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7.

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Ein Manuskript aus losen Blättern per Heißklebebindung in ein ansehnliches kleines Buch zu verwandeln, konnte für Sandor eigentlich kein Problem sein.

Vorausgesetzt, die alte Klebepresse funktionierte einwandfrei, der Klebstoff wies seine normale Konsistenz auf und derjenige, der die Heißklebebindung herstellte, war durch andere Eventualitäten nicht abgelenkt.

Bei Heißklebebindungen können durch unaufmerksame Handhabung unschöne Verformungen auftreten.

„Eine Ringbindung mit hässlicher Drahtspirale sieht nach Schulranzen aus.“

Sandor hatte seiner Kundin die Heißklebebindung empfohlen.

„Sieht anschließend fast wie ein Buch aus.“

„Schön! Dann also die Heißklebebindung!“

Miranda willigte lächelnd ein.

„Ich erledige den Auftrag gleich selbst.“

Eine Heißklebebindung dauerte in der Herstellung allerdings viel länger als eine Ringbindung. Diese Tatsache verschwieg er in Anwesenheit dieser attraktiven Frau. Seine Chance, sie kurz vor Ladenschluss zumindest für ein paar Minuten länger an sich zu binden. Denn schließlich musste er warten, bis der Klebstoff abgekühlt und ausgetrocknet war. Sorgfalt braucht eben Zeit!

Dann musste noch die Vollständigkeit der Seiten überprüft werden, außerdem über die Farbe des Deckelkartons mit Manuskripttitel gewählt und entschieden werden.

„Wird ein bisschen dauern, aber ich kriege das heute noch hin.“

Guter Plan. Er ignorierte einfach die Uhr.

Die letzten Kunden verließen den Copyshop. Es war ein paar Minuten vor zehn.

„Schönen Feierabend!“

„Danke! Bis dann!“

Bei der Arbeit kommt man sich näher und Sandor hatte vor, die Anwesenheit der schönen Unbekannten so lange wie möglich zu genießen. Besonders ihren verlockenden Duft.

Sie half ihm dabei, die Seitenzahlen der Blätter zu überprüfen. Die einzelnen Blätter glitten schnell durch ihre Hände. Er beobachtete dabei das Zählen ihrer elegant geformten Finger, welche die Manuskriptseiten in kleinen Stapeln auf einem geräumigen Arbeitstisch ablegten.

Wie zart und doch kräftig sie waren!

Sie schien ganz vertieft in eine liebevolle Sorgfalt gegenüber ihrem Manuskript.

Sandor war sich sicher, sie würde seine bewundernden Blicke nicht bemerken, denn in all ihren Bewegungen drückte sich eine unbefangene Leichtigkeit aus. Er vermutete bald, sie sei Tänzerin. Die Anmut ihrer Bewegungen schien ihm trainiert.

Sie passt hier irgendwie nicht nach Kreuzberg, dachte er und hinterfragte den eigenen Gedanken sofort. Im lauten und dreckigen Stadtbezirk hatten die meisten Einwohner nach viel zu langen, verrußten Wintermonaten schlechte Haut, die im Sommer nur durch die Sonnenbräune kaschiert wurde. Aus der stickigen Abgasluft sog niemand auf Dauer Jugend und Anmut. Eher Pickel und Ekzeme. Ihre dagegen war durchscheinend rein.

„Lebst Du schon lange hier?“

Die charmante Kundin lächelte Sandor an und reichte ihm wortlos den ersten Papierstapel zur Prozedur der Bindung.

Die blödeste Frage, die er hatte stellen können. Oh, Mann! Also musste doch wieder Roland Barthes her halten. Scheinbar unbeobachtet platzierte er den Band im Regal neben der Heißklebepresse. Sie konnte Roland Barthes einfach nicht übersehen.

