Читать книгу Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis - Walter G. Pfaus - Страница 18

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Leo Conroy betrat die Terrasse und kurbelte die knallgelbe Markise herunter. Die Mechanik quietschte, sie war schwergängig. Conroy legte eine Pause ein. Er schwitzte.

Manchmal machte es ihm Angst, wie rasch er erschöpft war. Seit etwa einem Jahr fiel ihm jede körperliche Betätigung schwer. Zum Glück war er nicht darauf angewiesen, seinen Lebensunterhalt mit physischen Leistungen zu bestreiten.

Er betrieb in Hammond ein kleines, gut gehendes Ingenieurbüro, das sich im Wesentlichen mit Rationalisierungsfragen der Landwirtschaft befasste.

Er setzte sich in den Schatten der Markise und griff nach der Isolierkanne, die auf dem kleinen, runden Tisch stand. Als er sich ein Glas mit dem gekühlten Fruchtsaft füllte, fiel ein Schatten über ihn. Conroy sah hoch und blickte in das faltenfreie, stark geschminkte Gesicht seiner platinblonden Frau.

„Ich fahre rasch mal zu Lizzy“, sagte sie. „Nur auf ein Stündchen.“

„Das kenne ich“, sagte er brummig.

„Hier ersticke ich! Du mit deiner ewig miesepetrigen Laune“, maulte sie.

Er fuhr fort, sie anzusehen. Gloria war seine dritte Frau. Von den ersten beiden hatte er sich scheiden lassen. Gloria war seine erste Partnerin, um die andere ihn beneideten. Sie war fünfzehn Jahre jünger als er und sehr attraktiv, aber er hatte schon wiederholt bereut, mit ihr die Ehe geschlossen zu haben. Sie taugte nichts, wie er fand. Er hatte Angst, dass sie ihn betrog. Es gab viele Anzeichen für die Richtigkeit dieses Verdachtes, aber Gloria war trickreich und fand für alles, was ihn beunruhigte, eine Ausrede, so dass er es schließlich aufgegeben hatte, sie zu attackieren, aber insgeheim wartete er, hoffnungsvoll und furchtsam zugleich, auf den Moment, wo er sie einmal in flagranti ertappen würde.

Er blickte ihr hinterher, als sie durch den Garten zur Garage ging. Seine Mundwinkel zuckten. Es hatte mal eine Zeit gegeben, wo Glorias Art, sich zu bewegen, seine Sinne erhitzt hatte, aber jetzt fand er das Kreisen ihrer Hüften nur noch schamlos und provozierend.

„Flittchen!“, presste er durch seine Zähne, griff nach dem Glas und trank. Er leerte es, stellte es ab und fühlte sich danach ein wenig besser.

Er hörte, wie Gloria den Wagen startete und davonfuhr. Dann war er allein mit seinen Gedanken, dem Gezwitscher der Vögel und der enervierenden Erkenntnis, in der Isolation zu leben, von keinem verstanden, von niemand geliebt. Zugegeben, er war in Hammond ein geachteter und respektierter Mann, aber die Anerkennung, die seine Arbeit fand, war nicht genug, um sein Hera zu erwärmen. Es gab Momente, wo er an den Tod dachte, sogar an den Freitod, weil er aufgehört hatte, an irgendetwas im Leben Freude zu haben. Da er intelligent war und auch zur Selbstkritik neigte, wusste er sehr wohl, wann diese Phase seines Lebens begonnen hatte, aber er vermied es, sich näher mit ihr zu befassen. Es war ihm jedoch längst klargeworden, wie wenig ihm diese Verdrängungspolitik half, mit seinen Schwierigkeiten fertig zu werden.

Er blickte hoch, als er im Garten eine Bewegung wahrnahm. Es war nichts Ungewöhnliches, dass Freunde und Bekannte diesen Weg wählten. Sie wussten, dass er um diese Stunde, kurz vor dem Abendessen, im Allgemeinen auf der Terrasse seines Hauses anzutreffen war. Den Mann, der gleich darauf in Conroys Blickfeld trat, kannte er allerdings nicht. Es war ein hochgewachsener Bursche, der eine Hand in die Hosentasche gesteckt und etwas in seiner Art hatte, das Conroy irritierte und zutiefst beunruhigte.

