Читать книгу Held des Weltraums: Mark Tolins Band 1-17 - Die ganze Serie - W. W. Shols - Страница 37
ОглавлениеDer Tote ohne Denkkapsel
Der FD 96 der Canadian Railways heulte wie ein getretenes Urwelttier mit seiner Dampfpfeife in die Nacht hinein, während er in rasender Fahrt wie eine lichtgesprenkelte Schlange durch die Nacht glitt und Block 17 passierte.
Lang - kurz - lang!
John Madwig, der Blockwärter von Block 17, streckte sich aufmerksam, als er das Signal hörte. Es bedeutete, dass irgendetwas auf der Strecke nicht in Ordnung war. Irgendetwas zwischen Block 16 und 17 war dem Lokführer aufgefallen, nichts Gefährliches, was den Betrieb ernsthaft störte, aber doch etwas, das eine Kontrolle verlangte.
Nachdem der letzte Wagen an John Madwig vorbei war, gab er den Block frei und rief dann Charly Treeves an. Er holte ihn aus dem Schlaf, aber Charly Treeves war nun einmal der zuständige Streckenwärter, der für die dreißig Kilometer seines Abschnitts verantwortlich war.
Charly fand das denn auch ganz in Ordnung. Er brummte herum, versprach aber, sich schnellstens in seine Draisine zu setzen und die Strecke abzufahren.
John Madwig sah ihn eine knappe halbe Stunde später an Block 17 vorbeifahren. Sie winkten sich kurz zu. Der Motor der Draisine spuckte und zischte wie gewöhnlich wie eine wütende alte Frau ohne Zähne.
Die Stunde war günstig. Die Strecke blieb fast zwei Stunden frei, bevor der erste Morgenzug durchkam. Charly Treeves hatte genügend Zeit, nach dem Rechten zu sehen, ganz abgesehen davon, dass er den Fahrplan kannte und seine Draisine jederzeit vom Gleis kippen konnte.
Trotzdem sperrte John Madwig selbstverständlich den Block, wie es Vorschrift war, und verständigte Block 16.
Eine Stunde verging.
Der Streckenwärter kam nicht zurück.
John Madwig wurde unruhig. Er rief Block 16 an. Dort hatte sich Charly Treeves auch nicht gemeldet.
Noch eine halbe Stunde.
Nichts von Charly!
Die Sekunden klickten an der elektrischen Dienstuhr. Die Minuten verstrichen. John Madwig fühlte sich immer unbehaglicher. Der Eilgüterzug mit seinen hundert Achsen oder mehr rollte unaufhaltsam näher.
Block 16 rief an. Kollege Brickles schwitzte erst recht. Er hatte den E 17 noch dichter auf dem Nacken. Man stoppt nicht ohne Not einen schwer beladenen Hundertachser. Das macht die Lokführer sauer und wichtigere Leute über ihnen erst recht.
Was ist mit Charly? Treibt er sich immer noch im Block herum? Holt ihn heraus, verdammt noch mal! Warum meldet er sich nicht? Schließlich hat er sogar Streckentelefon auf halber Blocklänge.
John Madwig kannte sich auch nicht aus. Er durfte seinen Block so wenig verlassen wie Kollege Brickles. Aber er durfte auch nicht einfach dasitzen und die Daumen drehen.
Er holte seinen Jungen aus dem Bett. Harry war erst vierzehn Jahre alt, zählte aber schon. Er hatte genug im Kopf und in den Beinen.
Harry war denn auch nicht böse. Für ihn war es ein Abenteuer, im ersten Morgengrauen die Strecke abzulaufen. Sieben Kilometer zwischen den Blöcken, und wahrscheinlich hing Charly irgendwo auf halber Strecke. Vielleicht hatte er sich etwas gebrochen oder sonst einen Unfall gehabt.
Harry lief los. nachdem ihm seine Mutter noch schnell ein Brot in die Hand gedrückt hatte.
John Madwig telefonierte inzwischen bereits mit der Betriebsleitung. Der Betriebsassistent vom Nachtdienst versprach, alles Nötige zu veranlassen. Viel war das nicht. Die Strecke lag nicht in Europa oder in den Industriegebieten der Staaten. Sie führte durch, weites, ziemlich leeres Land. Der nächste Bahnhof lag gut zwanzig Kilometer von dem einsamen Häuschen entfernt, in dem John Madwig mit seiner Familie wohnte, und der Bahnhof gehörte zu einem Ort, den nur ganz Verwegene als Kleinstadt bezeichneten.
Sie konnten nicht einmal eine Lokomotive losschicken. Wenn sie wirklich eine frei hatten, musste sie erst unter Dampf gebracht werden, und das dauerte seine Zeit. Sie hatten nur die Wahl zwischen einer Draisine oder einem Auto plus längerem Fußmarsch. Wahrscheinlich entschieden sie sich für die Draisine, aber diese würde auch nicht von allein losfahren, sondern abwarten, bis ein paar zuständige Leute aus dem Schlaf geholt worden waren.
Und E 17 rollte schon eifrig auf Block 16 zu, und gleich hinter ihm kam der übliche Frühverkehr. Schönes Durcheinander, wenn die Strecke blockiert blieb!
Das Telefon rasselte.
Harry am Streckentelefon. Der Junge musste die ganze Strecke im Dauerlauf zurückgelegt haben.
Seine Stimme klang dick und heiser, als hätte er einen Kloß in der Kehle, aber er wusste, was er sagte. Er wusste sogar, worauf es ankam. Schließlich war er im Block geboren und groß geworden.
»Ich habe die Draisine gefunden, Dad«, sagte er. »Ich habe sie aus dem Gleis gekippt. Die Strecke ist frei, soweit ich sehen kann. Gib Onkel Brickles Bescheid, er soll dem Lokführer von E 17 einen schriftlichen Fahrbefehl geben und ihn langsam in den Block einfahren lassen. Und vergiss nicht, die Fahrdienstleitung aus der Strecke zu werfen, falls jemand mit der Draisine kommt.«
»Gut, Harry«, antwortete John Madwig und hatte dabei ebenfalls einen Kloß in der Kehle, weil er stolz auf seinen Jungen war. »Erinnere mich gelegentlich daran, dass du bei mir etwas gut hast. Was ist mit Treeves?«
»Ich habe ihn noch nicht gefunden, Dad, aber dafür etwas anderes. Der FD 96 hat jemand überfahren.«
»Was?«
»Doch. Er - nun, er sieht nicht gut aus. Und es ist etwas Verrücktes dabei. Er hat bloß einen halben Kopf, und bestimmt nicht vom Überfahren. Und der Kopf ist leer.«
»Harry!«
»Doch, Dad«, würgte der Junge. »Aber du musst jetzt erst Onkel Brickles Bescheid geben. Ich bleibe hier. Rufe mich dann an, wenn du wieder frei bist.«
»Gut, Harry. Und was immer auch ist - halte den Nacken steif!«
»Sicher, Dad!«
Harry Madwig hielt den Nacken steif, aber er brauchte seinen ganzen Stolz dazu. So leicht war es nicht, im Morgengrauen allein zwischen Streckentelefon und Gleisschotter zu stehen, als ob es sonst keine Menschenseele auf der Welt gäbe, in Sichtweite eine umgekippte Draisine und einen Unbekannten, dessen Skalp fehlte und dessen Denkapparat nicht vorhanden war, als wäre er kunstvoll herausoperiert worden.
Nein, so leicht war das nicht.