Читать книгу Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis - Walter G. Pfaus - Страница 30
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Оглавление„Gregg Elmer“, sagte der Mann am Telefon. „Ich bin der Direktor des Kenwood Plaza in Palm Beach. Ich brauche Sie, und zwar dringend. Sind Sie frei?“
„Frei wofür?“, fragte Bount Reiniger. Seine Füße lagen auf dem Schreibtisch, und es bedurfte einer ziemlichen Anstrengung, um die etwas außer Reichweite liegende Packung PALL MALL heranzuziehen. Er schob sich eine Zigarette zwischen die Lippen und lächelte dankbar, als June, seine junge, attraktive Mitarbeiterin, das Office betrat und heraneilte, um ihn aus seinen Nöten zu befreien. Sie gab ihm Feuer.
„Ein Fall für Sie. Mein Hoteldetektiv ist verschwunden. Außerdem wurde ein Anschlag auf das Haus verübt. Einer der Angestellten wurde durch einen Schuss verletzt - lebensgefährlich.“
„Wann war das?“
„Gestern. Seit diesem Zeitpunkt ist auch Myers, der Hausdetektiv, verschwunden.“
„Was sagt die Polizei dazu?“
„Sie tappt im Dunkeln. Offen gestanden traue ich den Männern, die behördlicherseits den Fall bearbeiten, nicht viel mehr zu als ihren guten Willen. Deshalb würde ich es begrüßen, wenn Sie Ihren Koffer packten und herflögen - am besten sofort.“
„Ich bin zwar frei“, erklärte Bount, „aber ich sollte Ihnen klipp und klar sagen, dass es für Sie billigere Möglichkeiten gibt, einen tüchtigen Privatdetektiv zu engagieren. Ich wette, dass es in Palm Beach davon mindestens ein halbes Dutzend gibt.“
„Ich will nicht irgendeinen. Ich will Sie“, sagte der Anrufer. „Das hat seinen guten Grund.“
„Darf man erfahren, welchen?“
„Aber gewiss“, sagte der Anrufer. „Sie sind in den Fall verwickelt, Mister Reiniger.“
„Das müssen Sie mir schon genauer erklären“, meinte Bount.
„Sie erfahren es, sobald Sie hier sind. Eine Bitte vorab. Suchen Sie mich zunächst nicht im Hotel auf! Niemand braucht zu wissen, dass ich Sie hergebeten habe. Sie erreichen mich privat im Hause Seaview Drive 41.“
„Ich melde mich sofort nach meiner Ankunft.“
„Ich freue mich auf Ihren Besuch“, sagte Elmer und legte auf.
Bount schwang die Füße auf den Boden, legte den Hörer auf die Gabel und blickte June an. Sie hatte über den eingeschalteten Telefonlautsprecher mitgehört.
„Das scheint ein dicker Fisch zu werden“, meinte sie. „Was ist das für ein Hotel?“
„Das Kenwood Plaza in Palm Beach.“
June gab einen dünnen Pfiff von sich.
„Die Kenwood Hotelkette ist die zweitgrößte des Landes und schickt sich an, Nummer eins zu werden. Luxus zu erschwinglichen Preisen. Kenwood betreibt eine aggressive Preispolitik. Man wirft ihm vor, dass er mit Dumpingreisen die potentiellen Konkurrenten aus dem Mark zu drängen versucht. Angeblich ist es sein Ziel, diese Konkurrenten zu ruinieren und aufzukaufen. Diese Leute meinen, er habe vor, seine Preise schlagartig zu erhöhen, sobald er die Konkurrenz geschluckt hat.“ Sie lächelte und seufzte: „Ich wünschte, ich könnte dich begleiten. Vergiss nicht die Badehose mitzunehmen!“
„Ich fliege mit der nächsten Maschine“, sagte Bount und erhob sich. June war schon auf dem Weg zur Tür. Bount begab sich in das angrenzende Apartment und packte seinen Koffer.
Obwohl er Übung darin hatte, passierte es ihm immer wieder, dass er das eine oder das andere vergaß. Auf seinem letzten Trip waren es die Socken gewesen. Er legte sie also zuerst in den roten Samsonite, aber als er ihn schloss, hatte er das quälende Empfinden, wieder etwas vergessen zu haben, aber er kam nicht darauf, was es war.
