Читать книгу Münchner Feigheit - W.A. Riegerhof - Страница 14
Zwischen Sektbar und Salatköpfen
ОглавлениеDer erste Weg führte die beiden zum nahe gelegenen Viktualienmarkt. Ein Jahrmarkt gegensätzlicher Eitelkeiten, wie Paul Lindner sofort registrierte. Man stand an der Nymphenburger Sektbar und schaute auf Kartoffeln und Salatköpfe. Fred schien sich gut in München etabliert zu haben, so oft schüttelte er irgendwem die Hand und grinste unter seiner schwarzen Sonnenbrille hervor. Nach einer Flasche Sekt als Frühstück ging`s dann endlich wirklich zum Kaffee ins Café Frischhut. Ein Café, wo Frühaufsteher ihren ersten Milchkaffee und Nachtlichter wie Fred ihren letzten Milchkaffee tranken. Und Fred hatte nicht zu viel versprochen, der Milchkaffee und die Schmalznudeln, eine bayrische Spezialität, waren ein Gedicht. Überhaupt, die Bruchstücke von München, die er bisher kennengelernt hatte, und die Gläser Sekt lösten eine Begeisterung und ein seltenes Wohlgefühl in Paul Lindner aus. Das bunte Nebeneinander gefiel ihm, die Buntheit Münchens gefiel ihm, wie die Buntstifte einem Schüler am ersten Schultag gefallen;
nicht wissend, dass man auch damit ein „Nicht genügend“ schreiben konnte.
München schien die richtige Stadt zu sein, eine Stadt des Leben-und-leben-lassens.
Nichts gemein mit den Straßen Wiens, die jeden Tag wirkten, als warteten sie auf ein Habsburger Begräbnis in aller Dunkelheit herausgeputzt in der Hoffnung auf das alltägliche Sterben.
München gab Paul Lindner wieder die Farbe zurück, die ihn lebendig machte, dessen war er sich nun sicher, als Fred vorschlug, das Frühstück zur Feier des Tages auszudehnen und nochmals an die Sektbar am Viktualienmarkt zurückzukehren.
Diese Verweildauer in den Zwischenräumen, die Gegensätzlichkeit von Nymphenburger Sektbar und Salatköpfen aus dem Dachauer Hinterland, die den Viktualienmarkt anscheinend prägte, behagte Paul Lindner vom ersten Augenblick. Der Weg wider der Vernunft, der dem Provinzmenschen so fern erscheint, war eine der Ursachen seiner Landflucht, nicht das Land an sich. Jene leichte Lebensart in all ihrer Tiefe, nicht die tiefe Lebensart in ihrer Provinzschwere, mit ihrer Lebensmut abschneidenden Provinzschere.
Kaum 24 Stunden waren in München vergangen und Paul Lindner hatte bereits bunteste Facetten dieser vermeintlichen Leichtigkeit und Tiefe erfahren. Und all seine jugendliche Naivität wollte mehr davon, seine noch anhaftende Provinzschwere wollte mehr davon, vor allem sein Lebenshunger wollte mehr von dieser Münchner Luftigkeit.
Sein Freund Fred hatte den Schlüssel zu dieser Luftigkeit und Paul Lindner freute sich schon beinahe weihnachtlich, als er vernahm, dass Fred am Abend eine kleine Willkommensfeier organisiert hatte. Paulchen mal stadtfein machen, wie es Fred in seiner Art zu sagen pflegte.