Читать книгу Kommissar Katzorke - Volker Lüdecke - Страница 10

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Auch ein perfekter Kommissar zeigt irgendwann eine Schwäche, vor allem, wenn er im Privatleben keine Grenze zu seinem Beruf zieht.

Katzorkes Vorräte an Weinbrand waren verbraucht. Nur noch ein winziger Rest in einer letzten Flasche. Wie konnte ihm das passieren?

Cola mit Weinbrand, sein Standardgetränk, um abends wach zu bleiben. Schon während er von seinem Drohneneinsatz nach Hause fuhr, hatte sich ein gefülltes Glas vor seinen Augen etabliert. Mitten im Straßenverkehr! Und je näher er seiner Wohnung kam, desto stärker brannte der Durst.

Normalerweise blieb er exakt unter Nullkommafünf Promille, um im Falle eines dringenden Einsatzes fahrtüchtig zu sein. Nichts war so leicht messbar wie der Alkoholgehalt im Blut.

Daher pustete er schon mal zwischen zwei Gläsern in sein privates Alkoholprüfgerät. Auch so ein technischer Schnickschnack, den er sich aus dem Katalog bestellt hatte. In seiner Position hatte Katzorke immer zu den Vorbildern im Dienst gehört. Zwar nicht immer zur offiziellen Bereitschaft, das konnte ja niemand leisten, aber in der Behörde war es bereits bis ganz nach oben durchgedrungen, dass er sich auch nachts informierte. Wie er das durchhielt, blieb sein Geheimnis.

Aber bei seiner Aufklärungsquote war klar, der eine oder andere wollte daran gern partizipieren. So flossen inoffizielle Informationen und manches Mal war er auf einem seiner nächtlichen Spaziergänge schlendernd wie ein Passant am neuesten Tatort erschienen. Als wäre es das Normalste der Welt, sich nachts um halb drei in einem Berliner Problembezirk herumzutreiben.

Dieses Verhalten war einigen Kollegen übel aufgestoßen. Sie witterten einen Karrieristen. Morgens ein Penner und nachts ein Kommissar, der sich herumtreibt!

„Katzorke ist ein Getriebener. Aber was treibt ihn an?“

Solche Fragen wurden in seiner Abwesenheit diskutiert. Allerdings war auch bekannt, dass er ein ausgesprochen gutes Verhältnis zu einfachen Streifenbeamten pflegte. Vornehmlich zu den schon mal vom Dienst Suspendierten, deren Karriere irgendwann einen Knacks bekommen hatte. Die vielleicht ihre Waffe einmal zu schnell gezogen oder in einem Anfall von Wut Demonstranten verprügelt hatten.

Katzorke hatte ein Herz für die Abgemahnten und Strafversetzten. In seinen Augen waren sie die wirklich guten, leidenschaftlichen Polizisten. Seinen Respekt ließ er sie spüren.

„Auf Langweiler kann ich nicht zählen.“

Hatte er auf einmalige Nachfrage seines Vorgesetzten schlicht zur Antwort gegeben. Der nahm dieses Statement als eine von Katzorkes tolerierbaren Schrullen. Erfolgreicher Sonderling, eben.

Die Verstoßenen verehrten ihn dafür. Sie wussten genau wie er tickte und waren bereit, für ihn auch noch den letzten Rest ihrer Karriere zu riskieren. Es war sogar nachweislich beobachtet worden, wie er plaudernd mit einem dieser Beamten am Rand einer Tatortabsperrung stand.

Eine Zeit lang wurde auch gemunkelt, dass ihm entscheidende Beweisstücke zugespielt wurden, die den am Fall ermittelnden Kommissaren vorenthalten worden waren. Ein böser Verdacht.

Nur ein Gerücht, aber Monate lang sorgte es für böses Blut zwischen den Kollegen.

Katzorke hatte die Klasse, sich niemals in einen Fall einzumischen. Jedenfalls solange er ihm nicht von offizieller Stelle übertragen worden war. Dann jedoch, wenn sie nicht weiter wussten und er loslegte, wurde es nicht selten eine Blamage für die Erfolglosen. Weil Katzorke den Fall durch seine Analyse oft schon vorher gelöst hatte.

