Читать книгу Sie senden den Wandel - Viviana Uriona - Страница 17
4. Kritische Begrifflichkeiten: Kommunikation, Öffentlichkeit und »Kommunikation als Menschenrecht« 4.1 Zum Begriff der Kommunikation
ОглавлениеWenn wir uns dem Begriff der Kommunikation etymologisch annähern, erfahren wir, dass das lateinische communicare »Teilen«, (sich) »Mitteilen« und »Teilnehmen« als eine Sozialhandlung bezeichnet. In dieser Studie gehe ich von der negativen Prämisse aus, dass die menschliche Kommunikation weder zum Selbstzweck geschieht, noch, dass sie gleichsam (Wesen des Menschen) als eine etwaige anthropologische Grundkonstante keiner materiellen Begründung mehr bedürfe. Ich gehe von der positiven Prämisse aus, dass communicare seine volle Bedeutung erst auf der Grundlage eines gemeinsamen Tuns erhält, auf das die Sprache gerichtet ist, ein Tun, das Prozesse vorantreibt und vervollständigt und auf Veränderung zielt. Kommunikation ist demnach für diese Studie ein (soziales) Mittel zur Gestaltung von Realität, ist mithin materiell orientiert und bemisst sich in ihrer Tauglichkeit daran, ob das gesetzte Ziel erreicht werden kann oder nicht.
Unter dem Zugang der Handlungstheorien wird Kommunikation auch (selbst schon) als soziales Handeln verstanden, dies aber selbstverständlich mit Ziele und Zwecken, die ihre Verortungen im Materiellen haben. Das übergeordnete Ziel ist die Entstehung neuer Gedanken, Ideen, Lösungen, welche die Realität (Wirklichkeit) als das Bezugsobjekt der Kommunizierenden betreffen. So schreibt John Dewey:
»communication can alone create a great community«21
Auch die Systemtheorie bringt nur einen sehr veränderten Blickwinkel, jedoch kein abweichendes Ergebnis mit sich. Die Autopoesis eines sozialen Systems erfordert selbstverständlich eine erfolgreiche Kommunikation, also eine Kommunikation der Systemteilnehmer*innen, die in der Folge die Funktionsgrundlagen des Systems betrifft, die eben nicht ideell, sondern materiell fundiert sind.
Weitere Theorien zu Kommunikation werden in die Arbeit einbezogen, die als aktuelle Weiterentwicklung der Chicagoer Schule22 der 1920er Jahre einzuordnen sind. Richtigerweise ordneten sie die Kommunikation in ihren sozialen Kontext ein und betrieben eine kritische Reflexion und Analyse der seinerzeit entstehenden mächtigen Medienmonopole. Diese Arbeiten untersuchen die Beziehungen zwischen Kommunikation, Demokratie und Gemeinschaft vor dem Hintergrund der Verteilung gesellschaftlicher materieller Ressourcen.
Im Rahmen des materiell eingefassten Verständnisses von Kommunikation, das dieser Studie zugrunde liegt, ließe sich freilich endlos differenzieren, wenn dazu nur die passenden Fragen gestellt werden: Sind Selbstgespräche Kommunikation oder braucht es mindestens zwei Teilnehmer*innen?23 Inwieweit ist ein Roman ein kommunikativer Akt, wenn ihn niemand liest?24 Kann Schweigen Kommunikation sein?25
Die für diese Arbeit entscheidenden Fragen sind aber ganz andere. Sie lauten etwa, unter welchen sozialökonomischen Bedingungen sich der an sich geklärte Inhalt des Kommunikationsbegriffes entfaltet oder nicht entfaltet. Wo wird Kommunikation behindert? Wo wird sie beherrscht und wo kann sie befreit werden (sogleich dazu: Kommunikation als Menschenrecht)? Woran liegt es, dass die Kommunikation einer gesellschaftlichen Klasse so viel wirksamer die gesellschaftliche Realität gestaltet (bzw.) reproduziert als es die Kommunikation einer anderen gesellschaftlichen Klasse vermag, diese Realität zu ändern?
Diese Fragen lassen sich selbst durch ein Höchstmaß an Differenzierungen innerhalb des Kommunikationsbegriff weder besser noch schlechter beantworten, weswegen diese sehr weitgehenden Differenzierungen für diese Arbeit auch unterlassen werden. Diese Fragen lassen sich aber beantworten durch die Hinzunahme von Theorien, die zwar von Kommunikation handeln, aber eben auch von Macht und Gegenmacht, von den Gründen von Ausbeutung und Unterdrückung und von Strategien weltverändernder Praxis, auf die daher allesamt in dieser Studie verstärkt abgehoben wird.