Conroy hatte eine Witterung für Gefahr. Sie war noch niemals so stark gewesen wie in diesem Moment.

Der Mann blieb am Fuße der Terrasse stehen. Er lächelte nicht. Seine Augen waren stahlblau. Stählern wirkte überhaupt sehr vieles an ihm: Der kühle, scharfe Schnitt des Gesichtes, die Linie der verkniffenen Lippen, und die Muskeln, die sich unter dem dünnen Stoff des hellen, modischen Anzugs verbargen.

„Es ist heiß heute, nicht wahr?“

„Schrecklich“, sagte Conroy. „Hat meine Frau Ihnen gesagt, Sie sollen gleich durch den Garten gehen?“

„Nein, aber ich habe sie wegfahren sehen.“

„Sie kennen Gloria?“, fragte Conroy. Sein Pulsschlag hatte sich beschleunigt. Warum, um alles in der Welt, hatte er vor diesem Fremden bloß Angst?

„Ja, ich kenne Gloria.“

„Wollen Sie nicht Platz nehmen?“, fragte Conroy. Er glaubte zu wissen, was ihn erwartete. Es betraf Gloria. Wahrscheinlich war dieser ganz auf starke Männlichkeit getrimmte Bursche ihr Liebhaber. Vielleicht war er gekommen, um Gloria für sich zu fordern.

„Danke“, sagte der Mann und setzte sich zu Conroy an den runden Tisch.

„Ich habe Ihren Namen nicht verstanden“, sagte Conroy.

Der Mann schlug ein Bein über das andere. Conroy fand, dass seine Gelassenheit etwas Herausforderndes hatte.

„Ich habe ihn nicht genannt“, erklärte der Besucher.

Conroy lächelte leer.

„Wollen Sie nicht zur Sache kommen, Mister?“

„Aber gern“, sagte der Mann. „Sie erinnern sich gewiss besonders gut an das Jahr 1956?“

Conroy blinzelte.

„Kann schon sein. Warum fragen Sie?“

„Es interessiert mich. Ich frage mich, wie ein Mann, der das Leben eines anderen auf dem Gewissen hat, mit einer solchen Last fertigzuwerden vermochte. Oder hat es Ihnen nichts ausgemacht, Gilbert Osborne auf den elektrischen Stuhl zu schicken?“

„Moment mal“, stammelte Conroy erschreckt. „So war das nicht. Ich war nur ein Zeuge unter vielen ...“

„Sie waren der Hauptbelastungszeuge.“

„Was hätte ich denn tun sollen? Ich musste zu Protokoll geben, was man mich fragte. Das habe ich später in der Gerichtsverhandlung wiederholt.“

„Unter Eid.“

„Selbstverständlich unter Eid.“

„Es war ein Meineid.“

Conroy schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.

„Das ist unerhört! Ich verwahre mich gegen eine solche Diffamierung!“, stieß er hervor und merkte gleichzeitig, dass sein Aufbegehren eher nervös und furchtsam als überzeugend wirkte.

„Sie haben damals gelogen.“

„Wer sind Sie? Das ist schon so lange her..

„Gilbert könnte noch leben, wenn Sie nicht gewesen wären“, sagte der Mann.

„Ich habe ihn nicht am Tatort erwischt“, verteidigte sich Conroy. „Das war die Polizei. Ich habe nur erklärt, dass ich gesehen habe, wie er gegen neunzehn Uhr das Haus von Oliver Marlowe betreten hat, mit einer Waffe in der Anzugstasche ...“

„Wie wollen sie es geschafft haben, durch den Stoff hindurchzublicken?“

„Das hat mich damals auch Gilbert Osbornes Verteidiger gefragt“, sagte Conroy. „Ich konnte überzeugend darlegen, dass es sehr wohl möglich ist, die Konturen einer Waffe unter einem dünnen Anzugstoff zu erkennen.“

„Sie sind für diese Aussage bezahlt worden. Das Geld reichte Ihnen, um Ihre zweite Scheidung durchzuboxen und das Ingenieurbüro zu gründen. Sie haben mit dem Geld ein neues Leben begonnen. Hat es sich gelohnt?“

„Ich weigere mich, darauf zu antworten“, schnaubte Conroy. „Verschwinden Sie! Ich habe keine Lust, mir Ihre Unverschämtheiten auch nur noch eine Minute länger anzuhören.“

