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Der gelogene Berggeist

Brigitte Beyer

Als die Franzosen im Bergischen Land herrschten, wurden viele junge Männer zu den Soldaten gezogen, denn der große ferne Kaiser Napoleon liebte es, auf Eroberungen auszuziehen. Doch so leicht ließen sich nicht alle jungen Männer rekrutieren und in eine Uniform stecken. Es regte sich Widerstand unter den Menschen und der 18jährige Paul sprach zu seinen Freunden: „Wir wollen keine Soldaten werden, wir wollen nur leben. Wir müssen uns verstecken.“

„Ja“, nickten seine Freunde, „aber wo?“

„Ich arbeite in einer Silbergrube unten an der Sieg, da können wir unterkriechen und arbeiten. Denn Bergleute dürfen sie nicht einziehen.“

Aber ob die Häscher sich daran hielten? „Wir haben nichts zu verlieren außer unserm bisschen Leben“, sagten die Freunde, „wir sind dabei.“

Und die jungen Männer verbargen sich in den Stollen, wo Eltern und wohlgesonnene Nachbarn sie mit Brot und Speck versorgten.

„Was heißt‘n hier Silbergrube“, fragte schließlich ein Freund, dessen Name nicht überliefert ist, „hier hat's doch gar keine Schätze.“

„Doch, du musst nur das gleißende Erz aus dem Gestein schlagen.“

Was heißt‘n hier nur, dachte sich der Freund, das ist mir zu mühselig. Ohne sich von den anderen zu verabschieden lief er davon und schnurstracks zum französischen Kommandanten: „Was bekomme ich dafür, wenn ich Euch sage, wo die jungen Burschen hier aus der Gegend sind, die Ihr so dringend benötigt?“

„Ja, die brauch ich“, sagte der Kommandant und schnupfte tief aus seiner Tabakdose. „Es soll dein Schade nicht sein“, meinte er zu dem abgerissenen Lumpen, „29 Livres sind mir das wert, versprochen.“

Das war dem Jungen recht. So nannte er den Ort, wo seine Freunde zu finden sein würden.

Einen Tag später standen die französischen Soldaten vor dem Stollenmundloch und schickten den Jungen in das Bergwerk, damit er seine Freunde herauslocke. Denen erzählte er, dass niemand sie mehr zum Militärdienst pressen wolle, Napoleon brauche keine Rekruten mehr. Und so liefen sie alle aus dem Stollen heraus ins Freie und der wartenden Obrigkeit in die Arme.

Da gab es hinter ihnen ein schreckliches Schlagwetter und der Grubeneingang schloss sich.

Man richtete die jungen Männer als Rebellen hin und der, dessen Name nicht überliefert ist, lief zum Kommandanten, um seine 29 Münzen abzuholen.

„Ach ja, der verlauste Freiwillige“, meinte der Kommandant und hielt seine Nase so tief in die Schnupftabakdose, dass er niesen musste, „wie der Zufall es will, brauchen wir jetzt doch noch freiwillige Soldaten.“

Ein Junge war den Häschern entkommen. Man hatte ihn in ein anderes Tal geschickt, um Sprengpulver zu besorgen. Als er mit dem Pulver wieder zur Grube kam, war der Haupteingang verschüttet. Er glaubte, dass seine Kameraden noch im Stollen waren, und entzündete das mitgebrachte Sprengpulver. Es gab eine gewaltige Explosion. Der Rauch verzog sich, der Eingang blieb verschlossen.

Da krabbelte er zum nächsten Bewetterungsschacht, als ihm tief aus der Grube ein lautes Gelächter entgegenbrandete! Er zuckte zurück. Wenn das nun vom Berggeist kam? Wer wusste denn schon, ob nicht er es war, der den Eingang verschlossen hatte? Aber die Sorge um seine verschütteten Freunde war stärker und er hatte keine Mühe, auf seinem Arschleder durch den schmalen Schacht nach unten zu rutschen. Selbst Armut und Hunger können ihr Gutes haben, dachte er noch, bevor er dem Berggeist direkt in die Arme plumpste. Denn das war ein alter weiser Spruch: Wenn die Bergleute am ärmsten sind, blüht ihr Glück.

Der Berggeist half ihm freundlich auf: „Hab keine Angst, ich tu dir nichts.“

„Hast du über mich gelacht?“, fragte der Junge und klopfte etwas auf seiner zerschlissenen Kleidung herum.