Am Abend landete Bount auf dem International Airport in Miami Beach. Er übernachtete im Hotel, besorgte sich einen Leihwagen und fuhr damit am nächsten Tag nach Palm Beach. In Fort Lauterdale legte er eine Pause ein, um Kaffee zu trinken. Aus dem Lokal rief er das Kenwood Plaza in Palm Beach an. Nach einigem Hin und Her bekam er Elmer an die Strippe.
„Es ist jetzt zehn“, sagte Bount. „In zwei Stunden kann ich bei Ihnen sein.“
„Großartig. Fahren Sie direkt zu mir nach Hause! Ich sage Xenia Bescheid, dass Sie mit uns essen.“
Um halb eins lenkte Bount den roten Camaro auf den Kiesweg, der von der Straße zu dem großen, weißen Bungalow am Ende eines riesigen Gartengrundstücks führte. Bount stoppte vor der Doppelgarage, deren Tor offen stand. Eine Box war leer, in der anderen parkte ein Alfa Spider.
Bount kletterte ins Freie und ging auf das Haus zu. In diesem Moment knallte es. Bount machte einen Satz und landete flach auf dem Bauch in einer Bodenmulde.
Er hörte das Zwitschern der Vögel. Aus der Ferne kam das Tuten eines Schiffes. Bount hob vorsichtig den Kopf. Er zog das rechte Knie an, sprang auf und begann zu rennen. Er erreichte die Haustür ohne weiteren Zwischenfall. Er klingelte. Die Tür öffnete sich. In ihrem Rahmen zeigte sich eine junge, rothaarige Frau, deren strahlende Schönheit Bount fast den Atem verschlug.
Er war normalerweise von weiblicher Attraktivität nicht so leicht aus der Fassung zu bringen, aber sein Gegenüber hatte das gewisse Etwas, eine elektrisierende Mischung aus damenhafter Kühle und prickelndem Sex Appeal.
„Missis Elmer?“, fragte Bount.
„Sie sind Mister Reiniger, nicht wahr?“, meinte die Rothaarige, nachdem sie Bounts Frage mit einem Kopfnicken beantwortet hatte. „Treten Sie ein, bitte. Herzlich willkommen!“
„Auf mich ist soeben geschossen worden“, sagte Bount, der ein Gefühl der Erleichterung verspürte, als Xenia Elmer die Tür hinter ihm ins Schloss drückte. Die Diele war sehr groß. Man hörte das monotone Rauschen der Klimaanlage.
„Ich habe einen Knall gehört“, sagte Xenia Elmer, die sehr große, grünlich schimmernde Augen hatte und einen Mund, dessen schwungvolle Kurven etwas Lockendes hatten, aber auch etwas Kindhaftes, dem sich kaum ein Betrachter entziehen konnte. Das schulterlange Haar machte den Eindruck, als sei es soeben von der erfahrenen Hand einer Friseuse betreut worden, es hatte einen seidigen Glanz. Xenia Elmer trug ein weißes Kleid. Sein Schnitt war von raffinierter Schlichtheit. Ein schmaler, roter Schlangenledergürtel machte deutlich, wie schmal und zerbrechlich die Taille war, während die üppige Oberweite ganz andere Maße zu bieten hatte. Die hochhackigen Sandaletten bestanden aus dem gleichen Material wie der Gürtel. Xenia Elmers Beine präsentierten sich mit nackter, untadeliger Haut, aber weder sie noch das Gesicht waren so braun, wie man es von einem Bewohner dieser Gegend erwartete.
„Als ich den hörte, war es fast schon zu spät, da hatte ich das Gefühl, dass mir jemand das Haar zu versengen wünschte“, sagte Bount.
„Das kann nur dieser dumme Bob gewesen sein.“
„Bob?“
„Der Sohn des Nachbarn. Eine Landplage. Er jagt wilde Kaninchen. Mir ist auch schon mal eine Kugel um die Ohren geflogen. Wo ist Ihr Gepäck?“
„Der Koffer ist noch im Wagen.“
„Ich zeige Ihnen das Bad, Sie können sich ein wenig frisch machen und mir dann auf der Terrasse Gesellschaft leisten. Oder ziehen Sie es vor, im kühlen Haus zu bleiben?“
„Offen gestanden bin ich nicht versessen darauf, die Mittagshitze von Palm Beach auszuloten“, meinte Bount, den jedoch weniger klimatische Vorbehalte plagten, als vielmehr die Überlegung, dass er auf der Terrasse erneut ein fabelhaftes Ziel bieten würde.
