Читать книгу Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis - Walter G. Pfaus - Страница 17
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ОглавлениеLorraine Banters hellgrüne Augen weiteten sich, sie wurden noch größer, als sie schon waren. „Wer sind Sie?“ Die Worte waren kaum zu verstehen. Lorraine Banters Gesicht drückte jähe Furcht aus.
„Bount Reiniger, Privatdetektiv. Ich habe ein paar Fragen an Sie.“
„Aber doch nicht jetzt! Ich muss mich umziehen.“
„Sie haben noch Zeit, und das Ganze lässt sich, wie ich hoffe, in wenigen Minuten erledigen.“
„Sie sprechen von Mord“, murmelte Lorraine Banter. Sie hatte sich ihm voll zugekehrt. Die übereinandergeschlagenen Beine mit ihren silbrig schimmernden Nylonstrümpfen, den schlanken Fesseln und den modischen Pumps hatten Rasse und Klasse, aber noch auffälliger war die Linie des Halses. Sie war edel, graziös, zerbrechlich. „Was habe ich damit zu tun? Um was geht es Ihnen überhaupt?“
„Es geht um Derek Dark.“
Lorraine Banter schluckte.
„Wer ist das?“
„Der Tote. Sie haben ihn besucht. Gestern. Da lebte er noch, versteht sich.“
„Derek Dark? Wer soll das sein? Ich höre den Namen zum ersten Male“, sagte Lorraine Banter. Es war offenkundig, dass sie sich gefangen hatte und anfing, sich auf ihre schauspielerischen Qualitäten zu besinnen.
„Sie sind gesehen worden.“
„Von wem?“
„Genügt es nicht, dass es einen Zeugen gibt, der Sie beim Betreten und Verlassen des Hauses siebenundneunzig in der einundsechzigsten östlichen Straße gesehen hat?“
„Nein, das genügt nicht. Vielleicht liegt dem Mann daran, mich in Schwierigkeiten zu bringen. Vielleicht steht eine missgünstige Kollegin dahinter. Sie haben keine Ahnung, welches Intrigenspiel meine Berufssparte beherrscht.“
„Der Mann, der Sie gesehen hat, ist kein Schauspieler. Er hat keinerlei persönliche Vorteile von der Information, die er mir lieferte.“
„Dann stellen Sie mich ihm gegenüber!“, fauchte Lorraine Banter und zeigte mit einem plötzlichen Aufblitzen ihrer Augen, wie temperamentvoll und kratzbürstig sie sein konnte. „Ich werde ihn zwingen, seine albernen Behauptungen zurückzunehmen.“
„Fahren Sie einen weißen Porsche?“
„Ja, warum?“
„Er hat ihn erwähnt. Es könnte leicht sein, dass ein paar Leute sich daran erinnern, dass der Porsche gestern vor dem genannten Haus parkte.“
„Ich habe den Porsche seit Tagen nicht benutzt. Er steht in der Tiefgarage unseres Hauses - hoffe ich“, fügte sie einschränkend hinzu. „Offenbar hat jemand diese Verwechslung provoziert.“
„Das kauft Ihnen keiner ab.“
„Ich will es nicht verkaufen. Es ist die Wahrheit.“
„Es ist durchaus nicht als Kompliment gedacht, wenn ich feststelle, dass Sie schön sind. Ungewöhnlich schön. Man kann einen Porsche klauen und ausleihen, um damit in Ihre Rolle zu schlüpfen, aber es gibt keinen Maskenbildner, der imstande wäre, Ihr Gesicht nachzuformen.“
Lorraine Banter starrte ihm in die Augen, dann entspannte sie sich und sagte: „Also gut, ich war dort.“
„Wir machen Fortschritte.“
„Ich hoffe, Sie erweisen sich als Gentleman, Mister Reiniger - ich baue darauf, dass Sie meine delikate Situation verstehen und zu würdigen wissen.“
„Ich höre.“
„In dem Haus, von dem Sie sprechen, wohnt ein Mann, den ich schätze. Es ist nicht Mister Dark.“
„Nein? Ich habe herumgefragt. Die Bewohner haben übereinstimmend versichert, Sie nicht empfangen zu haben.“
„Das ist kein Wunder. Von diesem Zusammentreffen sollte aus gutem Grund niemand etwas erfahren. Ich bin nämlich verheiratet, Mister Reiniger.“
„Wenn ich Sie recht verstehe, wohnt im Hause einundsechzigste östliche Straße siebenundneunzig ein Mann, zu dem Sie eine Beziehungen unterhalten, die den Bestand Ihrer Ehe gefährden könnten. Ist das richtig?“, fragte Bount und überlegte gleichzeitig, wer der Mann sein könnte, von dem Lorraine Banter sprach.
