Читать книгу Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis - Walter G. Pfaus - Страница 35
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ОглавлениеBount hörte Schritte in der Diele. Sie stoppten an der weißgelackten Wohnungstür. Der winzige Türspion verdunkelte sich. Bount hob das Kinn. Die Tür öffnete sich, nur spaltbreit. Die auf der Innenseite eingehängte Kette klirrte leise.
„Wer sind Sie?“, fragte eine weibliche Stimme. „Wissen Sie, wie spät es ist?“
Bount reichte seine Lizenzkarte durch den Spalt.
„Bount Reiniger“, stellte er sich vor. „Ich nehme an, Sie haben schon von mir gehört. Es ist offenbar ein Hobby Ihres Mannes, Zeitungsberichte zu sammeln, die sich mit meiner Tätigkeit als Privatdetektiv befassen.“
„Bount Reiniger?“, hauchte es durch den Türspalt.
„In voller Lebensgröße“, sagte Bount und sah sich von einem großen, lang bewimperten Auge gemustert.
„Wie soll ich wissen, ob das Ganze nicht ein Trick ist?“, fragte die Frau.
„Dafür ist der Ausweis da. Vergleichen Sie mein Aussehen mit dem Foto!“
„So ’n Ausweis lässt sich doch fälschen, oder? Sie werden verstehen, dass ich nach Dicks Verschwinden ängstlich und misstrauisch bin.“
„Wenn Sie wollen, treffen wir uns in dem Lokal an der Ecke - in aller Öffentlichkeit.“
„Lieber nicht. Die Leute aus der Umgebung haben scharfe Zungen“, sagte Mary Myers. Bount hörte, wie sie die Kette aushängte. Im nächsten Moment öffnete sich die Tür. „Kommen Sie herein!“, sagte die Frau, zögernd und lächelnd zugleich. „Ich hoffe, das Ganze hat seine Ordnung.“
Sie gab ihm die eingeschweißte, mit Zelluloid ummantelte Karte zurück. Bount steckte sie ein und folgte der Frau ins Wohnzimmer. Er musste zugeben, dass Mary Myers attraktiv war und über eine Menge Sex Appeal verfügte. Sie trug einen fast bodenlangen Mantel, unter dessen anschmiegsamer Seide sich ein biegsamer, langbeiniger Körper verbarg.
Mary Myers war platinblond. Sie hatte blaue Augen und üppig schwellende Lippen. Sie hatte ein wenig Ähnlichkeit mit der Monroe, zumindest im Typ war sie ihr ähnlich. Für die Frau eines schlichten Hoteldetektivs machte sie viel her. Ohne Zweifel gehörte sie zu den Frauen, die Männerblicke auf sich lenkten und sorgfältig darauf achteten, dass es so blieb.
Das Wohnzimmer war fraglos von ihr möbliert worden, es war recht plüschig, wie Bount fand, und überladen mit Kissen und Stoffpuppen, die die Couch und ein paar Sessel bevölkerten. Derselbe rosarote Geschmack drückte sich auch in ein paar kitschigen Wandbildern aus.
„Nehmen Sie Platz!“, forderte Mary ihn auf, ließ sich in einen Sessel fallen, schlug die bestrumpften Beine übereinander und hatte es nicht eilig, den dabei zur Seite gleitenden Hausmantel zu schließen. Ihre Füße steckten in goldfarbigen Pantöffelchen mit hohen Absätzen.
„Ich würde mich gern ein wenig frisch machen“, sagte Bount.
„Das Bad liegt schräg gegenüber.“
Bount entschuldigte sich, betrat das Bad, musterte sich flüchtig im Spiegel, drehte den Wasserhahn auf, und blickte sich prüfend um. Das Bad hatte zwei Waschbecken. Auf der Konsole, die Dick Myers Kosmetika enthielt, stand eine Porzellanschale, aus der ein Rasierpinsel ragte. Bount nahm ihn heraus, prüfte die Borsten und spitzte die Lippen, als er feststellte, dass sie nass waren. Kein Zweifel, der Pinsel war vor weniger als ein oder zwei Stunden benutzt worden. Bount wusch sich die Hände, rieb sie trocken und kehrte ins Wohnzimmer zurück.
