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Kommissar Katzorke konnte von sich behaupten, einen kompletten Zellentrakt der Haftanstalt Tegel durch seine akribische Ermittlungsarbeit besiedelt zu haben. Im Dienste der Staatsgewalt hatte er erreicht, dass zweihundertsiebenundsiebzig Strafgefangene verschiedener ethnischer Herkunft ihn als ihren persönlichen Feind betrachteten.

Den Hass ihrer Clans und Familien nicht mit eingerechnet.

Sorglos über Berliner Boulevards spazierend, ahnte er nicht, welches Glück ihm widerfuhr, sich nicht einmal den Bruchteil jener Grausamkeiten vorstellen zu können, die ihn erwarteten, fiele er zufällig in die Hände eines von ihm Inhaftierten.

An öden Zellenabenden, wenn vor den Gitterfenstern draußen kalter Nebeldunst hing, wusste seine Klientel oft nichts Besseres zu tun, als „Würgt den Katzorke“ zu spielen. Oder sich umfassendste Grausamkeiten auszumalen, mit welcher Art von Folter sie seiner Karriere besonders schmerzhaft ein Ende bereiten wollten.

„Erledigt!“

Katzorkes Lieblingswort, wenn er den Bildschirm auf seinem Schreibtisch ausschalten konnte, weil ein Fall gelöst war. Minutenlang genoss er die matt dunkle Oberfläche.

Dann entdeckte er darin Ertrinkende, wie im schwarzen Wasser des Teufelssees, um Hilfe zappelnde Opfer von Verbrechen. Seine Obsession, die er pflegte, weil sie ihm für alles, was er tat, als Rechtfertigung diente. Den Opfern helfen! Dienstschluss kannte er nicht.

In Berliner Unterweltkreisen wurde er „Der Beißer“ genannt. Aus Respekt, sonst hätten sie ihn „Der Scheißer“ genannt.

Pausenlos produzierte sein Hirn Strategien zur Observierung von potentiellen Straftätern. Auch solchen, die es in den Bezirken draußen noch gar nicht gab. Der Unterschied zwischen Dienst und Freizeit bestand für ihn darin, dass er im Dienst die polizeilichen Regeln einhalten musste. Während er anschließend seinen eigenen Maßgaben folgte.

Warum sollte er privat zu Hause kein Nachtsichtgerät benutzen, während sich der gewöhnliche Bürgernachbar damit im Versandhandel längst eingedeckt hatte?

Ein Kommissar zur Bekämpfung von organisierter Bandenkriminalität, schlechter ausgerüstet als der Spanner von nebenan?

Privatsphäre hin oder her, seine staatsbürgerliche Pflicht war es, den Realitäten ins Auge zu sehen. Sofern diese im Dunklen stattfanden, musste er eben auch in den Nächten Durchblick bekommen!

Zu Hause blätterte er gerne in Elektronikkatalogen, verglich Preise von Richtmikrofonen und Überwachungsdrohnen, berauschte sich an Kamera- und Flugeigenschaften. Ihn reizte das halb legale Arsenal. Er wusste, dass harmlose Tüftler in beinahe harmlosen Technikvereinen täglich daran schraubten und löteten, um die private Nische des merkwürdigen Nachbarn auszuspionieren.

„Die Neigung zum Bespitzeln liegt in der Natur des Menschen. Es verschafft ihm ein Gefühl von Überlegenheit und eigener Bedeutung.“

Diese Meinung vertrat er gegenüber den Kritikern des Überwachungsstaats. Aus seiner Erfahrung heraus hatte die private Schnüffelei die Kapazitäten von Geheimdiensten längst in den Schatten gestellt.

„Überwachungstechnik von Morgen schon heute erproben.“

Öffentlich schwieg er über sein plakatives Berufsethos, aber in ein paar Jahren würden auch seine Kollegen damit ausgerüstet sein. Er wäre dann längst damit bestens vertraut.

„Was nützt dem Bürger der Schutz seiner Privatsphäre, wenn man ihn dafür bestiehlt und ermordet?“

Ein weiteres Motto, das er nur im Kreis von speziellen Kollegen zum Besten gab. Über die anderen, die über veraltete Polizeiausrüstung lamentierten, ohne selbst dagegen etwas zu unternehmen, ärgerte er sich unverhohlen.

