Читать книгу Held des Weltraums: Mark Tolins Band 1-17 - Die ganze Serie - W. W. Shols - Страница 26
Tod an der Haut
ОглавлениеDer Plan war gelungen.
Es war ein Bluff, denn einige wenige Angaben hätten den Kommandanten befähigt, das Raumschiff selbst aus dem Strahlensturm herauszubringen. Der Ein- und Ausflug durch das Wirbelauge war für zukünftige Raumpiloten eine Anfängerleistung. Er war allerdings nach starken Sonnenflecken-Ausbrüchen grundsätzlich verboten, auch für erfahrene Piloten, denn dann gab es Verlagerungen und wilde Stauungen, mit Strahlungsintensitäten, denen kein Raumschiff gewachsen war. Und insofern war es kein Bluff. Es bestand im Augenblick vielleicht die Möglichkeit, das fremde Raumschiff wie im Fahrstuhl hinunterzubringen, aber es konnte auch sein, dass es wie ein Kahn in einen Taifun geriet.
Die Zukunft konnte niemand voraussagen, aber Mark Tolins wollte wenigstens Biggy und die anderen Piloten um sich herum haben Es konnte leicht sein, dass es diese Spitzbäuche logisch fanden, nach der sicheren Landung ihre Retter ins Jenseits zu befördern. Sie schienen sich auf ihren Verstand zu verlassen, und bloßer Verstand ist immer gefährlich, weil er kein Gewissen kennt. Mark Tolins folgte Kermic. Das Raumschiff war viel größer, als er vermutet hatte. Sie wurden auf Gleitbändern durch Gänge mit vielen Türen getragen und in einem Lift durch zwei Geschosse befördert, und man konnte sich dabei leicht einbilden, in einem Bürohaus zu sein. Nichts deutete auf Schiff oder Raum hin. Weiter nichts als Korridore und Türen.
»Das ist eine große Expedition«, erklärte Kermic auf eine Frage hin. »Wir mussten viele Leute mitnehmen, vor allem unsere Wissenschaftler und ihre Assistenten für die Beobachtungsgruppen. Die Erde ist noch weit hinter uns zurück. Ihr Menschen kreuzt noch mit Segelschiffen an der Küste des Raums, während wir bereits mit großen Passagierdampfern auf große Fahrt gehen.« Kurz vor dem Ziel trafen sie auf die anderen Gefangenen. Sie glitten aus einem Quergang heran, sechs Mann hoch, mit Biggy an der Spitze, begleitet von zwei knochigen Fremden. Die Amerikaner sahen munterer aus als bisher, die beiden Russen schienen sich im Geist Notizen für einen Bericht zu machen, und Biggy strahlte mild wie ein Frühlingsmond, während seine Augen hart vor Wachsamkeit waren.
»Die größte Überraschung meines Lebens, Mark«, murmelte er. »Sollen wir gemeinsam auf die Schlachtbank, oder ...?«
»Weiter!«, drängte Kermic.
»Später«, beschied Mark Tolins den Neugierigen hastig, denn er rechnete selbst damit, dass die Zeit knapp wurde. Gleich darauf öffnete sich die Kommandozentrale vor ihnen, ein ungewöhnlich großer, fast saalartiger Raum, der sie mehr anheimelte als alles andere, was sie bisher von diesem Raumschiff gesehen hatten. Er enthielt manches, was ihnen unbekannt war. aber andererseits doch sehr vieles, das ihnen vertraut vorkam. Insofern war es eine in größere Dimensionen übersetzte Zentrale eines irdischen Raumschiffs. Wände und Bänke voller Instrumente, Knöpfe und Hebel, eine zuckende Irrlichterei von signalisierenden Lichtfunken, grünlich leuchtende Sichtscheiben, ein rotierender Kugelreflektor und andere Dinge mehr, eingelagert in ein Halbdunkel mit schwachen, fast transzendenten Farben.
An den Kommandopulten saßen über den Raum verstreut rund zwei Dutzend Männer in dicken, strahlengepanzerten Schutzanzügen und unförmigen Helmen, plumpe Larven, die sich nur einmal flüchtig nach den Eintretenden umsahen und sich dann wieder ihren Instrumenten widmeten. Sie mussten sich jedoch laufend durch Sprechfunk miteinander verständigen, auch waren sie auf den Kommandanten des Raumschiffes geschaltet.
