Читать книгу Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis - Walter G. Pfaus - Страница 34
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ОглавлениеBount spürte, wie sich in seiner Magengegend ein hässliches Gefühl ausbreitete. Er kannte es nur zu gut. Es hatte ihn zuletzt bedrängt, als Virginia Leggins Honda hochgegangen war, und er hasste es, erneut sein Opfer zu werden.
Er ging auf Finch zu, beugte sich über ihn, berührte ihn an der Schulter und registrierte jähe Erleichterung, als der Rothaarige den Kopf zur Seite drehte und etwas Unverständliches grunzte.
Finch lebte noch. Bount drehte ihn behutsam auf die Seite. Äußere Verletzungen waren nicht zu erkennen. Finch hielt die Augen geschlossen, aber seine Lippen bewegten sich, nur war nicht zu verstehen, was er von sich zu geben versuchte.
Bount ließ den Mann los, blickte in den Kofferraum des Wagens und sah, dass der Inhalt der darin abgestellten Reisetaschen durchwühlt worden war. Ein Teil davon lag auf der Gummimatte des Kofferraums.
Bount wandte sich um. Finch hatte die Augen geöffnet und sah sehr erstaunt aus.
„Wie fühlen Sie sich?“, fragte Bount.
Finch schluckte. Er setzte sich mit einem Ruck auf, bereute aber im nächsten Moment, sich so schnell bewegt zu haben. Sein schmerzhaft verzogenes Gesicht machte klar, dass ihn der Schädel schmerzte.
„Ich helfe Ihnen auf die Beine“, sagte Bount und zog Finch hoch. Finch griff sich an den Kopf. „Ich weiß gar nicht, was mich erwischt hat“, sagte er kaum hörbar. „Der Kerl muss von hinten an mich herangetreten sein.“ Finch zuckte zusammen. Er starrte Bount ins Gesicht. „Der Koffer!“, stieß er hervor.
Er wartete Bounts Antwort nicht ab, drehte sich um und torkelte auf den Lift zu. Bount folgte Finch. Sie fuhren mit dem Fahrstuhl nach oben. Finch stolperte in seine Wohnung, blieb abrupt stehen, als er die Bescherung sah und drehte sich um. In seinen Augen flackerten Wut und Entsetzen.
„Das Geld!“, stieß er hervor. „Was ist damit?“
„Es ist verschwunden“, sagte Bount.
Finch riss die Badezimmertür auf und hielt seinen Kopf unter den Kaltwasserhahn. Er ließ den starken Strahl über Kopf und Hals laufen, ohne sich darum zu kümmern, dass dabei auch sein leichtes, einfarbiges Polohemd durchnässt wurde. Als er den Hahn abdrehte und sich aufrichtete, tropfte ihm das Wasser vom Gesicht, aber es war zu erkennen, dass ihn die Behandlung erfrischt hatte.
„Wo ist es?“, fragte er und griff nach einem Tuch, das über dem Wannenrand lag. Er rieb sich damit trocken.
„Wir können es wiederfinden“, sagte Bount. „Voraussetzung ist, dass Sie mir reinen Wein einschenken.“
Finch warf das Tuch achtlos beiseite.
„Sie werden zugeben müssen, dass ich diese Schweinerei Ihnen verdanke“, sagte er. „Wären Sie nicht gekommen, hätte ich mich längst abgesetzt.“
„Glauben Sie nicht, dass die Männer, die sich für Ihr Geld interessieren, Ihnen gefolgt wären?“
„Erst hätten sie mich finden müssen.“
„Es ist nicht Ihr Geld, stimmt’s?“
„Verdammt, wem sollte es denn wohl sonst gehören?“, explodierte Finch. Er ging an Bount vorbei in die Diele, trat mit dem Fuß gegen den Koffer und schäumte: „Ich hole es mir wieder, das schwöre ich Ihnen ... und wenn ich sie alle miteinander zur Hölle schicken muss!“
Bount folgte Finch ins Wohnzimmer. Der entdeckte auf einem der Sessel eine Ginflasche, die noch zu einem Drittel gefüllt war. Er öffnete sie, trank daraus, brütete ein paar Sekunden still vor sich hin, und warf dann die Flasche mit einem Ausbruch jäher Wut nach Bount, der der Attacke nur durch ein Wegreißen des Kopfes zu entgehen vermochte. Die Flasche zerschellte hinter ihm krachend an der Wand.