„Der kann hexen. Oder ist mit dem Teufel verwandt.“

Seine Intuition und sein scharfer Verstand waren für einige nicht zu begreifen.

Von Katzorke jedoch hörte man niemals Spott über polizeiliche Versager. Seine ehrliche Meinung über unzulängliche Methoden behielt er lieber für sich. Im Gegenteil, ihm war es wichtig, keine Aufmerksamkeit auf seine Erfolge zu lenken.

Sein Berufsethos und diese noble Charaktereigenschaft reizten seine Konkurrenten umso mehr.

„Schwarze Magie, was der betreibt.“

Katzorke war müde nach Hause gekommen. Er war am Limit. Ein Drink zur Stärkung, aber keine gefüllte Flasche mehr. Es half nichts. Um einigermaßen wach das Video der Drohnenkamera zu analysieren, musste er noch mal die Treppen zum Spätkauf hinunter. Besonders beim Treppensteigen machten sich die Jahre seines ruinösen Einsatzes bemerkbar.

Als er wieder heraufkam, schnaufte er schwitzend mit rotem Gesicht. Ein komplizierter Schließmechanismus öffnete seine Wohnungstür. Den Schlüssel musste er zweimal nach links, einmal nach rechts und dann wieder nach links drehen, um sie zu öffnen. Spezialschloss. Hatte er selbst konstruiert und anfertigen lassen. Katzorke lebte keineswegs in Paranoia, aber schließlich musste er seine Privatsphäre schützen.

Er hing seine Jacke an einen Garderobenhaken.

In seiner Wohnung befand sich eine kleine Computerzentrale. Das BKA wäre neidisch geworden, hätten sie die neueste Technik gesehen. Die Software war so programmiert, bei erhöhter Aktivität im Polizeifunk Kommissar Katzorke nachts automatisch zu wecken. Das kleine Programm registrierte lediglich die Steigerung der Nutzerfrequenz, also nur bei bedeutenden Einsätzen.

Katzorke, per Alarm aus dem Tiefschlaf gerissen, entschied dann spontan beim Mithören des Polizeifunks, ob der Fall für ihn interessant sein könnte.

Eine für seine Karriere ausgesprochen nützliche Konstruktion.

„Kein Alarm mehr heute Abend wäre schon gut.“

Das Geräusch des Aufschraubens der Weinbrandflasche klang wie Musik in seinen Ohren. Feierabend mit Arbeit. Für ihn hatte es nie etwas Schöneres gegeben.

Sein Longdrinkglas füllte sich zur Hälfte mit der goldenen Flüssigkeit, Eiswürfel folgten und knackten vernehmlich, während sich die schwarze, kalte Cola darüber ergoss. Katzorke schnüffelte das Coffein und den Duft des Alkohols.

„Ah! Heute bestimmt nicht mehr raus!“

Ein schrilles Signal riss ihn aus seiner Gemütlichkeit. Wie eine Sprungfeder schnellte Katzorke aus seinem Massagesessel, um direkt vor dem Lautsprecher den Stimmen seiner Kollegen im Einsatz zu lauschen.

Sein Gesicht entspannte sich bald wieder. Nichts von Belang. Außerdem zeichnete sein Computer den Polizeifunk permanent auf. Er verpasste also nichts, sollte sich der Tankstellenüberfall noch dramatisch entwickeln. Im Falle eines markanteren Vorfalls konnte er sich immer im Nachhinein noch den Überblick über die Einsatzlage und Beobachtungen befragter Personen verschaffen. Alle Durchsagen, die aus den Einsatzwagen von Polizei, Feuerwehr und Krankenwagen vermeldet wurden, landeten in seiner privaten Zentrale auf Servern. Ein gigantisches Speicherprogramm.

Das Beste daran war sein Stimmenerkennungsprogramm. Per Wortsuche konnte er in ausgesuchten Zeitfenstern darin surfen. Ohne sich alles in Echtzeit anhören zu müssen.

