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Zeit der Einsamkeit

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materialistische Weltanschauung

Die Begegnung unseres Ichs mit der Wunderwelt der Stoffe bis in die tiefsten Dimensionen ihres materiellen Seins, also der Materie, schuf in der Bewusstseinsentwicklung der Menschheit die Voraussetzung für die heute weit verbreitete materialistische Weltanschauung. Sie ist auch die Voraussetzung für die unsere Zeit immer noch beherrschende philosophische Anschauung von Immanuel Kant, dass der Mensch nur die Dinge in der Welt wahrnehmen kann, die seinen Sinnen zugänglich sind, während die – auch von Kant nie geleugneten – »Dinge an sich«, das der äußeren Erscheinung zugrunde liegende Wesenhafte sich menschlicher Erkenntnis unmittelbar nie erschließen könne. Dessen Wahrnehmung wurde von der allgemeinen Wissenschaft in das Gebiet der Metaphysik, des Metaphysischen verwiesen, und es wird heute überwiegend als nicht-existent bezeichnet. Das hat ein Element in die Menschheit hineingetragen, das in seinen Schattenseiten heute als große soziale Problematik erlebt wird: die Einsamkeit.

Vereinzelung als zeitnotwendiger Schritt, um uns als Selbst zu erfahren

Es ist ein aus den Ausführungen vielleicht zu ahnendes Phänomen der Bewusstseinsseelenentwicklung, dass der Mensch innerlich immer mehr auf sich selbst verwiesen wird. Damit tritt in der Seele zunächst eine starke Egozentrik auf, die nach außen in der sozialen Haltung auch Egoismus werden kann. Auf der anderen Seite kann diese Vereinzelung, die im Übrigen ein zeitnotwendiger Schritt ist, aber auch zur Einsamkeit werden. Steiner spricht von antisozialen Trieben, die mit der Bewusstseinsseele verbunden sind. Diese brauchen wir, um uns als Selbst zu erfahren. In unserem Immunsystem finden wir deren Abbild. Es wird nur das Selbst geduldet, alles »Nicht-Selbst«, das Fremde, wird (mit zum Teil aggressiven Abwehrkräften) eliminiert. Es gibt allerdings auch den anderen Weg der Aneignung, der immunologisch Verdauung heißt. Das andere Selbst verschmilzt mit dem eigenen und bildet den Urkeim der Gemeinschaft.

Im Grunde genommen muss jeder Mensch durch dieses Nadelöhr von Einsamkeit hindurch, weil dieses tief existenzielle Noterlebnis, vollkommen allein in einer leeren Welt zu sein, die nichts ist oder enthält außer sich selbst, die Wahrnehmungsrichtung des Ichs dann wieder auf die schöpferische Unendlichkeit dieser Welt ausrichten kann. Diese ist aber nur in ihrer geistigen Realität wirklichkeitsbildend im menschlichen Ich-Erleben. Das kann auch so ausgedrückt werden: Durch die »Erblindung« in der Einsamkeit wird das innere Auge geöffnet für den geistigen Gehalt dieser Welt, wird die Bewusstseinsseele zunächst anfänglich verwandelt in Geistselbst. Ein Bild, ja eine Imagination für diese Entwicklung ist das Gleichnis von der Heilung des Blindgeborenen (Johannes 9,1–41) wie überhaupt die vielen Heilungen Blinder in den Evangelien.

Diesen Entwicklungsweg hat Christian Morgenstern in dichterische Form gebracht:32

Die zur Wahrheit wandern,

wandern allein,

keiner kann dem andern

Wegbruder sein.

Eine Spanne gehn wir,

scheint es, im Chor …

bis zuletzt sich, sehn wir,

jeder verlor.

Selbst der Liebste ringet

irgendwo fern;

doch wer’s ganz vollbringet,

siegt sich zum Stern,

schafft, sein selbst Durchchrister,

Neugottesgrund –

und ihn grüßt Geschwister

ewiger Bund.

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