Читать книгу Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis - Walter G. Pfaus - Страница 20

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Um Neun klingelte er an der Tür von Leo Conroys Haus. Die Witwe öffnete ihm, ganz in Schwarz gewandet. Die Farbe stand ihr gut zu Gesicht. Außerdem war zu erkennen, dass ihre Trauerkleidung der neuesten Mode entsprach und mehr Chic als Tristesse verbreitete.

Bount zückte seine Karte. Die Witwe führte ihn ins Wohnzimmer. Man setzte sich.

„Darf ich Ihnen etwas anbieten?“, fragte Gloria Conroy. Sie sprach leise und war bemüht, ihrer Rolle als leidender Witwe gerecht zu werden, aber die heimliche Koketterie, die in ihren Augen aufblitzte und ihm signalisierte, dass er genau der Typ war, auf den sie flog, machte deutlich, was von ihrer ,Trauer‘ zu halten war.

„Danke, nein. Ich habe nicht vor, Sie lange aufzuhalten. Ich weiß, dass Leo herzkrank war und dass sein Ende nicht völlig überraschend kam, dennoch wirft es ein paar Fragen auf, die mich interessieren. Selbst Doktor Cummings ist der Meinung, dass Leo durch eine besondere Aufregung in den Tod getrieben wurde ... aber wie sollte er sich aufgeregt haben. wenn er allein war?“

„Er könnte einen Anruf erhalten haben“, sagte Gloria Conroy. „Er ist zurückgekehrt auf die Terrasse, und dort hat es ihn erwischt.“

„Wo waren Sie, als es passierte?“

„Bei einem Bekannten“, erwiderte die Witwe und zündete sich eine Zigarette an. Sie streckte Bount das offene Päckchen entgegen.

„Danke“, sagte er lächelnd. „Ich habe meine eigene Sorte.“

Gloria Conroy griff nach einem Ascher und stellte ihn vor sich hin.

„Ich habe Leo gesagt, dass ich zu einer Freundin gehe, zu Lizzy, aber in Wahrheit besuchte ich einen Freund ... na ja, einen Bekannten. Sein Name tut nichts zur Sache, aber der Polizei musste ich ihn nennen, die legt nämlich Wert auf mein Alibi.“ Sie sah plötzlich böse aus. „Die scheinen zu denken, dass ich Leo umgebracht habe. Wissen Sie, was der Leutnant wissen wollte? Ob ich ihn nicht fertiggemacht hätte, um ihn beerben zu können! Ich habe längst herausgefunden, dass da nicht viel zu holen ist. Nur das Haus, das Büro, ein bisschen Bargeld. Ich werde Haus und Büro verkaufen und in die Stadt ziehen. Ich lasse mich von den Klatschmäulern in Hammond doch nicht in die Pfanne hauen.“

„Erzählen Sie mir ein wenig über Leo!“

„Da gibt’s nicht viel zu sagen. Er war ein Spießer. Trocken, gefühlsarm ... aber dennoch zum Selbstmitleid neigend“, erwiderte sie. „Die Ehe mit ihm war keine reine Freude, das darf ich Ihnen versichern.“

„Wie lange waren Sie mit ihm verheiratet?“

„Vier Jahre.“

„Eine lange Zeit. Da lernt man einen Menschen kennen und beurteilen. Wie ich hörte, hat er darunter gelitten, dass seine Zeugenaussage in den fünfziger Jahren ein Todesurteil auslöste.“

Aber die Frau konnte ihm darüber nichts sagen. Es war ihr anscheinend auch gleichgültig gewesen, was ihr Mann dachte und fühlte.

Bount verabschiedete sich und ging. Er hatte sich für die Dauer seines Aufenthaltes in Hammond einen Leihwagen gemietet, einen Dodge Challenger. Er fuhr anschließend zu dem Anwesen von Hank Craig. Es lag etwas außerhalb der Stadt am Rande des Highways, der nach Magnolia führte. Bount parkte den Challenger an der Straße und ging durch den gepflegten, nicht umzäunten Garten auf das weiße, flache Haus zu. Es war ziemlich groß und enthielt im Winkel eines L’s einen Swimmingpool. Hinter einigen Fenstern brannte Licht.

Bount klingelte. Ein Farbiger mit weißer Dienerjacke öffnete.

„Bount Reiniger. Ist Mister Craig zu sprechen?“

„Er erwartet Sie“, sagte der Farbige, machte Platz und ließ Bount eintreten.