„Ist das nicht ein Roland Barthes?“

„Ja, das ist der Roland Barthes.“

Falls sie Interesse an Philosophie hatte, war die Gelegenheit zur Kommunikation nun eröffnet. Sie folgte ihm jedoch nicht. Immerhin hatte er fünfzig Seiten Roland Barthes für solche Fälle gelesen. Diesmal wohl umsonst. Die Schöne war nicht dazu aufgelegt. Als er den Titel ihres Manuskripts unter dem Deckblatt entdeckte, wurde ihm heiß.

„Drehbuch. Die verbotenen Hölzer. Von Miranda von Hammerstein.“

Eine Seelenverwandte stand vor ihm. Seine Stimmlage transponierte sich selbständig eine Oktave höher.

„Welche Farbe …“

Sandor stoppte beim Klang seiner Stimme und räusperte sich mit mehrfachem Hüsteln.

„Welche Farbe sollen die Einbände haben?“

Zu wem gehörte diese lächerliche Fistelstimme? Schnell hustete er erneut.

„Verschluckt? Soll ich auf den Rücken klopfen? Das hilft!“

Miranda lächelte ihm ins gerötete Gesicht. Sandor röchelte. Sie klopfte ihm den Rücken.

„Besser?“

Sandor nickte mit gerötetem Gesicht.

„Rot. Alle dieselbe Farbe.“

Sie deutete auf seinen Roland Barthes.

„Liest Du ihn gerade?“

Sandor nickte und reichte ihr wortlos den Band. Endlich kam seine Stimme wieder, in einem tiefen Angina Pectoris Ton.

„Willst Du Roland Barthes lesen, während ich die Heißklebebindungen fertig mache?“

Sie nickte, schnappte sich „Der Tod des Autors“ von Roland Barthes und setzte sich auf einen Stapel Kartons mit Kopierpapier, der in einer Ecke des Ladens lagerte.

Sandor brauchte die Pause, um sich von ihrer Präsenz zu erholen. In einem Nebenraum nahm er schnell einen Schluck kalten Kaffee, ohne Tasse, direkt aus der Glaskanne. Der schmeckte wie von vorgestern, bitter und etwas nach Schimmelpilz.

Die letzten Bindungen, die er gemacht hatte, waren Ringbindungen gewesen. Anderen Kunden empfahl er Ringbindungen, weil die einfacher herzustellen waren. Auch weil das Gerät, das die Löcher in die Seiten der Blätter einstanzte, intakt war. Es setzte automatisch die Drahtspirale ein.

Er überlegte, in welchem Zustand die alte Heißklebepresse sein könnte? War sie in den letzten Monaten überhaupt mal zum Einsatz gekommen?

Wieder zurück im Laden fand er Reste von Klebstoff am Metallrahmen eingebrannt. Wo befand sich überhaupt dieser Klebstoff?

Nach hektischer Suche fand er alle Zutaten hinter einer Taschenlampe im Regal.

Mit einer zweckentfremdeten Papierschere säbelte er die alten Klebereste ab.

Dann nahm er zwei rote DIN A4 Pappdeckel, legte einen der Stapel Manuskriptseiten dazwischen, fixierte die Seiten auf einer Klebeschnur in der Heißklebepresse und spannte das Ganze behutsam ein.

Dann schaltete er den Heizapparat ein.

Die Seiten wurden an einer Längsseite durch Erhitzen der Klebemasse zusammengeklebt und später von Außen mit einer schmalen Verblendung aus Leinen verziert.

Die erste Bindung war gerade am Abkühlen, als Miranda plötzlich aufsprang und auf ihn zu schwebte. Mit neugierigem Gesichtsausdruck hielt sie die Anzeige aus der BZ in der Hand, die er im Roland Barthes Buch aufbewahrt hatte. Sie war beim Lesen herausgefallen.

Auf ihrer Stupsnase bildeten sich kleine kräuselnde Fältchen, als sie ihn aufgeregt danach fragte.

