Читать книгу Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis - Walter G. Pfaus - Страница 31
3
ОглавлениеDas Telefon klingelte, als sie beim Mokka saßen. Gregg Elmer nahm den Anruf entgegen. Seine Augen weiteten sich.
„Ist das völlig sicher?“, fragte er, hörte noch eine halbe Minute auf das, was der Anrufer ihm mitteilte, bedankte sich kurz und legte auf. Er wandte sich um und blickte Bount an.
„Sie haben ihn gefunden“, erklärte er dumpf.
„Myers?“, fragte Bount.
„Nein, den Mann, der sich Bums nannte. Er heißt in Wahrheit Charles Leggins. Ein mehrfach vorbestrafter Gangster und Glücksspieler. Wohnt im Miami Beach.“
„Tot?“, fragte Bount.
„Ja. Seine Leiche wurde vor zwei Stunden in einem kleinen Kanal entdeckt, der das Meer mit den Bootsanlegern einer Parallelstraße verbindet. Erschossen. Der untersuchende Beamte erinnerte sich sofort an die Polizeizeichnung, die ihm kurz vorher auf den Schreibtisch geflattert war. Natürlich bedarf es noch eines letzten Beweises. Tomlin wird sich den Toten ansehen und bestätigen müssen, dass es sich um ,Burns‘ handelt, aber schon jetzt spricht alles dafür, dass er es ist.“
Bount blickte auf seine Uhr, stand auf und sagte: „Ich fahre sofort los und versuche herauszubekommen, was es mit dem Mord auf sich hat.“
„Nehmen Sie meinen Privatjet“, riet Gregg Elmer. „Streng genommen gehört er nicht mir, sondern dem Hotelkonzern, aber ich darf frei über ihn verfügen. Sie sparen damit eine Menge Zeit.“
Eine Stunde später war Bount in der Luft. Die achtsitzige Leacraft wurde von ein paar Sturmböen kräftig durchgeschüttelt, ließ sich davon aber nicht sonderlich beeindrucken. Bount, der sich für see- und flugtüchtig hielt, erging es weniger gut; offenbar war ihm das Essen nicht bekommen. Jedenfalls war er froh, als er in Miami Beach wieder festen Boden unter den Füßen hatte.
Ein Taxi brachte ihn in die Stadt. Im Police Headquarters traf er mit Lieutenant Holm von der Mordkommission zusammen. Randolph Holm war Mitte der 30 und hatte erkennbar Gewichtsprobleme. Seine glatte Gesichtshaut ähnelte dem eines Marzipanschweinchens. Die großen Blauaugen wirkten auf Anhieb unschuldig, aber Bount, der sich auf Physiognomien verstand, ließ sich von dem kindlich anmutenden Blick nicht täuschen. Schließlich war da noch der Mund, schmal und verkniffen, und auch das klobige Kinn ließ erkennen, dass sein Besitzer über eine gehörige Portion Stehvermögen verfügte.
Holm drehte die Lizenzkarte, mit der Bount sich auswies, zwischen den Fingern hin und her, ohne sich beeindruckt zu zeigen. Im Gegenteil. Sein Gesicht sah verdrossen aus und machte deutlich, dass er über die Störung nicht erfreut war. Seine nächsten Worte demonstrierten, weshalb das so war.
„Wir hier in Miami Beach haben mit Leuten Ihrer ,Branche‘ keine sehr guten Erfahrungen gemacht, Mister. Uns ist von privat eyes einfach schon zu oft ins Handwerk gepfuscht worden. Wenn man mal einen kennenlernt, von dem es heißt, er sei prominent, kann man davon ausgehen, dass er uns für Provinztrottel hält und sich insgeheim über uns lustig macht. Sie werden verstehen, dass diese Erfahrungen uns nicht gerade geneigt machen, Privatdetektive als vollwertige Kollegen anzusehen“, schloss er mit mildem Spott.
Bount nahm seine Karte an sich und steckte sie ein.
„Sie können in New York Erkundigungen über mich einziehen“, schlug er vor. „Ich bin mit Captain Rogers befreundet.“
Holms Blauaugen wurden noch größer, als sie schon waren.