Der Kommandant trug nur eine leichte Kombination. Die beiden Offiziere an seiner Seite ebenfalls. Dafür waren sie mit Rangabzeichen geschmückt.
Zuneigung empfand er für Mark Tolins sicher nicht. Er musste sich jedoch fügen, er besaß keine andere Wahl. Kermic dolmetschte: »Die Strahlung nimmt immer noch zu«, teilte er mit. »Unsere Belastungsgrenze ist überschritten. Dieser Kommandoraum ist noch strahlungsfrei, da er zusätzlich abgeschirmt ist, aber die Außenräume werden bereits durchschlagen.«
Mark Tolins nickte grimmig und ging auf den Raumorter zu, der sich wegen seiner zentralen Lage leicht erkennen ließ. Die Position des Raumschiffs hatte sich noch nicht verändert.
Er gab Kermic die ersten Anweisungen. Das Raumschiff stand über 20 Grad Nord und musste erst einmal in Polnähe gebracht werden. Dabei befahl er, mit einer halben Spirale Deckung durch die Erde zu nehmen. Im Augenblick milderte es den Ansturm der Strahlung.
Der Kommandant begriff schnell. Er gab Anweisungen, die durch ein unsichtbares Mikrophon den eingehüllten Männern an den Schaltbänken übermittelt wurden.
Mark Tolins beobachtete scharf. Er war dabei auf den kugelförmigen Raumorter angewiesen, unter dessen Deckschalen ein grünes Lichtpünktchen zu kurven begann. Von einer Bewegung des Raumschiffs war nichts zu spüren. Diesen Leuten musste es gelungen sein, einen Ausgleich für die Beschleunigung zu finden - eine der wichtigsten Voraussetzungen für große Fahrt im Raum. Von dem, was draußen vorging, konnte man nichts sehen. Sie befanden sich gleichsam in einem Unterseeboot, das sich auf Tauchfahrt befand. Die unzähligen Instrumente ringsum registrierten mit tausend Augen, Ohren und Fühlern, aber Mark Tolins hatte praktisch nichts von ihnen, da er ihre Meldungen nicht auswerten konnte.
Er wandte sich an Kermic.
»Sobald ich das Kommando übernehme, brauche ich laufend die Meldungen über die Strahlungsintensität, die Ionisation, den Strahlungsdruck, Geschwindigkeit und Raumkurve. Können Sie das einrichten?«
»Ich will es versuchen«, versprach Kermic ohne großen Optimismus. »Ich bin selbst kein Pilot, und ich bin der einzige, der übersetzen kann.«
»Zahlen lassen sich leicht übersetzen«, beruhigte Mark Tolins kurz. »Ich werde schon mit ihnen etwas anfangen können, wenn ich die Ausgangswerte habe.«
Nun erst fand er Zeit für Biggy und die fünf Männer, die hinter ihm standen.
Er erklärte ihnen so knapp wie möglich, um was es ging. Überflüssige Worte brauchte er nicht zu verlieren. Die Männer waren vom Fach.
Biggy gab einen unbestimmten Grunzlaut von sich und zog ein Gesicht wie eine Prediger, der einen Hosenknopf in seiner Kollekte entdeckt hat. Die anderen sahen noch bestürzter aus. Holway sprach für alle, als er herausstieß:
»Aber das ist blanker Wahnsinn! Sie wissen doch, dass die Randzonen des Auges besonders gefährlich und hochgeladen sind. Wenn Sie versuchen, mitten in einem Strahlensturm ...«
»Schiffe müssen manchmal auch durch die Brandung, wenn der Sturm hinter ihnen her ist«, unterbrach Mark Tolins heftig. »Ein Versuch ist immer noch aussichtsreicher, als die Daumen zu drehen und sieh rösten zu lassen. Oder wissen Sie einen besseren Weg?«
»Hm - nein.«
»Also gut. Und nun verteilen Sie sich! Versuchen Sie, sich zurechtzufinden. Es wäre immerhin möglich, dass jemand von der Besatzung ausfällt und Sie dann einspringen müssen.«
»Das kann ich nicht zulassen«, protestierte Kermic. »Wir haben selbst genug Reserve. Ihre Leute sind immer noch Gefangene. Sie müssen hier bleiben.«
»Sie kennen die irdischen Landeverhältnisse nicht«, grollte Tolins. »Wenn ich das Kommando übernehme, trage ich auch die Verantwortung. Heben Sie sich Ihre Sorgen auf, bis wir gelandet sind.«
»In Russland natürlich«, schlug Ilja Woruschin mit tiefem Bass vor.