„Diese Annonce hier. Hast Du bei der Telefonnummer schon angerufen?“

Er schüttelte den Kopf.

„Nein, habe sie erst vorhin in der Zeitung entdeckt. In der U7 lag eine BZ.“

Sandor biss sich auf die Unterlippe.

Verdammt, warum war ihm das rausgerutscht.

„In der BZ?“

„Ja. Nein! Nicht dass Du denkst, ich würde immer die BZ lesen. Zufällig lag eine neben mir auf dem Sitz.“

„Keine Sorge, ich lese auch die BZ. BZ Girls!“

Sandor starrte sie geistesabwesend an.

„BZ Girl? Du, BZ Girl?“

Miranda kicherte los, als hätte sie Krimsekt gesoffen.

„Wieso, traust Du mir das BZ Girl nicht zu?“

Sandor ahnte, dass er mit jeder möglichen Antwort nur schlecht aussehen konnte.

„Na klar, ich meine … so wie Du aussiehst.“

Ein Lachanfall schüttelte Miranda. Sie musste sich auf einen Kopierer stützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Dann schwang sie ihre schmalen Hüften auf den Deckel des Geräts und posierte wie ein BZ Girl. Ausladend gewagt, äußerst lasziv.

Sandor spürte, wie ihm heiß wurde.

Seine Stimme rutschte wieder eine Oktave hinauf.

„Möchtest Du vielleicht dabei sein, wenn ich die Nummer aus der Annonce anrufe?“

Glücklicher Geistesblitz, sie willigte sofort ein.

„Jetzt gleich?“

„Gleich!“

Er durfte auf keinen Fall die rotte, alte Heißklebepresse aus den Augen lassen.

„Hinter dieser Annonce verbirgt sich vielleicht die Story meines Lebens! Der absolute Kinohit!“

Miranda schwang ein Bein in die Luft.

„Mir ist heute eh nach Feiern. Gerade mein Drehbuch fertig.“

Sie freute sich so mitreißend, dass Sandor sich neidlos mit freuen konnte. Nur, warum war er nicht auf die Idee mit der Annonce gekommen?

Erstaunlich für eine so junge Frau.

Aus irgendeinem Grund vermutete Sandor, dass es sich bei ihrem Drehbuch um einen Kinder- oder Jugendfilm handeln müsste. Aber diese Meinung behielt er für sich. Zum geeigneten Zeitpunkt würde er ihr sein Drehbuch überreichen.

Dann würde sie ihn ganz anders anschauen.

„Der Klebstoff riecht irgendwie verbrannt!“

Die Signalleuchte der Heißklebepresse war erloschen, was signalisierte, dass die Bindung fertig war und nun abkühlen musste.

Sandor legte das gebundene Manuskript auf dem Arbeitstisch ab und platzierte den nächsten Stapel Manuskriptseiten in der Presse. Inzwischen ging ihm die Arbeit wieder gewohnt locker von der Hand und er überlegte, wie er ihr Interesse an dieser seltsamen Anzeige in eine längere Bindung verwandeln könnte.

„Ach ja, der Anruf.“

Er nahm die BZ Anzeige wieder zur Hand.

„Hm, die Uhrzeit scheint mir ein bisschen spät für einen Anruf. Hättest Du morgen Zeit?“

Sie sah ihn etwas mitleidig an. Dann antwortete sie mit provozierendem Unterton.

„Wofür?“

Sandors Stimme kam wieder eine Oktave höher heraus.

„Wofür? Um das Geheimnis der seltsamen Anzeige mit dem Blindenhund herauszufinden.“

„OK!“

Sie nickte und sah enttäuscht aus. Er hustete.

„Wann und wo?“

Geduld schien nicht ihre Stärke.

Sandor dachte nach, aber es fiel ihm kein geeigneter Treffpunkt ein. Es ärgerte ihn, dass er so uncool war.