Bei solcher Recherche ergaben sich oftmals Zusammenhänge, die den ermittelnden Beamten verborgen blieben. Katzorke hatte oft den entscheidenden Vorteil, scheinbar unbedeutende Nebenereignisse in seine Fallanalyse mit einbeziehen zu können. Er war ein Meister darin, Relevantes und Irrelevantes in Bezug zu den Tätern zu filtern.

„Glück gehabt. Fehlalarm!“

Bestimmt ein Überfall von kriminellen Dilettanten. Nicht sein Fachgebiet.

Katzorke sank erschöpft in seinen ergonomisch geformten Sessel. An der Tastatur neben der Armlehne schaltete er die elektrische Rückenmassage ein, während die Eiswürfel von den Bewegungen seines Körpers im Glas klimperten.

Er liebte es. Genauso wie er es liebte, wie ein Schattenwesen gefährliche Verbrecher zu verfolgen. Dabei genoss er auf seine Weise, wenn sie sich unbeobachtet und sicher fühlten. Wenn sie leichtsinnig ihr ergaunertes Geld verprassten und sich schon im siebten Himmel wähnten. Dann konnte er in Ruhe Beweis für Beweis sammeln, bis die Anklage wasserdicht stand.

Und dann schlug er überraschend zu.

Gegenüber seinem Sitzplatz stand auf einer Vitrine ein Aquarium. Katzorke beobachtete zufrieden seine Sammlung von bunten Zierfischen und genoss die entspannenden Bewegungen der Rückenmassage.

Seine Kamera mit den Aufnahmen lag noch neben der Garderobe im Flur. Katzorke ließ dasselbe Massageprogramm erneut durchlaufen.

Neulich war wieder einer seiner besonders überraschenden Erfolge gewesen, der ihn heiter beschwingt aus der Behörde hatte nach Hause fahren lassen. Katzorke erinnerte sich gern daran. Welch ein Triumph über den missgünstigsten aller Kollegen! Ah, hatte das gut getan!

„Freisinger, Du Vollidiot!“

Er brummte vor Wohlsein und leerte sein Glas. Was allein dieser Amateur alles verpatzt hatte! Nie etwas verstanden vom Polizeihandwerk.

„Aber eine große Klappe wie der Spieß auf dem Kasernenhof!“

Gegen seine Gewohnheiten hatte er diesen Erfolg in seiner zwei Zimmer Wohnung ausgiebig gefeiert. Deshalb war sein Vorrat an Weinbrand ausgegangen. Die Erinnerung an den legendären Abend kehrte bruchstückhaft zurück.

„Individualgelage. Ah!“

Leicht angewidert erinnerte er sich an die betrunkene Gestalt, die er selbst gewesen war. Einmannparty. Eigentlich furchtbar. Als er vor dem Flurspiegel mit satanischem Grinsen den fiesen Freisinger imitiert hatte.

„Freisinger, du Arschloch!“

Hatte er gelallt. Und dann wie irre gelacht.

Seitdem machte er sich jedes Mal vor dem Spiegel lustig, wenn er vorbei kam. Immer dieselbe Fratze.

„Freisinger? Katzorke übernimmt ihren Fall!“

Ah, war das schön. Tat das gut, die Gemeinheiten aus dem Büro auf diese Art zu kompensieren.

Im Kühlschrank lagert noch ein leckeres Bier, fiel ihm gerade noch ein, aber im nächsten Augenblick war er fest eingeschlafen.

Das Massagegerät war auf Dauerbetrieb gestellt und wiederholte die ganze Nacht lang dasselbe Programm auf seinem Rücken.

Solange, bis er aufwachte.

„Oh! Unverzeihlich! Unverzeihlich!“

Stammelte er fortwährend beim Aufstehen. Es war acht Uhr. Auch Gleitzeit im Büro ließ sich nicht beliebig ausdehnen. Katzorke fürchtete nichts mehr als einen Rüffel seines Chefs. Da war er vorbelastet, hatte er Autoritätsprobleme. Sein Vater war nicht gerade zimperlich mit ihm umgegangen.

