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2 Jesus in echt (1,9-20)

Diese Passage erinnert an die Geschichte von der Verklärung Jesu (Matthäus 17,1-9). Damals ist Jesus schon vor seinem Tod und seiner Auferstehung für einen Augenblick in himmlischem Glanz sichtbar geworden. Die drei Jünger, mit denen er am engsten zusammen war, durften dabei sein, als der Vorhang für einen Augenblick weggezogen wurde und er in seiner Herrlichkeit, in seiner göttlichen Strahlkraft zu sehen war.

Die verborgene Seite Jesu

Der Seher Johannes hat nun eine Begegnung mit Jesus, die so ähnlich ist wie dieser eine Moment auf dem Berg. Aber es ist, als ob er etwas mehr Zeit hatte, um genau hinzuschauen und Details zu sehen. Er beschreibt eine leuchtende Gestalt voller Macht. Mitten in der Einöde seiner Verbannung, weit weg von seiner Heimat, begegnet ihm Jesus in seiner echten Gestalt. Oder sagen wir: Er lässt so viel von seiner echten Gestalt sehen, dass es Johannes gerade noch ertragen kann. Und das ist Programm für alles, was folgt: Die wahre, tiefe Bedeutung der »normalen« irdischen Praxis von Jesus, aber auch von Menschen und Gemeinden der christlichen Bewegung soll sichtbar werden. Gemeinsam mit Jesus sind sie Teil einer Geschichte, deren wahre Tragweite mit dem normalen Blick nicht zu erfassen ist.

Johannes ist auf die Insel Patmos verbannt worden – den römischen Behörden gefiel es anscheinend nicht, dass er mit starker Wirkung über Jesus sprach. Andererseits hat man Johannes nicht gleich umgebracht, sondern ihn »nur« aus dem Verkehr gezogen. Es war eine Zeit, in der es noch keine einheitliche Haltung des Imperiums zu den Christen gab. Sie wurden noch nicht als Staatsfeinde angesehen, aber irgendwie hatte die Obrigkeit schon das Gefühl, dass sich da etwas ausbreitete, was schwer einzuschätzen war: harmlos oder gefährlich?

Besonders in den östlichen Teilen des Reiches verbreitete sich damals der Kaiserkult. Dass die Juden dabei nicht mitmachten, war klar. Aber dass es nun eine Bewegung gab, durch die auch andere von der imperialen Religion ferngehalten wurden, das konnte den Vertretern des Imperiums nicht gefallen.

Eine Vision mit Wurzeln im Alten Testament

Johannes hört hinter sich eine laute Stimme, die ihn auffordert, sich jetzt alles genau zu merken, es aufzuschreiben und an sieben Gemeinden in Kleinasien zu schicken. Er dreht sich um und sieht ein überwältigendes Bild: sieben golden glänzende Leuchter und dazwischen eine hell strahlende menschliche Gestalt, ein Mensch wie ein Feuer. Alles an ihm ist hell. Sein Gewand, seine Haare, sogar seine Füße glänzen. Seine Augen sind wie Flammen. Und wenn er redet, dann ist es, als ob man direkt an der Küste steht, wo die großen Wellen ans Land branden.

Wenn man genau hinschaut, dann merkt man, dass das keine willkürlich erfundenen Bilder sind (so wie sich irgendwer mal die Zahnfee ausgedacht hat). Es sind Weiterentwicklungen von Bildern, die schon im Alten Testament auftauchen, vor allem in den Büchern der Propheten Daniel und Ezechiel. Offenbar hat Johannes diese Bilder meditiert, er hat sie in sich aufgesogen, hat sie hin und her gewendet und mit seinem inneren Auge intensiv betrachtet. Und dann kommt der Heilige Geist, nimmt diese Bausteine und kombiniert sie zu einem neuen Bild.

Beim Propheten Daniel (7,13f) gibt es eine damals sehr bekannte Szene, wo jemand »wie ein Menschensohn« »mit den Wolken des Himmels« zu einem »Uralten« kommt, also zu Gott. Und dieser Uralte wird beschrieben wie die Gestalt hier: mit einem weißen Gewand und Haar, das weiß wie Wolle ist, und um ihn herum ist auch Feuer. Wenn diese Gestalt hier aber sagt: »Ich war tot, aber jetzt lebe ich in alle Ewigkeit«, dann ist klar, dass das Jesus sein muss, weil nur er gestorben und auferstanden ist. Jesus wird hier also ähnlich geschildert wie bei Daniel Gott. Jesus hat Anteil an Gottes Herrlichkeit.