»Das bestimme ich«, gab Tolins knapp zurück.
Dann setzte er alle mit einer Kopfbewegung in Marsch. Gleich darauf war es für Mark Tolins Zeit, den Befehl zu übernehmen. Damit bekam auch Kermic zu tun.
Er besaß einen hochintelligenten und trainierten Kopf. Das zeigte sich jetzt, als etwas fast Unmögliches von ihm verlangte wurde, nämlich die von verschiedenen Stellen unablässig an ihn heranflutenden Daten gleichzeitig aufzunehmen, zu sortieren und zu übersetzen, um im Gegendienst Anweisungen zu übernehmen, sie zu übersetzen ,und an den zuständigen Mann zu geben. Er hatte bestimmt untertrieben, als er behauptet hatte, kein Pilot zu sein. Vielleicht besaß er keine praktische Erfahrung, aber er wusste, worauf es ankam, und sortierte seine Meldungen entsprechend.
Für Mark Tolins war es trotzdem schwer, die gestellte Aufgabe zu lösen. Er befand sich in der Lage eines Blin-
den, der im Dauerlauf eine stark befahrene Straße kreuzen muss, angewiesen auf einige wenige Zurufe und schnelle Reaktionen. Der Kugelorter nützte ihm nichts und die Sehscheiben auch nicht. Er musste auf Grund der hastig zugezischelten Angaben die Lage des Wirbelauges herausfinden, die gefährlichen Grenzzonen abtasten und einen Sturz auf Leben oder Tod wagen.
Die geistige Anstrengung zählte allerdings kaum. Hinter ihr stand schlicht und sauber der Raumtod.
Er besaß zwei Gesichter, und beide waren wenig erfreulich. Der rasende Ansturm der Korpuskeln konnte das atomare Gefüge der Außenhaut des Raumschiffs zerstören, denn er wirkte wie der Neutronenhagel eines riesigen Kosmotrons auf die Substanz. Dabei genügte ein lokaler Schaden, um die ganze Außenhaut aufreißen zu lassen und das Raumschiff in wirbelnde Fetzen zu verwandeln.
Das andere Gesicht sah friedlicher aus, war aber tückischer. Es genügte, dass die Strahlung durch das Raumschiff hindurchschlug, ohne es zu zerstören. Die Materie widerstand ihr vielleicht, aber der Mensch nicht. Eine verhältnismäßig kurze Bestrahlung mit wenig Einheiten genügte, um ihn unheilbar krank zu machen oder zu töten, und der Tod war dem qualvollen Leiden vorzuziehen. Was dort draußen heranstürmte, überschritt hundertfach das, was einem lebenden Organismus zugemutet werden konnte.
Raumfahrer brauchten gute Nerven. In der nächsten Sekunde konnte das Raumschiff zerreißen. In der nächsten Sekunde konnte die höllische Strahlung durchschlagen und sich brandig in jede Zelle hineinfressen.
Der Tod lag unmittelbar auf der Haut.
Mark Tolins wusste es, aber er behielt es in einer Schublade, in der es keinen Schaden anrichten konnte. Er besaß eiserne Nerven.
Die anderen Männer wussten es auch und behielten sich ebenfalls in der Hand. Die Mitglieder der Besatzung blieben wie klebende Maden an ihren Instrumenten und zeigten keine Unruhe. Die Männer von der Erde standen verstreut herum, beobachteten Instrumente und wirkten nicht interessierter als Besucher eines Rummelplatzes, die das knarrende Rad einer Glücksbude beobachten.
Da kam die Schwelle heran. Kermic sprach hastiger. Die kritischen Werte schnellten jäh in die Höhe. Mark Tolins reagierte, bevor er sie noch alle gehört hatte. Kermic gehorchte wie ein Automat.