„Toby Rogers vom Morddezernat? Ein Ass. Vielleicht spreche ich mit ihm. Vielleicht auch nicht. Aber kommen wir zur Sache. Worum geht es?“
„Um Charly Leggins. Wie ich hörte, wurde er erschossen. Vieles spricht dafür, dass er identisch ist mit dem Burns, der in Palm Beachs Kenwood Plaza einen Mann niederschoss und unter Verdacht steht, den Brand gelegt zu haben. Ich wüsste gern mehr über diesen Leggins.“
„Sie arbeiten für Elmer?“
„Ja.“
Holm lehnte sich zurück, zündete sich eine Zigarette an, blickte aus dem Fenster in den blauen Himmel und machte ein paar Sekunden lang den Eindruck, als habe er sich entschlossen, den Fall zu vergessen und sich in Träumereien zu üben, aber dann wandte er mit einem Ruck den Kopf und sagte: „Leggins ist von Chicago gekommen, zusammen mit seiner Frau, die in Miami Beach als Hostess arbeitet. So nennt sie sich jedenfalls. Sie ist bei einem Reisebüro angestellt und betreut Gruppen sowie Einzelreisende. Vieles spricht dafür, dass diese ,Betreuung‘ auch gewisse amouröse Angebote einschließt. Ich habe sie nur kurz gesprochen, sie saß noch vor zehn Minuten auf dem Stuhl, den Sie jetzt einnehmen. Sie behauptet, nicht zu wissen, was Charly in den letzten Wochen trieb, für wen er tätig war, und durch wen er vom Leben zum Tode befördert wurde. Sie war nicht traurig. Im Gegenteil. Auf mich machte sie eher den Eindruck, als sei Charlys Abgang in ihrem Sinne. Natürlich hat sie ein paar Tränchen zerdrückt und gemurmelt, wie schrecklich das doch alles wäre, und wie glücklich sie einmal mit Charly gewesen sei, aber mir drängte sich dabei der Eindruck einer Pflichtübung auf. Vielleicht irre ich mich. Ich sage Ihnen nur, wie mir das Ganze vorkam. Ich will Ihnen auch sagen, welchen Eindruck ich von den beiden Leggins habe. Skrupellos und zu allem bereit, wenn es um das liebe Geld geht. Sie haben einen Bungalow. Gute Gegend in Suniland. Sie hat mir das Haus gezeigt, auf einem Foto. Sieht nicht übel aus. Na ja, beide haben gearbeitet und Kies gemacht, aber beide, davon bin ich überzeugt, sind niemals sehr wählerisch gewesen, wenn es um die Wahrung legaler Erwerbsprinzipien ging.“
„Haben Sie sich schon mit dem Finanzamt in Verbindung gesetzt?“, fragte Bount.
„Dazu bin ich noch nicht gekommen.“
„War Leggins Einzelgänger, oder arbeitete er für eine Gruppe?“, wollte Bount wissen.
„Er war Einzelgänger, hatte aber Verbindung zu allen möglichen Leuten. Vor allem zu solchen, die das Gesetz als dummen Ballast empfinden“, meinte Holm grimmig. „Ein Schlitzohr. Schlimmer noch, ein Gangster. Virginia - seine Frau - tat so, als wäre sie mit seiner Lebensführung niemals einverstanden gewesen, und als habe sie wiederholt dagegen protestiert, dass er seinem Zuhause oft tagelang fernblieb, aber das ist kaum ernster zu nehmen als ihre gespielte Trauer, fürchte ich.“
„Haben Sie eine Ahnung, wie es zu dem Mord kommen konnte und wer oder was sich dahinter verbirgt?“
„Zunächst einmal ist zu sagen, dass Leute wie dieser Leggins selten im Bett sterben. Sie fordern ihr Schicksal praktisch heraus. Das entbindet uns leider nicht von der Aufgabe, Täter und Motiv zu finden, aber es wird Sie nicht überraschen, wenn ich sage, wie schwierig das Ganze ist. Natürlich haben wir Informanten, es gibt Ganoven, die für uns arbeiten, aber es gibt noch mehr, die sich lieber die Zunge abbeißen würden, als uns zu helfen.“
„Hat man bei dem Toten keine Hinweise auf den oder die Auftraggeber gefunden?“