Nachdem er sich im Bad aufgemöbelt hatte, setzte er sich mit der Dame des Hauses in das große, elegant und geschmackvoll möblierte Wohnzimmer. Die Temperatur wurde gleichfalls von einer gut funktionierenden Klimaanlage bestimmt.
„Gregg wird nicht lange auf sich warten lassen“, meinte die junge Frau und kredenzte ihrem Gast und sich selbst einen Longdrink. „Er weiß, wann gegessen wird. Sonst speist er im Hotel, immer schön a la carte, aber heute wird er Ihnen und mir das Vergnügen machen, schlichte Hausmannskost einzunehmen. Sie haben doch hoffentlich nichts gegen Virginia ham mit gebackenen Kartoffeln? Offen gestanden ist es das einzige Gericht, das ich fertigbringe. Das Ganze steht abrufbereit im Herd.“
„Ich liebe Virginia ham“, sagte Bount wahrheitsgemäß. „Würden Sie bitte mal diesen Bob anrufen?“
„Das soll lieber Gregg tun. Ich kann diesen Jungen nicht ertragen. Er ist so wahnsinnig frech. Oh, da kommt er schon ... Gregg, meine ich. Ich höre den Wagen. Wenn Sie gestatten, kümmere ich mich jetzt um das Essen.“
Bount schaute ihr hinterher, als sie den Raum verließ und war beeindruckt von ihren fließenden Bewegungen, aber auch von der Rasse, die in den langen, schlanken Beinen zum Ausdruck kam.
Bount nippte an seinem Drink. Es war nicht zum ersten Mal geschehen, dass man ihm ein bleiernes Willkommen entboten hatte, aber das bedeutete keineswegs, dass er es mit Gelassenheit hinzunehmen vermochte. Er hatte nun mal was gegen Leute, die ihn aufs Korn nahmen und war entschlossen, dem Schützen das Handwerk zu legen.
Ein Mann betrat den Raum. Es gab keinen Zweifel, dass es der Hausherr war, denn er entwickelte den Schwung und die Sicherheit, die nur jemand zeigen konnte, der mit der Umgebung völlig vertraut war. Bount erhob sich.
„Behalten Sie doch Platz, mein Lieber“, sagte Gregg Elmer und kam mit ausgestreckter Hand auf seinen Gast zu. „Sie entsprechen meinen Erwartungen. Ich bin ein Augenmensch, ein visueller Typ. Ich erkenne auf Anhieb, was jemand taugt. Sie sind Klasse, das sehe ich.“
„Danke“, sagte Bount, der nicht zeigte, wie zuwider es ihm war, so dickes Lob serviert zu bekommen. Die Männer gaben sich mit kurzem, festen Druck die Hände. Bount setzte sich, während Gregg Elmer an den Barwagen trat und sich mit einem Brandy versorgte.
Elmer ließ sich Bount gegenüber in einem Sessel nieder, schwenkte das Glas in der Hand und wurde schlagartig ernst.
„Ich bin in tiefer Sorge“, sagte er. „Sie haben es auf uns abgesehen. Es liegt an mir, die Attacke zu stoppen, aber ohne Myers schaffe ich das nicht. Deshalb vertraue ich auf Ihr Können. Auf gute Zusammenarbeit!“ Er leerte den Inhalt seines Glases mit einem Zug und stellte es auf dem Tisch ab.
Gregg Elmer war ein Mann Mitte der Vierzig. Er hatte schlohweißes, dichtes Haar, das er wie ein Künstler des neunzehnten Jahrhunderts in einer Mähne zur Schau stellte. In lebhaftem Kontrast dazu stand die schwarze Hornbrille, hinter deren Gläser helle, intelligente Augen blitzten.
Elmer trug einen dünnen, verknitterten Leinenanzug mit weißem Hemd und modischer Krawatte.
„Wer hat es auf Sie abgesehen?“, nahm Bount den gerissenen Faden auf.
„Die Konkurrenz, nehme ich an. Okay, ich kann ja verstehen, dass sie sauer auf uns ist. Kenwood ist dabei, den Markt zu erobern. Es ist keineswegs so, dass wir ihn zu beherrschen versuchen. Das ist schlechthin unmöglich, aber innerhalb der Luxuskategorie sind wir dabei, das Rennen zu machen. Jetzt wirft man uns ein paar Knüppel zwischen die Beine. Es sind nicht die ersten, aber es sind die dicksten und gefährlichsten. Man hat versucht, das Hotel in Brand zu stecken. Es ist nur der Aufmerksamkeit eines Gastes und dem Versagen von zwei Benzinbomben zu danken, dass größerer Schaden abgewendet werden konnte.“
„Haben Sie einen Verdacht, wer hinter dem Anschlag stehen könnte?“, fragte Bount.