Der Kommandant und seine beiden Offiziere ruckten. Der Kommandant zischelte wütend auf Kermic ein. Kermic drehte für Sekunden durch. Mark Tolins riss ihn an sich heran. Man brauchte ihm nicht erst zu übersetzen, was der Kommandant zu sagen hatte.
»Reißen Sie sich zusammen!«, fuhr er Kermic an. »Wenn Sie ausfallen, sind wir alle verloren. Der Kommandant soll schweigen. Sagen Sie ihm das. Wir müssen jetzt Höhe gewinnen, um über die Schwelle hinwegzukommen. Das ist sein Risiko, aber wir müssen es wagen. Sagen Sie ihm das auch, aber dann weiter. Ich brauche Sie.«
Kermic machte es kurz. Die Messwerte schnellten hoch.
Dann fielen sie jäh ab.
Sie hatten das Wirbelauge getroffen. Die Gefahr war vorüber, falls die Außenhaut standgehalten hatte.
Das Raumschiff stürzte wie ein Fahrstuhl.
Die Messwerte sanken weiter.
Kermic begriff, was das bedeutete. Er entspannte sich allmählich. In seinem Gesicht drückte sich etwas wie Anerkennung aus.
Biggy schlenderte mit den anderen heran. Er sah aus, als hätte er Honig gegessen.
»Geschafft, Mark?«
»Scheint so.«
»Du wirst es noch zu schätzen wissen, dass ich dein treuer Helfer bin. Man hat mir schon in früher Jugend aus dem Kaffeesatz heraus wahrgesagt, dass ich neunzig oder gar einundneunzig Jahre alt werde. In meiner Gesellschaft kann dir also nie was passieren. Ich frage mich nur, ob sich diese Zukunftsaussichten in Bohnenkaffee oder in Malzkaffee ausdrückten. Es wäre wichtig, das zu wissen, da es außergewöhnlichen Einfluss auf den Absatz von Kaffee in den Staaten haben könnte. Bei unserer Abhängigkeit von der Reklame ...«
»Schon gut, Biggy«, lächelte Mark Tolins. »Die müssen fürchterliche Angst ausgestanden haben.«
»Geschieht ihnen ganz recht.«
Mark Tolins winkte ab und konzentrierte sich auf Kermic, um dann weitere Anweisungen zu geben. Die Gefahr war vorüber, aber er hielt es für besser, am Kommando zu bleiben. Immerhin gehörte einige Erfahrung dazu, weiter unten aus der Strahlentrombe heraus in den Schutz der Strahlenhülle zu kommen. Und es war kaum ratsam, die Landung eines so großen Raumschiffes einem Mann anzuvertrauen, der die Verhältnisse an der Erdoberfläche nicht kannte.
»Titowskoje«, schlug Lubow listig vor, als hätte er die Überlegenheit Mark Tolins verfolgt. »Dort haben wir alles, was wir brauchen, und wenn wir die Bodenstellen rechtzeitig verständigen, können uns diese Leute keinen Streich spielen.«
»Sie sollten ihnen eine Rede halten«, empfahl Biggy. »Das hilft vielleicht auch. Natürlich verstehen sie kein Wort davon, aber das ist gerade das Beste. Je weniger man von einer Sprache versteht, desto fester glaubt man an sie.«
Lubow grinste stumm.
»Immerhin - was wird nun mit uns?«, bohrte Carring. »Haben Sie das schon mit den Leuten ausgemacht? Einsperren lasse ich mich nicht wieder. Wenn wir sie schon in Sicherheit bringen, dann ...«
»Sie nicht«, fing Biggy ab. »Sie haben bloß mit den Knien gewackelt.«
»Ich?!«, ging Carring hoch. »Das ist doch ...?«
»Wir sind noch nicht gelandet«, unterbrach Mark Tolins. »Aber vielleicht kann uns Kermic sagen, wie sich seine Leute die Zukunft denken.«
»Ich habe keine Zeit gehabt mit den anderen zu sprechen«, wich Kermic aus.
»Tun Sie das jetzt«, riet Mark Tolins. »Wir bleiben in der nächsten Viertelstunde im lotrechten Fall.«
Kermic nickte, wechselte einige Worte mit dem Kommandanten und verließ den Raum.
Der Kommandant sprach anschließend mit irgendwelchen Mikrophonpartnern, ohne dass sich sagen ließ, ob sie sich in der Zentrale oder irgendwo befanden.