„Du verdammter Mistkerl, du!“, keuchte Finch und ballte die Hände. „Ich durchschaue dich. Du machst mit den anderen gemeinsame Sache. Sie haben dich vorgeschickt, nicht wahr? Und jetzt hast du den Auftrag, ihren Abgang zu sichern.“
Finch ging auf Bount zu. Der nahm sich gar nicht erst die Mühe, zu antworten, da ohnehin klar war, was folgen würde. Finch zögerte nicht, zuzuschlagen. Er zog zunächst die Rechte ab, ohne voll zu treffen, aber als er die Linke hinterherschickte, hatte Bount Gelegenheit, sich auf den Punch einzustellen, der hinter Finchs Attacke steckte.
Bount ging auf Distanz. Sein Schädel schmerzte immer noch, aber er fühlte sich nicht ernstlich gehandicapt. Wie immer ging er den Fight eher widerwillig an, aber er wusste natürlich, dass er keine Wahl hatte und den hingeworfenen Fehdehandschuh aufnehmen musste.
Finch schlug beidhändig, er brauchte ein Ventil für seine Wut und Enttäuschung, und es machte ihm nichts aus, dabei seine Deckung zu vernachlässigen.
Bount nutzte diese Chance, er wollte das Unvermeidliche rasch hinter sich bringen, um an die Informationen heranzukommen, die er brauchte. Er achtete darauf, seinem Gegner nicht zu wehzutun. Seine Schwinger waren genau dosiert und brachten Finch rasch in Bedrängnis.
Finch begriff, dass er den Gegner unterschätzt hatte und probierte sein Glück mit einem Tiefschlag, aber Bount drehte ab und nahm dem Angriff die Wirkung.
„Du Misthund, du Dreckskerl!“, keuchte Finch, in den Augen Tränen der Frustration.
Bount stach die Rechte heraus. Sie traf voll. Finch verdrehte die Augen und faltete sich zusammen. Er blieb bäuchlings auf dem silbergrauen Spannteppich liegen, ohne sich zu rühren.
Bount machte einen Sessel für sich frei, indem er einen Stoß Magazine und zwei Bierdosen von der Sitzfläche entfernte, ließ sich hineinfallen und wartete darauf, dass Finch wieder ansprechbar war. Es dauerte eine volle Minute, ehe Finch den Kopf hob und mit glasigem Blick um sich starrte. Als er Bount bemerkte, setzte sein Erinnerungsvermögen ein. Er richtete den Oberkörper auf, schüttelte den Kopf und blieb sitzen. Ein Bild des Jammers, die personifizierte Niederlage. Er sah nicht mehr wütend aus, nur noch deprimiert, hoffnungslos und erschöpft.
Bount sagte: „Eigentlich haben Sie guten Grund, sich zu freuen. Sie hätten leicht wie Charly enden können.“
Finch quälte sich auf die Beine, torkelte zur Couch und ließ sich in eine Ecke des Sitzmöbels fallen. Er blickte Bount ins Gesicht.
„Das soll wohl ’n Witz sein. Noch vor einer Viertelstunde war ich ein reicher Mann. Ich könnte es immer noch sein, wenn du mir nicht in die Quere gekommen wärest. Und da redest du von einem Anlass zur Freude!“
„Wenn du meinst, dass wir uns duzen sollten, erhebe ich keine Einwände“, sagte Bount. „Vielleicht kommen wir uns auf diese Weise ein wenig näher. Das Geld ist heiß. Hat Charly es dir zur Aufbewahrung überlassen?“ Finch antwortete nicht, er hatte die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen und kaute darauf herum. „Wenn ich der Polizei von dem Geschehen berichte, gerätst du in eine missliche Situation“, sagte Bount.
„He?“
„Du hast mich gut verstanden. Ich will dir klarzumachen versuchen, zu welchem Ergebnis die Polizei nach Lage der Dinge kommen muss. Charly hatte den Auftrag, das Kenwood Plaza einzuäschern. Du hast ihm dabei geholfen. Das Geld habt ihr euch entweder geteilt, oder es wurde bei dir deponiert. Um Charlys Anteil zu kriegen, hast du deinen Freund abserviert. Virginia musste daran glauben, weil sie als einzige wusste, dass du ein Tatmotiv hast. Sie war eine unbequeme Zeugin, die du zum Schweigen bringen musstest.“
„Das ist doch hirnverbrannter Blödsinn!“, stieß Finch hervor. Auf seinen schlecht rasierten Backen brannten Flecken von hektischer Röte.