„Nein, warum sollte ich darüber lachen, dass du so mutig bist? Ich hatte nur jemand anderen erwartet.“

„Wo sind meine Freunde?“

Der Berggeist lugte unter seinem Kapuzenkittel hervor und stieß so heftig die Luft aus, dass es mächtig durch die Stollen seufzte.

„Das ist ein Unglück, das ich leider nicht verhindern konnte.“

„Wie meinst du das?“, schrie der Junge und drückte seinen Rücken gegen die Stollenwand, dass ihm das Wasser nur so durch sein dünnes Hemd hinunterlief und in sein Arschleder tropfte.

„Nicht alle deine Freunde waren Freunde, einer hat sie verraten und nun sind sie tot.“

Ganz erstaunlich, wieviel Wasser an so einer Grubenwand herunterlaufen konnte. Und jetzt auch über das Gesicht.

„Der Verräter wird hierher zurückkehren, das weiß ich und er wird seine Strafe erhalten“, versprach der Berggeist. „Du aber musst wieder hinaus aus dem Bergwerk, ich weise dir einen einfacheren Weg“, sagte er, umarmte den durchnässten Jungen und steckte ihm einen Klumpen Erz in die Kitteltasche. „Denk daran, Schweigen ist Silber.“

Als wenn‘s mir nicht schon schwer genug ums Herz wär, muss ich mich auch noch mit diesem Brocken abschleppen, dachte der Junge, schwieg aber.

Der Berggeist führte ihn hinaus und verschwand. Weinend lief er nachhause, warf den Kittel ab und schlüpfte frierend unter die dünne Bettdecke.

Am nächsten Morgen zog er den Kittel an, der ihn noch schwerer dünkte als am Abend zuvor.

Ach ja, der Berggeist hat mich beschwert, dachte er und zog das Stück Erz aus der Tasche. Da war es pures Silber. Doch darüber schwieg er.

Nach vielen Jahrzehnten wurde der Stollen wieder geöffnet, und den Bergleuten wehte eine übelriechende Luft entgegen.

„Lasst uns trotzdem hineingehen und nachsehen, wie es da drin aussieht“, sagte der Steiger und ging mit seiner Lampe voran.

Sofort erlosch das Licht und eine Stimme aus der Finsternis hauchte: „Nein, kein Licht.“

Die Bergleute erschraken und wichen zurück. Nur der Steiger war mutig genug, die Frage zu stellen: „Bist du hier der Berggeist?“

„Ja, so´ne Art“, scholl ein bitteres Lachen zurück und ein scheinbar junger Mann in einer verschlissenen Uniform und mit einem langen weißen Bart trat aus dem Stollen.

„Ich, der Berggeist? Schön wär´s, dann ging´s mir besser. Aber sagt mal, ihr habt nicht zufällig ein Schermesser dabei?“

„Nein, mein Rasierer läuft mit Batterie.“

„Wer?“

„Wenn du nicht der Berggeist bist, wer bist du dann?“

Wieder dieses Lachen, bevor es erlosch wie das Licht.

„Ach, das ist eine lange Geschichte. Irgendwann, ich weiß nicht, vor wie langer Zeit, kam ich hierher, um nach Freunden zu sehen, die hier in den Stollen hausten. Der Eingang war offen und ich ging arglos hinein, bis der Berggeist mich erwischte. Das war aber nicht das schlimmste, hinter mir krachte der Eingang zusammen und ich stand im Dunkeln. Nur ein fahles Licht fiel durch die hohen Schächte und ich erkannte den Berggeist direkt vor mir.

„Wo sind meine Freunde?“ schrie ich den Kapuzenmann an.

„Nicht nur Verräter, auch noch Heuchler“, schnaubte der, „das weißt du doch ganz genau. Wo warst du denn solange, ich habe auf dich gewartet.“

„Bei den Soldaten und im eisigen Russland, fast so eisig wie hier drin, lass mich raus!“

„Ich fürchte, das geht gegen meine Berufsehre“, sagte der Berggeist, „jemandem wie dir zu helfen. Obwohl …“

„Obwohl?“

„Wenn ich so darüber nachdenke, wollte ich schon länger einmal meine Kollegen besuchen, man tauscht sich ja doch ganz gerne aus, was die anderen so in ihren Stollen treiben.“

„Ja und?“

„Ich kann nunmal meine Stellung hier nicht verlassen, auch wenn es in letzter Zeit etwas langweilig geworden ist. Aber das gehört eben …“