„Sie haben eine sehr hübsche Wohnung“, meinte er.
„Danke. Wir hätten sie uns nicht leisten können, wenn ich nicht jahrelang mitverdient haben würde. Sie sind ein Top-Mann der Branche, wie ich von Dick weiß, aber er selbst gehört zu den Mitläufern, zur großen, grauen Masse der Hoteldetektive. Was er verdient, reicht gerade so aus, um über die Runden zu kommen. Für Extras und Rücklagen bleibt nichts übrig.“
„Macht der Beruf ihm Spaß?“
„Das ist ja das Problem. Er liebt ihn. Dabei hat er wirklich was auf dem Kasten, er könnte auf ganz andere Weise Karriere machen - aber nein, er muss partout Sherlock Holmes spielen“, schloss sie seufzend.
„Ich weiß von Mister Elmer, dass er Ihren Mann für ungemein tüchtig hält. Sie sind Freunde.“
„Freunde!“, höhnte Mary Myers. „Ist es Freundschaft, wenn ein reicher Mann - und das ist Gregg Elmer - einen Burschen von Dicks Format für einen Hungerlohn arbeiten lässt? Gerade weil wir miteinander verkehren, fällt es Dick schwer, sich durchzusetzen. Er hat nicht den Mut, um eine Gehaltserhöhung zu fragen, und Gregg Elmer denkt nicht daran, sie ihm freiwillig anzubieten.“
„Wann haben Sie Dick zuletzt gesehen und gesprochen?“
„An dem Tag, als der Brandanschlag erfolgte. Dick verließ das Haus am frühen Nachmittag. Sein Dienst begann gegen sechs Uhr abends, aber er hatte noch eine Kleinigkeit in der Stadt zu erledigen. Er hatte eine Verabredung mit seinem Zahnarzt. Seitdem habe ich Dick nicht mehr zu Gesicht bekommen. Sie werden jetzt wissen wollen, ob er an dem Tag anders war als sonst, das wollte jedenfalls die Polizei wissen, aber ich kann nur sagen, dass ich nicht Auffälliges an ihm bemerkte.“
„Dafür habe ich etwas Auffälliges bemerkt.“
„Nämlich?“
„Ehe ich darauf antworte, wüsste ich gern, ob Sie einen Freund haben, Missis Myers.“
Mary Myers hob das Kinn.
„Ich bin verheiratet, Kommissar. Glücklich verheiratet!“
Bount lächelte.
„Den Kommissar können Sie ruhig streichen. Es ist kein offizieller Titel, und ich werde immer ein wenig verlegen, wenn jemand mich damit zu schmücken versucht. Was nun Ihre Antwort betrifft, so bedaure ich feststellen zu müssen, dass sie nur eine halbe ist.“
„Wollen Sie damit andeuten, dass auch glücklich verheiratete Frauen dazu neigen könnten, sich mit einem Freund zu amüsieren?“, spottete Mary Myers.
„Glück und Treue sollten eigentlich zusammengehören, aber tatsächlich sind sie zwei grundverschiedene Dinge“, stellte Bount fest.
„Sie haben gewiss einen Grund für Ihre Neugierde“, sagte die Frau.
„Ja, den habe ich“, Bount nickte. „Ich entdeckte im Badezimmer den Rasiernapf Ihres Mannes mitsamt Pinsel. Er gehört doch Dick?“
„Ja, er gehört ihm.“
„Nassrasierer sind selten geworden, deshalb fällt so eine Ausrüstung auf“, sagte Bount. „Ebenso auffällig ist der Umstand, dass der Pinsel nass ist. Er ist während der letzten Stunden benutzt worden. Erzählen Sie mir jetzt bitte nicht, dass Sie es waren, die damit hantierte! Früher pflegten die Damen ihre Beine schon mal zu rasieren, aber heute gibt es Cremes, die sich mit diesem Problem befassen.“
Mary Myers schluckte und hatte sichtlich Mühe, ihre Überraschung zu verkraften.
„Was ... was schließen Sie aus dem Ganzen?“, fragte sie.