„Ich sage nur, was die Polizei aus dem Fall machen wird - nein, machen muss. Aber vielleicht hast du für die Tatzeiten Alibis“, meinte Bount.
„Ich bin kein Killer!“
„Du bist auch kein Mann, der auf legale Weise über Nacht in den Besitz eines Vermögens gelangt“, sagte Bount. „Ein Millionär aus dem Pennermilieu! Wie willst du das den Leuten erklären, die den Fall untersuchen?“
„Mann, was redest du da bloß? Das Geld ist weg! Ich brauche niemand etwas zu erklären - oder?“
„Du vergisst mich. Ich kann bezeugen, dass das Geld in deinem Koffer war.“
„Ich kann es von einer Tante geerbt haben.“
„Das musst du schon beweisen können.“
„Quatsch! Ich muss gar nichts beweisen. Beweisen müssen mir die anderen, dass ich das Geld hatte, und dass es mir nicht gehörte oder aus Quellen stammt, die trüben Ursprungs sind“, meinte Finch.
„Du vergisst Charly und Virginia. Sie sind tot. Nach allem, was geschehen ist, könnte man zu dem Schluss kommen, dass sie sterben mussten, weil du keine Lust hattest, mit ihnen zu teilen“, sagte Bount.
„Ich muss mich wiederholen. Das ist hinverbrannter Blödsinn!“
„Er kann dir das Genick brechen.“
„Wer bist du? Für wen bist du tätig?“
„Ich habe den Auftrag, die Hintergründe des Anschlags auf das Kenwood Plaza zu durchleuchten und die Leute zu finden, die Charly Leggins engagierten. Ich glaube, dass du diese Leute kennst. Deshalb werde ich dich so lange durch die Mangel drehen, bis du zur Vernunft kommst. Lass mich mal schätzen! Was ich in dem Koffer gesehen habe, waren gut und gern hunderttausend Dollar ... wenn nicht mehr“, sagte Bount.
Finchs Augen verengten sich zu Schlitzen.
„Jetzt hast du dich verraten“, sagte er. „Der Koffer war abgeschlossen. Wenn du ihn offen gesehen hast, kann das nur bedeuten, dass du mit den Räubern unter einer Decke steckst.“
„Wieviel war es ?“
„Warum willst du es so genau wissen?“, höhnte Finch. „Hast du Angst, deine Komplizen könnten dich um deinen Anteil betrügen?“
Bount lächelte lustlos.
„Du sitzt auf dem falschen Dampfer. Ich hätte nichts dagegen, ein paar Tausender auf die hohe Kante zu legen, aber ich gehöre nicht zu denen, die krumme Wege gehen, um ein solches Ziel zu erreichen. Ich sehe ein, es ist so gut wie unmöglich, dir das begreiflich zu machen. Du siehst in mir deinen Gegner. Schade. Ich hätte dir helfen können, die Räuber ausfindig zu machen ... aber du bist offenbar entschlossen, auf eigene Faust zu handeln. Ich hoffe, du bist dir über die damit verbundenen Risiken klar. Diese Leute machen kurzen Prozess, wenn sie sich bedroht fühlen.“
Finch stand auf.
„Ich will, dass du verschwindest - und zwar sofort!“, stieß er hervor.
Bount erhob sich.
„Eines wüsste ich noch gern“, meinte er. „Warum hast du zuerst die Reisetaschen weggebracht? In denen befand sich doch nichts von Wert! Oder irre ich mich? Waren sie auch mit Geld gefüllt?“ „Hau ab!“, presste Finch durch die Zähne.
Bount ging. Er atmete tief durch, als er die Straße betrat. Die Hitze war wie ein Feind. Er betrat wenig später eine Telefonzelle und wählte die Nummer des Police Headquarters. Er erfuhr, dass Holm sich noch in Suniland befand. Bount suchte Leggins Telefonnummer heraus und kurbelte sie herunter. Ein Beamter meldete sich.
„Kann ich Lieutenant Holm sprechen, bitte?“, fragte Bount. Wenige Sekunden später hatte er ihn an der Strippe.
