Читать книгу Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis - Walter G. Pfaus - Страница 22

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Das Telefon schreckte Bount aus dem Schlaf. Er brauchte Sekunden, um sich darüber klar zu werden, wo er sich befand. Er tastete nach dem Hörer, krächzte ein fragendes „Ja?“ in die Sprechmuschel und erkannte auf den Leuchtziffern seines Reiseweckers, dass es kurz vor Zwei war.

„Sind Sie das, Reiniger?“, tönte ihm eine männliche Stimme entgegen.

„Am Apparat, ja. Mit wem spreche ich?“

„Ich bin’s, Hank. Hank Craig“, lallte der Anrufer.

„Ihre Zunge scheint Mühe zu haben, mit Ihren Artikulierungsversuchen fertig zu werden“, spottete Bount und setzte sich im Bett auf. „Sie haben getrunken.“

„Und das nicht zu knapp. Hätte ich das nicht getan, wäre ich kaum fähig, mit Ihnen zu sprechen. Ich bin hier unten, in der Hotelhalle. Ich muss Ihnen etwas mitteilen. Kommen Sie herunter, bitte! Rasch, ehe es zu spät ist!“

„In drei Minuten bin ich bei Ihnen“, versicherte Bount. Er warf den Hörer aus der Hand, stand auf und schlüpfte blitzschnell in seine Kleidung.

Craig kam ihm in der Halle entgegen.

„Die Bar ist geschlossen“, lallte er, „aber der Nachtportier hat mir eine Flasche und zwei Gläser besorgt. Wir können in der Lounge ungestört miteinander sprechen.“

Craig hatte wie entzündet wirkende Augen. Er stieß beim Sprechen mit der Zunge an und torkelte, als er Bount zu den beiden in einer Nische stehenden Sesseln führte, zwischen denen ein kleiner, runder Tisch stand. Die Männer setzten sich. Craig füllte Bounts Glas.

„Ich habe Sie belogen“, sagte Craig, nachdem er einen tüchtigen Schluck genommen hatte.

Bount lehnte sich zurück.

„Und das wollen Sie jetzt gutmachen?“

„Nicht nur das. Ich will ein Geständnis ablegen. Ich habe versucht, es bei Kimball loszuwerden, aber der wollte mich nicht anhören.“ Craig machte eine wegwerfende, verächtliche Handbewegung. „Ich hätte es mir denken können. Ausgerechnet Kimball! Der tanzte nach der Pfeife meines Vaters, genau wie Leo Conroy. In dieser Stadt gab es damals nur wenige, die den Namen Craig nicht fürchteten. Einer davon war Gilbert Osborne. Er hat seine Standhaftigkeit mit dem Leben bezahlen müssen.“

Seltsamerweise stieß Craig nicht länger mit der Zunge an. Er sprach allerdings sehr schleppend, wenn auch erkennbar konzentriert.

„Ich habe sie umgebracht“, sagte er und blickte Bount an.

„Cynthia?“, fragte Bount.

„Cynthia Hopkins, wen sonst? Es war kein Mord, es war eher Totschlag, ein Stück Raserei. Ich wollte sie zur Vernunft bringen. Ich schüttelte und würgte sie, wütend und verzweifelt darüber, dass sie mit den Craig-Millionen nichts im Sinne hatte und es vorzog, den Habenichts Osborne zu heiraten. Ich merkte, wie ihr Körper unter meinem Zugriff schlaff wurde, aber ich glaubte, sie simuliere, ich schüttelte sie weiter, dann ließ ich sie zu Boden sinken. Ich kam zu mir. Ich bemühte mich um sie und erkannte, dass es dafür zu spät war. Sie war tot.“ Ein trockenes Schluchzen entrang sich seiner Kehle. Er starrte Bount ins Gesicht. „Tot! Können Sie sich vorstellen, wie mir damals zumute war?“

„Ich stelle mir vor, wie es Gilbert Osborne zumute war, als sie ihn auf den Stuhl setzten“, sagte Bount langsam.

Hank Craig schloss die Augen.

„Schweigen Sie!“, flüsterte er. „Glauben Sie, ich hätte mir das nicht selbst schon vorgestellt? Nicht hundert sondern tausend Mal?“ Er hob die Lider. „Ich kann so nicht weiterleben. Mir ist es egal, ob dieser Verrückte mich auf dem Stuhl enden lässt oder nicht, aber ich will, dass vorher die Wahrheit ans Tageslicht kommt.“

„Sie könnte Ihnen das Leben retten“, sagte Bount.

Hank Craigs Mundwinkel zuckten bitter.

„Was wird das für ein Leben sein? Es wird im Gefängnis enden, nehme ich an. Ich werde keine Freunde mehr haben, keine Frau. Keine Frau!“ Er lachte kurz und hysterisch. „Das ist das einzige was mir daran gefällt.“

„Ich bringe Sie jetzt nach Hause“, sagte Bount.

