. Doch das lässt sich ändern. Alles lässt sich umschreiben, wenn man den Bogen erst einmal raushat.

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