Unter den Mietern gab es zwei, die um die 30 waren und gut aussahen, aber Bount bezweifelte, dass sie das Zeug hatten, einer Lorraine Banter zu gefallen.
„Das haben Sie wunderschön in Worte gekleidet“, spottete Lorraine Banter. „Mein Mann ist älter als ich. Viel älter. Er ist ein sehr aufmerksamer Partner, ein ungewöhnlich reicher dazu. Er verwöhnt mich auf rührende Weise, aber er kann mir leider nicht das geben, was eine Frau wie ich am dringendsten braucht ... nämlich Liebe. Präziser ausgedrückt: Er liebt mich zwar, aber ich bin außerstande, seine Gefühle so zu erwidern, wie er sich das wünscht.“
„Eine kleine Tragödie.“
„Das sieht nur so aus. Er ist glücklich. Es liegt an Ihnen, diesen Zustand nicht zu stören. Wenn er erführe, dass ich ihm untreu bin ...“ Sie führte den Satz nicht zu Ende und stieß einen Seufzer aus, der recht theatralisch wirkte,
„Würde er Sie umbringen?“
„Ich traue ihm zu, dass er sich selbst ein Leid antun würde. Schon deshalb müssen Sie über das, was ich Ihnen anvertraue, absolutes Stillschweigen bewahren. Oder wollen Sie es auf sich nehmen, dass er sich ...“ Wieder unterbrach sie sich, senkte den Kopf und schüttelte ihn. „Manchmal hasse ich mich“, fuhr sie fort. „Dan ist ein so guter Mann. Er trägt mich auf Händen. Ihm verdanke ich diese Rolle ... und dennoch betrüge ich ihn.“ Sie schlug die Augen auf, öffnete die schillernden Lippen und flehte beinahe: „Verurteilen Sie mich! Nennen Sie mich ein Flittchen, aber erzählen Sie niemand, was Sie wissen.“
„Sie müssen noch viel lernen“, stellte Bount fest.
„Wie bitte?“
„Die Show, die Sie gerade abgezogen haben, mag für die Laienbühne reichen, aber mich hat sie nicht überzeugt.“
Lorraine Banters Augen zeigten erneut das scharfe, gefährliche Blitzen.
„Wollen Sie mich beleidigen?“
„Ich will Ihnen nur klarmachen, was ich von diesen Lügen halte. Wenn Sie meinen, mir die Wahrheit scheibchenweise verabfolgen zu müssen, kann ich damit leben. Immerhin haben Sie schon zugegeben, in dem Haus gewesen zu sein. Nennen Sie mir den Namen des sogenannten Liebhabers und ich spreche mit ihm.“
„Sie sind verrückt. Ich bin schon weit genug gegangen. Der Mann, den ich besuchte, ist seinerseits gebunden ... er kann sich keinen Skandal leisten.“
„Wäre es denn ein Skandal, eine so schöne, prominente Geliebte zu haben?“
„Er hat strenge Eltern. Sie wären imstande, ihn zu enterben“, sagte Lorraine Banter.
Bount blickte auf seine Uhr.
„Ich habe Zeit“, stellte er fest, „aber Sie ...“
Das Telefon klingelte. Lorraine Banter nahm den Hörer ab.
„Ja?“, fragte sie, nickte kurz, meinte: „Er ist hier“, und reichte den Hörer an Bount weiter. Der stand auf und meldete sich. Der Portier war am anderen Ende der Leitung. „Ein Anruf für Sie. Ein Mister Rogers möchte Sie sprechen.“
Es knackte in der Leitung.
„Bount?“, fragte der Captain.
„Am Apparat.“
„Ich habe eine Überraschung für dich. Wir haben in Darks Papierkorb eine entwertete Theaterkarte gefunden. Rate mal, was er sich angesehen hat!“
„Hot Drops“, sagte Bount.
„Genau ... und zwar vor drei Tagen. Kannst du damit etwas anfangen?“
„Ich denke schon“, meinte Bount, bedankte sich und legte auf.
„Ich muss mich jetzt umziehen und Sie bitten, meine Garderobe zu verlassen.“
„Was wollten Sie von Dark?“
„Fragen Sie lieber, was er von mir wollte!“
„Liebe?“
„Das haben Sie gesagt.“
„Er ist tot. Er wurde ermordet, und zwar auf eine höchst ungewöhnliche Art. Alles spricht dafür, dass seine Mörder ihn auf einen elektrischen Stuhl gesetzt haben. Der Fall wird Schlagzeilen machen. Vieles spricht dafür, dass Sie in ihnen eine bedeutsame Rolle spielen werden.“
„Diese Art von Publizität kann ich mir nicht leisten“, stieß Lorraine Banter hervor.