„Ich muss annehmen, dass Dick hier war ... oder dass Sie einen Freund haben, der Dicks Rasierpinsel benutzte.“
„Dick war nicht hier.“
„Wer hat Sie besucht?“
„Ich ... ich möchte nicht darüber sprechen“, stotterte Mary und bekam einen roten Kopf.
„Also doch ein Freund?“
Mary Myers senkte den Blick.
„Ja“, flüsterte sie kaum hörbar.
Bount fischte seine PALL MALL aus der Tasche und hielt die geöffnete Packung der Frau entgegen. „Rauchen Sie?“ Mary Myers bediente sich. Ihre Finger zitterten ein wenig. Bount gab ihr Feuer und versorgte sich dann selbst. „Sie wissen, was geschehen ist. Als Sie von dem Toten hörten, der in Miami Beach gefunden wurde, erfuhren Sie sicherlich auch dessen Namen. Wurden Sie zum ersten Mal mit ihm konfrontiert?“
„Mit Charly Leggins, meinen Sie? Ja, zum ersten Mal. Warum fragen Sie?“
„Lassen Sie mich sagen, dass Sie ein exzellentes Namensgedächtnis haben“, meinte Bount mit einem kaum wahrnehmbaren Unterton von Spott. Die Frau wurde erneut rot.
„Natürlich interessiere ich mich seit Tagen für alles, was mit dem Verbrechen zusammenhängt“, meinte sie erklärend. „Schließlich liegt auf der Hand, was geschehen sein muss ...“
„Nämlich?“
„Dick muss spitzgekriegt haben, was im Hotel lief. Er hat versucht, einen oder mehrere dieser Leute hoppzunehmen. Dabei haben diese Gangster den Spieß umgedreht und Dick kassiert. Eine andere Möglichkeit sehe ich nicht. Ich kann nur hoffen, dass er noch lebt.“ Sie rauchte mit kurzen nervösen Zügen und sah Bount nicht an, als sie halblaut fortfuhr: „Ich spüre Ihre Skepsis meinen Worten gegenüber beinahe körperlich. Sie glaubten vielleicht, ich möchte Dick los sein und würde mich freuen, wenn er nicht zurückkehrt, aber das ist dummes Zeug. Ja, ich habe einen Freund, aber nur so, gewissermaßen als Spielzeug. Er bedeutet mir nichts. Ich liebe nur Dick.“
„Schon mal etwas von einem Mike Finch gehört?“
„Nein.“
„Er war mit Charly Leggins befreundet. Übrigens hat es heute auch dessen Frau erwischt, Virginia Leggins - wussten Sie das?“
„Nein“, hauchte Mary Myers mit schreckgeweiteten Augen. „Das ist ja entsetzlich!“
„Ich war bei Finch. Er hatte das Quartier gewechselt und war aus dem Pennermilieu, in dem er lange gelebt hat, in eine Luxusbleibe gewechselt. Aber auch die wollte er verlassen ... überstürzt und offenbar entschlossen, zu fliehen. Sein Koffer war voller Geld und erklärt, weshalb Finch sich abzusetzen versuchte. Er kam nicht dazu. Er und ich wurden kurzerhand ausgeschaltet, ohne dass wir sahen, mit wem wir es zu tun hatten. Das Geld ist verschwunden. Nach meiner vorsichtigen Schätzung waren es mindestens Hunderttausend. Ich gehe davon aus, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Charly Leggins Auftreten im Kenwood Plaza, seinem Ende und dem Tod seiner Frau, Finchs plötzlichem Reichtum und dem Geldverlust bestehen. Irgendwo passt natürlich auch Dick in dieses Bild - und Sie“, schloss er.
„Ich?“
Bount lächelte. „Davon bin ich überzeugt.“
„Sie mögen ein Mann sein, der auf viele Erfolge zurückblickt, aber das muss nicht bedeuten, dass Sie in jedem Fall den richtigen Riecher haben. In diesem Fall lässt er Sie ganz offenkundig im Stich“, meinte Mary Myers.
„Kennen Sie Dexter Hugh, den Kollegen Ihres Mannes?“, fragte Bount.