„Nein. Seine Taschen waren praktisch geplündert worden. Fund und Tatort sind nicht miteinander identisch. Vieles spricht dafür, dass er aus einem Auto in den Kanal geworfen wurde. Es kann sich natürlich um einen Raubmord handeln. Davon bearbeiten wir mehr, als uns lieb ist. Aber nach allem, was wir über Leggins wissen und was er in Palm Beach getan haben soll, halte ich es für wenig sinnvoll, die Raubmordversion aufzubauen.“
„Kennen Sie Myers, den Hoteldetektiv?“
„Ich habe ihn einmal getroffen und gesprochen“, erinnerte sich Holm. „Er ist verschwunden, nicht wahr?“
„Ja. Vieles spricht dafür, dass dieses Verschwinden mit dem Brandanschlag auf das Hotel zusammenhängt“, meinte Bount. „Welchen Eindruck hatten Sie von Myers?“
„Noch ein Schlitzohr“, spottete Holm. „Elmer, der Direktor des Kenwood Plaza, hält große Stücke auf ihn, aber ich sehe den Burschen realistischer. Ein Opportunist. Er hat mal bei der Polizei Karriere zu machen versucht. Jetzt ist er bemüht, bei Kenwood groß herauszukommen.“
„Als Hoteldetektiv?“
„Soviel ich hörte, ist die Konzernleitung dabei, eine eigene Sicherheitstruppe aufzubauen. So ’ne Art Hotelpolizei, die den Gästen das Gefühl vermitteln soll, in den Kenwood Hotels besonders gut aufgehoben und beschützt zu sein. Soviel ich weiß, hat Elmer seinen hochgelobten Myers für diese Aufgabe vorgeschlagen.“
„Kennen Sie Myers Frau?“
„Nein, aber man hat mir von ihr berichtet.“
„In welchem Zusammenhang?“
„Sie soll ein scharfes, kleines Luder sein.“
„Was wollen Sie damit sagen?“
Holm grinste. „Ist das denn misszuverstehen? Sie betrügt ihn. Noch nie davon gehört, dass manche Frauen es lieben, fremdzugehen?“
„So was soll’s auch bei Männern geben“, meinte Bount grinsend. „Weiß Myers von der ausgeprägten Lebenslust seiner Angetrauten?“
„Keine Ahnung.“
„Er ist immerhin Detektiv.“
„Mann, was bedeutet das schon, wenn es um private Belange geht?“, fragte Holm und lachte kurz. „Ich kenne hier im Haus 'ne Menge ausgezeichneter Polizisten, Leute, die jedem Ganoven auf die Schliche kommen, die aber versagen, wenn es darum geht, das Doppelspiel ihrer süßen, kleinen Frauen zu durchschauen.“
Bount unterdrückte die Frage, ob Holm verheiratet sei, bedankte sich für die Auskünfte, ließ sich Leggins genaue Adresse geben und ging.
Er aß eine Kleinigkeit in einem klimatisierten Hotelrestaurant, das sich den Meerblick mit horrenden Preisen bezahlen ließ, rief den Flugplatz an, um den Pilot wissen zu lassen, dass er seine Arbeit noch nicht beendet habe, und fuhr mit einem Taxi hinaus nach Suniland.
Der Bungalow der Leggins lag in einer schmalen Seitenstraße, einer Sackgasse, die sich Horse Shoe Drive nannte und tatsächlich hufeisenförmig angelegt war. Das Grundstück befand sich in der Biegung der Straße und grenzte mit der Rückfront des Gartens an einen der Bootskanäle, die für die Gegend typisch sind.
Der Garten machte einen gepflegten Eindruck. Vor der Doppelgarage parkte ein silberfarbiger Honda Civic. Er wurde gerade gewaschen. Die Frau, die sich dieser Arbeit widmete, trug einen roten Overall und ein Kopftuch. Außerdem hatte sie Gummistiefel an. Bount erfasste das Ganze mit einem Blick, während er den Taxifahrer entlohnte.
„Ich kann warten“, schlug der Fahrer vor.
„Es wird länger dauern“, lehnte Bount ab, hob grüßend eine Hand und bewegte sich durch das offene Einfahrtstor auf den Bungalow zu. Die Frau drehte sich um, als er bis auf ein Dutzend Schritte herangekommen war. Unter ihrem Kopftuch lugten platinblonde Strähnen hervor. Sie war braungebrannt, hatte helle, stark umschminkte Augen und machte alles in allem einen sehr attraktiven Eindruck.
