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Sara

Camilla Collett

Als ich das Gatter am Waldrand erreichte, brach die Sonne durch. Vor mir erstreckten sich der Ort und der mächtige Fluss in dem unverhofften Licht. Die Regenwolken, die nach Norden weitergezogen waren, entluden sich jetzt in einem breiten, weißgrauen Streifen quer über dem Mjøsa und Morskogen. Der schönste Regenbogen, den ich bisher gesehen hatte, versank mit einem Fuß in der Vorma, der andere verlor sich in den fernen, unbekannten Wäldern, die sich gen Osten erhoben. In diesem prächtigen Halbrahmen vor dem dunklen Regenhimmel lag Dorrlandet mit seinen bewaldeten Hügeln, überragt vom Gipfel des märchenhaften Ninabben*, beleuchtet von der glitzernden Abendsonne.

Nein, war das schön; ich sprang vom Pferd und während dieses graste verlor ich mich an das Gatter gelehnt in diesem Anblick. Das Gatter! Die abschüssige Lichtung dort unten! … Zwischen den schwarzen, verkohlten Baumstümpfen stehen – Roggenpflanzen wäre zu viel gesagt, vielmehr vereinzelte Ähren, vielleicht zwei Ähren je fortgeräumtem Stein! …

Und die Tannenwurzel dort rechts, auf der das Blaubeerkraut so grün und üppig wächst, diese Stelle müsste ich kennen! Ja, richtig! … Sara, alte Sara, so treffe ich also abermals auf deinen Schatten! Das Dach unterhalb der Lichtung von Bjerkelien ist das Dach ihrer Kate. Durch dieses Gatter kam sie damals, nachdem unser Pudel Murat ihren Garten verwüstet hatte; dort hatte ich gestanden mit meiner Angst und meinem schlechten Gewissen. Ich hatte Sara vorher schon oft gesehen, aber in dem Augenblick, als sie den Weg entlang schritt, prägte sich ihr Anblick unauslöschlich in mein Gedächtnis ein. Sie war alt, aber dessen ungeachtet groß und rank; ihre Kleidung unterschied sich nicht von der anderer armer Häuslersfrauen, abgesehen von ihrer äußersten Reinheit.

Ihr Gesichtsausdruck zeugte von Scharfsinn und stoischer Nachsicht, wunderlicher Weise schien ihre Holznase dazu so gut zu passen, dass sie nie besonders auffiel, nur wenn Sara Märchen erzählte, wich ihre Ruhe einer solchen Lebhaftigkeit, dass diese unbewegliche Partie ihres Gesichts aufgrund ihrer Kälte und Passivität eine höchst absonderliche Rolle spielte. Ob diese Nase im übrigen griechisch oder römisch, tscherkessisch oder mongolisch war, ließ sich nicht so leicht bestimmen, und der alte Ola Tømte, der sie modelliert hatte, hatte sich darüber sicherlich keine großen Gedanken gemacht. Saras Rede war reich an Sentenzen und vom Typus jener lakonisch-tiefsinnigen oftmals einfallsreichen Ausdrucksweise wie sie mitunter bei einfachen Bauersfrauen zu finden ist, die ob großer Sorgen und bitterer Not bereits ergraut sind. Die fast poetische Art und Weise wie sie sich ausdrückte, wurde durch eine Sprache veredelt, die so fein und gebildet war, wie man es sich nur wünschen konnte; selbst uns Kinder redete sie mit »Sie« und »Ihnen« an. Saras Geschichte will ich hier so erzählen, wie ich sie oft gehört habe.

Sie war die Tochter eines Küsters aus Eidsvoll, der zwar studiert hatte, den schwarzen Rock und weißen Kragen jedoch nicht erringen konnte. Bereits als junges Mädchen trat sie in Kopenhagen eine Dienststelle an. Die hübsche, lebhafte Norwegerin gewann das Wohlwollen aller; sie bekam etliche Anträge und verlobte sich schließlich mit einem wackeren jungen Mann, der Tapetenmacher war und eine gute Stelle innehatte. Froh und glücklich reiste sie zurück nach Norwegen, um sich von ihrem alten Heim zu verabschieden, bevor sie es gegen ihr neues eintauschte. Während dieses Besuchs war sie fraglos das stolzeste Mädchen im ganzen Ort; man versicherte mir, dass sie vom Wesen her ebenso vornehm war wie eine Schreibjungfer; aber aufgrund ihrer freundlichen und zuvorkommenden Art allen gegenüber nahm niemand daran Anstoß. Von ihrer Schönheit habe ich niemanden reden hören, aber gewissen Anzeichen nach zu urteilen war diese von jener edlen Art, die nicht genug ins Auge fällt um bewundert zu werden. Der Tag ihrer Abreise war bereits festgelegt, da wurde sie zu einer Hochzeit auf dem Nachbarhof Bjerke eingeladen. Sara wollte früh nach Hause, da sie am nächsten Tag abreisen würde, aber der Leutnant, der die Hochzeit mit seiner Anwesenheit beehrte, bat sie um eine letzte Mazurka; er flehte sie an und schließlich gab sie nach. Vor ihnen tanzte Hans Østgaarden, der geschworen hatte, mit seinem Fuß den Haken an der Decke zu treffen … Wildes Johlen und ein stürmischer Wurf jenes Körperteils zeigen, dass es ihm ernst ist, ein eisenbeschlagener Absatz blitzt an der Decke auf … Staub, Verwirrung … und als der Leutnant sich umdreht, um nach seiner Dame zu fassen, liegt diese ohnmächtig auf dem Boden. Sie wird weggetragen und der Tanz fortgesetzt, als ob nichts geschehen wäre. Denn was war im Grunde genommen auch schon groß passiert? – Arme Sara! – ihre Zukunft war zerstört … ihre Zukunft, ihre Liebe … ihre Nase.