„Selbstverständlich.“
„Wie kommen die beiden miteinander aus?“
„Sie sind Kollegen. Es gibt keine Spannungen. Im Gegenteil. Ich würde sagen, dass sie Freunde sind. Dexter ist Junggeselle, deshalb lädt Dick ihn hin und wieder zum Essen ein.“
„Wo lebt Hugh?“
„Nur zwei Straßenblocks von hier entfernt, in der Greenwood Lane. Haus 14.“
„Danke. Wie ich hörte, ist er ins Hotel gezogen. Haben Sie einen Schlüssel für seine Wohnung?“
„Wie kommen Sie denn darauf?“
„Es ist nur eine Frage. Sie sind eine Frau. Vielleicht kümmern Sie sich zuweilen um Dexters Bleibe. Sie wird eine ordnende Hand brauchen, nehme ich an - und da Sie mit ihm befreundet sind, liegt es doch nur nahe, zu vermuten, dass er Ihnen seinen Schlüssel überlassen hat.“
„Ich muss da etwas richtigstellen“, sagte Mary Myers spröde. „Nicht ich bin mit Dexter befreundet, sondern Dick ist es. Das fehlte mir gerade noch, dass ich fremden Leuten die Wohnung putze!“
„Würden Sie mir sagen, wer Sie besucht hat?“
„Der Mann ist verheiratet. Ich habe kein Recht, ihm irgendwelche Schwierigkeiten zu machen.“
„Ich würde gern ein paar Worte mit ihm wechseln. Seine Frau braucht nichts davon zu erfahren.“ „Er hat nichts mit dem Verbrechen zu tun, das weiß und fühle ich. Nein, ich bin nicht bereit, Ihnen den Namen zu nennen“, sagte Mary Myers entschlossen. „Übrigens - wie ist diese Missis Leggins denn ums Leben gekommen?“
„Eine Bombe. Sie war mit der Zündung ihres Wagens verbunden“, sagte Bount.
„Das ist ja schrecklich“, murmelte Mary Myers und erblasste.
Bount lächelte dünn.
„Wissen Sie, welcher Eindruck sich mir aufdrängt? Sie verheimlichen mir einiges. Gleichzeitig haben Sie Angst. Oh nein, nicht vor mir. Das Schicksal der Leggins gibt Ihnen zu denken ... insbesondere das der armen Virginia.“
„Was sollte ich Ihnen verheimlichen?“
„Ich weiß es nicht, aber ich denke, Sie wären gut beraten, wenn Sie mir Ihr Vertrauen schenkten.“
„Ich bin müde. Ich habe die letzten Nächte kaum geschlafen, weil ich immerzu an Dick denken musste. Ich habe keine Ahnung, wo er sich aufhält. Ich weiß nicht einmal, ob er noch lebt. Ich bin am Ende. Lassen Sie mich jetzt allein, bitte.“
Als Bount auf der Straße stand, fiel ihm ein, dass er keine Bleibe hatte. Es war nicht so wichtig. Die Nacht war noch lang und er konnte es sich nicht leisten, an Schlaf zu denken. Er fuhr zum Kenwood Plaza.
„Ich würde gern ein paar Worte mit Mister Hugh sprechen, mit dem Hoteldetektiv“, teilte er dem Mann hinterm Rezeptionstresen mit.
„Mal sehen, ob ich ihn erreiche, Sir“, meinte der Mann und begann zu telefonieren. „Sie haben Glück“, wandte er sich kurz darauf an Bount. „Er ist in seinem Zimmer. Personalflügel. Dritte Etage. Es gibt da einen Portier. Er wird Ihnen den Weg weisen, Sir.“
Es war Mitternacht, als Bount in dem sehr kahl wirkendem Personalflügel an die Tür klopfte, die der Portier ihm genannt hatte. Die Tür öffnete sich.
„Hallo, Mister Reiniger“, sagte der Mann, der sich auf der Schwelle zeigte, und streckte Bount lächelnd eine kräftige Hand entgegen. „Ich habe schon viel von Ihnen gehört. Dick verehrt Sie. Sie sind sein Vorbild. Treten Sie ein und entschuldigen Sie die spartanische Einrichtung! Ich lebe nur vorübergehend hier. Meine Wohnung liegt in der Stadt, aber solange Dick uns nicht zur Verfügung steht, muss ich rund um die Uhr erreich und greifbar sein.“
Er trat zur Seite und musterte Bount wie ein Wundertier. Der sah sich in dem winzigen Apartment flüchtig um.