„Was suchen die bei der Polizei?“

Mit den Jahren seiner Beamtentätigkeit hatte er sich ein stattliches Arsenal an Überwachungstechnik zugelegt. Als sein privates Hobby sozusagen. Keine Spielzeuge, alles Profigeräte. Vergleichbare Technik, wie Militärs und Geheimdienste sie verwenden. Er liebte gediegene und robuste Qualität. Auch wenn die Apparate beinahe unerschwinglich waren.

Ein Boulevardblatt hatte kürzlich seine Erfolge öffentlich gewürdigt. Mit der Schlagzeile: „Der Superkommissar“.

Sein Foto hätten sie in der Zeitung allerdings gern weglassen können. Seitdem war „Der Beißer“ eine öffentliche Person. Kein angenehmes Gefühl.

Aber im Landeskriminalamt wurde seitdem kolportiert, seine Beförderung sei nur noch eine Frage von Wochen. Oder von Monaten. Je nach Wetterbericht.

In der Behörde nannten sie ihn nicht Beißer, sondern „Das Tier“. Obwohl er keineswegs beliebt war. Nie hatte er freiwillig mit Kollegen über Privates geredet. Sein erster Gang morgens war der zum Kaffeeautomat. Geschwätz interessierte ihn generell nicht.

Lieber zog er seinen massigen Kopf tief zwischen die Schultern, um nicht rechts oder links grüßen zu müssen. Blieb einfach stumm, wie verschlafen und trank anschließend seinen Kaffee allein am Schreibtisch. Schwarz, er traute keinem mit Milch und Zucker!

Dann senkte er seinen pomadigen, schwarz gelockten Schädel so dicht über den Inhalt der Akte, oder kroch fast in den Bildschirm, dass jeder Beobachter den Eindruck gewinnen musste, er wäre kurzsichtig. Oder fast blind. War er aber nicht.

Diese seltsame Angewohnheit half ihm bei seiner Konzentration. Gegen die alltäglichen Befindlichkeiten von Kollegen. Die Diskussionen um Zugluft, das Wetter, die Tagespolitik. Am meisten verabscheute er Plaudereien über die Familien, die übliche Bürogruppendynamik. Wie sie bestimmt in jeder größeren Bürogemeinschaft stattfand. Er fühlte sich nicht berufen, mit Kollegen über miserables Kantinenessen oder den defekten Fahrstuhl zu debattieren. Bei seinen Fällen ging es immer um Leben oder Tod!

„Genau in diesem Moment wird wieder ein Verbrechen vorbereitet. Es hängt schon unsichtbar wie ein Gottesurteil über dem Opfer!“

Nur ein einziges Mal hatte er die Nerven verloren und einen faulen Kollegen mit dieser Aussage gebrandmarkt.

Später, im Laufe des Vormittags, ungefähr ein bis zwei Stunden nach Dienstbeginn, richtete sich seine Gestalt dann langsam auf. Bis Mittag saß er kerzengerade am Schreibtisch. Er redete sogar, wenn eine Ermittlung es erforderte, in sachlichem Tonfall mit ausgewählten Kollegen.

Alles hat seine Geschichte, und menschliches Verhalten resultiert daraus. Nachdem er als junger Beamter aus einer Wache in Reinickendorf in die Zentrale nach Tempelhof versetzt worden war und sich darüber freute, hatten sie ihn gemein „Deus ex Deo“ getauft. „Gott ohne Deo“ bedeutete der Spruch, weil er Körperpflege nur am Wochenende betrieb.

Ihr böser Humor war jedoch bald verflogen, nachdem er in der Hierarchie der Behörde elegant an ihnen vorbeigezogen war. Keiner hatte dem ein Meter fünfundsechzig Mann solchen Ehrgeiz zugetraut. Ab da waren sie gewarnt.

Einige Zeit lang kursierten Gerüchte, er verfüge über einen Mentor im Umfeld des Polizeipräsidenten. Seine familiären Verhältnisse wurden klassisch ausspioniert, es fehlte trotzdem der passende Hinweis. Definitiv stammte er nicht aus reichem Hause.

Als man befürchtete, er werde Bereichsleiter, begann die Arschkriecherei.

„Bin gerade am Kaffeeautomaten vorbeigekommen: schwarz, ohne Milch und Zucker? Na, klar!“

Auf einmal kamen einige regelmäßig an seinem Minibüro vorbei.

Kommissar Katzorke

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