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Ungefähr ein Jahr später beobachtete der Totengräber Malte Hering an einem kühlen Vormittag im Mai, wie eine ihm bekannte Gestalt durch die Gräberreihen des Dorotheenstädtischen Friedhofs huschte.

„Ah, der Reuter möchte mal wieder eine Lunge voll Friedhofsluft schnuppern, um neue kriminelle Ideen zu bekommen.“

Im vergangenen Jahr hatten sie sich ein bisschen angefreundet und in seiner Mittagspause oft auf einer der Holzbänke nebeneinander gesessen. Manch unterhaltsames Schwätzchen über die Allüren der Berliner Prominentenschickeria gehalten, beide waren sie gute Beobachter, sich dann aber bereits im letzten Herbst aus den Augen verloren.

Im Winter, wenn die Wege vereist oder mit wässrigem Schneematsch bedeckt den Zugang zu den Gräbern erschwerten, kamen nur noch die wirklich um Angehörige Trauernden zum Gedenken an diesen Ort.

Malte Hering sollte noch bis zum Nachmittag ein neues Grab ausheben, daher achtete er nicht weiter auf den Krimiautor, dessen Buch er inzwischen gelesen hatte. Mit dieser netten Nachricht wollte er ihn bei ihrem Wiedersehen, mit dem er fest rechnete, mittags auf der Parkbank überraschen.

Doch während seiner Mittagspause blieb Malte Hering allein mit seiner Plastikbox voller Stullen an ihrem gewohnten Platz.

„Der Herr Berufsdichter ist sich inzwischen wohl zu fein, um neben einem einfachen Erdarbeiter Platz zu nehmen.“

Der Totengräber schämte sich auf einmal für seine freundschaftlichen Gefühle gegenüber diesem eigenwilligen Friedhofsbesucher. Selten ließ sich jemand auf ein Gespräch mit ihm ein, was er sich daher erklärte, dass die Lebenden eine große Scheu vor denjenigen hatten, die sich eines Tages mit ihren sterblichen Überresten beschäftigen würden. Deshalb war er so froh gewesen, von Reuter im vergangenen Jahr wie ein normaler Mensch behandelt worden zu sein.

Doch dann bemerkte er Reuter im Gebüsch.

In seinem grünen Parka war er von den frisch grünenden Blättern kaum zu unterscheiden. Die beinahe perfekte Camouflage.

Immer deutlicher erkannte Hering nun Reuters Gesicht im Profil, wie der Krimiautor in Richtung jenseits des Gebüschs peilte, um dann plötzlich, mit einer vorsichtigen Bewegung seine Fotoausrüstung aus der Tasche ziehend, das Teleobjektiv seiner Kamera auf eine für Hering nicht sichtbares Motiv richtete.

„Das muss ich leider melden.“

Der Totengräber hatte aufgehört, von seinem Salamibrot mit Gurke abzubeißen, so geschockt war er über den Anblick dieser sträflichen Störung von Andacht und Totenruhe. Doch gleich aufspringen, um ins Gebäude der Friedhofsleitung zu eilen, den Vorfall zu melden, das konnte er irgendwie nicht. Vielleicht gab es ja eine plausible Erklärung für Reuters befremdliches Verhalten. Tierfotografie zum Beispiel, die hier selten anzutreffenden seltenen Vögel. Um so etwas Irres konnte es sich hier ja auch drehen.

Hering saß zwar ungefähr zwanzig Meter von Reuter entfernt, dennoch entging ihm nicht, dass Reuters Gesicht, ganz im Gegensatz zum vergangenen Jahr, hager und blass aussah. Seine halblangen dunklen Haare waren ungepflegt und seine Kleidung stammte aus dem Sortiment vergangener Moden, als hätte er sie bei Humana am Frankfurter Tor als Second Hand Ware eingekauft. In diesem Outfit war der ehemals elegante Dandy vom Vorjahr kaum wiederzuerkennen.

Der Totengräber überlegte, ob er sich Reuter nähern sollte, um ihn wegen seines seltsamen Verhaltens zur Rede zu stellen? Doch plötzlich entdeckte er ihn beim erneuten Hinschauen nicht mehr. Reuter war wie vom Erdboden verschluckt und blieb auch beim näheren Hinschauen unsichtbar.

Nachdenklich schluckte der Totengräber die letzten Bissen seiner mittäglichen Mahlzeit hinunter und machte sich auf den Weg zu seinem Minibagger, der neben einer am Morgen von Hand abgemessenen und frisch markierten neuen Grabstelle stand.

Seine Hauptaufgabe war, sein trauriges Tagwerk zu vollenden. Sämtlicher Boden bestand hier aus alten, inzwischen eingeebneten Gräbern, so dass er sich sicher war, bald wieder Schädel und Knochen zu finden. Nachts träumte er manchmal davon.

Doch seine Gefühle, ob nach Beerdigungen oder bei Knochenfunden, behielt er immer für sich.

Dafür besuchte er gern den Berliner Zoo und schaute den Tieren beim Spielen zu.

Die Fliege im Finanzamt

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