„Sie haben Glück“, sagte Holm, „ich wollte gerade hier verschwinden.“
„Ich war bei Finch. Raten Sie mal, wo er jetzt wohnt“, sagte Bount.
„Wieso, hat er das Quartier gewechselt? Dann muss er über Nacht zu viel Geld gekommen sein.“
„Es war sogar sehr viel, mehr als Hunderttausend, schätze ich“, sagte Bount. Er berichtete, was er erlebt hatte. Holm hörte zu, ohne Zwischenfragen zu stellen, aber am Ende von Bounts knapp gehaltenen Ausführungen wollte er wissen: „Sind Sie wirklich der Meinung, dass das Geld, das Sie in Finchs Koffer gesehen haben, aus derselben Quelle stammt, die auch Charly Leggins speiste?“
„Es ist eine naheliegende Theorie“, meinte Bount. „Würden Sie Mike Finch die Herstellung einiger Benzinbomben zutrauen?“
„Ich kann mich erkundigen, ob er das technische Know how dazu mitbringt.“
„Finch wird sich das Geld zurückholen wollen“, sagte Bount. „Er weiß, wo es herstammt, deshalb braucht er keine großen Umwege zu gehen. Es ist wichtig, ihn zu beschatten. Ich kann das im Augenblick nicht selbst erledigen, weil Elmers Privatjet auf mich wartet und ich keine Lust habe, das von meinem Auftraggeber gewährte Entgegenkommen zu strapazieren. Es geht im Grunde gar nicht um das Geld, sondern um diejenigen, die es für den Anschlag auf das Kenwood Plaza ausgaben - es sich aber zurückholten, als Leggins scheiterte. Noch etwas steht auf dem Spiel. Mike Finchs Leben. Er wird enden wie sein Freund Charly, wenn er den starken Mann spielt.“
„Ich gebe zu, dass vieles an Ihrer Theorie bestechend ist, aber so, wie Sie die Dinge hinstellen, kann und will ich sie nicht schlucken. Da wäre zunächst die Summe zu nennen, von der Sie sprechen. Es ist einfach unvorstellbar, dass jemand, der einen Benzinbombenbastler beschäftigt,
dafür hunderttausend Dollar auf den Tisch legt. So was kriegt er für einen müden Tausender.“
„Sie haben recht“, räumte Bount ein, „da muss noch etwas anderes dahinterstecken. Mike Finch weiß, was es ist, aber er weigert sich, darüber zu sprechen. Hängen Sie sich an seine Fersen, oder sorgen Sie dafür, dass einer Ihrer Kollegen diesen Job übernimmt. Er ist wichtig. Ich gehe sogar soweit, zu behaupten, dass er den Schlüssel zu dem Verbrechen enthält.“
„Ich traue Mike eine Menge zu, er ist gut für jedes krumme Ding, aber ich habe meine Zweifel, ob er fähig wäre, einen Mord zu begehen“, sagte Holm.
„Das schließt nicht aus, dass andere diese Fähigkeit besitzen und bereit sein könnten, sie an ihm auszuprobieren.“
„Haben Sie Angst um ihn?“
„Warum nicht? Er ist ein wichtiger Zeuge.“
„Okay, ich behalte ihn im Auge“, versprach der Lieutenant und legte auf.
Bount verließ die Telefonzelle, stoppte an der nächsten Straßenkreuzung ein Taxi und ließ sich zum Flugplatz bringen. Die Starterlaubnis wurde erst nach zweieinhalb Stunden erteilt, so dass Bount sich vornahm, das nächste Mal mit dem Wagen nach Miami Beach zu reisen.
Es war dunkel, als Bount mit seinem geliehenen Camaro vor dem Haus am Seaview Drive in Palm Beach hielt. Im Erdgeschoss brannte Licht. Bount kletterte aus dem Wagen und ging auf die Haustür zu. Sie öffnete sich. Vor dem hellen Licht, das in der Diele herrschte, zeichneten sich Gregg Elmers Konturen ab. Er hatte es sich bequem gemacht und trug zu Cordjeans ein kurzärmeliges Sporthemd. In der Rechten hielt er eine Zeitung.
