Читать книгу Münchner Feigheit - W.A. Riegerhof - Страница 13

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Stets geheimnisvoll umschrieben, mit Begriffen, wie sie Kinder in Abzählreimen wohl verwenden; märchenhaft andeutend im Beginn, alptraumhaft für viele in ihrer Endphase.

Zu diesem Zeitpunkt ahnte Paul Lindner nicht, dass er die Märchenwelt des Schnees, inkludiert der Alpträume, bald inniger und nachhaltiger erfahren, jene Sprache fließender beherrschen würde, als ihm Fred bei seiner Ankunft darbot.

Die Mechanik seiner Naivität hatte ihn bisher von Drogen absorbiert, noch war er der Provinzdroge Alkohol verfallen. Er trank zuweilen über den Grad des Erträglichen, aber konnte durchaus wie ein Schichtarbeiter bis zum Wochenende ohne Alk auskommen.

Selbst Wien, gerade Wien gefährdete Paul Lindner diesbezüglich nicht. Die dunklen, urinierten Ecken des Praters fand er genauso abschreckend wie die versifften Toiletten im U4. Paul Lindner hatte das Bukowski-Zitat verinnerlicht: Style is the difference!

Jene Drogenumschlagplätze Wiens entsprachen dem Dreckversteck, den Schattenplätzen, die er nicht in seiner naiven Lebensplanung notiert hatte. Paul Lindner suchte nach Licht, nach Style, nach sich: der Schatten Wiens schüttelte ihn ab, warf ihn nach München.

Fred schlief 12 Stunden, schlief einen Tiefschlaf wie ein Bergarbeiter nach harter Schicht.

Sein Körper schüttelte sich wie von Stromschlägen durchzuckt, die Zähne knirschten und die Zunge kämpfte mit den ausgetrockneten Schleimhäuten. Fred schien schonungslose Nächte hinter sich zu haben, so ausgelaugt zappelte sein Körper im Schlafnetz.

In dieser Zeit versuchte Paul Lindner, sich zu sortieren, die Geschehnisse zu sortieren bzw. zu eruieren, welche Sortierung zwischen Abschied und Ankunft das Leben mit ihm augenscheinlich vornahm.

Erst versuchte er, das Chaos etwas aufzuräumen, nicht weil er ein besonders ordnungsliebender Mensch war, sondern weil ihn die Unordnung verunsicherte, irgendwie bedrohte. Er legte auch den Telefonhörer unzählige Male auf die Gabel, aber sofort schrillte er aufdringlich vor sich hin, also ließ er der Ruhe ihren Raum und legte den Hörer wieder neben Fred schlafen. Fred schien ein gefragter Mann zu sein, denn auch die Türklingel läutete ab und an zwischen Mitternacht und fünf Uhr früh.

Wann holte sich diese Stadt den Schlaf?, dachte er sich. Aufgewühlt, wie vom Jetlag befallen, geisterte Paul Lindner durch Freds Apartment. Dabei war seine neue Wahlheimat gerade mal 350 km von Daheim entfernt. Dieselbe Zeit, dieselbe Sprache und doch eine gänzlich andere Zeit tickte hier, eine gänzlich andere Sprache sprach diese Stadt. Ihre Nächte hatten Sprechzeit; Paul Lindner legte sein Ohr an seine erste Nacht in dieser Stadt und lauschte der Geräuschkulisse Münchens am Balkon der Fraunhoferstrasse 23F. Das Rattern der nahe gelegenen Straßenbahn hatte etwas Beruhigendes, hatte etwas von beruhigender Bürgerlichkeit und nahm der Stadt etwas Unruhe, etwas Schnelligkeit; so was mochte Paul Lindner.

Während drinnen Fred, wie von einer Elefantenbüchse niedergestreckt, schlief.

Paul Lindner döste im Halbschlaf einige Stunden auf dem Balkon; mehr Schlaf war unter diesen Umständen auch nicht möglich, denn das Stadtleben erwachte, die Geräusche wurden schriller, je heller es wurde. Ohne sie zu sehen, spürte er die Schwemme an Menschen, die sich zwischen den Häusern durch die Straßen drückten. Die Fremde fühlte sich an diesem ersten Morgen seltsam und sehr einsam an und Paul Lindner war sichtlich erleichtert, als Fred plötzlich wie von den Toten auferstanden mit einer Zigarette am Balkon war. Fred grinste: Alter, lass dich schütteln, hab` ich etwa geschlafen, Paulchen?

Freds bekannte Lockerheit war wohltuend und wischte alle Nachdenklichkeit aus Paul Lindners Gedankenwelt. Er bewunderte ihn schon immer ob dieser Leichtigkeit des Seins und staunte erst recht, wie schnell seine niedergestreckte Physis wieder zu Kräften kam.

Auf geht’s Landsmann, jetzt zeig ich dir das beste Frühstück von München!, sagte Fred, ehe Paul Lindner überhaupt zu Wort kam.

Münchner Feigheit

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