Bount durchquerte die Diele und stoppte, weil er nicht wusste, welche der vielen Türen er öffnen sollte. Er blickte über seine Schulter. Der Farbige war verschwunden.

Bount zuckte mit den Schultern und streckte die Hand nach der Klinke aus, hinter der er das Wohnzimmer vermutete. Er öffnete sie.

Der Wohnraum, der vor ihm lag, war groß und eher auffällig als elegant möbliert. Bount trat über die Schwelle. Er spürte einen Luftzug in seinem Nacken und versuchte in einem Reflex auszuweichen, aber die Reaktion kam zu spät, der Schlag auf den Schädel traf ihn mit unbarmherziger Härte. Bount brach in die Knie.

Er winkelte instinktiv einen Ellenbogen an, um sich gegen weitere Attacken abzuschirmen, aber das bewahrte ihn nicht davor, erneut von einem stumpfen, harten Gegenstand getroffen zu werden.

Er kippte vornüber und verlor das Bewusstsein.

Als er wieder zu sich kam, hatte er Mühe, gegen das Brummen in seinem Schädel anzukämpfen. Ihm dämmerte, wo er sich befand. Er lag bäuchlings auf einem Teppich. Benommen hob er den Kopf. Sein Blick fokussierte sich.

Das Wohnzimmer. Das Eisbärenfell über dem Kamin. Ein paar Bilder, eine Stehlampe, deren Fuß sich als lächelnder Buddha entpuppte.

Bount richtete den Oberkörper auf.

„Hier bin ich“, sagte eine Stimme.

Bount wandte den Kopf. Der Sprecher saß nur vier Schritte von ihm entfernt in einem Sessel, mit offen stehendem Hemd, in der Hand einen Revolver.

Bount griff sich an die Schläfe. Sie war darauf getrimmt, Nehmerqualitäten zu beweisen, aber es gab Behandlungsmethoden, an die sie sich weder gewöhnen konnte, noch wollte.

„Was, zum Teufel, hat das zu bedeuten?“, krächzte Bount.

„Das müssen Sie mir erklären!“, sagte der Mann. Seine Stimme war scharf und drohend, genau wie der Ausdruck seines Gesichtes.

Bount kam auf die Beine. Er musste dabei ein leichtes Schwindelgefühl unter Kontrolle bringen. Er torkelte zu einem Sessel, ließ sich hineinfallen und verspürte unbändiges Verlangen nach einem Glas Wasser, nach irgendeinem Drink, um die schmerzhafte Trockenheit in seinem Mund und Hals zu lindern.

„Sie sind Mister Craig?“, würgte Bount hervor.

„In voller Lebensgröße.“

„Haben Sie mir dieses Ding verpasst?“

„Ja - und das war nur der Anfang“, versicherte Craig mit grimmiger Miene.

„Sie haben eine reizende Art, Ihre Gäste zu behandeln“, murmelte Bount.

„Daran müssen Sie sich gewöhnen.“

„Ich brauche etwas zu trinken.“

„Was Sie brauchen, bestimme ich!“, stieß Craig hervor.

Bount merkte, wie sein Kopf sich aufklarte. Er erhob sich. Diesmal ging es schon besser, obwohl ein Hauch des Schwindelgefühls erneut spürbar wurde. Bount ging vorsichtig zur Tür. Craig stand auf und folgte ihm. Bount ging in die Küche, hielt den Kopf unter den aufgedrehten Kaltwasserstrahl der Spüle, füllte sich ein Glas mit Wasser und leerte es mit langen, durstigen Zügen. Er stellte es ab und wandte sich um. Craig lehnte am Rahmen der Tür, die Waffe schussbereit in der Hand.

„Sie haben Angst“, erkannte Bount.

„Kann schon sein“, sagte Craig, „aber ich bin dabei, sie mir zu nehmen.“

Bount wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Craig war ein athletisch gebauter Mann von schätzungsweise 48 oder 50 Jahren. Er hatte ein markantes Gesicht mit kleinen, weit auseinanderstehenden Augen. Es war kein sympathisches Gesicht. Es wirkte arrogant, verkniffen und bösartig. Das blonde Haar trug er im Bürstenhaarschnitt.

„Wollen wir nicht zurück ins Wohnzimmer gehen?“, fragte Bount.

„Soll mir recht sein.“

Bount ging an Craig vorbei und verzichtete darauf, dem Gegner eine Kostprobe seiner Judo und Karatekünste zu liefern. Zwar war der Kopf jetzt klar, aber seine Reflexe hatten möglicherweise noch nicht den gewohnten Standard erreicht, außerdem lag Craigs Finger am Druckpunkt, und es wäre schlechthin selbstmörderisch gewesen, ihn herauszufordern.

