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ОглавлениеVorwort
Das letzte Buch des Neuen Testaments, die Offenbarung des Johannes, gehört zu den spannendsten und für viele Menschen auch geheimnisvollsten Büchern der Bibel. Ein Buch mit sieben Siegeln?
Als ich 2014 begann, mich damit intensiv zu beschäftigen, erlebten wir gerade aus der sicheren Ferne in Deutschland die Euromaidan-Proteste in der Ukraine mit. Als ich drei Jahre später im Neuen Jerusalem angekommen war, wurde Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten gewählt. Und jedes Mal (wie auch immer wieder zwischendurch) dachte ich: Es ist wirklich an der Zeit, sich die Bilderwelt der Offenbarung neu anzueignen.
Wir haben uns im Nachkriegseuropa lange die Illusion geleistet, dass es zunehmende Stabilität in der Welt geben würde. Es zeigt sich jetzt, dass das überhaupt nicht garantiert ist. Und von der Offenbarung her ist das auch gar nicht anders zu erwarten. Sie beschreibt die Welt als einen Ort, der erschüttert wird vom Konflikt zweier unvereinbarer Typen von Macht. Dieser Gegensatz ist spätestens bei Jesus klar zu Tage getreten. Die Konflikte, die er provozierte und durchlitt, haben sich seither globalisiert und erschüttern nun in unterschiedlichen Gestalten die ganze Welt.
In den Bildern und Szenarien der Offenbarung ist das vorweggenommen. Man darf sie nur nicht als Drehbuch eines Weltuntergangs-Blockbusters missverstehen. Stattdessen deckt der Seher Johannes den verborgenen Rahmen auf, in dem christliche Existenz bis heute gelebt wird. Er legt das Gelände frei, auf dem wir – Christen wie Nichtchristen – uns seit Jesus bewegen. Und er verwendet dazu Bilder und Geschichten, die nicht nur nach 2000 Jahren noch zugänglich sind, sondern die uns heute möglicherweise näher sein können als den ersten Adressaten dieser Schrift.
Vom letzten Buch der Bibel aus fiel für mich dann auch neues Licht auf die anderen Teile des Neuen (und auch des Alten) Testaments. Wenn wir die Reihenfolge der biblischen Bücher ernst nehmen, dann ist die Offenbarung der zusammenfassende Abschluss, der uns (gemeinsam mit der Schöpfungsgeschichte am Anfang) den Rahmen zur Lektüre der ganzen Schrift gibt. Und tatsächlich treffen ja viele biblische Traditionslinien in der Offenbarung wieder zusammen. Vom Paradiesgarten am Anfang zum Neuen Jerusalem am Ende – das ist der Horizont, in dem wir die biblischen Schriften lesen und unser eigenes Christenleben führen sollen. Dass so kein Raum für ein individualistisches oder privates Christentum bleibt, wird hoffentlich deutlich werden.
Im Lauf meiner Beschäftigung mit der Offenbarung stieß ich darauf, dass dieses Buch in vielen Epochen der Kirchengeschichte eine wesentlich wichtigere Rolle gespielt hat, als einem nach einem durchschnittlichen Theologiestudium bewusst ist. Beispielsweise finden sich in der Sprache und Gedankenwelt Luthers sehr deutliche Spuren der Offenbarung. Da ist er dem gemäßigten, »nüchternen« Christentum der bürgerlichen Neuzeit sehr fremd.
Vielleicht ist aus dem Bisherigen schon klar geworden, dass dieses Buch keine wissenschaftliche Abhandlung ist. Soweit es mir neben der Gemeindearbeit möglich war, habe ich Rat bei Kommentaren und in der Literatur gesucht, ohne irgendeine Vollständigkeit anzustreben. Aber oft blieb ich dabei ratlos und manchmal verwundert zurück. Ausgerechnet der für Laien geschriebene Kommentar des englischen Neutestamentlers N.T. Wright (Nicholas Thomas Wright: Revelation for everyone, SPCK Publishing 2011) blieb mir ein zuverlässiger und inspirierender Begleiter.
Mindestens so eindringliche Kommentare waren die Ereignisse der Zeitgeschichte. Der Krieg in der Ostukraine und die Putin’sche Annexion der Krim, der immer grausamere syrische Bürgerkrieg, der Aufstieg von »Islamischem Staat« und AfD – diese und viele andere Ereignisse waren bei der Beschäftigung mit den biblischen Texten im Hintergrund, manchmal auch im Vordergrund.
Am Ende war es vor allem das weltweite Erstarken eines neuen Autoritarismus nationalistischer und islamistischer Prägung, der mir ein Schlüssel zur Offenbarung wurde – und umgekehrt. Im Blick auf diese neue ideologische Großwetterlage ist gerade die Offenbarung eine äußerst hilfreiche Orientierung. Die unverblümte Vergötzung der Macht und des kollektiven Egoismus, die sich jetzt wieder in der Mitte der Gesellschaft ausbreiten möchte, kann nur als Kampfansage an die versprengten Spuren des christlichen Impulses in den westlichen Traditionen verstanden werden. Es wird Zeit, dass diese prophetische Energie endlich wieder zueinander und zu ihrer Quelle zurückfindet. Dazu ist die Offenbarung an den Seher Johannes eine machtvolle Orientierung.
Der Abdruck des Bibeltextes hätte den Rahmen des Buches gesprengt. Allerdings empfehle ich ausdrücklich, den Text der Offenbarung immer hinzuzuziehen. Als Übersetzung würde ich die neue katholische Einheitsübersetzung von 2017 empfehlen, weil sie mir als guter Kompromiss zwischen Verständlichkeit und Texttreue erscheint. Darüber hinaus kann es durchaus interessant und sinnvoll sein, gelegentlich verschiedene Übersetzungen zu vergleichen. Der griechische Urtext hat eine eigene sprachliche Gestaltung und Dynamik, die sich im Deutschen nicht immer 1:1 wiedergeben lässt. Jede Übersetzung ist eben auch schon Auslegung.
Die intensive Beschäftigung mit der Johannes-Offenbarung hat auch konkrete Früchte für meine Arbeit in der Kirchengemeinde mit sich gebracht: Ab 2014 habe ich fortlaufend über dieses faszinierende Buch gepredigt – nicht über ausgewählte Stellen, sondern über den gesamten Text. Das war die Grundlage für dieses Buch.
Ich danke den Menschen in unserer Kirchengemeinde, gelegen in der norddeutschen Tiefebene zwischen Hannover und Braunschweig, für die Geduld und das Interesse, mit dem sie sich bei verschiedenen Gelegenheiten auf eine Entdeckungsreise durch diese doch weniger vertraute Schrift eingelassen haben. Ihr Interesse und ihr Mitdenken haben mich immer wieder motiviert, den Weg durch die Johannesoffenbarung fortzusetzen. Die freundliche Ermutigung des Koordinationskreises von Emergent Deutschland hat dazu beigetragen, den Weg zu einer Veröffentlichung zu beschreiten. Auch dafür herzlichen Dank.
Groß Ilsede, Weihnachten 2017
Walter Faerber