„Hallo“, sagte er. „Ich hörte Ihren Wagen kommen. Hatten Sie einen guten Flug?“
„Danke“, erwiderte Bount und folgte Elmer ins Innere des Hauses. „Haben Sie schon gehört, was passiert ist?“
„Nein, wieso? Etwas Schlimmes?“
„Virginia Leggins ist tot. Sie flog vor meinen Augen mit ihrem Wagen in die Luft. Um ein Haar hätte es auch mich erwischt“, sagte Bount.
„Das ist ja entsetzlich. Wie ich sehe, haben Sie eine Beule am Kopf davongetragen.“
„Die verdanke ich einem anderen Zwischenfall“, sagte Bount. „Über ihn wird noch zu sprechen sein.“
Sie betraten das Wohnzimmer.
„Nehmen Sie Platz, wo es Ihnen gefällt“, meinte Elmer und sah auf seine Uhr. „Xenia ist nicht zu Hause. Ich habe keine Ahnung, wo sie sich aufhält und muss zugeben, dass ich ihretwegen etwas in Sorge bin.“
„Warum?“, fragte Bount und setzte sich.
„Sie pflegt mich zu erwarten, wenn ich abends aus dem Hotel nach Hause komme“, erwiderte Gregg Elmer, legte die Zeitung aus der Hand und ließ sich Bount gegenüber in einen Sessel fallen. Bount holte seine PALL MALL aus der Tasche und streckte dem Hausherrn das offene Päckchen entgegen. Der bediente sich und sorgte mit seinem Feuerzeug dafür, dass die Zigaretten brannten. „Wenn Xenia aus irgendeinem Grund zur gewohnten Stunde nicht im Haus sein kann, gibt sie mir telefonisch Nachricht, oder sie hinterlässt eine schriftliche Notiz“, fuhr Gregg Elmer fort. „Ich habe keinen Anruf erhalten, ich habe auch keinen Zettel gefunden. Na ja, es ist erst kurz nach Zehn, aber ich mache mir dennoch Sorgen. Es ist einfach ungewöhnlich, dass Xenia so lange ausbleibt, ohne sich zu melden. Ich denke ...“ Er unterbrach sich, als das Telefon klingelte, sprang auf und meinte: „Ich wette, das ist sie. Entschuldigen Sie mich bitte.“
Er trat ans Telefon, nahm den Hörer ab und meldete sich. Bount beobachtete Elmer. Dessen Gesicht straffte sich, es drückte plötzlich jähes Erschrecken aus.
„Hören Sie, Mister ...“, begann er, nachdem der Anrufer etwa eine halbe Minute lang gesprochen hatte, dann ließ er den Hörer sinken. „Aufgelegt“, murmelte er.
„Wer war das?“, fragte Bount, der sehr direkt sein konnte, wenn es um eine wichtige Information ging.
Gregg Elmer schritt mit der Zigarette in der herabbaumelnden Linken, zu seinem Platz und setzte sich. Er starrte ins Leere. Es schien, als habe er Bounts Frage nicht gehört.
„Wer war das?“, wiederholte Bount.
Gregg Elmer zuckte kaum merklich zusammen.
„Er verlangt von mir, dass ich Sie nach Hause schicke.“
„Wer?“
„Seinen Namen hat er nicht genannt. Es war zu merken, dass er mit stark verstellter Stimme sprach ... vermutlich durch ein Tuch. Er erklärte, dass ich Xenia nicht wiedersehen werde, wenn Sie nicht sofort die Stadt verlassen. Als ich ihm antworten wollte, legte er auf. Ach ja, noch eines hat er gefordert. Keine Polizei. Kein FBI.“
„Wusste er, dass ich bei Ihnen bin?“
„Keine Ahnung, das hat er nicht erwähnt. Was sollen wir jetzt tun?“
„Informieren Sie die Polizei!“
„Ausgeschlossen, das kann ich nicht. Ich darf Xenias Leben nicht aufs Spiel setzen. Deshalb muss ich Sie bitten, abzureisen. Noch in dieser Stunde. Mir bleibt keine Wahl.“
„Auf diese Weise kriegen Sie nie heraus, was geschehen ist und wer sich hinter den Anschlägen verbirgt.“
„Mag sein, aber das ist nicht länger wichtig für mich. Jetzt geht es um Xenia. Ich muss sie retten. Die Leggins sind tot, aber die habe ich nicht einmal gekannt. Tomlin wird sich rasch von seiner Schussverletzung erholen, und was den Brandanschlag und seine Folgen betrifft, so genügt es, wenn Polizei und Versicherung sich einstweilen damit befassen.“
„Sie vergessen Myers“, sagte Bount.
