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3.

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Als Fatma zum ersten Mal im LKA Präsidium erschien, kicherten die Polizeikollegen hinter vorgehaltener Hand. Ein junger Beamter führte sie durch die Büroetage.

„Junges Frollein! Lüften Sie als erstes in ihrem Büro! Ihr Vorgänger hat das Fenster nicht aufgekriegt.“

Ein älterer Beamter mit Backenbart hatte den Satz ungeniert quer durch das Büro gebrüllt.

„Da lang!“

Der junge Kollege war unter seinen glucksenden Lachlauten rot angelaufen. Niemals zuvor in ihrer jungen Karriere hatte Fatma eine komplette Einheit ehrwürdiger Polizeibeamte dermaßen kichernd erlebt. Was für ein seltsamer Einstand!

Als Frau mit dem familiären Hintergrund von türkischen Einwanderern hatte sie sich um die öffentlich ausgeschriebene Kommissarstelle im Landeskriminalamt am Tempelhofer Damm beworben. Nur so zum Spaß, an einem verregneten Sonntagnachmittag!

Sie war überrascht, als sie die Stelle dann tatsächlich bekam.

„Da ist es!“

Er zeigte auf die Tür zu Fatmas neuem Büro. Die allgemeine Heiterkeit ebbte immer noch nicht ab. Zum Glück hatte das Büro eine Tür.

„Kicherwasser getrunken?“

Es fiel ihr schwer, ihr Verhalten nicht auf sich zu beziehen. Da vernahm sie ein sonores Brummen, eine Melodie. Auf einmal brüllte ein Chor von Polizeibeamten lauthals den Rest eines bis dahin nur zu ahnenden Refrains:

„… Stinki, das Tier!“

Einen Moment später war es atemlos still. Sie hörte nur noch das Umblättern von Papierseiten auf den Schreibtischen. Fatma meinte sogar, in den Gesichtern einiger Beamte eine entsetzte Betroffenheit über das eigene Verhalten entdeckt zu haben, aber dann stand ein junger Mann mit Igelschnitt und Pickel am Kinn von seinem Schreibtisch auf, kam auf sie zu und schüttelte ihr die Hand.

„Lummer. Wie Heinrich Lummer hat ihr Vorgänger ausgesehen.“

Das verwirrte sie allerdings noch mehr. Der andere junge Kollege nahm wieder an seinem Schreibtisch Platz.

„Früher Innenminister von West Berlin. Alter Kauz.“

Fatma wusste nun, wer dieser Heinrich Lummer war. Welche Rolle er in Berlin gespielt hatte.

„War auch vor meiner Zeit. Aber die Kollegen machen sich gern noch lustig über ihn. Nicht über Sie. Verstehen Sie das nicht falsch.“

Seinem Gesicht war nicht zu entnehmen, ob er meinte, was er sagte.

„Karl Kaiser.“

„Fatima Dogan. Alle nennen mich Fatma.“

Er öffnete die Tür zu ihrem Büro und stieg sofort auf einen Stuhl, um das knapp unter der Zimmerdecke liegende Butzenfenster zum Innenhof zu öffnen.

„Ältere Herren duften ja nicht immer nach Rosenwasser. Ein paar Wochen lang lüften, dann ist der Duft raus!“

Er wünschte ihr noch ein dickes Fell für den Job und toi, toi, toi, viele Verhaftungen. Dann ließ er sie allein.

„Lustige Truppe hier!“

Ihr Büro sah aus wie eine Gefängniszelle. Hier brauchte sie wirklich ein dickes Fell, so viel war Fatma nach den ersten Minuten schon klar.

Vor drei Jahren noch auf der Polizeiakademie, dann erfolgreich beim Berliner Drogendezernat als verdeckte Ermittlerin, und jetzt dieser Karrieresprung. Kommissarin in der Abteilung OK, organisierte Kriminalität. Wahrscheinlich war sie im Landeskriminalamt die jüngste Ermittlerin aller Zeiten.

