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Eine interessante Geschäftsidee zu haben, ist eine feine Sache. Allein, sie in ein real existierendes Geschäft zu verwandeln, stellt eine unvergleichlich größere Herausforderung dar.

Es war höchste Zeit für Sandor, in seinem Leben etwas gebacken zu kriegen. Wieder war ein angenehm faul verbrachter Sommer fast vorüber und braungebrannte Urlaubsrückkehrer füllten zum Ende der Sommerferien die U7 Richtung Rixdorf.

Dort wohnte Sandor, seitdem er Philosophie studiert hatte. Eigentlich studierte er immer noch.

Wenn er sich im Kreis seiner langjährigen Freunde umsah, musste er mit Wehmut feststellen, dass die Anzahl derjenigen, mit denen er nachts um die Häuser ziehen konnte, auf wenige Kandidaten zusammengeschrumpft war.

Karrieristen waren keine mehr darunter, die verkehrten nicht mehr in poststudentischen Kreisen. Eher „Zurückgebliebene“, die es seit Schulzeiten nicht geschafft hatten, sich von ihren Spielekonsolen abzunabeln.

Sandor war sich über die Veränderungen in seinem Umfeld bewusst. Mit einem dieser ewig Jugendlichen unterwegs zu sein, war ungefähr so spannend, wie einen Autisten im Rollstuhl durch den Klinikpark zu schieben. Innerlich spielten die einfach die ganze Zeit weiter. Festgeklebt in einer bunten, utopischen Fremdfantasiewelt.

Den Einschnitt in seinem Leben hatte er allerdings erst richtig bemerkt, als ihn die attraktiven Frauen in Bars und Clubs von Neukölln nicht mehr wahrnahmen. Von heute auf morgen unsichtbar!

Er hatte tatsächlich einmal probiert, durch die Wände seiner Wohnung zu gehen. Eine Beule an seinem Kopf signalisierte ihm, sein Körper war materiell noch vorhanden. Nur er fühlte sich körperlos.

Färbte etwa das Image seiner Begleiter negativ auf ihn ab?

„Die sind alle fixiert auf den neuen Trendtyp.“

Unterwegs auf der Treppe im U-Bahn-Schacht fielen ihm solche Sätze ein, die fantastisch zu seiner Protagonistin im Drehbuch passten. Bloß nicht vergessen, die coole Suade!

Sein Job im Copyshop an den Yorckbrücken brachte ihm gelegentlich einen One Night Stand ein. Meistens aber nur mit einer Studentin, die sich einfach mal vom Klausurenstress abreagieren musste. Todsicher folgte bei der Zigarette danach die unfassbar unerotische Frage.

„Wann hast du denn vor, dein Studium zu beenden?“

Und anschließend das dämliche Kompliment.

„Du siehst doch gar nicht aus wie ein Langzeitstudent.“

Was für ein Absacker nach einem Quickie!

„Der Zwang der Ökonomie macht mich nicht gerade locker, Babe!“

Solch flapsigen Bemerkungen verhinderten alle weiteren Treffen. Und erst recht eine dauerhafte Beziehung.

Für seine Vita in Bewerbungsschreiben war er schlicht auf einem öden Job im Copyshop hängen geblieben. Von außen sah es deutlich so aus. Weil er nicht jedem auf die Nase binden wollte, was er wirklich vorhatte.

„Für die Realisierung meiner Geschäftsidee brauche ich vorerst noch ein regelmäßiges Nebeneinkommen. Später läuft die Firma dann von selbst.“

Sein Partystatement, was immer gut ankam. Das er allerdings schon lange nicht mehr losgeworden war, mangels einer passenden Party. Seine Freunde feierten nicht mehr zu Haus.

Immerhin konnte er sich bei zwanzig Wochenstunden Hilfstätigkeit wenigstens zwischendurch gedanklich seinem Filmprojekt widmen. Sogar während der Arbeitszeit!

Was allerdings nur bedingt richtig war, denn von jedem Job musste man sich erst innerlich wieder lösen, um sich anschließend davon erholen zu können. Daher stapelten sich zahlreiche Drehbuchfassungen seit Monaten unberührt unter seinem Bett. Für ein und denselben Spielfilm.