„Keineswegs. Besonders jetzt denke ich an ihn - und das mit gutem Grund.“
„Warum?“
Elmer holte tief Luft.
„Wie ich schon sagte, war die Stimme des Anrufers verstellt, aber sie erinnerte mich in geradezu erschreckend starkem Maße an die von Dick Myers.“
„Würden Sie ihm zutrauen, dass er sich auf die Seite Ihrer Gegner geschlagen hat?“
„Nein.“
„Wie heißt Ihr zweiter Mann?“, fragte Bount.
„Hugh. Dexter Hugh. Warum fragen Sie? Er ist okay.“
„Wie alt ist er?“
„Siebenundzwanzig. Ein Anfänger, wenn Sie so wollen, aber er gibt sich Mühe, gute Arbeit zu leisten. Natürlich fehlt ihm das Format, das Myers hat, und fraglos muss er seinen Erfahrungsschatz noch ausbauen ...“
„Arbeitet Hugh nach dem Ausfall seines Kollegen Myers rund um die Uhr?“
„Wie man’s nimmt. Hugh ist vorübergehend auf Wunsch der Hotelleitung in den Personalflügel des Kenwood Plaza gezogen. Er ist jederzeit greifbar, wenn Not am Mann ist, aber natürlich kann er nicht vierundzwanzig Stunden hintereinander Dienst tun.“
„Wie war das Verhältnis zwischen ihm und Myers?“, wollte Bount wissen.
„Myers ist der Boss. Er mimte nicht den großen Chef, aber er achtete auf eine gewisse Distanz und machte dem Jüngeren klar, wer das Sagen hat. Ich finde das nur natürlich.“
„Hugh denkt darüber möglicherweise anders.“
„Kann schon sein, aber das ist ohne Bedeutung. Ich bin der Hoteldirektor und durchaus bereit, einem guten Angestellten mal gönnerhaft auf die Schultern zu klopfen, aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich mich mit ihm auf eine Stufe stelle. Die Beziehungen zwischen Myers und Hugh sind ähnlich gelagert. Warum fragen Sie?“
„Ich wüsste gern, ob es zwischen den beiden eine gewisse Spannung gibt.“
„Sie halten es für möglich, dass Hugh auf Myers sauer ist und seinen Job haben möchte? Das kann und will ich nicht ausschließen, aber wenn Sie glauben sollten, dass sich dahinter das Motiv verbirgt, der Brandanschlag etwa, und Myers Verschwinden, sind Sie falsch gepolt. Hugh ist ein guter Mann. Absolut seriös. Ehe wir jemand mit einem solchen Posten betrauen, durchleuchten wir sein Vorleben gründlich. Das von Dexter Hugh ist untadelig. Nein, er ist kein Amokläufer, der Verbrechen inszeniert, um einen Konkurrenten aus dem Wege räumen zu können. Ich halte Hugh nicht für einen Superdetektiv, aber er kann noch in diese Rolle hineinwachsen. Im Übrigen ist er integer. Ein Mann ohne Fehl und Tadel, wie ich glaube. Zufrieden?“
„Wenn ich Fragen stelle, beinhalten sie nicht gezwungenermaßen einen Verdacht“, stellte Bount richtig. „Aber es ist notwendig, dass ich die Figuren kenne, die in diesem Spiel von Bedeutung sind.“
„Dexter Hugh hat mit dem Spiel nichts zu tun“, versicherte Gregg Elmer.
„Ist er verheiratet?“
„Nein.“
„Ich würde gern ein paar Worte mit ihm wechseln.“
„Das steht Ihnen selbstverständlich frei, aber Tatsache ist, dass Dexter für das Geschehen ein Alibi hat. In der Nacht, als auf Tomlin geschossen wurde und der Brandanschlag erfolgte, war er nachweislich in Miami Beach, in einem Spielkasino.“
„Ist er ein Glücksspieler?“
Gregg Elmer lachte.