„Der Unterschied zwischen dem Gäste- und dem Personalkomplex ist recht deutlich ausgefallen“, stellte er fest. „Ist das die Tür, die ins Badezimmer führt?“
„Ja. Bad ist zu viel gesagt. Werfen Sie ruhig einen Blick hinein! Dusche und WC auf kleinstem Raum, und ein Waschbecken. Zum Glück stelle ich keine großen Ansprüche. Sie müssten mal die Zimmer der Stubenmädchen sehen, die sind noch kleiner und schäbiger!“
Bount betrat das Badezimmer. Es war tatsächlich winzig. Auf der Spiegelkonsole stand ein Porzellannapf mit Rasierpinsel. Bount verhielt sich wie in Mary Myers Wohnung, er fasste den Pinsel an. Die Borsten waren trocken.
Bount kehrte ins Wohnzimmer zurück. Dexter Hugh rückte ihm eifrig einen Stuhl zurecht. „Sessel gibt’s hier leider nicht - aber die Stühle sind bequemer als es den Anschein hat. Trinken Sie etwas?“
„Danke, nein“, meinte Bount und setzte sich. Auf dem Tisch stapelten sich Zeitungen. Außerdem standen noch eine halbleere Ginflasche und zwei Gläser darauf.
„Sie waren bei Mary“, kam Bount geradewegs zur Sache.
Dexter Hugh zuckte kaum merklich zusammen. Er blinzelte ein wenig. „Bitte?“
„Sie waren bei Mary“, wiederholte Bount geduldig. „Sie sind mit ihr befreundet.“
„Wie kommen Sie darauf?“
„Ganz einfach“, sagte Bount. „Sie sind frisch rasiert und Ihr Rasierpinsel ist knochentrocken. Also haben Sie die Rasur in Marys Wohnung besorgt. Dicks Pinsel ist nämlich nass ... aber Sie und ich wissen, dass er seit Tagen nicht zu Hause war.“
Dexter Hugh sah betroffen aus. Er grinste ein wenig dümmlich.
„Mann“, sagte er nach kurzer Pause. „Sie haben wirklich was auf dem Kasten.“ Dexter Hugh war ein hochgewachsener, recht gut aussehender Bursche mit markanten Gesichtszügen, schwarzem, nackenlangen Haar und dunklen Augen. Er hatte ein fixes Lächeln und war sicherlich imstande, Charme zu entwickeln, aber seine Reaktion auf Bounts Worte zeigte, wie brüchig sein Selbstvertrauen war, und wie leicht er ins Trudeln geriet, wenn er in die Zange genommen wurde.
„Danke“, sagte Bount. „Also - was ist mit euch beiden?“
„Was soll sein?“, fragte Hugh und machte einen gequälten Eindruck. „Ich bin verrückt nach Mary. Es gab mal eine Zeit, wo ich glaubte, dass sie meine Gefühle erwidert, aber seit einiger Zeit bezweifle ich, ob das zutrifft. Okay, sie ist nett zu mir, sie verwehrt mir kaum etwas, worum ich sie bitte und dennoch wäre sie vermutlich niemals bereit, mich zu heiraten.“
„Weiß Dick, was zwischen Ihnen und seiner Frau läuft?“
„Um Himmels willen, nein“, sagte Dexter Hugh und sah erschrocken aus.
„Mary hat bestritten, mit Ihnen befreundet zu sein. Sie gab vor, dass der Mann, mit dem sie Dick betrügt, verheiratet sei. Offenbar war das eine Schutzbehauptung, die nur dem Zweck dient, Sie nicht in Verdacht geraten zu lassen.“
„Wundert Sie das? Zunächst einmal kann Mary und mir nicht daran gelegen sein, dass die Sache herauskommt“, meinte Dexter Hugh, „und eine doppelte Katastrophe wäre es, wenn Dick erführe, dass ausgerechnet ich ...“ Er führte den Satz nicht zu Ende und senkte den Kopf.