„Ja, klar. Ich könnte Ihnen mindestens fünf Namen nennen, aber damit beginnt schon die Schwierigkeit. Ich weiß nichts Konkretes, und mit Verdächtigungen zu arbeiten ist eine undankbare Sache. Wir müssen den Mann finden, der Tomlin niedergeschossen hat, und wir müssen herausbekommen, warum Myers aus dem Verkehr gezogen wurde.“
„Wer ist Tomlin?“
„Er arbeitet in der Sprinklerzentrale. Sie wurde außer Betrieb gesetzt. Das zuständige Personal wurde von einem Gangster, der sich Tomlin unter dem Namen Burns vorstellte, obwohl er mit Sicherheit anders heißen dürfte, in den Maschinenraum eingesperrt. Die Leute wären zum Tode verurteilt gewesen, falls der Brand das Hotel voll erfasst und vernichtet haben würde.“ Er machte eine kurze Pause. „Das ist das Ungeheuerliche, das zutiefst Verabscheuungswürdige an der Tat“, fuhr er fort. „Ein Anschlag auf ein Tausend-Betten-Hotel verursacht ja nicht nur materiellen Schaden, er gefährdet die Leben Unschuldiger, es kann im schlimmsten Fall mit einer Jahrhundertkatastrophe enden.“
„Ich kann nicht glauben, dass Ihre Konkurrenz etwas damit zu tun hat“, sagte Bount nach kurzem Überlegen. „Eine solche Katastrophe würde nicht nur Häuser der Kenwood Gruppe treffen, sondern die Branche insgesamt. Die Leute würden davor zurückschrecken, in den luxuriösen Großherbergen abzusteigen, um die es geht - egal wem sie gehören.“
„Da ist natürlich vieles dran, aber wenn ich Ihnen sage, dass es zwei Hotelketten gibt, die mit dem Schlagwort ,intim‘ prahlen und ihren Gästen kleinere Häuser im Landhausstil offerieren, werden Sie verstehen, dass Ihr Argument auf tönernen Füßen steht“, meinte Gregg Elmer.
„Als ich vor einer Viertelstunde hier eintraf und aus dem Wagen stieg, flog mir ein Projektil um die Ohren“, sagte Bount. „Es kam aus einem Gewehr und zwang mich, in Deckung zu gehen. Ihre Gattin vermutet, dass Bob, der Nachbarjunge, der Schütze sein könnte. Ich wüsste gern, ob das zutrifft.“
„Auf Sie ist geschossen worden?“, murmelte Gregg Elmer. Er sah verblüfft, beinahe entsetzt aus. „Oh Mann, das geht ja gut los.“ Er stand auf, trat ans Telefon und wählte mit grimmigen Gesicht eine Nummer, die er im Kopf hatte. „Ah, hallo Louis“, sagte Elmer. „Ist Bob zu Hause? Ich hätte gern ein paar Worte mit dem Jungen gewechselt. Wie? Oh, ich verstehe. In Denver, ja. Dann wüsste ich gern, ob jemand von Euch geschossen hat. Ich habe Besuch. Der arme Mann wäre um ein Haar ...“ Er unterbrach sich, da offenbar der Teilnehmer seinen Wortfluss stoppte. Elmer nickte mit dem Kopf. „Nichts für ungut, Louis“, sagte er. „Aber Sie werden verstehen, dass ich bemüht bleiben muss, diese Geschichte zu klären. Wir sind doch nicht in Wildwest!“ Er legte auf, kehrte an seinen Platz zurück und setzte sich. Als er nach einer Zigarette griff und sie entzündete, zitterten seine Hände. „Louis ist der Nachbar. Ein Börsenmakler. Macht viel Geld. Ein unmöglicher Mann. Hat nicht der geringsten Einfluss auf seine Kinder. Bob ist das schlimmste davon, aber wenn es stimmt, was Louis sagt, dann ist er nach Denver geflogen. Louis behauptet, von ihnen habe niemand geschossen. Soll ich die Polizei verständigen?“
„Darüber können wir später reden“, meinte Bount und nahm erneut einen Schluck aus seinem Glas. „Sie sagten am Telefon, ich sei in den Fall verwickelt. Wie ist das zu verstehen?“
Gregg Elmer inhalierte tief, stieß den Rauch aus und blickte Bount ins Gesicht.