„Dann sagen Sie mir die Wahrheit.“
„Er hat mich in der Garderobe besucht. Er war wie besessen. Er hat mir etwas versprochen, das mich dazu brachte, ihn zu besuchen“, schloss sie zögernd.
„Geld?“
„Eine Erbschaft. Er behauptete, niemand zu haben, dem er eines Tages sein Vermögen hinterlässt. Er sagte, dass ich es haben könnte, wenn ...“
„Wenn?“
„Er wollte, dass ich ihm gehöre.“
„Sind Sie darauf eingegangen?“
„Ich glaube nicht, dass ich darauf antworten muss.“
„Sie müssen auf keine meiner Fragen antworten. Niemand verlangt von Ihnen, dass Sie sich selbst belasten, aber wenn Ihr Verhalten erkennen lässt, dass Sie in das Verbrechen verwickelt sind, dürfen Sie von Leuten meines Schlages kein Pardon erwarten.“
„Hören Sie zu! Vieles von dem, was ich sagte, ist die reine Wahrheit. Ich bin verheiratet. Mein Mann ist reich, aber ich liebe ihn nicht. Wenn ich es mir leisten könnte, würde ich ihn noch heute verlassen. Er ist auf seine Weise ein sanfter Tyrann. Er bindet mich mit Geschenken an sich, mit Luxus und scheinbarer Toleranz. Es gibt Momente, wo ich ihn mag, aber häufiger sind die Augenblicke, wo ich ihn verachte. In dieser Situation tritt also plötzlich ein fremder Mann an mich heran und ist allen Ernstes bereit, mir sein Vermögen zu vererben. Wäre ich da nicht verrückt gewesen, wenn ich das Angebot ausgeschlagen hätte?“
„Wann war er hier?“
„Vor drei Tagen. Zusammen mit den anderen, die nach jeder Vorstellung meine Garderobe stürmen. Er wartete, bis ich sie hinauskomplimentiert hatte, dann sagte er, worum es ihm ging. Ich war wie vor den Kopf geschlagen, spürte jedoch, dass er es ernst meinte. Ich bat mir Bedenkzeit aus. Er rief mich zwischendurch an. Gestern ging ich zu ihm, in die Wohnung. Ich wünschte, ich hätte die Finger davon gelassen. Wenn jetzt sein Testament verlesen wird und es stellt sich heraus, dass es erst vor wenigen Stunden zu meinen Gunsten geändert wurde, wird man mir unterstellen, ich hätte seinen Tod inszeniert.“
„Diese Befürchtung halte ich für unbegründet. So rasch wird er sein Testament nicht geändert haben“, meinte Bount. „Aber selbst wenn es geschehen sein sollte, wäre es töricht, Sie des Verbrechens zu verdächtigen. Sie verdienen gut und haben einen reichen Mann.“
„Viele wissen, dass ich frei sein möchte. Das will ich wirklich. Ich sah in Mister Darks überraschender Offerte einen Weg, mein Ziel zu erreichen.“
„Das ist ein Punkt, den ich nicht recht verstehe. Dark hätte gut und gern noch zwanzig Jahre leben können.“
„Er behauptete mir gegenüber, krank zu sein. Er meinte, mit ihm würde es bald zu Ende gehen.“ „Nannte er die Krankheit beim Namen?“
„Nein. Wissen Sie, hinter mir sind viele Männer her. Zu viele, wie ich finde. Es passiert immer wieder, dass man mich mit den fantastischsten Versprechungen zu ködern versucht. Das meiste davon ist frei erfunden. Ich durchschaue das sofort, aber bei Dark war es anders. Ich fühlte, dass er es ehrlich meinte. Er war ein älterer, sanfter Mann, der ein letztes, großes Erlebnis haben wollte. Mit mir. Er hat es bekommen. Es liegt an Ihnen, mich zu richten und das Ganze als Prostitution einzustufen. So, wie die Dinge liegen, werde ich wahrscheinlich keinen Cent von Dark bekommen. Es macht mir nichts aus. Er war kein schlechter Liebhaber. Zufrieden?“
„Danke, ja“, sagte Bount und ging.
Er setzte sich in die Portiersloge. Der Portier, ein rüstiger Endfünfziger mit schütterem, dunklem Haar und einer dicken Brille, zeigte sich aufmerksam und beflissen. Die Zehndollarnote hatte ihn beeindruckt. Möglicherweise spekulierte er auf ein oder zwei weitere Scheinchen.
„Was wissen Sie über Missis Banter?“, fragte Bount.