„Diese Frage war zu erwarten. Nein, Dexter ist kein Spieler. Er ist ein ganz normaler Mann, der hin und wieder das Bedürfnis hat, sich dem Kitzel eines Spiels hinzugeben. Er hat meines Wissens keine Schulden, und er ist wohl auch nicht der Typ, der welche machen würde.“
Bount berichtete im Einzelnen, was er in Miami Beach erlebt hatte und schloss: „Ich hoffe, dass es der Polizei gelingt, Mike Finch zu beschatten, und dass sie dabei auf die Figuren stößt, die für uns von Interesse sind.“
„Ich glaube, Sie verrennen sich da in etwas, das mit dem Kenwood Plaza-Anschlag nichts gemein hat“, meinte Elmer. „So viel Geld, wie Sie in dem Koffer gesehen haben wollen, gibt niemand für einen solchen Anschlag aus.“
„Ja, das ist ein schwaches Glied in der Kette meiner Überlegungen“, räumte Bount ein. „Ich habe zwar das Gästebuch eingesehen, jedoch versäumt, mir sagen zu lassen, wer im achten Stockwerk und in den drei darüber liegenden Etagen wohnte.“
„Diese Spezifikation habe ich mir anfertigen lassen, ich habe sie in meinem Aktenköfferchen“, meinte Gregg Elmer und stand auf. „Moment, ich hole sie Ihnen.“ Er ging hinaus und kehrte mit ein paar Fotokopien zurück. „Bitte“, sagte er, drückte sie Bount in die Hand und setzte sich.
Bount überflog die Namen. Er fand keinen darunter, der ihm geläufig war, aber ihm fiel auf, dass sich viele spanisch klingende Namen aneinander reihten.
„Was hat das zu bedeuten?“, sprach er Gregg Elmer darauf an.
„Nicht das Geringste“, erklärte Gregg Elmer. „In diesem Teil des Landes ist das nichts Ungewöhnliches.“
„Sie beherbergen doch wohl in erster Linie Touristen, die aus anderen Staaten und Ländern kommen“, meinte Bount.
„Das ist richtig. Im Augenblick wohnen jedoch viele Exil-Kubaner bei uns“, erklärte Gregg Elmer. „Besonders solche, versteht sich, die ihr Vermögen vor der Revolution nach Amerika zu transferieren vermochten. Sie liegen gleichsam in Lauerstellung. Sie wollen der alten Heimat nahe sein. Sie hoffen auf einen Umsturz, gleichzeitig schmieden sie Pläne, die ihre Zukunft in den USA betreffen. Ein seltsames Völkchen. Solange sie in Zeiten der Flaute das Hotel füllen und gut zahlen, sind sie mir hochwillkommene Gäste.“
„Das sind nur die Namen von den Gästen in der achten Etage“, erkannte Bount.
„Dort erfolgte doch der Anschlag!“
„Ich habe mir den Grundrissplan angesehen. Das Zimmer, das Leggins bewohnte, lag nur ein paar Yards von der Nottreppe entfernt, und die beiden anderen Benzinbomben, die intakt aufgefunden wurden, wären in einem Zimmer unweit des Treppenhauses hochgegangen. Ich schließe daraus, dass es einen taktischen Plan der Attentäter gibt. Sie wollten sicherstellen, dass niemand aus den oberen Stockwerken fliehen kann. Wenn die Treppen und Liftschächte durch Rauch und Flammen versperrt worden wären, hätte es für die Eingeschlossenen kaum eine Rettungschance gegeben, nicht wahr? So gesehen ist es also besonders wichtig, festzustellen, wer in den drei oberen Stockwerken wohnte - oder wohnt.“
„Sie haben recht“, murmelte Gregg Elmer beeindruckt. „Ich lasse diese Listen morgen anfertigen und sorge dafür, dass Sie Kopien erhalten.“ Er stand auf, trat an den Barwagen und griff nach einem Glas. „Trinken Sie einen mit?“, fragte er.
„Danke, nein.“
Gregg Elmer füllte sein Glas.
