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8.

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Auf der Basis ihrer „Fliege“ hatte die Lyrikerin Helga Durm monatelang beinahe täglich auch während der Arbeitszeit heimlich an neuen Gedichten für ihre erste Buchveröffentlichung geschrieben.

Während sie sich beim Schreiben streng um einen lyrischen Realismus bemühte, gerieten manche ihrer Steuerbescheide hingegen zum Produkt ihrer Fantasie.

Als sie sich in dem Glauben wähnte, genügend Kleinode ihrer Dichtkunst erschaffen zu haben, um einen Verleger von deren Veröffentlichung zu überzeugen, machte sie sich im Internet auf die Suche nach einem geeigneten Verlag.

Dabei stieß sie zufällig auf den Namen Konstantin Reuter, der ihr seltsam bekannt vorkam. Sie war sich jedoch sicher, niemals eines seiner Bücher gelesen zu haben, da sie allein deren Titel aus tiefster literarischer Überzeugung heraus verachtete.

„Wenn ein Verlag solchen Schund auf den Büchermarkt wirft, müssten sie meinen Lyrikband doch mit Kusshand annehmen.“

Voll ergriffener Inbrunst über diese Erkenntnis schritt sie stolz in die Kantine des Finanzamts, als wären die dort vor ihren Tellern sitzenden Mitarbeiter der Behörde ihre auf sie wartende Leserschaft, ihre begeisterten Fans oder Publikum eines in allen Medien angekündigten Kulturevents. Helga Durms erster Lesung.

Möllner beobachtete das seltsame Gebaren seiner Kollegin seit Wochen voller Argwohn, denn seit einiger Zeit häuften sich die Beschwerden über Steuerbescheide aus ihrer Abteilung. Und zwar ausgerechnet über solche, die eigentlich nur er zu bearbeiten hatte.

Ihr Chef ahnte ja nicht, dass sie untereinander Akten tauschten, wie Steuerexperten es eben tun. Gefälligkeiten unter Kollegen.

Durms Gesichtsausdruck in solchen Momenten innerer Ekstase hatte Möllner für sich als „flackernd“ bezeichnet. Vor allem, wenn sie morgens hohlwangig wie ein erloschenes Kaminholz ins Büro kam, um ihren inneren Brand gleich mit drei großen Bechern Kaffee zu löschen. Wonach sich anschließend ihre Pupillen hin und her bewegten, als läse sie die Steuerunterlagen auf ihrem Schreibtisch wie eine Lesemaschine.

„Mahlzeit!“

„Guten Appetit!“

Niemand hatte ihr Betreten der Kantine mit Ehrfurcht zur Kenntnis genommen, also war ihr nichts Besseres eingefallen, als Kollege Möllner gegenüber Platz zu nehmen. Der hatte ja nur den Tick mit den Buntstiften, ansonsten war er ein freundlicher, älterer Herr mit weißem Haarkranz ums polierte Plateau.

„Ich hab gerade den Kleinverleger Siegfried Nöckel vorliegen. Möchten Sie vielleicht übernehmen, Frau Durm?“

Etwas Lauerndes lag bei der Frage in Möllners Gesichtsausdruck, was die Finanzbeamtin Durm beim Stochern in ihrem Kartoffelbrei jedoch nicht auffiel.

„Kleinverlag? Ach, Du meine Güte!“

Ihre Unterlippe schob sich zu einem Wulst vor, als sie den mit Bratensoße vermischten Brei mit der Gabel in ihren Mund beförderte.

Es kleckerte auf ihr Kinn.

„So einer wie neulich, der alles verlegt hatte und nicht wiederfand?“

Sie spuckte beim Lachen tröpfchenförmige Bratensoße in Möllners Richtung.

Doch der konnte nicht mitlachen. Möllner legte Messer und Gabel zusammen und lehnte sich zurück.

Um die Beschwerde genau dieses Kleingewerbes war es gegangen, als er zum Rapport musste. Der Verleger hatte nämlich behauptet, alle erforderlichen Unterlagen seiner Buchhaltung fristgerecht eingereicht zu haben.

Ein stämmiger Kerl mit cholerischen Charaktereigenschaften, der es verstand, bei Möllners Vorgesetztem Dr. Wiegandt Eindruck zu schinden. Er hatte irgendwie herausgefunden, in welchem Zimmer der Verantwortliche für ihre Abteilung residierte und war plötzlich mit brachial wirkender Präsenz dort eingedrungen.

„Er brauchte einen ziemlich dicken Umschlag für die wenigen Blätter seiner Bilanz. Oder?“

Durm würgte am Hackbraten.

Der gewaltige Umschlag, in welchem der Mann seine gesammelten Quittungen eingereicht hatte, war leider gefunden worden, jedoch dessen Inhalt nur zum Teil.

Und nur Helga Durm wusste, wohin der verschwunden war.

In die Berliner Kanalisation.

Durch das Abwasserrohr unter dem Mehringdamm.

„Ich will meine Akte sehen, soll der geschrien haben. Oben, im Büro vom Oberfinanzdirektor, Dr. Wiegandt.“

„Ach, ja? Komisch, dass er keine Kopien hatte. Die hätte er ja nachreichen können. Hat er aber nicht.“

Einen Moment lang saßen sich die beiden Steuerexperten wortlos gegenüber.

„Herr Möllner, wir beide kennen doch die Tricks! Keiner möchte Steuern zahlen. Und wer zahlt, möchte möglichst viel Geld zurück. Da reicht einer schon mal einen allzu dick mit Füllstoff gepolsterten Umschlag ein, und behauptet später, nachdem wir die ollen Styroporschnipsel umweltgerecht entsorgt haben, seine Unterlagen wären bei uns abhanden gekommen. Und es wären die einzigen auf der Welt gewesen, die er jemals gehabt hätte.“

„Dr. Wiegandt …“

„Dr. Wiegandt lebt auf einem anderen Planeten und kriegt von unseren Problemfällen normalerweise nichts mit.“

Möllner erhob sich von seinem Platz und schob den Stuhl, auf dem er gesessen hatte, geräuschvoll unter den Tisch.

„Darf ich Ihnen diese Akte dann also auf den Schreibtisch legen?“

Durm lächelte ihn mit ihrem süßesten Lächeln herablassend an.

„Sie dürfen, Herr Möllner.“

Die Fliege im Finanzamt

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