Immerhin blieben seine Manuskripte bestens geschützt vor den gierigen Augen der Medienmafia, die jeden neuen Stoff, jeden Trend, jede Idee abgriffen, um sie als ihre Ideen zu vermarkten und damit Kasse zu machen. Für die war jeder Schreiberling nichts weiter als das Übel am Text.

Sandor knurrte sich unterwegs in das Thema hinein.

„Ich das Übel am Text? Niemals!“

Am liebsten übersahen diese Mediengangster das Copyright. Ihnen standen ja versierte Justitiare jederzeit zur Verfügung. Die armen Poeten dagegen konnten sich eh keine Klage vor Gericht leisten.

„Die haben leichtes Spiel!“

Sandor quetschte seinen eins achtzig Body in einen überfüllten U-Bahn Waggon. Eine Zumutung, diese BVG Kurzzüge.

Längst Allgemeinwissen, dass Burnout gefährdete Fernsehredakteure, koksende Regisseure oder geldgeile Filmproduzenten junge Autoren ausweideten, um ihnen komplette Dialoge und Storys zu klauen. Sie allein hatten die Macht zu entscheiden, was dem Fernsehzuschauer zu gefallen habe und was nicht.

„Ein Drehbuch ist locker mal zwanzig bis fünfzigtausend Euro wert!“

Immer wenn Sandor diesen Satz in die wöchentliche Kneipenrunde geworfen hatte, sah er die Scheine in Bündeln schon vor sich. Seine Kumpels hingegen schalteten dabei längst geistig in andere Regionen.

„Wenn einer Beziehungen hat!“

„Ja, ja!“

Diese Einschränkung war die bittere, alles entscheidende Wahrheit. Schütti und Thorsten nickten mechanisch.

„Was für ein Schwachsinn im Fernsehen verholzt wird. Und die kriegen auch noch Geld dafür!“

Nächste Runde. Ohne Beziehungen war das beste Drehbuch nicht mehr wert als der Preis von Altpapier.

Über hilfreiche Kontakte verfügte Sandor nicht. „Vom Tellerwäscher zum Millionär“, der amerikanischen Traum, funktionierte in Deutschland nicht. Stattdessen kassierte er seine tägliche Dosis krebserregenden Feinstaub aus den Tonerkartuschen der Kopierer.

Sandor hustete immer öfter.

„Eine Mafia hat kein Interesse an ehrlich arbeitenden Menschen. Die fördern nur Kriminelle!“

„Grand Theft Auto. Du musst deine eigene Gangsterkarriere starten!“

„Von mir aus.“

Gruselgeschichten von geprellten Künstlern waren Sandor häufig zu Ohren gekommen. Autoren, deren jahrelange Arbeit an einem Buch von der Medienmafia mit einem Schlag vernichtet worden war. Dreiste Plagiate, sogar im öffentlich rechtlichen Fernsehen!

„Mir wird das nicht passieren!“

Aber wie sollte er mit Produzenten ins Geschäft kommen, wenn er sein Manuskript nicht präsentierte? Seine Litanei von der Ungerechtigkeit der Gesellschaft war ja schön und gut, nur andere hatten es ja auch irgendwie geschafft.

Inzwischen lag die siebte Überarbeitung seines Drehbuchs sicher unter der gebrauchten Matratze. Absolut sicher, denn seine Schlafunterlage bewies so viel natürliche Bodenhaftung, dass mutmaßlich kein Bettgast den Wunsch verspürte, jemals einen Blick darunter zu werfen.

„Mein Leben hat immerhin ein Ziel.“

„In meinem gibt es auch eines: immer das nächste Level erreichen.“

Thorsten wirkte irgendwie immer müde. Sein Geheimnis, warum.

„Eine attraktive Redakteurin eines zahlungskräftigen Fernsehsenders wird eines Tages in deiner Reichweite erscheinen.“

Seine Kumpels fanden seinen Gesichtsausdruck dazu passend.

„Sie wird sich natürlich sofort in dich verlieben. Und dann ganz zufällig dein Drehbuch lesen.“

„Das findet sie nicht.“

Sandor meinte es ernst. Der Spott der beiden ärgerte ihn.

„Ich gebe ihr den entscheidenden Tipp. Unter deiner Matratze.“

Woher kannte Schütti sein Drehbuchversteck?

„Woher weißt Du von meinem Versteck?“

Seine Freunde lächelten süffisant.

