Читать книгу Held des Weltraums: Mark Tolins Band 1-17 - Die ganze Serie - W. W. Shols - Страница 35
ОглавлениеDas Eierteig-Männchen
Der Fremde kam ihr auf Anhieb nicht geheuer vor.
Rosy Coliflower saß seit dreißig Jahren in ihrem Obst- und Gemüseladen an der Ecke Lincoln- und Graham-Street und war deshalb sicher, dass sie die Welt inwendig und auswendig kannte. Sie sah es denn auch auf den ersten Blick, dass der Fremde nicht zu Harristown gehörte.
Rosy Coliflower war keine gewöhnliche Gemüsefrau. Sie trug seit dreißig Jahren unter der Schürze ein grauseidenes Kleid mit weißem Besatz, das bei einer Abendgesellschaft angebracht gewesen wäre, und dazu einen zierlichen Hut aus gelbem Stroh und roten Rosen, den man auch nicht gerade auf dem Kopf einer Gemüsefrau erwartete. Diese Aufmachung hatte vor dreißig Jahren genügend Aufsehen erregt, um ihr eine umfangreiche Kundschaft zu sichern, und war im Laufe der Zeit zu einer Sehenswürdigkeit von Harristown gediehen. Es war durchaus üblich, auswärtige Besucher besichtigungshalber zu Rosy Coliflower zu führen. Jetzt war sie geradezu eine Institution oder ein Denkmal.
Daran lag es sicher, dass die Stadtverwaltung sämtliche Augen zudrückte, als Rosy Coliflower ihren kleinen Laden dadurch erweiterte, dass sie ihre Stände, Kisten und Körbe auf die Straße hinaussetzte und nur einen schmalen Durchgang für die Passanten frei ließ. Dafür musste Rosy jetzt die Augen offen halten. Die erzwungene Tuchfühlung mit Äpfeln. Birnen, Pfirsichen oder Trauben enthielt Versuchungen, denen vor allem die Jungen nicht immer widerstehen konnten. Eine Zeitlang machten sie sich sogar einen Sport daraus, mit den scharfen Augen Rosys zu konkurrieren. Sie schlössen Wetten ab, wer unbemerkt einen Apfel oder eine Banane mausen könnte, und trieben sich dann in den benachbarten Hauseingängen herum, während einer von ihnen wie ein todesmutiger Gladiator durch den Obstpfad wandelte - diese Lausejungen!
Wie gesagt - der Fremde kam ihr nicht geheuer vor. Rosy besaß immer noch scharfe Augen, wenn auch mit Brille, und was sie sah, gefiel ihr nicht. Sie hatte nichts gegen Fremde, denn sie besaß einen fortschrittlichen Charakter, der sich auf die Zeichen der Zeit verstand, aber natürlich musste alles im Rahmen bleiben.
Im Anfang waren es nur sein Gang und seine Bewegungen, die ihr missfielen. Er ging schleichend wie auf rohen Eiern, ohne die Füße merklich zu heben. Trotzdem wirkte sich die vorsichtige Bewegung auf den ganzen Körper aus, und zwar so, als würde ein Pudding angestoßen. Es lag etwas Wabbelndes in seinen Bewegungen, als ob er keine festen Knochen und keine straffen Gelenke hätte.
Als er näher kam, missbilligte sie seine Aufmachung. Er war höchstens hundertsechzig groß, trug aber einen Anzug, der mindestens zehn Zentimeter mehr verlangte. Der Anzug - dunkelblau mit weißen Streifen - war an jeder Stelle zu weit, und die Hosen so lang, dass sie sich in Falten stauten. Nur der weiche Hut passte.