„… zu deiner Berufsehre, hab ich verstanden. Wenn du dich jetzt mal beeilen könntest, mir ist kalt. Ich hab schon Gänsehaut.“

„Ach ja? Bei deiner Arbeitsauffassung sicherlich eher als Hühnerhaut“, verlor der Berggeist kurz die Contenance, bevor er fortfuhr: „Nun, wenn ich für die Zeit meiner Abwesenheit einen Stellvertreter hätte, könnte ich vielleicht etwas unternehmen. Wärst du dazu bereit?“

„Warum sollte ich?“

„Weil sonst wohl der Ein- oder besser Ausgang verschlossen bleiben muss.“

„Für wie lange?“, klapperte ich mit den Zähnen.

„Ach, nur kurz, hier in der Gegend wimmelt es von Stollen und Berggeistern, da hab ichs nicht so weit. Denn wenn ich ein paar kenne, kenne ich alle. Also, was ist?“

Was blieb mir anderes übrig. Draußen wartete auch nur ein tristes Dasein und schon gar nicht mehr meine holde Hulda nach meinem Ausflug zum Militär.

„Und dann kommst du wieder und lässt mich raus?“, bibberte ich, „versprochen?“

„Versprochen.“

Einen Berggeist, ob hilfreich, übel, echt oder gelogen hatte sich der Steiger irgendwie anders vorgestellt, vor allem nicht so weinerlich.

„Und wovon hast du hier solange gelebt, wenn du ein Mensch und kein Geist bist?“

„Ach, von den scheußlich schmeckenden Pilzen, die an den Stollenwänden wachsen, und dem Wasser, das aus den Felsen sickert“, antwortete der stellvertretende Berggeist und fügte hinzu: „und meinen Tränen.“

„Ich dachte, das hier wäre ein Erzbergwerk und kein Salzbergwerk“, giftete der inzwischen etwas genervte Steiger.

„Sag das nicht“, flehte der gelogene Berggeist, „oh, meine Tränen!“

„Wie meinst du das?“

„Nun, irgendwann kehrte der Berggeist zurück, doch nicht, um mich freizulassen, sondern um gleich wieder zu verschwinden.“

„Wir Geister halten natürlich zusammen und so stattete ich doch mehr Besuche ab, als ich vorgehabt hatte“, erzählte er leutselig und strich über die Salzkristalle in seinem grauen Bart, „bis zur bergbauheiligen Anna ins Erzgebirge verschlug es mich. Da ging es lustig zu mit allen guten Geistern. Schließlich kam ich weit nach Süden an den Rand hoher Berge. Die tragen weiße Spitzen, das heißt Schnee. Doch kostbarer ist das Weiß in den Bergwerken, das heißt Salz. Meinen Kollegen dort geht es gut, deshalb werde ich umziehen.“

„Aber jedes Bergwerk hat einen Berggeist, was ist mit deiner Berufsehre!“, schrie ich durch die dunklen Stollengänge.

„Wieso? Ich hab doch einen Stellvertreter. Außerdem geb ich zu, hab ich mich etwas in die Tochter des dortigen Siedemeisters verguckt. Die heißt Barbara und mit der Babsi hab ich mich schon immer gut verstanden. Die lässt es gerne krachen und ist mir noch lieber als eine Anna. Ich lass dir mal 29 Krümel Salz hier, dann hältst du dich besser, gehab dich wohl“, kicherte er, zog seine Kapuze ins Gesicht und schwand davon.

„Aber könnt ihr mich jetzt endlich hier rauslassen?“

„Gut, komm“, meinte der Steiger. „Nur noch eine Frage: Lohnt es sich, hier noch Eisenerz zu fördern, du kennst dich doch aus?“

„Was heißt schon Lohn“, knurrte der gelogene Berggeist, „ihr seid alle nur geldgeiles Pack.“

Das Stollenmundloch war weit offen und der stellvertretende Berggeist stürmte ins Freie und in die Sonne. Und zerfiel zu Staub. Da blieb kein Barthaar übrig.

Die Menschen erinnerten sich an den gelogenen Berggeist, dessen Namen niemand kannte. Sie fuhren das Bergwerk wieder auf, aber sie vermissten einen Berggeist.

Eine Familie, die einst durch einen Klumpen Silber reich geworden war, stiftete eine Barbarastatue und stellte sie am Eingang auf, um den echten Berggeist wieder anzulocken.

Bis dahin müssen die Menschen das Grubengespenst spielen. Versprochen.

Sagenhafte Geschichten

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