Читать книгу Sagenhafte Geschichten - Вильгельм Гауф - Страница 8

Оглавление

Hannibals Kriegskasse

Willi Basler

Jeder kennt den Königssee – berühmt durch das Echo an einer Felsenwand und die wunderbare Aussicht auf St. Bartholomä und den Obersee bei einer Fahrt mit den Elektrobooten. Fast 50 Jahre ist es nun her, dass ich zusammen mit Freunden regelmäßig die Überfahrt machte – denn am Fuße des Steinernen Meeres lag die damals längste Höhle Deutschlands, die Salzgrabenhöhle.

Um dort Forschungen vorzunehmen, musste man mit dem Schiff nach Bartholomä, zwängte sich also mit schwerem Gepäck zu den Touristen ins Boot, ertrug geduldig die schon so oft gehörten Erklärungen des Bootsführers und dazu das manchmal recht klägliche Trompetenspiel, das die Existenz des Echos nachweisen sollte.

Wenn dann die Echowand hinter uns lag, Bartholomä in Sicht kam und der Bootsführer sich wieder berufsmäßig korrekt verhielt, um sein Trinkgeld zu zählen, wurde es ruhig. Man konnte sich an der Aussicht erfreuen und kontemplativ auf die kommenden Tage unter der Erde vorbereiten. Noch ein Wbisschen die Sonne und Wärme genießen, bevor wir für mehrere Tage in die Höhle einfuhren. Wenn da nicht immer die Neugier der mitfahrenden Touristen gewesen wäre …

Schwere Rücksäcke mit Seil, Kletterhelm und Karbidlampen, dazu schmutzige Lederbergstiefel – ja, wir unterschieden uns schon recht deutlich von all den Anderen. Und wir wurden leider nicht nur angestarrt, sondern auch immer ausgefragt: „Wo wollt IHR denn hin, was habt IHR eigentlich vor …“ Reichlich entnervt von der Fragerei eines Ehepaares mit zwei Kindern, legte ich los:

„Ihr habt das mit dem Bergsturz gehört, der den Obersee vom Königssee trennte? Wisst ihr auch, wann und wie das passiert ist?“

Kopfnicken, also ja bei den Eltern.Und da es der Bootsführer eigentlich erklärt hatte, gelangweiltes Kaugummikauen bei den Kindern. Da musste ich wohl deutlich nachlegen.

„Da ist der Hannibal mit seinen Elefanten schuld, der wollte ja unbedingt über die Alpen um Rom zu überfallen und damit das auch klappt, hat er so an die 100 Elefanten und 30.000 afrikanische Krieger dabei gehabt.“

Die Augenbrauen der Eltern gehen leicht nach oben, die Kinder haben die unappetitliche Massage des Kaugummis aufgehört, dafür stehen beide Münder nun offen. Großzügig verfälsche ich die Marschroute von Hannibal:

„ Also eigentlich weiß ja jeder, dass die Leute in der Armee vom Hannibal echt super diszipliniert waren. Im Gleichschritt – auch die Elefanten – über die Alpen - das müsst ihr euch mal vorstellen! Von hier aus erst mal in Richtung Südtirol – wegen dem Wein – dann weiter nach Rom, das war der Plan.“

Keine wirklich deutliche Reaktion bei den Kindern. Die Eltern schauen weiter skeptisch.

„Kennt ihr eigentlich den Prof. Dr. Pierluigi Corleone von der Universität in Bergamo? Der hat da einige Fernsehsendungen zu seinen Hannibal-Forschungen gemacht!“

Jetzt habe ich sie. Bestätigendes Nicken der Eltern, sie wollen die Unkenntnis nicht zugeben. Und der Professor ist natürlich frei erfunden

„Der hat da am Obersee“ – ich deute dazu in die Fahrtrichtung – „nahe bei der Reiteralpe tatsächlich Elefantenzähne ausgebuddelt. Müsst ihr Euch vorstellen: Elefantenzähne! Zuerst hat man die ja für Mammutzähne gehalten – aber die Zeitbestimmung machte schnell klar, dass das eindeutig in die Zeit von Hannibal zurück ging. Wenn das kein Beweis ist!“

Erst mal Luft holen, dann weitermachen – jetzt war ich natürlich nicht mehr aufzuhalten.

„Denn die Elefanten mit Ihrem Gleichschritt haben das Kalksteinmassiv des Steinernen Meeres in Eigenresonanz gebracht, den Bergsturz ausgelöst und damit einen Teil vom Königssee abgetrennt, eben den jetzt Obersee genannten Teil. Logisch, dass viele Elefanten den Bergsturz nicht überlebt haben – daher also die Zähne. Und in einem Museum in Bozen sind einige davon nun ausgestellt, kann man sich angucken, solltet ihr auch mal hin!“

Nun werden auch andere Mitfahrer im Boot aufmerksam und drehen sich in unsere Richtung. Es wird also Zeit, nochmals „einen Zahn zuzulegen“ und die Geschichte phantasievoll weiter auszubauen.