Als er den ersten Apfelkorb - ausgelesene Cox orange, die angegangenen Stellen nach unten gedreht - erreichte, erschrak Rosy Coliflower ernstlich. Er hatte eine gelbliche Haut, aber er war kein Chinese. Das eigentümlich tote Gelb erweckte den Eindruck, als befände sich unter der Haut kein lebendes Fleisch, sondern eine Eierteigmasse. Rosy dachte unwillkürlich an Nudeln, Makkaroni und Spaghetti - mit reinen Eiern zubereitet natürlich. Sie hatte nichts gegen Eierteigware, aber sie fand es doch etwas unheimlich, dass ein Mensch so aussah.
Als er vor der flachen Holzkiste mit der Petersilie stehen blieb, traf die schon tief stehende Sonne von der Graham-Street her sein Gesicht und hob es aus der Dämmerung heraus. Von diesem Augenblick an gruselte es die stadtbekannte Gemüsefrau Rosy Coliflower. Zwei Dinge fielen ihr auf. Das eine war ein kleiner Mund mit auffallend dicken Lippen, der schmollende Mund eines Babys in einem Gesicht, das sonst eher alt als jung wirkte. Das zweite waren die Augen, riesige, starre Eulenaugen mit großen Pupillen, in denen es dunkelrot aufglühte. Die Augen waren doppelt so groß wie bei anderen Menschen, und sie lagen in glatten Höhlen ohne Lider.
Rosy Coliflower versuchte, damit fertig zu werden, ohne zu schreien, aber das Schicksal war schon dabei, sie noch stärker zu beuteln.
Der Fremde begnügte sich nicht damit, vor der Petersilie stehen zu bleiben. Er sah sich verstohlen nach allen Seiten um. Als er die Straße leer fand - Rosy saß in der Ecktür und zog rechtzeitig dien Kopf zurück -, griff er zu und stopfte sich ein Bündel Petersilie in den Mund. Er kaute und schluckte, dann holte er sich eine ganze Handvoll Petersilie heraus und stopfte sie in seinen Babymund hinein, so schnell es nur ging.
Rosy vergaß fast, zu atmen. Was sie beobachtete, ging weit über ihre Hutschnur und ihre Erfahrung hinaus. Ein Petersilienfresser!
Es kam noch schlimmer. Jetzt griff der Fremde in den Spankorb mit den jungen Champignons hinein. Er brachte eine Handvoll heraus und stopfte sie sich ebenfalls in den Mund. Die Champignons waren nicht einmal gewaschen, aber sie schienen ihm trotzdem zu schmecken, denn er griff zum zweiten Mal zu.
Das war zuviel. Petersilie kostete nicht viel, aber junge Champignons waren in dieser Jahreszeit eine seltene und teure Delikatesse. Zwei Dollar das Pfund! Und dieser eulenäugige Eierteigmann stopfte sie einfach in sich hinein!
Rosy stieß einen unartikulierten Laut berechtigter Empörung heraus und stand auf.
Der Fremde bemerkte sie und erschrak.
Im nächsten Augenblick nahm er den Champignonkorb beim Henkel, hob ihn aus der Stellage heraus und lief mit ihm davon, die Graham-Street hinunter. Bei seinen wabbelnden Bewegungen sah das aus, als hätte ein Pudding Füße bekommen.
Rosy Coliflower schrie hinter ihm her. Anfänglich reichte es nur zu Alarmrufen, aber dann fielen ihr nacheinander sämtliche Schimpfworte ein, die sich im Laufe der letzten dreißig Jahre in ihr angesammelt hatten.
Die drei Männer, die zufällig die Graham-Street heraufkamen, begriffen jedenfalls und stellten sich dem Champignondieb in den Weg. Und nun geschah etwas, was selbst Rosy die Sprache verschlug.
Der Fremde sprang über die Männer hinweg. Er segelte mit dem Korb in der Hand über ihre Köpfe, ohne sich anzustrengen, kam auf der anderen Seite wieder herunter wie ein weicher Ball, federte wieder schräg nach oben und brachte die nächsten zwanzig Meter mit einem weichen Rekordsprung hinter sich, federte wieder weg und verschwand an der nächsten Straßenecke.
Einschließlich Champignonkorb!