Nachdem sich Sara von ihrer langen, schmerzhaften Krankheit wieder erholt hatte, war sie für den Rest ihres Lebens entstellt. Ein Brief ihres Liebsten traf ein, voller Sorge ob ihres Schweigens und den zärtlichsten Versicherungen seiner unerschütterlichen Treue. Sie berichtet ihm von ihrem Unglück, entband ihn von seinem Versprechen und erbat sich ihren Ring zurück. Ihr Liebster hatte das Schicksal zwar tapfer herausgefordert, aber dass es ihn so fürchterlich beim Wort nehmen würde, hätte er nicht gedacht, die Prüfung war grausam, für jeden Mann zu schwer, und auch ein Tapetenmacher ist nur ein Mann. Er schickte ihr den Ring zurück. Sara wird da wohl bitter gelächelt haben – denn die stille Hoffnung, er würde ihr Opfer nicht annehmen, hatte sie vermutlich schon in ihrem Herzen genährt. Viele Jahre gingen in ihrem freudlosen Heim dahin; in dieser Zeit litt und grübelte sie viel, sie muss erkannt haben, dass nun ein anderes Leben vor ihr lag. Da machte ihr der alte Witwer aus der Kate dort unten einen Heiratsantrag. Er besaß keine Handbreit Land, aber viele hungrige Kinder, und so zog Sara bei ihm ein. Er fertigte Matten aus Heidekraut, und sie erzog seine Kinder mit Güte und Strenge zu gottesfürchtigen und anständigen Menschen. Oh, eine solch edle Armut ist eine ehrbare Sache, die mehr Bewunderung verdient als die wohlgenährten Tugenden des Reichtums, die nie in Versuchung waren.

Auch Saras Mann wusste seine Frau zu schätzen; er trank nicht, er schlug sie nie, und bei diesen negativen Beweisen seiner Fürsorglichkeit blieb es nicht. Denn es war der alte Ola, der mit kunstfertiger Hand die Holznasen modellierte, denen sie ihren Beinamen im Ort verdankte. Er fertigte zwei, eine für den alltäglichen und eine für den sonntäglichen Gebrauch. Erstere war nur schlicht bemalt, die zweite jedoch noch sorgfältiger geschnitzt und poliert. Solange der alte Ola lebte, war für diesen Artikel immer gesorgt; nach seinem Tod musste sich Sara wie so viele Witwen einschränken; sie konnte sich den Luxus zweier Nasen nicht mehr leisten, und schaffte ihre Feiertagsnase ab.

Das war Sara Sandmarks Leben von außen betrachtet. Ein Sandboden, eine öde Sahara, in der jeder Schritt von Schweiß und Tränen gezeichnet ist, so war dein wirkliches Leben, arme Sara! Aber aus deinen reichen Erinnerungen und den Schätzen deiner Vorstellungskraft erschufst du deine Oasen und springende Brunnen, auch unzählige Sagen und Märchen lebten auf deinen Lippen.

Wer hat sich schon jemals einen richtigen Begriff davon machen können, was es bedeutet, in einer Kate auf dem kahlen Berg zu leben? Es ist mir immer ein Rätsel gewesen, wie sie, die nie betteln ging, dort oben mit ihrer Familie existieren konnte. Das bleibt das Geheimnis der edlen Armen und damit unbegreiflich. Aber wenn uns doch jemand die herzzerreißende Wahrheit offenbart, können wir dann nachvollziehen, was es heißt morgens, mittags und abends Haferschleimsuppe zu essen? Und keine Haferschleimsuppe zu haben die einzige Unterbrechung ist? Saras Tochter hat uns einmal erzählt, dass ihnen die Mutter an solchen Abenden, an denen sie nichts zu essen hatten, Märchen erzählte, und sie dann ihren Hunger über die verzauberten Schlösser und Herrlichkeiten von »Tausend und einer Nacht« vergaßen. Oh, diese Tochter muss oft gehungert haben, denn sie wusste viele Märchen.

Die Sonne hatte gerade den Rand des Bergrückens erreicht, als ich bei Saras ehemaliger Kate anlangte. Die große Birke unter der ich sie so viele Male mit einer Arbeit habe sitzen sehen, war gefällt worden und der Garten ein Kartoffelbeet. Unter dem Vordach standen zwei, drei weißblonde, rußbeschmierte Jungen im Hemd, beschatteten ihre Augen mit den Händen und starrten mir nach als ich vorbeeilte.

*Ein Berg an der Einmündung der Vorma in den Mjøsa, der 9 Bergspitzen hat, die aber aus der Entfernung betrachtet wie ein einzelner gleichmäßiger Kegel aussehen. (Anmerkung der Autorin aus den Erzählungen von 1861)

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