„Wie ist es passiert?“, fragte Bount ruhig.
„Mann, wie denn wohl! Sie haben mich oft eingeladen. Dick hat es getan, um ehrlich zu sein. Natürlich bin ich gern zu den Myers gegangen, aus zweierlei Gründen. Ich bin Junggeselle und schätze ein gutes Essen, und außerdem gefiel mir Mary. Ich hatte niemals vor, mich mit ihr einzulassen. Das hielt ich lange Zeit für ein Tabu. Als ich begriff, wie unglücklich sie in ihrer Ehe war, kam ich auf die Idee, sie zu trösten ... und daraus entwickelte sich fast zwangsläufig das andere, unser Verhältnis, meine ich.“
„Mary hat mir gesagt, sie liebe ihren Mann. War das auch eine Schutzbehauptung?“
„Was soll ich darauf antworten? Sie hat eine Schwäche für ihn. Die haben fast alle, die ihn kennen. Dick ist okay. Ein heller Kopf. Er hat nur einen Fehler. Er ist ein Arbeitsfanatiker. Er kennt nur seinen Job, sonst nichts. Er hat Mary vernachlässigt. Im Grunde darf er sich nicht wundern, dass es so gekommen ist.“
„Sie begreifen hoffentlich, dass Sie in der Patsche sitzen“, sagte Bount ruhig.
„He, wie soll ich das verstehen?“, fragte Dexter Hugh stirnrunzelnd.
„Myers ist verschwunden. Alles deutet daraufhin, dass es im Zusammenhang mit dem Brandanschlag geschah, aber es kann natürlich auch andere Ursachen haben. Wenn die Polizei erfährt, dass Sie mit Mary Myers liiert sind, wird man sich fragen, ob es nicht am Ende Sie waren, der Myers aus dem Verkehr zog. Dafür gibt es immerhin gleich zwei gute Gründe.“
„Die müssen Sie mir nennen, da bin ich aber wirklich neugierig“, murmelte Dexter Hugh.
„Als guter Detektiv müssten Sie eigentlich von selbst darauf kommen.“
„Lassen Sie mich raten. Zwei Gründe? Klar, jetzt fällt bei mir der Groschen! Grund Nummer eins: Ich bin scharf auf Dicks Job. Ich möchte die Nummer eins im Hause sein. Sehe ich das richtig mit Ihren Augen, meine ich?“ Bount nickte. „Grund zwei“, fuhr Dexter Hugh fort, „er steht mir auch im Wege, was Mary angeht. Wenn ich sie heiraten will, muss er verschwinden, stimmt's?“
„Sie haben’s erfasst“, sagte Bount.
„Gut. Mag sein, dass diese Punkte gegen mich sprechen, aber sie sind leichter zu widerlegen.“
„Sie machen mich neugierig.“
„Zu Grund eins: Ich weiß zufällig, dass Dick monatlich ganze hundertfünfzig Dollar mehr verdient als ich. Lausige hundertfünfzig Dollar! Würden Sie mir - oder irgendeinem anderen - es zutrauen, wegen einer so lächerlichen Summe zum Verbrecher zu werden?“
„Der Punkt geht an Sie“, sagte Bount.