Johannes macht Theologie nicht mit Begriffen, sondern mit Bildern. Er lebt in den vielen prophetischen Bildern des Alten Testaments, und in seiner Vision werden sie neu kombiniert und weitergedacht. Bilder sind vielleicht nicht immer so eindeutig und klar wie Begriffe, aber sie arbeiten mit unserer Vorstellungskraft. Sie rufen Emotionen und Vernunft gleichzeitig auf.

Johannes ist von dem Bild, das er sieht, erst einmal überwältigt; er fällt wie tot zu Boden. Wenn wir dem göttlichen Bereich unverhüllt begegnen, dann überwältigt uns das. Selbst diejenigen, die mit Jesus ganz eng zusammengehören, wie die drei Jünger auf dem Berg der Verklärung oder Johannes der Seher, selbst sie kommen dabei an die Grenze des Erträglichen.

Gott brandet immer stärker an gegen das Ufer der Welt. Jede Welle schiebt sich höher den Strand hinauf, und das erschüttert die Welt immer stärker. Wer nicht darauf vorbereitet ist, der erlebt es als schreckliche Katastrophe. Und auch allen, die zu Jesus gehören, muss Johannes sagen: keine Angst! Das ist keine Katastrophe, das ist der Herr! Die Herren dieser Welt gehen, aber unser Herr kommt.

Johannes selbst sinkt bei dieser Erscheinung zunächst ohnmächtig zu Boden, wie es auch schon dem Propheten Daniel ergangen ist. Er muss erst von Jesus hören: Fürchte dich nicht! Und er sagt ihm als Erstes: Ich habe die Schlüssel zum Tod und zur Unterwelt. Auch hier muss man die Bilder verstehen: Hades, der Gott der Unterwelt, wird auf griechischen Darstellungen mit einem Schlüssel dargestellt, als Zeichen dafür, dass er die Toten nicht wieder hergibt. Aber Jesus ist »hinabgestiegen in das Reich des Todes«, hat mit Hades gekämpft und ihm den Schlüssel des Totenreichs abgenommen. Und es ist, als ob wir in einem Kerker säßen, und jemand kommt und ruft uns zu: hier! Ich habe den Schlüssel! Es gibt einen Ausgang. Ihr seid frei!

Das ganze Buch ist geschrieben, damit der Mut dieses Glaubens wächst und sich ausbreitet: Das Tor dieser finsteren Welt ist nicht mehr verriegelt! Wir sind frei! Wir können uns was trauen! Wir hören von einem Jesus, der die Grundfesten der Welt erschüttert, dessen Macht einen Menschen überwältigen kann, und der ihn trotzdem freundlich und sanft anrührt und sagt: keine Angst! Steh auf, ich bin es, du kennst mich doch!

Dieser Jesus steht zwischen den sieben Leuchtern und erklärt: Das sind die sieben Gemeinden. Die Gemeinden in Ephesus, Smyrna, Pergamon, Thyatira, Sardes, Philadelphia und Laodizea waren wahrscheinlich ziemlich kleine Gruppen in großen Städten, wo es prunkvolle Tempel und große Stadien gab, die den Mittelpunkt der Stadt darstellten. Niemand hätte damals erwartet, dass diese kleinen Gemeinschaften am Rande der Gesellschaft irgendetwas bedeuteten. Aber wenn der Vorhang zwischen Himmel und Erde weggezogen wird, dann sieht man, dass sie ganz eng mit dem welterschütternden Jesus zusammengehören. Die sieben Gemeinden stehen natürlich für alle Gemeinden, auch für uns. Auch wir haben aus himmlischer Sicht zentrale Bedeutung für die Welt und ihren Weg.

Wenn wir wirklich zentral in Gottes Sicht der Welt sind, dann können wir nicht weiter so harmlos von unserer Rolle denken. Dann ist Gemeinde keine nette Freizeitbeschäftigung für Leute mit religiösen Neigungen. Wir sind auch keine Agentur zur Bewältigung von Lebenskrisen. Im Gegenteil: Wir produzieren die Krisen, mindestens sind wir daran beteiligt. Wir sind Teil der Erschütterungen, die Gott in dieser Welt auslöst. Wir machen das mal besser und mal schlechter, aber wir sind ein Teil der Krise, die Gott für die Welt bedeutet, und die Vertreter des römischen Imperiums haben etwas Richtiges gespürt, als ihnen Johannes verdächtig vorkam.

Wenn der Vorhang zur Seite gezogen wird, dann entpuppen sich Gemeinden als Gottes strategische Schlüsselpositionen in der Welt. Und seine verborgene Realität dringt durch tausend Ritzen und dünne Stellen in die Welt ein und verwandelt sie, bis Himmel und Erde von neuem und endgültig zusammenfinden.

Visionen gegen die Monster

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