Sie nahmen im Wohnzimmer Platz, jeder in dem Sessel, den er vor dem Küchenbesuch eingenommen hatte.

„Ihr Diener sagte mir, dass Sie mich erwarten“, sagte Bount. „Warum der ungewöhnliche Empfang?“

„Ich warte seit Jahren auf Sie. Als ich Sie durch den Garten auf das Haus zukommen sah, als ich die Blicke bemerkte, mit denen Sie die Umgebung musterten, wusste ich - das ist er!“

„Das ist wer?“

„Ich habe Ihnen die Brieftasche abgeknöpft. Sind Sie wirklich Privatdetektiv?“

Bount griff sich unwillkürlich an den Sakko.

„Ja, das bin ich“, sagte er.

„Eine hervorragende Tarnung!“, höhnte Craig. „Aber nicht gut genug, um mich zu bluffen.“

„Wo ist Ihre Frau? Billigt sie Ihr merkwürdiges Treiben?“, wollte Bount wissen.

„Jetzt stelle ich die Fragen. Haben Sie Leo auf dem Gewissen?“

„Leo Conroy?“ Bount schüttelte den Kopf. „Oh nein, aber ich beginne zu begreifen, was Sie bewegt.“

„Sie wissen verdammt gut, was mich bewegt!“, explodierte der Hausherr.

„Sie haben Angst. Angst vor der Rache des Mannes, der den Henker kassierte“, sagte Bount. „Sie halten mich für diesen Mann. Sie befinden sich im Irrtum. Ich wurde von Mister Preston dazu engagiert, den Rächer zu finden.“

„Mir können Sie viel erzählen“, spottete Craig.

„Rufen Sie ihn an!“

„Wen?“

„Preston natürlich. Er wird Ihnen sagen, wer ich bin“, meinte Bount.

Craig runzelte die Augenbrauen und überlegte, dann erhob er sich. Er trat ans Telefon, legte die Waffe griffbereit daneben, tippte eine Nummer herunter, die er dem am Apparat liegenden Merkblock entnahm, wartete ein paar Sekunden und sagte dann: „Hallo, Ron. Hier spricht Hank. Ja, Hank Craig. Ich habe mir da einen komischen Vogel eingefangen. Er kreuzte gegen Zehn hier auf. Ich fand nicht nur die Besuchszeit seltsam, mir kam sein ganzes Auftreten komisch vor. Ich habe ihm eins über den Schädel gezogen. Er nennt sich Reiniger. Bount Reiniger. Angeblich Privatdetektiv. Er behauptet ...“

Craig unterbrach sich und hörte auf das, was der Teilnehmer ihm zu sagen hatte. Craigs Gesicht wurde dabei lang und länger.

„Ein Irrtum“, murmelte er schließlich. „Na ja, das kann ja passieren. Aber Sie werden verstehen, dass ich nervös bin. Nervöse Leute reagieren zuweilen unkontrolliert. Danke, Ron. Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.“ Er legte auf und schüttelte den Kopf. „Das haut mich um, wirklich.“ Er lachte kurz. Es klang nicht sehr lustig. Er kehrte zu seinem Sessel zurück. Den Revolver ließ er neben dem Telefon liegen. Mit einem Seufzer ließ er sich in das bequeme Sitzmöbel fallen. „Es ist schon zum Schreien“, sagte er. „Sie kommen her, um mir zu helfen, und ich schicke Sie ins Reich der Träume. Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen. Aber versetzen Sie sich einmal in meine Lage. Ich warte seit Jahren darauf, dass etwas passiert. Ich weiß einfach, dass es kommen wird ... und ich weiß auch, dass die Stunde X zum Greifen nahe ist. Als ich Sie sah, dachte ich, sie sei gekommen. Dementsprechend überreizt habe ich reagiert. Wenn Sie wollen, leiste ich Schadenersatz.“

„Was stellen Sie sich darunter vor?“

„Geld. Was sonst?“

„Sie haben genug davon, nehme ich an?“

„Geld hat man nie genug, aber ich leide keine Not.“ Sein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. „Freilich“, fuhr er fort, „wenn meine Frau nicht aufhört, sich jeden extravaganten Wunsch zu erfüllen, werde ich mir bald etwas einfallen lassen müssen, um die Substanz zu retten.“

„Wo ist Ihre Frau?“

„Ich habe sie weggeschickt. Sie macht Urlaub bei ihrer Mutter“, erwiderte Craig.