„Reiniger, Privatdetektiv“, stellte Bount sich vor und präsentierte seine Lizenzkarte. „Ich arbeite für das Kenwood Plaza. Wie Sie wissen, wird Ihrem verstorbenen Mann vorgeworfen, sich unter einem Falschnamen in das Hotel einquartiert, einen Menschen niedergeschossen, ein paar andere eingesperrt, und einen Brand gelegt zu haben ...“
„Sie reden wie ein Staatsanwalt“, spottete die Frau und streifte ihre gelben Gummihandschuhe ab. „Ich weiß nicht, was Charly getan hat. Er ist tot. Selbst wenn es zutrifft, dass er im Leben eine Menge Blödsinn angestellt hat, ist die Strafe, die er dafür erhielt, einfach nicht angemessen. Erschossen! In den Kanal geworfen wie eine tote Katze! Das ist entsetzlich. Oder sind Sie da anderer Meinung?“
„Ich bin mit Ihnen der Ansicht, dass es Mord war, und dass der oder die Täter bestraft werden müssen“, sagte Bount. „Wenn meine Arbeit erfolgreich sein sollte, wird sie, wie ich hoffe, diesen Schlusspunkt setzen.“
Die Frau nahm das Kopftuch ab und schüttelte ihr kurz geschnittenes Blondhaar zurecht. Bount schätzte sein Gegenüber auf 30. Das Gesicht war faltenlos, aber die Haut hatte nicht mehr den seidigen Glanz der Jugend. Der Mund war voll und reif. Er hatte in seinen Winkeln, die leicht herabgezogen waren, einen Schmollausdruck, der an Brigitte Bardot erinnerte. Auch sonst gab es bei Virginia vieles, was das Beispiel rechtfertigte.
„Ich habe der Polizei gesagt, was ich weiß“, erklärte sie und zupfte an ein paar Löckchen herum. „Sprechen Sie mit Lieutenant Holm vom Morddezernat, der wird Ihnen bestätigen, wie kooperativ ich war!“
„Wann haben Sie zuletzt mit Charly gesprochen?“
„Vor einer Woche. Er packte seine Koffer und meinte, er müsse verreisen. Ich habe keine Fragen gestellt. Zum einen neigte er nicht dazu, meine Neugierde zu befriedigen, und zum anderen hatte ich mich längst daran gewöhnt, dass er viel unterwegs war und auf diese oder jene Weise versuchte, sein Bankkonto aufzustocken.“
„Ein guter Hinweis. Wie groß ist es denn?“
„Dazu möchte ich mich nicht äußern, aber ich kann Ihnen versichern, dass in letzter Zeit keine größeren Beträge hinzugekommen sind.“
„Für wen hat er zuletzt gearbeitet?“
„So können Sie die Frage nicht stellen. Charly hatte keinen Chef. Dafür war er einfach nicht gemacht. Er liebte seine Freiheit, aber da er leben musste, und zudem den Ehrgeiz hatte, möglichst gut zu leben, nahm er immer wieder Aufträge an. Sie mussten nur überschaubar sein, nicht zu lange währen und guten Profit versprechen.“
„Wie war es um ihre moralische und gesetzliche Qualifikation bestellt?“
Die sinnlichen Lippen sahen noch verdrossener aus als vorher.
„Oh, Mann, können Sie mich nicht was Leichteres fragen? Charly war kein Kind von Traurigkeit. Den Staat und dessen Diener hielt er für korrupt, die Polizei betrachtete er als eine Anhäufung von Folterknechten, und die Gerichtsbarkeit war in seinen Augen nur gehorsamer Interessenvertreter verfaulter Institutionen. Mag sein, dass er sich das alles nur eingeredet hat, um seine eigenen Wege gehen zu können, fest steht jedenfalls, dass er sich um Recht und Gesetz nicht viel kümmerte. Ich habe ihn oft gewarnt. Ich habe ihm gesagt, dass er sich da in etwas verrannte, dass zum Bumerang werden musste, aber er wollte nicht auf mich hören.“
„Mit anderen Worten“, sagte Bount, „er hat sich nicht gescheut, Aufträge anzunehmen, die eindeutig kriminellen Charakter hatten.“
„Da er mit mir nicht darüber gesprochen hat, kann ich die Frage nicht ohne weiteres bejahen, aber aus meiner Kenntnis seines Charakters und seiner Vorstrafen muss ich davon ausgehen, dass er kein Gegner krummer Dinger war.“
„Haben Sie jemals an Scheidung gedacht?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
Virgina Leggins zuckte mit den Schultern, nahm das Waschleder vom Dach des Hondas und wrang es aus.
