Читать книгу Standort Deutschland - Volker Meyer-Guckel - Страница 28
Neue Verantwortlichkeiten, neue Motivation
ОглавлениеRemote-Technologien wurden binnen Tagen eingeführt statt über Jahre pilotiert. Statt als Pyramide mit einem CEO samt dessen endloser To-do-Listen an der Spitze sorgen jetzt viele kleine Teams für schnelle und positive Kundenerfahrungen end-to-end. Sie arbeiten in Sprints und werden dabei je nach aktueller Aufgabe von gut ausgestatteten Inhouse-Experten unterstützt. Zugleich übernehmen die Teams mehr Verantwortung, z. B. für die Rentabilität ihrer Vertriebsideen. Auch Gruppen wachsen an ihren Aufgaben. Prioritäten werden top-down gesetzt, aber cross-funktionale Teams entscheiden, wie sie umgesetzt werden – und handeln sofort. Planungen erfolgen quartalsweise mit einem wöchentlichen Check zum Stand der Dinge. Die Erfahrung zeigt: Ein klarer Fokus, flexibel besetzte Führungsrollen und weniger Abstimmungsberechtigte führen zu enormen Veränderungen. Um nicht zu sagen: Fortschritten.
Wie bei der Neuausrichtung einer erfolgreichen europäischen Direktbank: Sie schnurrte sechs Hierarchieebenen auf drei zusammen und löste Silos durchsetzungsstark auf. Sie forderte eine Ergebnis- statt einer Meeting-Kultur ein und nutzte dafür alle agilen Arbeits- und Teammethoden. Ihre IT setzte die Bank modularer auf. Binnen eines Jahres und trotz aller Turbulenzen eines solchen Umbaus stieg die Kundenzufriedenheit signifikant, die Mitarbeiterzufriedenheit um 20 Prozent, die Effizienz um 30 Prozent und das Unternehmen eroberte Platz1 im Arbeitgeber-Ranking seines Heimatlandes.
Auch die deutschen Führungskräfte haben ihre Corona-Lektionen in Sachen Arbeitsorganisation gelernt. In einer Umfrage gaben 20 Prozent von ihnen an, dass mindestens ein Zehntel ihrer Mitarbeiter künftig zwei oder mehr Tage pro Woche aus der Ferne arbeiten könnten. Zum Vergleich: In China sind es nur noch 4 Prozent der Befragten. Aber der Remote-Boom hat seinen Preis. Um eine effiziente und sichere Kommunikation sicherzustellen, muss parallel in Technik und Datensicherheit investiert werden. Auch das Thema Online-(Weiter-)Bildung dürfe einen Aufschwung erleben, der zu technischen Innovationen wie zur dauerhaften Verfügbarkeit von remotefähigen, erschwinglichen und qualitativ hochwertigen Bildungsangeboten führen könnte. Wer nicht daheim, sondern im Büro oder in der Produktion arbeitet, wird ebenfalls auf Veränderungen stoßen. Da das Distanzgebot in vielen Bereichen andauern wird und Unternehmen nur vorsichtig zu einer Büropräsenz zurückkehren, müssen Organisationen Arbeit und Büros neu definieren. Flexible Zonen müssen sowohl der niedrigeren Auslastung als auch den Mitarbeitern, die zu wechselnden Zeiten ins Büro kommen, gerecht werden. Die Art der Arbeitsorganisation muss sich ebenfalls weiterentwickeln. Nur zu oft – und das ist nicht zwingend eine Frage des Unternehmensalters – behindern überholte Abstimmungsprozesse und Hierarchien schnelle Entscheidungen und demotivieren engagierte Mitarbeiter.
Doch Vorsicht vor turmhohen Erwartungen in allen Bereichen. Viele Organisationen hoffen, dass sie dank weniger Standortbeschränkungen auf neue Talentpools zugreifen können. Zugleich wollen sie innovative Prozesse zur Produktivitätssteigerung einführen, eine stärkere Unternehmenskultur schaffen und noch dazu die Immobilienkosten deutlich senken können. Bester Remote-Kundenservice steht selbstredend auch auf der Wunschliste. Doch das neue Ideal vom Arbeiten remote und/oder agile lässt sich nur verwirklichen, wenn Entscheidungen transparenter fallen und Mitarbeiter eigenständiger regeln können, wann und wo sie arbeiten.