„Als die Geschichte mit dem Brand passierte, war ich zu Hause. Ich bekam einen Anruf, zog mich an und fuhr schnellstens ins Hotel. Dort hatte man inzwischen versucht, auch Myers, den Hausdetektiv, aus dem Bett zu trommeln, aber er war nicht zu finden - weder zu Hause noch im Hotel.“
„Beschäftigen Sie nur einen Detektiv?“
„Zwei. Sie leisten praktisch Schichtarbeit, aber nur Myers hat Klasse, nur er verfügt über den Riecher, den ein Mann seines Berufs haben sollte ... und der hoffentlich auch Ihnen zur Verfügung steht“, meinte Gregg Elmer mit schwachem Lächeln.
„Damit ist meine Frage nicht beantwortet“, sagte Bount.
„Ich komme gleich darauf. Ich ging zu Myers ins Office. Er hat ein eigenes Büro, müssen Sie wissen. Mitten auf seinem Schreibtisch lag ein Schnellhefter. Raten Sie mal, was auf dem Deckel stand.“
„Sie werden es mir sagen.“
„Bount Reiniger.“
„Tatsächlich?“
„Sie können den Schnellhefter einsehen. Er enthält so ungefähr alle Zeitschriftenausschnitte, die sich mit Ihrem kriminalistischen Erfolg befassen. Ich habe das meiste davon gelesen. Eine imponierende Statistik, eine spannende Biographie, wenn man so will. Ich habe daraus erfahren, dass Sie einen Ehrentitel von der französischen Polizei verliehen bekamen, von der Pariser, um genau zu sein.“
Bount lächelte.
„So ist es halt“, meinte er. „Aber wie erklärt es sich, dass Myers diese Ausschnitte sammelte und dass sie zu dem Zeitpunkt auf seinem Schreibtisch lagen, als er verschwand?“
„Den ersten Teil Ihrer Frage möchte ich dahingehend auslegen und beantworten, dass Myers Sie als Vorbild bewunderte und Ihnen nachzueifern versuchte, aber wenn Sie wissen wollen, warum der Schnellhefter auf seinem Schreibtisch lag, als Tomlin niedergeschossen wurde und man versuchte, das Kenwood Plaza in Flammen aufgehen zu lassen, muss ich passen. Allerdings sah ich in dem Ganzen ein Signal. Ich dachte, es sei vielleicht in Myers Sinn und auch in Ihrem Interesse, wenn ich die Entdeckung der Ausschnitte als Aufforderung verstünde - als den Rat, Sie für den Fall zu gewinnen. Das habe ich getan.“
„Erzählen Sie mir ein wenig mehr über Myers!“
„43 Jahre alt, verheiratet, kinderlos. Er war Polizist in einer Mittelstadt des Ostens, der sich um Reformen bemühte, aber seine Vorgesetzten boykottierten ihn. Sie hatten anscheinend Angst vor seinem Talent, sie fürchteten um ihre Posten und ekelten ihn aus dem Job. Er wurde ehrenhaft entlassen, begann als Privatdetektiv zu arbeiten und bewarb sich bei meinem Konzern, als der Hoteldetektive suchte. Myers begann am Tage der Eröffnung dieses Hauses, zusammen mit mir, vor fünf Jahren. Seitdem kenne und schätze ich ihn. Wir verkehren auch privat miteinander, obwohl es da ein paar Schwierigkeiten gibt“, schloss er zögernd.
„Schwierigkeiten welcher Art?“, fragte Bount.
„Sie haben rein privaten Charakter und sind für den Fall ohne Belang.“
„Ich wüsste trotzdem gern, wie sie beschaffen sind“, meinte Bount lächelnd.
Gregg Elmer erwiderte das Lächeln.