Sicherlich eine Seltenheit in dieser biederen Polizeibehörde. Fatma untersuchte ihren neuen Schreibtisch. Als sie die Schubladen aufzog, kroch noch mehr muffiger Geruch hervor.

„Nicht zum Aushalten, puh!“

Hier hatte jemand jahrelang ein Schweißproblem ausgesessen. Ihr Vorgänger wohl, etwa über unlösbaren Fällen?

Zum Glück ahnte keiner der neuen Kollegen, wie sie ihre Fälle gelöst hatte. Sie wäre gewiss nicht so schnell die Karriereleiter hinaufgeklettert, hätte der Personalchef bei seiner Entscheidung gewusst, wie viel sie dabei ihrem älteren Bruder Mehmet verdankte.

Egal, der neue Arbeitsvertrag lag hübsch unterschrieben zu Hause, die Tinte darauf noch fast flüssig.

Von ihrem bald ansehnlichen Gehalt wollte sie in ein paar Jahren in der Türkei ein verfallendes Landgut in den Ausläufern des Taurus Gebirges erwerben. Mit Hilfe des Wertunterschieds zwischen Lira und Euro wäre es günstig wiederherzustellen, um irgendwann vielleicht eine Bienenfarm daraus zu machen.

Beziehungsweise von Mehmet aufbauen zu lassen, denn sie war ja beruflich fest in Berlin. Ihr Leben insgesamt brauchte den inneren Ausgleich. Und dafür eignete sich besonders diese ferne, sonnige Perspektive!

„Mein neuer Schreibtisch zeigte wohl mal eine helle Oberfläche.“

Fatma holte sich Reiniger und Wischtuch aus der Teeküche.

„Um wenigstens keine Infektion zu kriegen!“

Entgegnete sie den fragenden Blicken der Kollegen, als sie mit Eimer und Wischwasser durch das Großraumbüro ging. Der Spruch hatte gar nicht mal schlecht gesessen. Die meisten zogen die Köpfe ein.

Solch ein Projekt aus der Distanz zu entwickeln barg einige Risiken. Aber mit ihrem älteren Bruder Mehmet verstand sie sich seit frühester Kindheit gut. Er würde in Zukunft die Bienenfarm leiten, sie nur von Saison zu Saison den Honig mit ernten. So war sein Plan.

Für ihr Selbstbewusstsein galt es jedoch zuvorderst sich selbst zu beweisen, auch ohne Mehmets Hilfe bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens erfolgreich zu sein.

Am Nachmittag ihres ersten Arbeitstages im LKA war sie in das eine Etage über ihrer Dienststelle liegende Büro ihres direkten Vorgesetzten bestellt. Sie kannte ihn vom Vorstellungsgespräch. Fatma nahm den Fahrstuhl, obwohl es nur drei Treppen waren.

Peter Müllers Stimme schnarrte ein helles „Herein“, als sie an seine Bürotür klopfte.

Diesmal sah er aus wie ein Kapitän zur See auf Landgang. Er trug zwar keine Polizeiuniform, aber an seinem Anzug fehlten nur die Streifen auf den Schultern des gepolsterten Jacketts und die Kapitänsmütze, um nicht vollständig den Eindruck eines Uniformierten zu erwecken.

„Fräulein Dogan! Wie schön! Nehmen Sie Platz!“

„Alle nennen mich einfach nur Fatma.“

Der weißhaarige ältere Herr schüttelte den Kopf.

„Fräulein Dogan, unsere neue Kommissarin! Setzen Sie sich! Herzlich willkommen im LKA!“

„Vielen Dank, Herr Müller!“

Er pflegte diesen näselnden, hanseatischen Ton, der Fatma unwillkürlich an tief fliegende Möwen denken ließ. Sein Büro roch nach staubigem Teppich.