„Morgen Vormittag um elf, hier beim Copyshop. Meine Handynummer, falls dir etwas dazwischenkommt. Ich heiße übrigens Sandor.“

„Steht ja auf deinem Mitarbeiterschild.“

Er reichte ihr trotzdem seine selbstgefertigte Visitenkarte.

„Selbstgemacht. Falls Du mal schicke Visitenkarten brauchst.“

Wie konnte er nur auf einmal so förmlich werden? Fast abweisend?

Miranda setzte sich wieder auf die Stapel staubige Kartons mit schneeweißem Kopierpapier und las Roland Barthes. Still, Seite für Seite. Sie las unheimlich schnell.

Sandor arbeitete schweigend an einer neuen Heißklebebindung. Er mochte nicht mehr reden, hatte es mal wieder vergeigt. Vielleicht lieber Roland Barthes lesen. So vertieft, wie sie in das Buch schien. Sie wirkte vollkommen abwesend.

Draußen zeichnete die Abendsonne einen glutroten Himmel in die aufkommende Dunkelheit der lauen Sommernacht. Die Fensterscheiben des Kopierladens offenbarten durch die letzten Lichtstrahlen ihren matten Belag aus Schmutz und Feinstaub der vielbefahrenen Yorckstraße.

Sandor sah auf die Uhr. Seit zwanzig Minuten hatte er offiziell Feierabend.

Als er den Laden abschloss und an der Ladentür die Jalousie herunter ließ, saß Miranda immer noch lesend auf den Kartons. Weshalb sollte er sie dabei stören? Er ging zur Kasse, um die Tagesabrechnung zu machen. Danach wäre er endlich frei.

Er ahnte nicht, dass Miranda ihrerseits das noch unbestimmte Gefühl eines möglichen Abenteuers genoss. Ein angenehmes sich Treiben lassen, eine genießerische Vorfreude auf alles, was kommt. Schöne Selbstbelohnung, nach monatelanger Arbeit.

Sie naschte an den Sätzen von Roland Barthes, als wären sie Delikatessen. Ohne sich wirklich den Kopf über deren Sinn oder Unsinn zu zerbrechen. Alles war erreicht, deshalb musste sie nichts mehr erfüllen. Endlich fühlte sie sich wieder frei für neue Fantasien!

Sandor verrechnete sich mehrmals beim Beträge addieren.

Die abgenutzten Tasten des alten Taschenrechners klemmten zuweilen, wodurch sich manche Einnahmen mehrmals in die Abrechnung summierten. Seine Finger zitterten.

„Mist! Wieder ein Fehlbetrag von einundzwanzig Euro!“

Er fluchte ganz leise in sich hinein, um Miranda nicht zu stören. Nach fünf Versuchen stimmte Schließlich die Kasse. Zwei Scheine waren aneinander geklebt.

Den Abrechnungszettel legte er wie immer unter die Münzkassette der alten Registrierkasse, darin eingewickelt ein Bündel mit abgezählten Banknoten. Ein seltsames Ritual. Jeder Einbrecher würde das Geld sofort finden.

Den Kassenschlüssel versteckte er für die Morgenschicht in einer Schublade voller Büroklammern.

Mirandas wippender Fuß und die Art, wie sie gelegentlich mit der Hand durch ihre dunklen Haare strich, verrieten ihre nicht ausschließlich philosophischen Gedanken.

Bis morgen früh würde niemand den Kopierladen an den Yorckbrücken betreten. Die verbliebenen Abendstunden und die ganze Nacht hätten sie zu ihrer Verfügung.

„Möge sie nur wollen! Wolle sie nur mögen!“

Sie schauten sich an.

Sandor dachte permanent diese zwei blöden Sätze. Wie eine Beschwörungsformel.

Manchmal braucht es jedoch keine Worte.

Sie legte das Buch zur Seite und kam auf ihn zu.

Die Morgenschicht begann an Wochentagen um neun Uhr.

Kommissar Katzorke

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