„Unsere beiden Frauen sind einfach nicht fähig, miteinander auszukommen. Es gibt zwar nicht direkt Streit, aber Seitenhiebe, Spannungen und andere unerfreuliche Dinge. Sie sind mitschuldig daran, dass die Freundschaft zwischen Myers und mir sich nicht so entwickeln konnte, wie ich das gern hätte.“
„Was wirft Ihre Frau Myers vor?“
„Xenia? Überhaupt nichts! Sie findet ihn okay. Das Problem ist Mary. Zwischen Xenia und Mary läuft es einfach nicht“, meinte Gregg Elmer. „Es ist Eifersucht, nehme ich an. Mary ist nicht unattraktiv, aber in Gegenwart anderer hat Xenia natürlich immer die Nase vorn.“
„Sie haben als mutmaßliches Motiv des Brandanschlags Konkurrenzneid genannt“, meinte Bount. „Ist es nicht denkbar, dass auch andere Ursachen für die Verbrechen in Betracht kommen?“
„Ich wüsste keine zu nennen.“
„Ich schon“, sagte Bount. „Was so aussieht, als ziele es auf eine Vernichtung des Hotels ab, kann ja auch einem Gast gegolten haben.“
„Ich gebe zu, dass ich flüchtig erwogen habe, ob das so sein könnte“, meinte Gregg Elmer. „Nach kurzem, gründlichen Nachdenken bin ich jedoch zu dem Schluss gekommen, dass kein normaler Mensch bereit wäre, das Leben unzähliger Menschen zu gefährden, nur um das eines einzelnen zu treffen.“
„Da gibt es Gegenbeispiele.“
„Welche?“
„Flugzeugabstürze. Die Luftfahrtgeschichte kennt mehr als einen Fall, wo Explosionen Maschinen mitsamt Personal und Fluggästen hinwegfegten, obwohl es dem Attentäter nur um die Vernichtung eines Einzelnen ging. Ich erinnere mich an einen Fall, wo mehr als hundert Menschen sterben mussten, weil ein Wahnsinniger glaubte, sein Verbrechen auf diese Weise am leichtesten kaschieren zu können.“
„Ich habe heute Morgen das Gästebuch eingesehen. Im Augenblick befindet sich nur wenig Prominenz im Hotel, von einem Regisseur, zwei Senatoren und einem Boxweltmeister mal abgesehen, aber diese Leute bewohnen die unteren Etagen, während die Benzinbomben im achten Stockwerk deponiert worden waren.“
„Hat die Polizei sie sichergestellt?“
„Ja. Der Behörde zufolge ist es eine Profiarbeit. Es ist einem glücklichen Zufall zuzuschreiben, dass von den drei Bomben nur eine einzige explodierte.“
„Was wissen Sie von dem Mann, der Tomlin niederschoss?“
„Tomlin hat mit Hilfe des Polizeizeichners eine Phantomzeichnung angefertigt, aber es ist fraglich, ob uns das weiterhilft. Der Mann stellte sich unter dem fraglos erfundenen und sehr beziehungsreichen Namen ,Burns' vor. Wir wissen, dass er das Zimmer 812 bewohnte, unter dem gleichen Namen, insgesamt drei Tage lang. Er zog mit zwei großen Koffern ein. Sie wurden gefunden. Leer. Es ist klar, dass sie die Benzinbomben enthielten. Burns ist verschwunden. Auf ihn muss sich wohl Ihr Hauptinteresse konzentrieren. Wenn wir ihn finden, wird es leicht sein, eine Verbindung zu seinem Auftraggeber herzustellen.“
„Prints?“, fragte Bount.
„Keine verwertbaren, wie die Polizei mir versicherte“, bedauerte Gregg Elmer.
„Sie besitzen eine Kopie der Zeichnung?“
„Zwei“, nickte Elmer. „Sie erhalten eine davon.“
„Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, meine Anwesenheit und meine Tätigkeit tarnen zu wollen“, sagte Bount. „Der Schuss, der auf mich abgefeuert wurde, lässt befürchten, dass man längst weiß, weshalb ich hergekommen bin, und dass man Wert darauf legt, mich zu warnen.“
„Ich frage mich schon die ganze Zeit, wie unsere Gegner erfahren haben könnten, dass Sie für mich arbeiten“, sagte Gregg Elmer. „Eigentlich wussten nur drei Menschen von Ihrem Kommen ... ich selbst, Xenia und Sie.“
„Meine Assistentin ist ebenfalls informiert.“
„Ist sie zuverlässig?“
„Das steht außer Frage.
Gregg Elmer seufzte.
„Es ist nicht auszuschließen, dass meine Leitung angezapft wurde, und dass alles mitgehört werden kann, was ich am Telefon äußere. Ein schrecklicher Gedanke, aber ich werde wohl nicht umhin können, mit ihm zu leben.“ Er seufzte. „Ich wünschte, ich könnte Ihnen mehr anbieten als die mageren Hinweise, die Ihnen augenblicklich zur Verfügung stehen, aber Tatsache ist, dass ich mein Pulver verschossen habe.“
Die Tür öffnete sich. Xenia Elmer trat auf der Schwelle.
„Es ist serviert“, meldete sie.