Читать книгу Münchner Feigheit - W.A. Riegerhof - Страница 19

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Entweder er hatte die falschen Erwartungen oder der Sekt am Viktualienmarkt hatte ihn zu sehr aufgeputscht?

Aber als nach 22 Uhr immer noch kein Gast kam, formten seine Gesichtszüge wieder jene Enttäuschungsmaske, wie er sie allzu oft auf dem Lande mit sich herumtrug, wenn wieder mal eine Feier so gar nicht mit seiner Erwartungslust übereintraf. Fred sah es ihm deutlich an, drehte eine Zigarette am Balkon und meinte nur trocken: After Midnight, we`re gonna let it all hang out, Paulchen!

Und Fred sollte wieder mal recht behalten. Denn kurz nach Mitternacht brach eine Welle über Freds Wohndomizil herein, spülte an die 100 Gäste in die Fraunhofer 23F.

Anfangs versuchte man noch, die Eingangstür hin und wieder zu schließen, bis die Tür einfach ausgehängt und als Tisch umfunktioniert wurde. Ab diesem Augenblick ahnte Paul Lindner, dass dieser Abend nichts mit einer gemütlichen Afterworkparty zu tun hatte, sich vielmehr ein trunkener Wespenschwarm auf der Suche nach nächtlicher Süße über Freds Wohnung niederließ.

Alle schienen, sich in einer Art Geheimsprache zu unterhalten.

Eine Kommunikation, die Paul Lindner vorerst verschlossen blieb. Er verstand kaum ein Wort, Worthülsen, die für ihn keinerlei Bedeutung ergaben. Das Gesprochene war unwesentlich, im Unausgesprochenen lag der Reiz. Paul Lindner war Zeuge einer Konversation in seltsam klingender Fabelsprache. Mit Fabelsprechenden, die alle dasselbe Ziel kannten, alle dasselbe Ziel wünschten und alle dasselbe Ziel reizte. Alle Wespen wollten ihren Stachel mit verbotenen Opiaten vollsaugen. Dieses verlockende Geheimnis verband sie, verschwor sie in einer Fabelsprache und kettete sie an ein gemeinsames Schicksal, ein Schicksal zwischen Höhenflügen und Abstürzen. Das Wespenvolk berauschte sich, als währte ihre Lebensdauer einen einzigen Sommer, eine einzige Nacht, einen einzigen Genuss lang. Sie bauten in dieser Nacht ihr Nest in der Fraunhofer 23F, beheimateten sich und Fred war ihre Königin.

Artfremde hatten keinen Zugang, ihr Gift würde sie lähmen und sofort schmerzhaft vertreiben. Fred, die Königin, hatte Paul Lindner ins Nest geholt; und die Tatsache allein adelte ihn und verlieh ihm das Zeichen, einer von ihnen zu sein.

Paul Lindner legte in dieser Nacht erstmals die scharfe Klinge an sich. Der weiße Stachel drang tief in seine Persönlichkeit. Er verspürte erstmals die Wohltat seiner betäubten Schleimhäute, die Wohltat seiner betäubten Unsicherheit und vernahm erstmals eine neuartige Hellhörigkeit der Sinne. Seiner provinziellen Unwesentlichkeit verlieh dieser Einschnitt Wesentlichkeit und ein bis dato unbekanntes Kopf-hoch-Gefühl.

Die Worte teilten sich leichter, klarer, treffender mit. In diesen Augenblicken entsagte er sich erstmals seiner kleinbürgerlichen Vergangenheit und fühlte sich gegenwärtig, bodenständig und abgehoben zugleich, wie niemals in seinem Dasein zuvor.

Münchner Feigheit

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