„Und das Schlimmste war ja – nein, nicht das mit den Elefanten, die hatten eh mit dem Wetter hier zu kämpfen, hatten Grippe und so – nein, stellt Euch vor: die Kriegskasse vom Hannibal ging auch hopps. Einfach weg, futsch, im Bergsturz verschwunden - zusammen mit den meisten Elefanten und vielen Soldaten! Stellt Euch das Drama vor! Aber der arme Hannibal hat überlebt und ist mit dem Rest der Armee weiter marschiert. Und was daraus geworden ist, lernt man ja im Geschichtsunterricht, oder?“

Runde und fragende Augen bei den Kindern, jetzt habe ich sie!

„Und – psst, nicht weitersagen, ist ja eigentlich ein Geheimnis – in unseren schweren Rucksäcken haben wir den Prototypen eines Goldmagneten. Denn der Professor glaubt zu wissen, wo die Kriegskasse liegt. Und nun sind wir unterwegs und wollen die bergen. Lest einfach mal in den nächsten Tagen aufmerksam die Zeitungen – wenn wir Erfolg haben, bringt das sicher die Presse groß raus!“

Einige Zuhörer grinsen nun, das mit dem Goldmagneten war wohl zu dick aufgetragen. Die Kinder setzen an um Fragen zu stellen – aber inzwischen hat das Boot den Steg bei St. Bartolomä erreicht und alle sind in Aufbruchstimmung. Auch wir machen uns bereit für den beschwerlichen Aufstieg zum Steinernen Meer.

Unsere Höhlentour war dann auch ein großer Erfolg – wir wurden mit mehreren hundert Metern neu entdeckter Fortsetzungen in den Gängen und Schächten der Salzgrabenhöhle belohnt. Und die Geschichte von Hannibal und seinen Elefanten wurde bei weiteren Touren zur Höhle, bei jeder sich bietenden Gelegenheit während der Überfahrt, aufs Neue erzählt.

Jahrzehnte später, inzwischen Familienvater und deshalb nicht mehr aktiv in der Höhlenforschung, gab es ein Treffen älterer Speläologen – ein Grillfest in München an der Isar. Wie ein Pendel, das zurück schwingt holte mich dort das „Echo vom Königssee“ auf seine eigene, hinterlistige Art heim. Nach reichlichem Genuss typisch bayerischer Getränke machten wild ausgeschmückte Erzählungen zu früheren Forschungstouren die Runde. Jeder konnte etwas beitragen, besonders ein Forscher – selbst früher sehr aktiv im Bereich des Steinernen Meeres – war nicht zu bremsen:

„Verrückte Sachen gibt es – beim Abstieg über den Sagerecksteig zur Bootshaltestelle am Obersee hat mir ein Bergsteiger eine wüste Geschichte aufgetischt – vom Hannibal und seinen Elefanten …“

Schlagartig war ich wieder nüchtern.

„Ha – angeblich wurde der Bergsturz durch seine Elefanten ausgelöst, fast alle Elefanten wurden verschüttet und auch die Kriegskasse war weg …“

Irgendwie überfiel mich – leider sehr spät - ein schlechtes Gewissen.

„Wie verrückt muss man eigentlich sein, um so einen Blödsinn in die Welt zu setzen? Bestimmt zu viel Einschlägiges geraucht. Der Bergsteiger konnte mir jedenfalls nicht sagen, wo er diese Geschichte her hatte, halt irgendwo auf geschnappt oder gelesen meinte er.“

Das schlechte Gewissen zwickte gewaltig. Also machte ich den notwendigen Schritt und bekannte mich vor allen Kameraden schuldig. Die Quelle konnte so auf das Jahr 1974 festgelegt werden und war ganz einfach meine Phantasie – einzuordnen als Jugendsünde, da nun fast 30 Jahre her. Um etwas abzulenken, legte ich mit dem Goldmagneten und dem erfundenen Professor nach – grölendes Gelächter war das Ergebnis.

Nachdem wir uns alle wieder etwas beruhigt hatten, zeigten sich die Forscherkameraden einsichtig und erteilten mir feierlich – schließlich waren wir alle im katholischen Bayern aufgewachsen – die Absolution für die begangene Geschichtsklitterung. Als Sühne wurde ich – ganz traditionell - für reichlich Nachschub bei den Getränken verdonnert. Wir haben uns lange noch über die Lebensdauer und die Wanderwege einer solchen phantastischen „Legende“ amüsiert.

Aber ganz ehrlich – nun glaube ich auch zu wissen, wie unsere einheimischen Legenden und Heldensagen entstanden sind – Literaturwissenschaftler mögen gerne eine andere Meinung haben. Ich bleibe dabei - das Rezept ist doch einfach: Man nehme eine interessante historische Person, garniere diese mit reichlich Phantasie, wartet auf eine passende Gelegenheit und aufmerksame Zuhörer – schon kann man als Erzähler loslegen. Und wenn keine passende historische Persönlichkeit zur Hand ist – dann erfindet man auch diese.

Sagenhafte Geschichten

Подняться наверх