„Warum haben Sie Angst?“

„Das fragen ausgerechnet Sie mich?“, staunte Craig. „Ich nehme an, Sie wissen, was damals passierte. Mein Nebenbuhler endete auf dem elektrischen Stuhl. Er ist zu Recht bestraft worden, das möchte ich an dieser Stelle noch einmal betonen, aber ich habe seit damals ein ungutes Gefühl, eine nagende Furcht, etwas, wogegen ich nicht ankomme ... und das wohl auch jetzt gerechtfertigt ist. Darks Tod beweist es, nicht wahr?“

„Gibt es Dinge und Vorfälle, die diesem Gefühl Nahrung spendeten?“, fragte Bount.

„Kann schon sein.“

„Sie wollen nicht darüber sprechen?“

„Nein.“

„Es könnte Ihr Leben retten.“

„Halten Sie es für bedroht?“

„Das tun Sie doch selbst, oder?“

„Ja, das tue ich“, räumte Craig mit dumpf klingender Stimme ein. Er starrte ins Leere.

„War Osborne wirklich schuldig?“

„Er hat versucht, mir das Mädchen wegzunehmen.“

„Darauf steht nicht die Todesstrafe.“

„Die haben andere ausgesprochen. Ich frage mich, ob bei der Gerichtsverhandlung nicht mit gezinkten Karten gespielt wurde“, sagte Bount.

„Was soll das heißen?“

„Nehmen Sie Conroy! Könnte es nicht sein, dass er eine Falschaussage gemacht hat?“

„Warum fragen Sie mich? Das hätten Sie ihn fragen müssen“, stieß Craig hervor.

„Okay, bleiben wir bei Osborne. Setzen wir einmal den Fall, dass es sich jemand in den Kopf gesetzt hat, seinen Tod zu rächen. Wer käme dafür in Frage?“

„Darüber zerbreche ich mir auch den Kopf. Mir fällt niemand ein. Er hatte damals nur einen Vater, der kurz nach der Exekution verstarb ... an gebrochenem Herzen, wie es hieß, in Wahrheit jedoch an einer unheilbaren Krankheit, wie ich genau weiß. Gilbert war ein Einzelgänger. Er hatte keine Freunde ... und das einzige Mädchen, für das er sich interessierte, wurde, wie Sie wissen, sein Opfer.“

„Das klingt nicht sehr logisch.“

„Als Privatdetektiv sollten Sie wissen, zu welchen Kurzschlusshandlungen Eifersüchtige fähig sind.“

„Sie waren damals gewiss auch eifersüchtig ... auf Gilbert“, sagte Bount.

„Klar war ich das. Ich hätte ihn umbringen können. Aber das haben andere besorgt.“ Er grinste lustlos. „Beauftragte des Gesetzes“, schloss er.

„Wenn Osborne tatsächlich Cynthia Hopkins erwürgt haben sollte, und wenn niemand denkbar ist, der ihn so gut kannte oder schätzte, dass er bereit ist, Osborne zu rächen, bleibt mir unerfindlich, weshalb und vor wem Sie sich fürchten.“

„Darauf weiß ich keine Antwort.“

„Sie wollen nicht darüber sprechen?“

Craig starrte Bount ins Gesicht.

„Das Ganze ist vor fünfundzwanzig Jahren passiert. Warum sollte jemand ein Vierteljahrhundert mit seiner Rache warten? Das ist absurd, grotesk, durch nichts erklärbar, und doch trifft es zu ... der Tod des Henkers beweist es.“

„Wann haben Sie davon erfahren ... und durch wen?“

„Es stand noch nicht in unseren Zeitungen, aber ich bin von einem Freund unterrichtet worden. Er ist heute Mittag aus New York zurückgekommen und hat mich sofort angerufen“, erwiderte Craig. „Zu denken, dass man dem Ärmsten den Schädel rasierte, um ihn ...“ Er unterbrach sich schüttelnd und schwieg.

„Ja, es ist ein Racheakt, darauf deutet alles hin“, gab Bount zu, „aber es gibt keine Beweise dafür, dass er auf dem Fall Hopkins-Marlowe basiert.“

„Was ist mit Leos Tod?“

„Ein Herzversagen, wie mir versichert wurde.“

„Herzversagen!“, höhnte Craig. „Die Frage ist nur, wie es herbeigeführt wurde.“

„Wer ist der Mann, der Osborne zu rächen versucht?“, wollte Bount wissen.