Mangel an Pünktlichkeit kam nicht in Betracht.

Die Videoaufnahmen hatte er nicht angeschaut. Fiel ihm beim Anziehen siedend heiß ein. Eingepennt vor der Glotze wie ein alter Sack. Was war nur mit ihm los?

„Ich will diesen peinlichen Fall bis Mittag erledigt haben.“

Dafür blieb kaum noch Zeit.

Er schaltete den Camcorder ein und beobachtete auf dem Videomonitor den Anflug seiner Drohne über die vom Licht der Straßenlaternen beleuchtete Kleingartenkolonie. Nebenbei putzte er Zähne und zog sich den Mantel an. Einmal kam sein ferngesteuertes Fluggerät optimal nah an den Fenstern vorbei.

„Was ist denn das? Mein Gott!“

Beim Versuch, die Szene schnell zurück zu spulen, stolperte er fast über seine Schuhe. Was er auf dem unscharfen Videobildmaterial gesehen hatte, jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Eine volle Fluchtdosis Adrenalin raste durch seinen Körper.

„Eine Hinrichtung! Ich war gestern Abend Zeuge eines Mordes!“

Seine Kameradrohne hatte zwar fast komplett versagt. Unscharfe Bilder, verwackelt, unbrauchbar. Aber eine Aufnahme war gelungen. Sie zeigte kurz im Vorbeiflug den letzten Moment einer Hinrichtung. Ein Seil von der Decke, darunter ein Mann mit verbundenen Augen. Seilschlinge um den Hals.

„Unfassbar! Unfassbar!“

Und er hatte nicht eingegriffen. Weil er wie ein Anfänger eingeschlafen war! Katzorke war entsetzt, total enttäuscht von sich, nahe am Herzinfarkt. Ein Fiasko. Der Täter hatte seine Tat bestimmt längst vertuscht. Hätte er die Aufnahmen gleich gesichtet, wäre der Mörder auf frischer Tat geschnappt worden. Vielleicht hätte das Opfer überlebt? Anruf beim Notruf, Dienststelle, Notarztwagen!

Dieser Mariendorf Fall war seine erste totale Fehleinschätzung. Was für ein Einbruch in seinem Selbstwert Kontor.

„Wie ein Amateur.“

In seinem Schädel rasten die vergangenen Fälle von Entführungen, Geiselnahmen, ja sogar von Terroristen im Zeitraffertempo vorüber. Zu allem Unglück waren die Aufnahmen im Vorbeiflug durch eine milchig beschlagene und verschmutzte Fensterscheibe fotografiert. Kein Gesicht war deutlich erkennbar.

„Vielleicht die Hinrichtung eines Bandenmitglieds wegen Verrats?“

In vielen kriminellen Banden wurden drakonische Maßnahmen ergriffen, schon allein beim Verdacht, dass einer „singen“ könnte. Zur Abschreckung, und zum Zusammenhalt.

„Diese griechischen Händler sind vielleicht gar keine harmlosen Kaufleute, sondern skrupellose Killer!“

Ein Mord war geschehen, mit Bezug zu einer Gruppierung. Das fiel in sein Ressort, das hatte er aufzuklären.

„Freisinger, du gemeiner Hund!“

Er verdächtigte diesen Kollegen, ihm diesen stümperhaft ermittelten Fall untergeschoben zu haben.

„Ich muss sofort in diese Wohnung. Spuren sichern.“

Mit Gefahr im Verzug war da nichts mehr zu machen. Sein Videobeweis war illegal, den konnte er seinem Chef nicht präsentieren. Aber für einen Einsatz brauchte er dessen Genehmigung.

Katzorke suchte verzweifelt seinen Wohnungsschlüssel in den Manteltaschen.

„Sabotage! Mist!“

Der Schlüsselbund lag am Aquarium neben dem Fischfutter. Vor dem Spiegel im Vorbeigehen eine Freisinger Fratze, dann eilte er die Treppen hinunter.