„Sie haben sich ja bisher nur in ihrer Ausbildung mit unserem Fachgebiet, den organisierten, kriminellen Banden, auseinandergesetzt. Nicht wahr?“

Vielleicht wollte dieser ein Meter neunzig Mann tatsächlich nett erscheinen, aber sein Tonfall klang eher herablassend. Seine schmalen, genussfeindlichen Lippen unterstrichen diesen Eindruck.

„Übrigens hatte sich unser Personalvorstand trotz Ihrer mangelnden Erfahrung einstimmig für Sie entschieden. Nicht, dass Sie also an Ihren Fähigkeiten zweifeln möchten, Fräulein Dogan. Ihre Aufgabe, die OK Bekämpfung, wird bis auf Weiteres nicht besonders anspruchsvoll für Sie sein.

Kommissar Katzorke, der vor Ihnen die Stelle innehatte, überlässt Ihnen die Stadt sowie das nähere Umland quasi besenrein.“

Er machte eine rhetorische Pause, um den Eindruck seiner Worte in ihrem Gesicht abzulesen.

Fatma schluckte. Sie war blass im Gesicht geworden.

“Kommissar Katzorke hat deutsche Rockerbanden zerschlagen und die russische Mafia nach Magdeburg verdrängt. Ja, sogar unsere Albaner haben sich mit ihren Prostituierten zurück nach Hamburg verzogen. Was ich bedauerlich finde, da Hamburg meine Heimatstadt ist.“

Sie nickte und wusste eigentlich nicht, warum.

„Unsere Türken und unsere Araber sehen seit Katzorkes Befreiungsschlag Berlin nur noch als Rückzugsgebiet. Verstehen Sie, was das heißt?“

Fatma öffnete den Mund, doch Müller redete längst weiter.

„Die parken hier nicht mal falsch! Sie möchten nicht auffallen, leben ordentlich mit ihren Familien und möchten, dass alles ganz schön ist. Kommissar Katzorke hat wirklich ganze Arbeit geleistet.“

Fatma hatte den Mund wieder geschlossen. Wieder suchte er vergeblich eine Reaktion in ihrem Gesicht.

Müller lächelte und zeigte dabei seine blitzsauberen dritten Zähne.

„Unser Katzorke hat unter den Berliner Kriminellen gewütet wie der Fuchs im Hühnerstall!“

Fatma spürte die Reste vom Frühstück im Magen, ihr wurde übel.

Wieder sah er sie mit durchdringenden Blicken an. War es blöde Macho Anmache, oder wollte er sie provozieren?

„Eine solche Effektivität können Sie als Berufsanfängerin, Fräulein Dogan, bei allem Diensteifer, den ich Ihnen selbstverständlich gern unterstelle, nicht erreichen!“

Nun lächelte Fatma ihr charmantestes Lächeln, das sie auf ihr Gesicht zaubern konnte. Der hohe Beamte Müller kam durch ihren Liebreiz offensichtlich aus dem Konzept.

„Nun ja, ich wollte damit sagen, es ist das Beste, sie versuchen es von Anfang an erst gar nicht. Zu hohe Ansprüche an sich selbst verderben die Laune. Ich meine, sie sollen ihren Dienst tun und bei uns nicht nur herumsitzen! Aber in der augenblicklichen Lage ist es für unsere Abteilung das Beste, wenn die Kriminalstatistik noch so lange wie möglich unverändert bleibt.

Glauben Sie mir, solange wir nichts tun, wissen die Kriminellen dieser Stadt nicht, was wir vorhaben. Nach Katzorkes Kahlschlag ist das abschreckend genug.“

Fatma verbarg ihre Enttäuschung und antwortete ihrem Vorgesetzten loyal.

„Ich freue mich über meinen neuen Auftrag und werde alles dafür tun, Sie nicht zu enttäuschen, Herr Müller!“

Er sah sie einen Augenblick lang versonnen an. Sein Mund verzog sich zu der Form eines Fischmauls.