„Grund zwei“, sagte Dexter Hugh. „Mary ist meine Geliebte, aber sie wäre niemals bereit, mich zu heiraten. Ich verdiene ihr zu wenig. Sie wirft auch Dick vor, dass er nicht genug Geld macht. Wenn sie schon bereit wäre, den Mann zu wechseln, dann nur für eine neue, materiell bessere Perspektive - aber die kann ich ihr nicht bieten.“
„Das weiß ich nicht.“
„Fragen Sie Elmer, was ich verdiene!“
„Darum geht es nicht“, sagte Bount. „Es könnte ja immerhin sein, dass Sie eine neue Einkommensquelle aufgetan haben.“
„Welche denn?“
„Keine Ahnung, aber ich könnte mir vorstellen, dass Sie in Ihrer Eigenschaft als Hoteldetektiv Dinge aufspüren, die sich zu Geld machen lassen. In Hotels geschieht nun mal manches, was das Licht der Öffentlichkeit scheut ... und seien es nur Zusammentreffen Liebender, die gute Gründe haben, ihr Verhalten nicht publik werden zu lassen.“
„Sie halten mich für einen Erpresser?“
„Ich werde mich hüten, so etwas zu behaupten“, sagte Bount, „aber Sie können mir nicht verwehren, dass ich einige Hypothesen aufzustellen versuche, die das Geschehen erklären könnten. Die Polizei wird handeln wie ich. Wenn herauskommt, dass Sie und Mary intim geworden sind, geraten Sie zwangsläufig in den Verdacht, am Verschwinden Ihres Vorgesetzten, Konkurrenten und Nebenbuhlers die Schuld zu tragen.“
„Das muss man mir erst einmal beweisen“, stieß Dexter Hugh hervor. Er war wütend. „Ich kann nach allem, was Sie mir servieren, Dicks Begeisterung für Sie nicht teilen. Sie sind aggressiv und unverschämt, auch wenn Ihre Stimme dabei gelassen und höflich bleibt.“
„Kannten Sie Charly Leggins?“
„Nein, zum Teufel!“
„Mike Finch?“
„Wer ist denn das?“
„Ein Mann, der nach Virginia Leggins Tod um rund hunderttausend Dollar erleichtert wurde. Finch war mit Leggins befreundet. Ich frage mich, welche Zusammenhänge es da gibt.“
„Ich habe im Radio gehört, was Virginia Leggins zugestoßen ist“, sagte Hugh Dexter. „Ich zermartere mir den Kopf über die Hintergründe der Verbrechen, aber ich tappe völlig im Dunkeln. Verdammt, ich würde mit der Lösung des Falles gern Furore machen, das dürfen Sie mir glauben, aber ich sehe im Moment keine Ansatzpunkte für eine solche Entwicklung.“
„Darf ich mal Ihr Telefon benutzen?“, fragte Bount, stand auf und trat an das Telefon. Er wartete Hughs Antwort nicht ab und wählte die Nummer des Police Headquarters in Miami Beach. Er hatte Glück. Lieutenant Holm befand sich noch in seinem Dienstzimmer. „Reiniger“, sagte Bount. „Was ist mit Finch?“
„Wir haben ihn aus den Augen verloren.“
„Das darf nicht wahr sein“, meinte Bount.
„Er muss gefühlt oder bemerkt haben, dass er beschattet wurde“, sagte Holm verdrossen, „jedenfalls ist es ihm mit einem Trick gelungen, seinen Bewacher abzuschütteln.“
„Ist Finch mit dem Wagen unterwegs?“
„Ja, mit einem kanariengelben Toyota Crown Saloon. Er besitzt den Wagen erst seit einer Woche. Offenbar hängt der Kauf damit zusammen, dass Finch über Nacht zu Geld gekommen ist“, erklärte Holm und gab Bount die Nummer des Wagens durch. Der notierte sie sich und legte auf.
Bount verabschiedete sich von Hugh und ging. Er kehrte in das Hotel zurück und erkundigte sich in der Rezeption, ob er ein Einzelzimmer haben könne.
„Ja, Sir“, erwiderte der Mann hinterm Tresen. „Haben Sie einen besonderen Wunsch hinsichtlich des Stockwerks?“
„Neuntes“, sagte Bount. „Oder zehntes.“
„Darf ich Ihre Papiere haben, bitte? Tausendzehn, bitte“, sagte der Uniformierte und überreichte Bount einen Schlüssel. Bount nahm ihn an sich, hinterlegte seinen Pass. Dann setzte er sich an den Tresen der kleinen Cafeteria, die zur Lounge gehörte, bestellte einen Espresso und grübelte vor sich hin, aber der erlösende, alles klärende Gedankenblitz wollte sich nicht einstellen. Er zahlte, ging hinaus auf den Parkplatz, um seinen Koffer aus dem Camaro zu holen, stoppte jedoch, noch ehe er den Wagen erreichte.
Seine Aufmerksamkeit galt einem gelben Crown Saloon. Der Wagen parkte in der zweiten Reihe. Die Nummer war identisch mit derjenigen, die Holm telefonisch durchgegeben hatte. Es war der Toyota von Mike Finch.