„Es war nicht unbequem, mit Charly zusammenzuleben“, sagte sie nach kurzer Pause. „Er war oft unterwegs, er ließ mir meine Freiheiten, er hat niemals versucht, mich von Dingen abzuhalten, die mir gerade Spaß machten.“
„Andere Männer?“, fragte Bount.
Virginia warf das Leder in einen leeren Plastikeimer.
„Auch das. Ich bin jung. Ich liebe das Leben. Charly gab mir Schutz, ohne darauf zu bestehen, dass ich in der Ehe versauere. Warum hätte ich auf die Vorteile einer solchen Verbindung verzichten sollen?“
„Charly war nicht eifersüchtig?“
„Überhaupt nicht. Wollen wir nicht ins Haus gehen?“
„Danke, gern“, sagte Bount.
„Es macht Ihnen hoffentlich nichts aus, wenn wir den Kücheneingang wählen“, meinte die junge Frau, bückte sich nach dem Elmer und ging damit um das Haus herum, „aber in der Diele liegt ein neuer Spannteppich, und ich habe keine Lust, ihn mit den nassen Stiefeln zu beschmutzen.“
Die Küche war klein und sauber. Nirgendwo stand oder lag etwas herum, auch die Spüle war frei von schmutzigem Geschirr. Virgina Leggins stellte den Eimer in einen Unterschrank, schlüpfte aus den Stiefeln und sagte: „Setzen Sie sich ins Wohnzimmer! Ich mache mich nur rasch ein wenig zurecht.“
Auch das Wohnzimmer machte einen soliden, bürgerlichen Eindruck und sah nicht im Entferntesten so aus, wie man sich das Domizil eines Gangsters vorstellt, der von seinen Gegnern ermordet worden war. Man konnte die Frische und Sauberkeit des Zimmers förmlich riechen. Bount setzte sich und wartete. Es dauerte fast zehn Minuten, ehe Virginia Leggins wieder aufkreuzte. Als es geschah, war durchaus erkennbar, wie gut sie die Zeit genutzt hatte. Das Haar war sorgfältig gekämmt, das Make up erneuert worden, und das leichte, helle Sommerkleid, das sie trug, vereinte modischen Pfiff mit sinnlicher Herausforderung - anders ließ sich der tiefe Ausschnitt jedenfalls nicht deuten. Virginia Leggins balancierte ein Tablett vor sich her, auf dem eine Karaffe mit gelber Flüssigkeit und zwei Gläser, sowie eine Eisschale standen.
„Grapefruitsaft mit einem Schuss Wodka“, meinte sie und stellte das Tablett auf dem Tisch ab. „Ich hoffe, Sie mögen so etwas.“
Das Telefon klingelte. Bount entging nicht Virginia Leggins jähes Zusammenzucken. Sie starrte den Apparat an, als sei er ein böses Tier, das sie zu beißen versuchte. Diese Reaktion währte nur eine Sekunde, dann hatte die junge Frau sich wieder in der Gewalt. Sie nahm den Hörer ab. „Leggins“, sagte sie. Es klang spröde, als sei ihr daran gelegen, dem Anrufer Distanz zu signalisieren. Sie setzte sich so, dass sie dem Besucher ihren Rücken zukehrte. Bount vermeinte aus ihrer Haltung eine tiefe, innere Spannung abzulesen.
Er hörte das Quäken einer männlichen Stimme, konnte aber nicht verstehen, was gesagt wurde. „Sie wissen doch, was geschehen ist, Sir“, sagte Virginia. „Charly ist tot. Er wurde erschossen. Ich kann jetzt nicht arbeiten. Ich muss das erst einmal verkraften. Es ist noch zu früh, zu sagen, wie schnell das gehen wird - oder wie langsam.“ Sie legte auf, blickte Bount an und meinte: „Mein Chef. Er braucht mich. Seinen Worten zufolge bin ich seine beste Kraft. Er hat wirklich das Gemüt eines Rindviehs. Warum kann er nicht begreifen, dass eine trauernde Witwe einfach nicht sofort in der Lage ist, ihrer Arbeit nachzugehen, als sei nichts passiert?“
„Sie sind jedenfalls nicht in Tränen aufgelöst“, stellte Bount sachlich fest.