„Ich will Ihnen sagen, wie es war - obwohl Sie selbst sehr gut wissen, was damals passierte. Gilbert Osborne und Hank Craig waren miteinander verfeindet, weil sie beide um dasselbe Mädchen kämpften, um Cynthia Hopkins. Gilbert war ein Nobody, ein armer Hund, während Craig der Sohn eines Ölmühlenbesitzers war. Cynthia liebte Gilbert, aber Hank Craig wollte das nicht wahrhaben. Er beanspruchte Cynthia für sich. Der Streit war damals Stadtgespräch. Die Eingeweihten verfolgten das Geplänkel mit gespannter Anteilnahme; und es gab nicht wenige, die ein gewaltsames Ende fürchteten. Erinnern Sie sich?“

„Ja.“

„Eines Tages war Cynthia verschwunden. Man fand sie unweit von Gilbert Osbornes Wohnung. Erwürgt. Am gleichen Abend wurde Oliver Marlowe erschossen. Rekonstruktionen des Geschehens ergaben, dass Gilbert Osborne das Mädchen erwürgte, weil sie sich dazu entschlossen hatte, den reicheren Hank zu heiraten. Oliver, ein Zeuge der Tat, wurde von Gilbert Osborne mit zwei Pistolenschüssen aus dem Wege geräumt.“

„Ja, so war es.“

„So war es nicht. Das Ganze war nur eine Konstruktion der Staatsanwaltschaft, gefördert und unterstützt von Hank Craigs Vater, der es nicht ertragen konnte, seinen Sohn als Mörder enden zu sehen.“

„Ich verstehe kein Wort“, murmelte Conroy.

„Sie verstehen sehr gut! Cynthia wollte Gilbert heiraten, obwohl er nichts besaß. Sie liebte ihn. Als sie das Craig sagte, drehte er durch. Er brachte das Mädchen um und gestand seinem Vater die Tat. Der reagierte blitzschnell. Für den alten Craig stand außer Frage, dass in Wahrheit Gilbert Osborne der wahre Schuldige war und dass es galt, ihm die Tat anzuhängen. Craig kaufte einen Gangster, der es fertigbrachte, Osbornes Pistole zu stehlen. Der Gangster erschoss damit Marlowe, der tatsächlich den Mord beobachtet hatte. Dann rief man Osborne unter einem Vorwand in Marlowes Wohnung. Dort fand er den Toten, und daneben die eigene Pistole. Er verständigte sofort die Polizei, aber die glaubte ihm nicht, sie hielt ihn für den Mörder.“

„Warum erzählen Sie mir das alles? Sie halten Osborne für unschuldig. Vielleicht war es so, vielleicht nicht. Was mich angeht, so war ich verpflichtet, zu sagen, was ich gesehen hatte. Nicht mehr und nicht weniger.“

„Waren Craig und Sie damals nicht miteinander befreundet?“, fragte der Mann.

„Das ist zu viel gesagt. Wir spielten manchmal eine Partie Golf miteinander.“

„Richtig. Ich nehme an, dass der alte Craig bei diesen Gelegenheiten erfuhr, wie miserabel Ihre Ehe ging und wie abgebrannt Sie waren. Er offerierte Ihnen Geld für eine neue Existenz. Als er Ihnen den Preis nannte, gingen Sie darauf ein.“

„Den Preis?“, murmelte Conroy.

„Ja. Um seinen Sohn zu entlasten und um Osborne die Tat anzuhängen, war es wichtig, einen unverdächtigen ,Zeugen‘ zu finden, einen Mann ohne Vorstrafen. Einen gutbürgerlichen Einwohner der Stadt, dessen Aussage hieb und stichfest war und der, wie es schien, nicht in Verdacht geraten konnte, von einer der Parteien bestochen worden zu sein. Dieser Mann waren Sie. Wieviel hat der alte Craig Ihnen für die erfundene Aussage gezahlt? Wieviel bekamen Sie für die Behauptung, Gilbert hätte Marlowes Haus mit einer Pistole in der Tasche betreten?“

„Sie sind wahnsinnig!“

„Wieviel?“, fragte der Mann scharf.

Conroy griff sich ans Herz.