Die würden seine Ermittlungserfolge nicht infrage stellen, weder Freisinger noch sonst wer nicht! Absolut niemand aus der Abteilung für organisierte Kriminalität des LKA hatte eine Ahnung davon, mit welchen Methoden er arbeitete.

Sein Geheimnis.

Mit hoher Geschwindigkeit raste er zur Dienststelle.

Vor dem Haupteingang hielt er einen Moment lang inne, um sich zu beruhigen. Niemand sollte ihm etwas anmerken.

Grußlos und mit gesenktem Blick schob er sich eiligen Schrittes an seinen Kollegen vorbei. Keiner von ihnen hätte später unter Eid schwören können, dass er überhaupt da war. Seine Tarnkappe hatte funktioniert.

Im zellenartigen Büro blieb er für die nächsten zwei Stunden still hinter geschlossener Tür. Zeile für Zeile entzifferte er nochmals diese verdammte Akte.

„Mariendorf? Ausgerechnet Mariendorf! Kein unheiliger Bezirk.“

Die Aktenlage fand er genauso dürftig wie am Tag zuvor. Er musste vor Ort recherchieren!

Katzorke griff zum Telefonhörer und rief Müller an, seinen Vorgesetzten. Der bat ihn in sein Büro.

„Was haben Sie für Neuigkeiten, Katzorke?“

Müller lächelte immer wohlwollend, wenn er seinen besten Fänger vor sich hatte. Dessen Unbeholfenheit amüsierte ihn.

Im Büro des Chefs roch es nach Käsebrot.

„Ich will mich nicht beschweren, aber wenn ich das ausbaden soll? Was soll ich machen bei solcher Schlamperei der Polizei! Von einzelnen Polizisten. Ich nenne keine Namen.“

Katzorke legte seine ganze Entrüstung in den Zustand der Akte. So kam er mit Müller ins Spiel.

Peter Müller lächelte nicht mehr. Seine Mundwinkel krümmten sich nach unten.

„Schlamperei der Polizei?“

„So steht es womöglich bald in der Presse.“

Die Akte wanderte über den Schreibtisch. Müller überflog die losen Blätter.

„Na ja, das ist gar nichts. Das ist ein Dreck!“

Beim Sprechen stieß ihm sein Käsebrot auf.

„Oder verdammt gute Tarnung! Ich weiß nicht.“

Müller stutzte bei diesem Einwand.

Er begriff, dass er zwischen Katzorkes Worten lesen sollte.

„Angenommen, wir gehen da rein. Die Presse kriegt leider immer vorher davon mit. Polizeifunk, Informanten, was weiß ich? Nachher heißt es wieder: die böse, böse Polizei!“

Katzorke war ein Meister darin, sich mit einer Rede Verantwortung vom Hals zu schaffen. Diesmal war Peter Müller dran. Sein Vorgesetzter begriff eines in diesem Moment nicht. Dass Katzorke ihn gerade in seinen Schlamassel mit hineinzog.

„Dann kommunizieren wir eben bei diesem Einsatz mal anders. Sagen sie das ihren Einsatzkräften. Nichts über Polizeifunk!“

Katzorke grinste loyal.

„Warum sollten wir technisch immer hinterher sein? Das kotzt mich schon seit Jahren an. Aber ich kriege ja keine Mittel bewilligt.“

Katzorke schwankte von einem Fuß auf den anderen.

„Was noch?“

Die beiden konnten miteinander auskommen, wirklich gemocht hatten sie sich trotzdem nicht.

„Die mutmaßlichen Straftäter sind Griechen. Ich persönlich habe nichts gegen Griechen. Ich gehe auch griechisch essen. Kann es sein, dass in unserer Behörde irgendjemand etwas gegen Griechen hat?“

Müller war sofort von seinem Platz hinter dem Schreibtisch aufgesprungen, sein Gesicht wurde blass. Seine rechte Hand, die die ganze Zeit einen altmodischen Füllfederhalter hielt, verriet mit ihrem Zittern seine innerliche Wut.