„Diese Frage stelle ich mir auch. Es gibt keine Antwort darauf.“

„Haben Sie jemals versucht, Nachforschungen anzustellen und Osbornes Background aufzuhellen?“

„Ich könnte seine Lebensbiographie schreiben. Unter den wenigen Menschen aus seiner näheren Umgebung gibt es nach meinem Kenntnisstand niemand, der für eine solche absurde Wahnsinnsaktion in Betracht käme.“

„Wie ich sehe, besitzen Sie einen Revolver. Verstehen Sie damit umzugehen?“

„Ich treffe eine Mücke im Flug.“

„Einbruchssicherungen?“

„Das Haus besitzt die teuerste und modernste Anlage, die es zu kaufen gibt.“

„Aber weder Alarmvorrichtung noch Revolver sind imstande, Ihnen die Angst zu nehmen“, fasste Bount zusammen und blickte Craig in die Augen. „Diese Reaktion lässt sich nur mit Schuldgefühlen erklären, mit einem schlechten Gewissen. Ich frage mich, wie es zustande kommt.“

„Was geht Sie mein Gewissen an?“, begehrte Craig auf und sah wütend aus. „Ich trage keine Schuld an Osbornes Tod. Hätte er mir damals das Mädchen gelassen, könnte er noch leben und ich brauchte mir nicht diese blödsinnigen Sorgen und Gedanken zu machen.“

„Kann es sein, dass damals Ihr Vater seine Hände im Spiel hatte?“, fragte Bount.

„Er ist tot. Wenn Sie versuchen sollten, sein Andenken zu beschmutzen, poliere ich Ihnen höchst eigenhändig die Fresse“, sagte Craig aufgebracht.

Bount erhob sich.

„Ich kann nicht behaupten, dass mein Besuch bei Ihnen sehr aufschlussreich war“, sagte er.

Craig brachte Bount in die Diele, dort entschuldigte er sich überraschend kleinlaut.

„Ich bin übersensibel“, sagte er. „Da tut man garantiert das Falsche, man sagt verrückte Dinge und verrennt sich in absurde Verdächtigungen. Ich wollte Sie weder verletzen noch vor den Kopf stoßen. Schließlich stehen Sie auf meiner Seite. Wenn ich Ihnen mit irgendetwas unter die Arme greifen kann ...“ Er sah zerquält aus, geradezu mitleiderregend, aber Bount brachte es nicht fertig, Craig zu bedauern. Bount fühlte, dass Hank Craig ihm wichtige Informationen vorenthielt. Im Leben dieses Mannes gab es ganz offenkundig vieles, was ihn belastete und worüber er unter keinen Umständen zu sprechen wünschte.

„Sie sind berufstätig?“

„Klar, was sonst? Ich bin doch kein Invalide! Ich habe die Firma meines Vaters übernommen.“

„Sie fahren täglich ins Büro?“

„Ja.“

„Allein?“

„Ja. Manchmal nehme ich Grace mit. Das ist meine Frau. Aber das passiert nur, wenn ihr Mini in Reparatur ist.“

„Von hier nach Hammond sind‘s drei Meilen. Der Highway ist nicht sehr belebt. Haben Sie keine Angst, dass man Sie einmal stoppen und kidnappen könnte?“

„Doch, diese Angst habe ich jetzt, sehr intensiv sogar“, gab Craig zu. Er grinste hölzern. „Natürlich habe ich stets meine Kanone dabei. Ich werde von ihr Gebrauch machen, falls es die Situation eines Tages erfordern sollte, darauf dürfen Sie sich verlassen.“

„Es ist anzunehmen, dass der oder die Leute, um die es geht, ihre Aktionen sorgfältig vorbereiten. Ich bin davon überzeugt, dass sie sowohl Dark als auch Conroy gründlich beobachteten ... und dass das möglicherweise auch auf Sie zutrifft. Hatten Sie jemals das Gefühl, beschattet zu werden?“

„Ja und nein. Wenn ich wirklich einmal dieses Gefühl hatte, war ich unfähig, es durch konkrete Erkenntnisse zu rechtfertigen. In meiner gegenwärtigen seelischen Verfassung ist es leicht, sich in etwas hineinzusteigern, aber schwer, Beweise für diese Verdachtsmomente zu erhalten.“

„Sie besitzen einen Revolver und Ihr Haus ist mit einer aufwendigen Alarmanlage ausgerüstet. Was sonst haben Sie noch unternommen, geplant oder beschafft?“

„Toby, mein Diener, ist ein Ex-FBI-Agent, ein Mann, der mit jedem Gegner fertig wird.“

„Hat er mich auf die Matte geschickt?“

„Nein, das war ich. Ich bitte nochmals um Entschuldigung ...“ sagte Craig lahm.