„Kommen Sie im Auftrag ihres Mannes?“
„Ich? Nein.“
„Es wäre möglich gewesen. Er lässt sie bespitzeln, wissen Sie. Er ist schrecklich eifersüchtig.“
Bount lehnte sich zurück. Noch ein Tatverdächtiger, dachte er, ließ den Gedanken aber rasch wieder fallen. Selbst wenn Lorraine Banters Mann erfahren haben sollte, dass seine junge, schöne Frau mit Derek Dark intim geworden war, und selbst wenn man unterstellen wollte, dass diese Erkenntnis Banter in rasenden Zorn versetzt und zu einem Amokläufer gemacht hatte, war es nahezu unmöglich, ihm Darks Tod anzulasten, denn der, das stand fest, war nun mal mit Hilfe eines elektrischen Stuhles erfolgt. Den aber konnten nur Leute benutzt haben, die das Verbrechen über einen längeren Zeitraum hinweg geplant und später in die Tat umgesetzt hatten.
„Hat sie viele Liebhaber?“, fragte Bount.
Der Portier zuckte mit den Schultern.
„Sie hat jedenfalls viele Verehrer. Das Stück taugt nicht viel, aber Missis Banter sorgt dafür, dass weiterhin fast alle Vorstellungen ausverkauft sind.“
„Ist ihr Mann häufig im Theater?“
„Er war zur Premiere hier, seitdem ist er nicht mehr gesehen worden.“
„Gibt es dafür eine Erklärung?“
„Er kennt Lorraine. Soll er sich ihretwegen abendlich ein ziemlich schwachsinniges Stück ansehen?“, spottete der Portier.
„Er könnte sie in der Garderobe vor dem Ansturm ihrer Verehrer bewahren.“
„Er hat keine Lust, sich lächerlich zu machen, nehme ich an. Der Autogrammrummel gehört nun mal zu Missis Banters Job.“
„Was treibt Mister Banter beruflich?“
„Er ist Makler, glaube ich. Er handelt mit Immobilien. Soviel ich hörte, macht er Millionenumsätze. Er fährt einen Rolls Royce, besitzt eine Penthouse-Wohnung an der Fünften Avenue, und mehrere Häuser in Long Island.“
Bount stellte noch ein paar Fragen, dann verabschiedete er sich und ging. Er fuhr ins Plaza, wo Mister Preston abgestiegen war, aber der Gesuchte war nicht zu erreichen. Er hatte das Hotel verlassen, ohne eine Nachricht zu hinterlassen.
Bount fuhr nach Hause.
Als er das Fernsehgerät anstellte und sich in einen Sessel fallen ließ, klingelte das Telefon.
Toby Rogers war am Apparat.
„Ich habe gerade einen Anruf bekommen. Er wird dich interessieren“, sagte er. „Dwyer ist tot.“
Bounts Augen wurden schmal.
„Wann ist es passiert?“
„Das weiß ich noch nicht genau, aber ich kann mir vorstellen, was er falsch gemacht hat. Ich bin noch in Darks Wohnung, breche aber gleich in die Vierzehnte Straße auf, dort hat man Dwyer gefunden, in seiner Bleibe.“
„Wer hat ihn entdeckt?“
„Ein Nachbar. Er wunderte sich über die offen stehende Wohnungstür, ging hinein und fand Dwyer im Wohnzimmer, in einer Blutlache liegend. Ein paar Messerstiche haben seinem Leben ein Ende gesetzt.“
„Er war auf Erpressung spezialisiert. Das ist ihm offenbar zum Verhängnis geworden.“
„Kann schon sein. In diesem Zusammenhang halte ich es für denkbar, dass es ihn erwischte, als er Darks Mörder auszunehmen versuchte“, meinte der Captain.
„Du glaubst, Dark könnte gewusst haben, wer die Männer waren?“, fragte Bount.
„Diese Vermutung liegt doch nahe. Dwyer hat Dark beobachtet. Das bedeutet, dass Dwyer gewusst haben dürfte, wer Dark aus dem Haus brachte oder zu wem Dark ging.“
„Mir gegenüber hat er bestritten, heute Vor- und Nachmittag auf seinem Posten gewesen zu sein.“
„Das war möglicherweise eine Schutzbehauptung. Als er von Darks Tod hörte, muss ihm ein Seifensieder aufgegangen sein. Dich hat er mit der Lorraine-Banter-Story abgespeist. während er selbst daran ging, den fetten Happen in Angriff zu nehmen. Er ist ihm im Hals steckengeblieben.“
„Eine interessante Theorie, aber sie muss nicht stimmen“, erklärte Bount.
„Das weiß ich selbst“, meinte der Captain und hängte auf.