„Immer dasselbe Problem. Eigentlich dürften wir nirgendwo rein gehen. Hinter jeder Tür, die wir aufbrechen, lauert ein Fettnäpfchen. Verhaften wir eine OK Gruppierung, zum Beispiel eine Rockerbande, heißt es anschließend, die Berliner Polizei hätte etwas gegen Motorradfahrer. Genau wie bei Ausländern. Das kotzt mich an! Wir haben nichts gegen alle, solange sie sich an die Spielregeln halten.“

Katzorke nickte bedächtig mit dem Kopf.

„Katzorke, ich will und kann auf solche lancierten Meinungen keine Rücksicht nehmen! Gelaber überlasse ich unserem Pressesprecher. Eigentlich brauchen wir in Zukunft eine PR Abteilung. Imagepflege! So schlimm ist es geworden. Nur hat das mit unseren Polizeiaufgaben eigentlich nichts mehr zu tun. Berlin hat mehr als sechzig Milliarden Schulden, und von dem, was übrig ist, sollen wir die Sicherheit der Berliner Bürger gewährleisten. So sieht es aus.“

Katzorke nickte energisch.

Müller kam nun langsam wieder auf Normaltemperatur.

„Stimmen Sie ihren Einsatz mit dem SEK ab! Viel Glück, Katzorke!“

Mit einer Handbewegung entließ er seinen Kommissar.

Katzorkes Falle hatte zugeschnappt. Mehr als Müllers Rückendeckung für den heiklen Einsatz konnte er nicht erwarten. Die Verantwortung für den SEK Einsatz in Mariendorf lag nun beim Chef persönlich.

„Mahlzeit!“

„Mahlzeit!“

Müller sah seinem Kommissar mitleidig nach. Zum Golfen würde er den ganz sicher nicht einladen. Andere Gesellschaftsschicht.

Im Fahrstuhl fuhr Katzorke bis runter zum SEK. Allein in der Fahrkabine explodierte er fast vor Freude über seinen gelungenen Coup.

„Nahkampf, ja!“

Er boxte mit der Faust mehrmals fest gegen die Metallwand. Der Fahrstuhl stoppte mit einem Ruck. Dann schrillte ein Alarm.

„Verfluchte Scheiße!“

Störanfällige Elektronik. Das konnte dauern, bis man ihn befreite. Aber die Maschinerie der Polizei war mit seinem Gespräch bei Peter Müller trotzdem in Gang gesetzt. Die Staatsanwaltschaft wurde informiert, Einsatzkräfte abgestimmt, alles lief nach immer demselben Schema.

Katzorke ahnte in seinem Fahrstuhl allerdings nicht, dass sich auch Peter Müller für den Einsatz absicherte. Seinem erfahrenen Chef war nicht verborgen geblieben, dass irgendwas nicht stimmte. Also gab er gegenüber dem Staatsanwalt an, er habe seinen Kommissar dahingehend verstanden, dass der Verdacht auf eine ausländische Terroristenzelle zumindest nicht auszuschließen sei.

So begründete Müller die höchste Geheimhaltungsstufe.

Ein Servicemitarbeiter von Otis befreite den Kommissar. Zurück im Büro wurde ihm mitgeteilt, dass der Einsatz für die frühen Abendstunden angesetzt war.

Katzorke quälte den übrigen Nachmittag ein mulmiges Gefühl.

Es blieb ihm nur die Mittagspause für einen kurzen Abstecher nach Mariendorf. Wenigstens wollte er die Umgebung nochmals persönlich observiert haben, bevor der Sturm losging.

Also fuhr er nach Mariendorf zur Kleingartenkolonie. Anstelle eines Mittagessens stopfte er unterwegs eine Tüte haltbare Minisalamis in sich hinein. Einen Vorrat davon lagerte er im Handschuhfach.

Berliner Kleingärtner sind in der Regel misstrauische Zeitgenossen. Man kennt sich untereinander aus dem Verein der Kleingartenkolonie. Wenn in die Lauben regelmäßig eingebrochen wird, kann sich zur Kriminalitätsbekämpfung schnell eine bewaffnete Bürgerwehr organisieren. Das widersprach nicht den ethischen Grundsätzen der Kleingärtner. Und es entsprach der Realität.