„Toby ist im Haus, nehme ich an. Wie schützen Sie sich im Büro gegen eventuelle Übergriffe?“

„Wie unterwegs. Ich habe stets die Kanone in Griffnähe“, sagte Craig. „He, woran denken Sie?“

Bount sah erstaunt aus.

„Woran ich denke?“

„Ich bin kein Kretin. Sie stellen eine Menge Routinefragen, aber in Wahrheit sind Sie mit Ihren Gedanken ganz woanders“, sagte Craig.

Bount grinste. Er war überrascht von Craigs Einfühlungsvermögen, weil er dem zuweilen etwas grobschlächtig auftretenden Hausherrn derartiges nicht zugetraut hatte.

„Ich will Ihnen sagen, was ich denke“, sagte Bount langsam. „Es geht mir schon die ganze Zeit im Kopf herum. Es hängt damit zusammen, dass der oder die Rächer mit ihren Aktionen fünfundzwanzig Jahre warteten. Sie sagen, das sei absurd, grotesk, und das trifft natürlich zu ... es sei denn, es gäbe dafür eine logische Erklärung.“

„Eine logische Erklärung für die Unlogik gibt es nicht“, sagte Craig.

„Was ist, wenn der Rächer, der die Aktion leitet, damals noch ein Kind war?“

„Ein Kind?“, echote Craig verblüfft.

„Ja, genau das. Ein Kind kann schon töten, aber normalerweise wird es warten, bis es erwachsen ist, um einen Racheplan durchzuführen.“

„Sie machen Witze!“

„Ich gebe zu, dass es kaum zu recht fertigen ist, in diesem Zusammenhang das Wörtchen ,normal‘ zu benutzen. Normal wäre, wenn die Zeit Wunden heilt und Hassgefühle einschläfert, aber wir haben es ganz offenkundig nicht mit einem solchen Normalfall zu tun, sondern mit einem, in dem Gefühle dominieren, die sich über ein Vierteljahrhundert hinweg konservieren ließen ...“

„Ich verstehe kein Wort!“

„Kann es sein, dass Osborne Kinder hatte ... einen Sohn vielleicht, von dem niemand etwas weiß?“

„Er war nicht verheiratet! Er liebte Cynthia.“

„Sie wird nicht das erste und einzige Mädchen in seinem Leben gewesen sein. Wer war vor ihr seine Favoritin?“

„Pamela Garskin.“

„Lebt sie noch?“

„Ja, aber, sie hat keine Kinder. Weder von Gilbert noch von anderen Männern. Sie ist ledig geblieben.“

„Ist es nicht denkbar, dass sie das Kind weggegeben hat, weil sie nicht den Mut hatte, es unehelich zur Welt zu bringen?“, fragte Bount.

Craig sah verwirrt aus.

„Ich weiß nicht, was ich von dieser Theorie halten soll.“

„Mir geht es nur darum, die unverständliche Wartezeit zu erklären. Setzen wir mal den Fall, dass es einen solchen Sohn gab und dass er seinerzeit sieben war, oder zehn. Vielleicht hat er erfahren, wer sein Vater war und wie er endete. Vielleicht hat er diesen Vater sogar gekannt und geliebt. Aber wie hätte er, ein Sieben- oder Zehnjähriger, den Tod des Vaters rächen sollen? Der Junge musste erst groß werden, er musste Geld verdienen. Es musste ihm gelingen, reich und unabhängig zu werden, um die Aktion erfolgreich planen und finanzieren zu können.“

„Klingt verrückt, aber ich spreche mit Pamela“, versprach Hank Craig. „Komisch, dass ich niemals selbst auf eine solche Idee gekommen bin? Vielleicht war Gilbert einfach nicht der Mann, den ich mir als Vater vorstellen konnte ...“

Bount verabschiedete sich und ging. Als er ins Hotel zurückkehrte, saß Preston in der kleinen Bar und trank einen Mokka. Außer Preston waren nur noch zwei männliche Gäste anwesend. Der Barkeeper putzte mit gelangweilter Miene Gläser.

„Ich habe es zu Hause nicht ausgehalten“, sagte Preston, nachdem Bount sich neben ihm auf einen der Polsterhocker niedergelassen hatte. „Es liegt etwas in der Luft. Mir ist es so, als röche ich Blut.“

Bount orderte sich einen Whisky und zündete sich eine PALL MALL an.