„Noch ein Bier?“

Die Drinks in der Rixdorfer Kneipe waren teuer.

„Nee, Schluss für heute! Ich hau ab.“

„Na, denn!“

Die U-Bahn vibrierte beim Bremsen vor der Station. Noch zwei Stopps, dann wäre er zu Hause.

Thorsten und Schütti würde er an diesem Abend ganz sicher nicht treffen. Keine Lust auf die Loser. Dass er ihnen versehentlich sein Versteck ausgeplaudert hatte, ärgerte ihn maßlos. Wie besoffen musste er gewesen sein, als er das ausgeplaudert hatte.

Zum Glück hatte er vor ein paar Monaten zum ersten Mal einen kleinen Nebenverdienst auf der Berlinale ergattert. Für die Dauer des Filmfestivals. Davon zehrte er immer noch. Es ging also aufwärts. Vielleicht folgte dort im neuen Jahr ein noch besserer Job.

Die Filmpartys, die er während der Berlinale mitgekriegt hatte, fand er legendär. Je länger sie zurück lagen, desto legendärer wurden sie in seinen Erinnerungen.

Das kollektive Besäufnis des britischen Filmverbands zum Beispiel, im schicken Literaturhaus in der Fasanenstraße. Für Sandor ein einmalig tiefer Einblick in sein zukünftiges Leben als Drehbuchautor. Fulminant saufen und halbnackt auf den Tischen tanzen! Das hatte ihm schon sehr zugesagt.

Oder das kalte Fisch Buffet bei den nicht minder trinkfesten Skandinaviern, in der Botschaft der skandinavischen Länder am Tiergarten! Solche unvergesslichen Erlebnisse würden ja bald regelmäßige Highlights seines gewohnten Alltags sein. In diesen Momenten empfand er sich der Medienindustrie und ihren Vorzügen längst zugehörig. Er war ja einer von ihnen, mittendrin!

„Are you a director?“

„No, sorry, I´m not!”

Sandor hatte die auf Jobsuche umher streunenden Schauspieler gehasst. Sie plusterten sich immer fürchterlich auf. Wollten von allen Seiten Beifall. In seinem neuen Partyrevier. Aufgrund seiner rötlichen Haare hielten sie ihn wohl für einen irischen Regisseur, dessen unscharfes Foto im Festivalkatalog abgebildet worden war.

„Ich bin aus Berlin.“

„Welcher Bezirk?“

„Rixdorf.“

Nach diesen Biodaten ließ das Interesse normalerweise schnell nach. Am liebsten hätte er sich ein Schild umgehängt, mit der Aufschrift: „Seid ihr blind? Ich suche auch!“

Gelegentlich versuchten einige männliche Filmbonzen ihrem libidinösem Glück mit ihm im Pool der Cineasten nachzuhelfen. Gaben sich als bedeutende Regisseure aus. Um mal einen Eingeborenen in ihr Hotelbett zu kriegen. Einen Hetero verführen, das war für sie der geilste Kick.

Sandor brauchte an diesem Abend eine halbe Flasche Wein, um halb getröstet einzuschlafen.

Am folgenden Tag saß er wieder in der U7 auf dem Weg zum Copyshop an den Yorckbrücken, wo er sich sicher mit defekten Kopiergeräten herum ärgern würde.

Seinem Chef gehörte ebenfalls die Bar mit dem Namen „Wirtschaftswunder“, ganz in der Nähe, Yorckstraße. Aber trotzdem war er zu geizig, um neue Kopiergeräte anzuschaffen.

An fast jeder U-Bahn Station der U7 stiegen urlaubsgebräunte Fahrgäste ein, deren rötlicher Teint von Mallorca, Teneriffa, Antalya oder den Kapverdischen Inseln stammte. Glückliche Flüchtlinge, die sich eine Auszeit vom Stress in der Stadt erkauft hatten.

Von seiner lausigen Bezahlung blieb nichts für Urlaub.

Um die im Bahnabteil ihm gegenüber sitzenden Urlaubsgesichter nicht länger ertragen zu müssen, spannte er eine auf der Sitzbank vergessene BZ auf. Die Artikel des Boulevardblatts überflog er mit schnellen Blicken. Nur an den BZ Girls blieb sein Blick ein paar Sekunden lang haften.

Urlaubsschönheiten, halbnackt am Strand!

Kommissar Katzorke

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