„Ich weiß, was Sie damit zum Ausdruck bringen wollen. Jemand, der wie ich Spaß daran findet, jetzt seinen Wagen zu waschen, kann auch seine normalen Verpflichtungen einlösen, nicht wahr? Mag sein, dass Sie recht haben, aber es ist schon ein Unterschied, ob ich mich mit mechanischen Aktivitäten ablenke, oder ob ich gezwungen bin, neugierigen Touristen Rede und Antwort zu stehen. Ich kann nicht lächeln, wenn mir nicht danach zumute ist.“ Sie wechselte den Platz, setzte sich Bount gegenüber und meinte: „Begreifen Sie das nicht?“
„Doch“, sagte Bount.
„Na also. Trinken wir. Ich weiß zwar nicht, worauf - es sei denn, auf das baldige Ende meiner Witwenschaft“, spottete sie und hob ihm ihr Glas entgegen.
„Brr“, machte Bount, nachdem er getrunken und das Glas abgesetzt hatte. „Der ist ganz schön stark geraten.“
„Ich mag starke Dinge“, meinte Virginia Leggins und ließ ihre Zungenspitze über die vollen Lippen gleiten. „Vor allem starke Männer.“
Bount verspürte keine Neigung, nach dem Köder zu schnappen. Das Ganze war ihm eher peinlich. Er überspielte es mit einer Frage: „Hatte Charly eine Freundin?“
„Er spielte gern mit kleinen Mädchen, Teenager bevorzugt“, sagte Virginia Leggins. „Es hat mich nicht gestört. Wenn Sie wissen wollen, ob eine feste Freundin darunter war, ein Mädchen, das er regelmäßig besuchte und dem seine besondere Neigung gehörte, muss ich passen. Ich weiß einfach zu wenig über Charly. Er war, wie ich bereits erwähnte, oft tagelang unterwegs, und er sprach nie über die Dinge, die er dabei getrieben oder erlebt hatte. Mag sein, dass es eine Freundin gab, mag auch sein, dass er nur mal hier und da naschte. Es hat mich nicht sonderlich interessiert.“
„Haben Sie einen Freund?“
Virginia lachte spöttisch.
„Mir ist klar, warum Sie das zu erfahren wünschen. Sie fragen sich, ob Charly das Opfer einer Eifersuchtstragödie geworden sein könnte. Das scheidet aus. Ich habe niemand im Wege gestanden. Wenn Charly die Scheidung hätte haben wollen, wäre von mir kein Protest erhoben worden. Genügt das?“
„Ja. Wie steht es mit Charlys Freunden?“
„Er hatte keine.“
„Das ist ungewöhnlich für einen Mann.“
„Nicht, wenn er wie Charly veranlagt ist. Charly traute keinem. Und niemand traute ihm. Diese Konstellation stand einer Freundschaft im Wege. Natürlich gab es Leute, mit denen er gern feierte, aber Freunde waren das nicht - nein.“
„Wer, würden Sie sagen, kannte ihn am besten?“
„Ich.“
„Ich beziehe mich auf die Männer, mit denen er gelegentlich ein Ding drehte oder einen Zug durch die Gemeinde machte“, sagte Bount.
„Lassen Sie mich überlegen! Mir fällt nur Mike ein. Mike Finch. Ein rothaariger Ire. Ein Bulle von Kerl, aber nicht mein Typ“, schloss sie.
„Sie haben was gegen ihn. Warum?“
„Schwer zu sagen. wissen Sie, es gibt sogar unter Gangstern Leute, die man lustig finden kann, sexy oder sonst was! Mike ist in meinen Augen einfach nur ein Fiesling. Er hat mal versucht, sich an mich heranzumachen, aber das ist nicht der Grund für meine Abneigung. Er hat etwas, das mir Angst macht, was mich abstößt. Mit Charlys Tod brauchen Sie ihn freilich nicht in Verbindung zu bringen. Mike hat Charly vergöttert. Was Charly sagte, war für Mike wie ein Evangelium.“
„Wo finde ich Mike?“
„Wenn Sie sich an den wenden, verplempern Sie nur Ihre Zeit“, sagte Virginia Leggins.