„Nicht nötig, ich bin mit dem Wagen hier.“

„Ausgeschlossen. Sie sind so voll wie eine Haubitze. In diesem Zustand können Sie nicht fahren.“

„Kann ich doch!“

„Können Sie nicht“, sagte Bount und streckte die Hand aus. „Geben Sie mir Ihre Autoschlüssel, bitte.“

Craig wollte erneut protestieren, aber irgendetwas in Bounts ruhiger, überzeugender Art stimmte ihn um. Er holte den Schlüsselbund aus seiner Hosentasche und ließ ihn in Bounts Rechte fallen. „Kommen Sie!“, sagte Bount.

„Die Flasche nehme ich mit“, murmelte Craig und setzte seine Worte in die Tat um. „Ich habe dafür bezahlt.“

Sie verließen das Hotel, gingen zum Parkplatz und setzten sich in den Challenger.

„Werden Sie auch in nüchternem Zustand zu dem stehen, was Sie mir gesagt haben?“, wollte Bount wissen, als sie losfuhren.

„Ich weiß es nicht“, murmelte Craig, rutschte tief in den Sitz und nahm einen Zug aus der Flasche.

„Sie sollten nicht so viel trinken.“

„Er hat mein Leben verpfuscht“, sagte Craig.

„Wer, Osborne?“

„Nein, mein Vater. Er wollte mich vor dem Gefängnis bewahren und hat mich stattdessen in die Hölle entlassen. Es war die Hölle, das dürfen Sie mir glauben. Warum hatte ich bloß damals nicht den Mut, die Wahrheit zu bekennen? Öffentlich, vor aller Welt? Ich kenne den Grund. Ich hatte Angst vor meinem Alten. Was er sagte, war in der Familie Gesetz. Nicht nur in der Familie. Auch in Hammond. Sogar Kimball hat nach seiner Pfeife getanzt.“

„Wissen Sie, was Sie da sagen?“

„In vino veritas. Ich fühle mich seltsam frei. Sogar beschwingt. Das hat nichts mit dem Whisky zu tun, sondern einfach damit, dass ich mir von der Seele reden durfte, was mich bedrückte ... fünfundzwanzig Jahre lang!“

„Morgen wird es Ihnen schwerfallen, diese Euphorie aufrechtzuerhalten.“

„Was raten Sie mir?“, fragte Hank Craig. „Soll ich mich der Polizei stellen?“

„Sprechen Sie erst einmal mit Ihrem Anwalt“, empfahl Bount.

„Ich hasse Anwälte.“

„Er wird versuchen. Ihnen zu helfen.“

„Er wird mich mit einer überhöhten Liquidation übers Ohr hauen“, knurrte Craig. „Ach, zum Teufel damit! Dank der Hinterlassenschaft meines Vaters hatte ich Zeit meines Lebens genug Geld, um mir so ziemlich alles leisten zu können, was mich reizte. Es hat mich nicht glücklich gemacht. Man ist nicht glücklich, wenn man ein Menschenleben auf dem Gewissen hat, sogar zwei, wenn man’s genau nimmt, nämlich Cynthia und Gilbert ...“

Den Rest der Strecke legten sie schweigend zurück. Craig schien eingeschlafen zu sein, jedenfalls war sein Kopf auf die Seite gesunken. Er hielt die Augen geschlossen und verzichtete auf weitere Schlucke aus der Flasche.

„Ist das der Wagen Ihrer Frau?“, fragte Bount, als Craigs weißes Haus im hellen Mondlicht auftauchte.

Craig zuckte zusammen. Er richtete sich auf und rieb sich die Augen.

„Was?“, fragte er.

„Der Skylark vor der Garage. Gehört er Ihrer Frau oder Ihrem Diener?“

„Toby hat Ausgang und meine Frau ist bei Ihrer Mutter ... das sagte ich bereits.“

Über der Haustür brannte eine Lampe. Auch der Garagenvorplatz war beleuchtet. Hinter den Fenstern des Hauses war es dunkel. „He, was ist los? Warum fahren Sie vorbei? Sie haben die Abzweigung verpasst!“, sagte Craig.

„Keineswegs“, sagte Bount. „Sie haben Besuch. Um zwei Uhr morgens ist nicht anzunehmen, dass Ihnen jemand ein Lexikon oder einen Staubsauger zu verkaufen wünscht. Es ist auch sehr wenig wahrscheinlich, dass jemand mit Ihnen eine Tasse Kaffee trinken möchte. Ich muss wissen, wer Sie erwartet - und warum. Gibt es eine Möglichkeit, sich dem Haus ungesehen von der Rückseite her zu nähern?“, schloss Bount.

„Das ist doch Quatsch! Niemand, der etwas Böses im Schilde führt, würde sich mit seinem Wagen im hellen Mondschein weithin sichtbar vor die Garage stellen ...“

„Da ist etwas dran“, gab Bount zu, „aber wir sollten trotzdem die gebotene Vorsicht walten lassen.“

Hinter dem Wäldchen, das sie passierten, verlief der Highway in einer weit gezogenen, von Warntafeln markierten Kurve.

„In hundert Yards Entfernung kommt ein Feldweg“, sagte Craig. „Wenn Sie ihn benutzen, erreichen Sie nach weiteren dreihundert Yards die Wiese, die an mein Grundstück grenzt.“

Bount löschte die Wagenscheinwerfer, als sie den Highway verließen. Er stoppte hinter einer Gruppe von Büschen, von Craig dazu aufgefordert.