Katzorke war fremd an dem grünen Ort, das merkte jeder sofort. Feindselige Blicke trafen ihn aus den Rabatten.

Das Superzoomobjektiv seiner digitalen Spezialkamera surrte laut beim Fokussieren der gegenüberliegenden Fensterfront.

„Da fotografiert einer, um zu dokumentieren, wo sich der Einbruch lohnt!“

Sein Verhalten stieß einem der gärtnernden Vereinsmitglieder sauer auf. Vandalismus von unbekannten Tätern hatte beim letzten Einbruch mehrere Lauben verwüstet. Stauden und frisch gepflanzte Obstbäumchen waren in blindwütiger Zerstörungslust aus den Rabatten gerissen worden. Seit Wochen kochte die treue Vereinsseele vor Wut.

Während Katzorke sein Objektiv erneut fokussierte, da er im Tageslicht das betreffende Fenster nicht mehr genau erinnerte, positionierte die Bürgerwehr zwischen zwei Büschen den Gartenschlauch.

Die Strahldüse konnte einem Brillenträger das Augenlicht kosten, wenn der gesamte Druck der Leitung in die Gummiröhre drückte und der Wasserstrahl genau auf das Brillenglas traf.

Man zielte ja sonst nur auf abgestorbene Äste und Schädlingsnester. Ein dummer Zufall, wenn dabei zufällig ein Passant hinter dem Gebüsch stand und fotografierte. Der Wasserhahn wurde blitzschnell aufgedreht, sofort bohrte ein harter Wasserstrahl Löcher ins Blattwerk.

Hinter dem Katzorke fotografierte.

Unter dem gewaltigen Leitungsdruck des Wasserwerks zerbarst das Laubgrün vor Katzorkes Gesicht. Der messerscharfe Strahl traf ihn direkt und unbarmherzig. Seine Kamera wurde ihm ins Gesicht gedrückt und verhinderte eine ernste Verletzung. Doch die Kraft war so stark, dass die Kamera im nächsten Augenblick in den Staub des Gehweges flog. Auch der Kommissar ging zu Boden.

„Oh, Verzeihung!“

Höhnte eine Stimme von jenseits des Gesträuchs.

„So ein Pech aber auch.“

Tönte es vom gegenüberliegenden Garten.

„Passen Sie gefälligst mit ihrem Gartenschlauch auf! Verdammter Mist.“

Katzorke bückte sich nach seiner Kamera. Das Objektiv war verdreckt.

„Ja, zeig nur deine Kehrseite. Mehr wollen wir von dir auch nie mehr sehen.“

Aus den umliegenden Gartenhäuschen hatten sich im Handumdrehen einige Vereinsmitglieder an den Gartenzäunen ihrer Parzellen versammelt.

Sie machten sich nicht die Mühe, ihre Schadenfreude zu verbergen.

„Auf Einbrecher wartet der Tod. Mit einer Ladung Schrot!“

Man dichtete schon für das nächste Vereinsheft.

„Verpfeif dir endlich, Bratengeier!“

Katzorkes Anzug war nass, die Kamera defekt. Zur Verantwortung ziehen ließ sich bestimmt niemand. Er ging ein paar Schritte am Zaun entlang. Ein Doberman hinter Maschendraht bellte und fletschte furchteinflößende Zähne.

„Rückzug.“

Katzorke bewegte sich, vorsichtig nach allen Seiten sichernd, aus der gefährlichen Kleingartenkolonie hinaus. In seinem Rücken war noch lange ein lautes Triumphgeheul zu hören.

„Den Fall werde ich in einer freien Minute von der Amtsstube aus weiter verfolgen. So geht´s ja nicht, verehrte Bürger und Bürgerinnen!“

Am selben Abend hatte sich dann wie vorgesehen eine unauffällige Wagenkolonne aus Polizeifahrzeugen in Richtung Mariendorf bewegt.

Im Fahrzeug der Einsatzleitung saß Kommissar Katzorke.

Frisch rasiert und in trockenen Sachen.

Kommissar Katzorke

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