„Warum?“
„Wenn er etwas wüsste oder ahnte, würde er es nicht Ihnen sagen, sondern versuchen, daraus Profit zu schlagen.“
„Sie halten ihn für einen Erpresser?“
„Ich traue ihm einfach alles zu, Erpressung inbegriffen“, meinte Virginia Leggins. „Lassen Sie ihn um Himmels willen nicht wissen, dass ich das gesagt habe. Er ist rachsüchtig. Ich habe wahrhaftig keine Lust, mich ein zweites Mal mit ihm anzulegen, das wäre mein sicheres Ende.“ „Ein zweites Mal?“, fragte Bount.
„Hören Sie mir nicht zu? Ich sagte, dass er versucht hat, mich rumzukriegen. Ich habe ihm dafür den Marsch geblasen. Er war ganz schön sauer damals.“
„Haben Sie Charly davon erzählt?“
„Nein. Er war der Ansicht, dass ich mich selbst verteidigen kann, und damit lag er genau richtig.“
„Darf ich mal Ihr Telefon benutzen und ein Taxi bestellen?“, fragte Bount.
„Wollen Sie zurück in die Stadt? Ich kann Sie mitnehmen“, sagte die junge Frau.
„Ich muss zum Flugplatz.“
„Okay, ich setze Sie dort ab. Wollen Sie nicht Ihr Glas leeren?“
„Nichts für ungut, aber der ist mir zu stark.“
„Sie müssen noch viel lernen“, spottete Virginia Leggins und stand auf. Sie strich sich mit beiden Händen das Kleid glatt, stellte die Gläser zurück auf das Tablett und ging damit zur Tür. „Sie können schon rausgehen“, meinte sie. „Ich komme in einer Minute nach.“
Bount befolgte die Aufforderung. Er bewunderte die Blumen auf den gepflegten Beeten und fragte sich, wer von den beiden Leggins die Muße gefunden hatte, sich um den Garten zu kümmern. Virginia Leggins kam durch die Vordertür, mit einer Tasche unter dem rechten Arm.
„Wie ich sehe, bewundern Sie meine Rosen“, sagte sie lächelnd. „Es ist die Virginiarose. Eine eigene Züchtung. Ich habe nichts dagegen, wenn Sie dabei Ähnlichkeiten feststellen.“
Sie schritten gemeinsam auf den Honda zu. Plötzlich blieb die junge Frau stirnrunzelnd stehen. „Zu dumm“, sagte sie. „Jetzt weiß ich nicht, ob ich daran gedacht habe, den Küchenzugang abzuschließen. Würden Sie bitte so freundlich sein und sich davon überzeugen, dass er dicht ist? Ich steige inzwischen in den Wagen und starte die Maschine.“
„Geht in Ordnung“, meinte Bount und machte kehrt.
Noch ehe er um die Ecke des Bungalows zu biegen vermochte, schien ihn eine Riesenfaust zu packen und hochzuheben. Bount stemmte sich gegen die mörderische Attacke, aber er war der Druckwelle der Explosion nicht gewachsen. Er stürzte, schrammte mit der Stirn heiß über einen Stein und hatte Mühe, die Betäubung aus seinen Hörkanälen zu drängen, die die Detonation erzeugt hatte. Neben ihm klatschte etwas in den Rasen und bohrte sich tief in das weiche Erdreich. Bount hörte das Trudeln, Singen und Schwirren von Blech und Metallteilen, die durch die Luft segelten, und musste sich zwingen, den Kopf zu heben und über seine Schulter zu blicken.
Der Honda stand in hellen Flammen. Türen und Fenster waren von der gewaltigen Explosion aus ihren Verankerungen gerissen und zu Geschossen umfunktioniert worden. Virginia Leggins Umrisse waren nur undeutlich hinter der lodernden Flammenwand zu erkennen. Die junge Frau war über dem Lenkrad zusammengebrochen.
Bount sprang auf und stürmte in die Garage, aber der Feuerlöscher, den er dort fand, erwies sich als funktionsuntüchtig. Bount warf das Gerät wütend beiseite. Doch selbst wenn es zu gebrauchen gewesen wäre, hätte es der unglücklichen Virginia Leggins nicht mehr helfen können.