„Schön, dass Sie ihren begreiflichen Ehrgeiz zügeln wollen. Es mag nicht der allgemeinen Vorstellung über die Polizei entsprechen, aber unsere Macht besteht vor allem aus Drohpotenzial. Aus Schein! Wenn alle potentiell kriminellen Bürger von Berlin ahnen würden, wie schwach wir tatsächlich sind, hätten wir im Handumdrehen Anarchie!“

Fatma spürte, wie ihr unter seinem Röntgenblick Schweißperlen den Rücken hinunterliefen. Worauf wollte er eigentlich hinaus?

„Aber das ist die höhere Schule. Ich möchte sie nicht unnötig verwirren.“

Er zog seine blassblauen Augen von ihrer Oberfläche ab.

„In Ihrem Alter habe ich auch noch an das Märchen geglaubt, dass wir alle hier tagtäglich auf Verbrecherjagd sind. Unsere Realität sieht leider ganz anders aus.“

Fatma stellte sich vor, wie ihr Chef langsam vom Boden abhob, durch das geöffnete Fenster hinaus in den Himmel über der Stadt schwebte, um dort mit einem lauten Knall zu zerplatzen.

Müller schaute sie einen Moment lang über die Ränder seiner Lesebrille hinweg misstrauisch an.

„Sie hätten auch eine Karriere als Model einschlagen können. Aber, was soll´s, nun sind Sie halt Kommissarin geworden.“

Fatmas Gesicht blieb maskenhaft. Am Abend drohte ihr ein schmerzhafter Muskelkater im Gesicht, wenn sie ihre Gefühle weiterhin so angespannt kontrollierte.

Müller zog resignierend und mit einem Seufzer seine gepolsterten Schultern hoch und deutete auf die Tür.

„So viel zur Einführung, Fräulein Dogan.“

Mit betulichen Altherrenmanieren begleitete er sie bis zur Tür. Fast sah es so aus, als wolle er sich dabei nur ihre körperliche Nähe nicht entgehen lassen.

„Kommen Sie einfach vorbei, wenn Sie etwas auf dem Herzen haben!“

„Vielen Dank! Auf Wiedersehen, Herr Müller!“

Im Gang vor seinem Büro holte sie tief Luft. Wo war sie hier bloß gelandet?

Vor allem dieses an Tristesse kaum noch zu überbietende Büro! Welch ein Arbeitsplatz! In der Stellenausschreibung las sich das noch ganz anders. Zum Glück verbesserte sie sich wenigstens beim Gehalt.

Obwohl das Fenster noch offen stand, roch es weiterhin muffig! Wie früher in der Umkleidekabine beim Schulsport.

Morgen wollte sie sich eine stark duftende Zimmerpflanze ins Büro stellen, eine mit ganz geringem Lichtbedarf. Ihre Blumenhändlerin würde ihr bestimmt die passende Pflanze empfehlen.

Auf ihrem Schreibtisch fand sie inzwischen ein Stapel Akten abgelegt. Aus der Registratur im Kellergewölbe des Hauses. Ein Zettel darauf, der mit unleserlichem Kürzel versehen, sie aufforderte.

„Bitte um Durchsicht!“

Sie blätterte den Stapel oberflächlich durch, es handelte sich vorwiegend um endgültige Aktenanlagen. Keine aktuellen Fälle, die bearbeiteten wohl Kollegen.

„Das werde ich mir mal über die Datenbank ansehen.“

Sie schaltete ihren Computer ein, doch der Bildschirm blieb schwarz.

„Der Anschluss funktioniert noch nicht. Liegt an der defekten Leitung.“

Fatma wirbelte herum, als sie die Stimme des jungen Kollegen mit dem Stoppelschnitt auf dem Schädel in ihrem Rücken vernahm.

Unhörbar leise hatte er ihre Bürotür aufgemacht.

Kommissar Katzorke

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