„Ich kann nur hoffen, dass Ihre Witterung Sie trügt.“

„Ich war bei Kimball.“

Bount runzelte die Augenbrauen.

„Moment mal, der Name kommt mir bekannt vor ...“

„Der Staatsanwalt. Der Mann, der seinerzeit die Anklage gegen Osborne formulierte“, sagte Preston. Er sprach mit gedämpfter Stimme, um zu vermeiden, dass der Barkeeper und die beiden Gäste hörten, was er von sich gab.

„Ist er noch im Dienst?“

„Oh nein, er wurde nur drei Jahre nach dem Fall Osborne pensioniert. Er ist jetzt siebenundsechzig.“

„Demnach war er mit fünfundvierzig ein Rentenfall?“

„Mit seiner Gesundheit schien etwas nicht zu stimmen“, sagte Preston. „Allen Unkenrufen zum Trotz ist er heute noch gesund und rüstig, aber ich habe Angst, dass sich das über Nacht ändern könnte. Ich habe ihn davon in Kenntnis gesetzt, was mit dem Stuhl, mit Dark und mit Conroy passierte.“

„Wie hat er es aufgenommen?“

„Sehr gelassen. Er ist der Meinung, damals immer nur seine selbstverständliche Pflicht getan zu haben. Er hat keine Angst. Ich wünschte, das würde mich beruhigen. Leider ist das nicht der Fall. Ich mache mir Sorgen um Kimball ... genau wie um Craig.“

„Vielleicht sollte man die beiden unter Polizeischutz stellen“, schlug Bount vor.

„Ich habe einen dementsprechenden Antrag gestellt, aber ich glaube nicht, das er zu verwirklichen sein wird. Erstens müssen die Betroffenen sich damit einverstanden erklären, und zweitens herrscht, wie ich weiß, bei der Behörde akuter Personalmangel. Wie gesagt, es wird schwierig sein, für den Antrag Befürworter zu finden.“

„Wo wohnt Kimball?“

„Er hat ein hübsches, kleines Reihenhaus in der Rose Street, dem alten Nobelviertel von Hammond. Ein Mann ohne Sorgen.“

„Wie schön für ihn.“

„Er macht sich keine“, sagte Preston grimmig, „aber Sie und ich wissen, dass er gute Gründe hätte, etwas weniger optimistisch in die Zukunft zu schauen.“

„Mich würde interessieren, wer gegenwärtig in Hammond Station macht“, sagte Bount. „Mich fesseln in diesem Zusammenhang vor allem Leute, die in Hammond geboren wurden und längere Zeit nicht in dieser hübschen Stadt weilten.“

„Glauben Sie, dass unser Mann sich darunter befindet?“

„Es ist keine Glaubensfrage“, meinte Bount. „Wie Sie wissen, kommt mein Beruf nicht ohne wissenschaftliche Routine aus.“

„Sie werden lachen“, sagte Preston und grinste schwach, „aber die Überlegung, die Sie gerade zum Ausdruck bringen, hat mich dazu gebracht, die Gästebücher der Hotels einzusehen. Unter den Eintragungen ist keine, auf die Ihre Beschreibung passt. Auch sonst sind mir keine Besucher bekannt, die sich für unsere Konstruktion eignen.“

„Man müsste, um die Nachforschungen fundiert zu gestalten, auch die Motels, die sich in der Nähe befinden, und die Hotels der nächsten größeren Städte unter die Lupe nehmen“, sagte Bount.

„Das ist Ihre Aufgabe, mein Lieber, dafür bezahle ich Sie“, meinte Preston.

„Was hat Kimball zu der merkwürdigen Verbindung gesagt, die sich aus dem Anschlag auf den Henker und Leo Conroys Tod herstellen lässt?“

„Ein Henker lebt gefährlich“, meinte Preston. „Das waren seine Worte. Was Conroy angeht, so ist Kimball davon überzeugt, dass es sich um ein schlichtes Herzversagen gehandelt haben muss.“

„Staatsanwälte leben nicht weniger gefährlich als Henker“, sagte Bount. „Oder ist Kimball da anderer Ansicht?“

„Offenbar. Ich wiederhole mich. Er ist ein Mann ohne Angst“, sagte Preston.

„Integer?“, fragte Bount.

Preston runzelte die Augenbrauen.