„Das ist wirklich spannend“, meinte Craig und nahm einen Schluck aus der Flasche. „Anschleichen kenne ich nur noch aus meiner Pfadfinderzeit, aber ich denke doch, dass ich die Technik nicht verlernt habe ...“

„Sie bleiben hier“, entschied Bount und kletterte ins Freie.

Craig maulte ein bisschen, aber alles in allem machte er den Eindruck, als sei es ihm nur recht, von der Aktion ausgeschlossen zu sein.

Bount war dankbar für eine Wolke, die den Mond verbarg und es ihm ermöglichte, ohne Deckungsarbeit an die Rückseite des Hauses heranzukommen. Von hier bis zur Rückfront der Garage waren es nur wenige Schritte.

Bount spähte um die Ecke.

Die Wolke wanderte weiter. Das Mondlicht tauchte die Umgebung erneut in einen silberhellen Glanz. Der Buick war leer. Bount näherte sich ihm geduckt von hinten, blickte hinein und sah sich dann vergebens nach dem Fahrer um.

Bount trat ans Heck des Wagens. Der Kofferraum war unverschlossen. Bount ließ die Klappe hochschwingen und überzeugte sich davon, dass sich nichts im Kofferraum befand, was von Interesse oder Bedeutung war.

Gerade, als Bount die Klappe sanft ins Schloss drücken wollte, sah er, wie sich die Tür des Hauses bewegte. In einer Reflexbewegung schwang Bount sich in den Kofferraum des Wagens und zog die Klappe weiter zu sich herab.

Er hörte Schritte. Sie kamen rasch näher.

Jemand öffnete die Fahrertür, stieg in den Wagen, startete die Maschine und fuhr los.

Bount hielt mit einer Hand die Klappe fest und bemühte sich, sie nicht aufschlagen und Geräusche verursachen zu lassen. Die Fahrt ging zurück nach Hammond und endete in einer schmalen Straße.

Der Fahrer stieg aus. Er nahm sich nicht die Mühe, den Wagen abzuschließen. Als er davonging, pfiff er leise vor sich hin. Bount hob die Kofferraumklappe an und sah einen hochgewachsenen Mann, der im Mondlicht quer über einen Wendeplatz auf ein Haus mittlerer Größe zuging.

Nachdem der Mann darin verschwunden war, verließ Bount sein Versteck und stellte fest, dass das Haus einem Gerry Mitchell gehörte und die Nummer 8 einer Sackgasse war, die sich Grottenham Lane nannte.

Bount ging bis an die Einmündung der Straße, blieb stehen, zündete sich eine PALL MALL an und machte abrupt kehrt, als er zu einem Entschluss gekommen war. Zwar widerstrebte es ihm, den Lauscher an der Wand zu spielen, an einem Fenster, um genau zu sein, aber sein Auftrag machte es notwendig, diese ungeliebte Methode der Informationsbeschaffung ins Kalkül zu ziehen.

Als er von dem Haus Nummer 8 nur noch wenige Schritte entfernt war, bog ein Mann in die Grottenham Lane ein. Bount rettete sich mit einem Sprung hinter den Rhododendronbusch eines Vorgartens, noch ehe die Blicke des Fahrers oder die Scheinwerfer ihn zu erfassen vermochten.

Es war ein Kastenwagen, vermutlich ein Dreieinhalbtonner, der leise bis zum Wendeplatz rollte und dort stoppte. Der Fahrer stellte Maschine und Scheinwerfer ab. Im Mondlicht war deutlich die Aufschrift zu erkennen.

BERT FRAZER GRILLSERVICE.

Bount merkte, wie er eine Gänsehaut bekam. Er konnte nichts dagegen tun. Es lag einfach an der Vorstellung, dass der Kastenwagen möglicherweise den elektrischen Stuhl enthielt, und dass diejenigen, die ihn für ihre Zwecke missbrauchten, sich - Zufall oder nicht - eine besonders makabre Tarnung ausgedacht hatten.

Bount hatte keine Ahnung, ob es eine Firma dieses Namens in Hammond gab. Trotz des Mondlichts war er außerstande, das Nummernschild des Wagens zu erkennen.

Der Fahrer blieb in der Fahrerbox sitzen. Bount sah das rasche, regelmäßige Aufglühen einer Zigarette, sonst nichts.

Bount blickte zum Himmel hoch und registrierte erleichtert, dass sich eine große Wolke dem Mond näherte. Im nächsten Augenblick schob sie sich davor. Bount nutzte seine Chance und hastete geduckt zu dem Haus Nummer 8. Er erreichte dessen Rückfront und stoppte unterhalb eines Erdgeschossfensters, hinter dessen herabgelassenem Rollo sich ein paar Lichtstreifen zeigten.

„Hat es geklappt?“, fragte eine Frau.

„Das kommt ganz darauf an“, erwiderte eine Männerstimme.

„Worauf?“

„Auf dich, Honey.“

Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis

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