„Ich muss verrückt sein“, murmelte er dabei. „Ich rede über Hugh, ein paar kubanische Gäste und Benzinbomben, und vergesse dabei, dass Xenia entführt wurde. Wie und wo kann ich sie finden? Was muss ich tun, um sie aus den Klauen ihrer Kidnapper zu befreien?“
„Wie sicher sind Sie, dass die Stimme des Anrufers identisch ist mit der von Dick Myers?“
„Es ist so ein Gefühl. Ich kann es nicht erklären. Aber natürlich bin ich meiner Sache nicht sicher. Myers hat so einen seltsamen Slang. Er ist in Brooklyn großgeworden, glaube ich. Vielleicht ist das die Erklärung für die merkwürdige Assoziation, vielleicht stammt der Mann, der mich anrief, aus Brooklyn.“ Gregg Elmer setzte sich, mit dem Glas in der Hand. Er sah Bount an. „Wir haben keine Wahl. Es ist unsinnig, wenn ich von Gästelisten rede und Ihnen verspreche, sie an Sie weiterzuleiten. Sie müssen raus aus Palm Beach, sonst gefährden wir Xenias Leben.“
„Wer sagt Ihnen, dass Sie es schützen, wenn Sie das Ultimatum der Gangster befolgen?“
„Sie glauben, es sei dumm, sich einschüchtern zu lassen? Ich sehe das anders. Die Gangster haben gezeigt, wozu sie fähig sind. Ich nehme ernst, was sie mir und Xenia androhen. Ich für meinen Teil bin entschlossen, den Befehl zu akzeptieren.“
„Okay. Sie kündigen mir. Ist es Ihnen recht, wenn ich dennoch weitermache ... ohne Ihre Einwilligung?“
„Das ist Unsinn.“
„Es war nur ein Vorschlag“, sagte Bount und erhob sich. „Ich hoffe, Sie sind sich über die Risiken klar. Wenn Sie weder Polizei noch FBI einschalten und mich gleichzeitig nach Hause schicken, bedeutet das im Klartext, dass Sie nichts für Xenia tun, dass Sie sie ihrem Schicksal überlassen und sich völlig in die Hände dieser Gangster geben.“
„Sie brauchen mir nicht klarzumachen, in welcher Situation Xenia und ich mich befinden“, knurrte Elmer. Er leerte sein Glas und stand auf. „Verdammt, mir ist zumute, als müsste ich daran krepieren, aber ich muss jetzt auf Zeit spielen und hoffen, dass ich mich in irgendeiner Weise mit den Gangstern arrangiere.“
„Was werden Sie tun, wenn der Anrufer sich erneut meldet und für Xenia ein Lösegeld fordert?“
„Ich weiß es nicht.“
„Werden Sie zahlen?“
„Das hängt davon ab, was die Leute fordern werden. Ich bin kein Millionär. Glauben Sie denn, dass es diesen Burschen um Geld geht?“, fragte er.
Bount zuckte mit den Schultern.
„In der Hauptsache kommt es ihnen wohl darauf an, mich auszuschalten, aber es würde mich nicht wundern, wenn sie versuchten, gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen.“
„Es ist fantastisch, welche Furcht diese Kerle vor Ihnen haben“, meinte Gregg Elmer.
„Das ist noch ein Indiz dafür, dass Dick Myers seine Hände im Spiel haben könnte“, sagte Bount.
Gregg Elmer nickte.
„Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Er kennt Sie. Es muss ihn geschockt haben, als er erfuhr, dass der Mann, den er für einen der tüchtigsten Kriminologen des Landes hält, plötzlich hier auftauchte und ausgerechnet ihn, seinen Bewunderer, zu jagen versucht ...“
„Sie reden, als sei es ausgemachte Sache, dass Ihr Freund Myers hinter den Verbrechen steht.“
„Sie haben recht“, meinte Gregg Elmer mit jäher Zerknirschung. „Ich darf mich nicht in diese Hypothese verrennen. Aber da ist die Erinnerung an diese Telefonstimme. Sie war verstellt, und der von Myers doch so ähnlich ...“
Bount schritt zur Tür.
„Ich hasse es, mitten in einem Job aufzugeben“, meinte er.
Gregg Elmer begleitete seinen Gast in die Diele.
„Es gibt noch eine Möglichkeit“, sagte er stirnrunzelnd und blieb stehen. „Der Anrufer hat nicht gewusst, dass Sie bei mir sind. Er muss davon ausgehen, dass es mir erst in Stunden gelingt, Sie aufzuspüren und von dem Ende Ihrer Mission in Kenntnis zu setzen. Das würde bedeuten, dass Ihnen immerhin noch diese Nacht bleibt, etwas herauszufinden - nur ein paar Stunden.“
„Das ist sicherlich zu wenig“, meinte Bount, „aber ich werde versuchen, sie zu nutzen.“