„Ein Mann in seiner Stellung ... warum fragen Sie?“

„Sie kennen den Grund. Wenn damals mit gezinkten Karten gespielt wurde, muss Kimball den Betrug erkannt haben.“

„Muss er das? Die Ermittlungsergebnisse und Conroys Aussage sprachen eindeutig gegen Osborne.“

„In Ihren Worten meine ich ein gewisses Unbehagen zu erkennen“, sagte Bount.

„Wer weiß schon wirklich, was damals war? Conroy hat es gewusst, aber der ist tot. Craig weiß es ... aber der wird nichts sagen, was ihm schaden könnte. Was nun Kimball angeht, so galt er seinerzeit als scharfer Hund, als ein Mann, der niemals Konzessionen machte und unnachsichtig gegen Leute vorging, die er für schuldig hielt. Er glaubt heute noch an die abschreckende Wirkung hoher Strafen. Es ist ein Teil seiner Philosophie.“ Bount blickte auf seine Uhr. „Ihr Whisky“, mahnte Preston. „Er steht schon seit Minuten vor Ihnen.“

Bount genehmigte sich einen Schluck.

„Ich würde gern schlafen gehen“, meinte er, „aber ich werde voraussichtlich kein Auge schließen können.“

„Ich habe Sie unruhig gemacht, was? Aber ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, Blut zu riechen ... es ist eine quälende und zutiefst beunruhigende Erfahrung. Ich wünschte, ich wüsste, was dagegen zu tun ist. Wenn wir hier in der Bar sitzen und Gedanken austauschen, ist das sicherlich der falsche Weg, um weitere Gewalttaten zu verhindern.“

„Da ist noch ein Punkt, der mich beschäftigt“, meinte Bount und rieb sich das Kinn. „Der elektrische Stuhl. Er ist ein massives Möbelstück, das sich nicht im Kofferraum eines Wagens transportieren lässt, allenfalls in einem geräumigen Stationcar. Sehr viel wahrscheinlicher ist jedoch, dass es von den Dieben in einen Kastenwagen montiert wurde. Dieses Fahrzeug muss in New York gewesen sein. Möglicherweise ist es längst wieder hier, in Hammond. Wo gibt es übrigens in unmittelbarer Nähe Starkstromleitungen, die sich anzapfen und für den gedachten Zweck aktivieren lassen?“

„Davon gibt es mehr als genug. In Hammond, in der Umgebung, praktisch überall“, meintePreston. „Ich kann nicht an jedem Hochspannungsmast einen Posten aufstellen lassen. Fest steht, dass der Umgang mit dem Starkstrom einen Fachmann erfordert.“ Bount nahm einen weiteren Schluck aus dem Glas, glitt vom Hocker und winkte den Barkeeper heran. „Lassen Sie“, meinte Preston. „Die Zeche übernehme ich. Sie sind mein Gast. Sie wollen gehen?“

„Ja.“

„Offenbar haben Sie keine Lust, mir Ihr Ziel zu verraten. Falls Sie sich für Kimball interessieren sollten, werden Sie keine Mühe haben, von ihm empfangen zu werden. Er weiß, dass Sie hier sind. Er ist ein Nachtmensch. Er geht selten vor zwei Uhr morgens ins Bett.“

„Ich war übrigens bei Craig.“

„Das überrascht mich nicht. Welchen Eindruck haben Sie von ihm?“

„Er hat Angst. Er weiß, was ihn bedroht.“

„Wundert Sie das?“

„Ich frage mich, wie sich sein schlechtes Gewissen erklärt“, meinte Bount.

„Ich nehme an, Sie haben ihn danach gefragt.“

„Die Antwort war nicht sehr ergiebig.“

„Hank ist kaputt.“

„Wegen der Osborne-Geschichte?“

„Möglich, aber wohl eher wegen seiner verpfuschten Ehe.“

Bount fielen die Conroys ein.

„Darauf scheint man in Hammond spezialisiert zu sein“, sagte er.

„Nicht nur in Hammond, nehme ich an.“

„Vielleicht hat es andere Gründe“, meinte Bount. „Ursachen, die im seelischen Bereich zu suchen sind. Setzen wir einmal den Fall, dass Craig und Conroy dafür sorgten, dass ein Unschuldiger auf dem Stuhl landete. Muss das nicht ihr Inneres in einer Weise verbogen haben, das sie unfähig machte oder macht, ein gesundes, harmonisches Eheleben zu führen?“

„An tiefen psychologischen Fragen bin ich nicht interessiert“, sagte Preston. „Ich will, dass Sie den verdammten elektrischen Stuhl auftreiben ... und ich will, dass das geschieht, bevor das Monstrum erneut auf volle Leistung gedreht wird.“

Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis

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