„Mir geht es nicht gut. Ich brauche meine Tabletten.“ Er erhob sich, fiel aber sofort wieder auf den Stuhl zurück. Er fühlte die stahlblauen Augen des Fremden auf sich gerichtet, spürte die seltsam schlappen Schläge seines Herzens und hatte Angst, dass es im nächsten Moment gänzlich aussetzen könnte.

„Wieviel?“, fragte der Mann.

„Sind Sie Reporter? Sind Sie einer von denen, die in der Vergangenheit herumstochern, um sich damit eine goldene Nase zu verdienen?“, wollte Conroy wissen.

„Nein“, erwiderte der Mann. „Ich bin ein Rächer.“

„Ein Rächer“, wiederholte Conroy und blickte in die kalten, blauen Augen. Er fühlte sich immer noch schwach, aber der Rhythmus seines Herzens stabilisierte sich. Plötzlich war er froh, über die alte Geschichte sprechen zu können.

„Wissen Sie“, sagte er schleppend. „Ich leide heute noch unter dieser Sache. Es gab so vieles, was für die Täterschaft von Gilbert Osborne sprach, dass ich mich schließlich bereit erklärte, gegen ihn auszusagen. Es stimmt, ich tat es, um dem alten Craig einen Gefallen zu tun, und es ist auch richtig, dass er mich dafür bezahlte.“

„Sie wissen, welches Gewicht diese Aussage hat?“, fragte der Fremde.

„Ja. Rollen Sie in drei Teufels Namen den Fall nochmals auf, zerren Sie mich vor den Kadi, aber erwarten Sie nicht, dass Sie damit etwas ändern! Hank hat eine Frau geheiratet, mit der er unglücklich geworden ist. Der alte Craig, der das Verbrechen seines Sohnes vertuschte und Marlowe opferte, ist längst tot. Und Gilbert, der gleichfalls ein Opfer der Tragödie wurde, können Sie nicht wieder lebendig machen.“

„Das weiß ich. Nur bin ich nicht der Mann, der bereit ist, so fatalistisch zu reagieren. Gilbert Osborne hat mir seinerzeit Vater und Mutter ersetzt, er war das einzige, was ich besaß“, sagte der Mann.

„Sie sprechen in Rätseln!“

„Ich war ein Waisenkind. Gilbert, der um vieles Ältere, hat sich damals um mich gekümmert, er hat mir bei den Schulaufgaben geholfen, er war immer zur Stelle, wenn ich jemand brauchte, der mich beschützte. Damals war ich zehn. Ich war elf, als man ihn auf den Stuhl setzte. Jetzt bin ich 36.“

„Sie müssen Fred Sayers sein“, murmelte Conroy, dem es wie Schuppen von den Augen fiel. „Sie liefen, soviel ich weiß, Ihren Pflegeeltern davon, als Sie zwölf waren.“

„Diese sogenannten Pflegeeltern haben mich geprügelt. Sie hatten mich nur bei sich aufgenommen, um den Zuschuss der Stadt und des Staates kassieren zu können.“

„Fred Sayers“, meinte Conroy kopfschüttelnd. „Wer hätte das gedacht!“

„Ich wusste, dass Gilbert unschuldig war. Ich wusste, dass er Cynthia geliebt hatte und dass sie seine Gefühle erwiderte. Ich war damals nur ein Kind, aber ich durchschaute bereits, was gespielt wurde. Ich nahm mir vor, Gilberts Tod zu rächen. Es hat bis heute gedauert, dass ich aktiv werden konnte.“

„Was haben Sie vor?“

„Das ist leicht erklärt, Conroy. Ich sorge dafür, dass Sie enden wie Gilbert.“

„Sie wollen mich umbringen?“, murmelte Conroy mit weit aufgerissenen Augen. Er spürte schon wieder sein Herz. Es machte ihm Angst, aber noch mehr Furcht flößte ihm der Mann mit den stahlblauen Augen ein. Der schien es nicht eilig zu haben, seine Drohung in die Tat umzusetzen. Er sah, wie sein Gegenüber sich quälte und schien diesen Umstand zu genießen.

„Ja, ich will Sie umbringen“, bestätigte Sayers. „Sie sind die Nummer zwei auf meiner Liste. Mit Dark habe ich begonnen.“

„Wer ist das?“

„Derek Dark. So nannte er sich zuletzt. Sein Geburtsname lautete Martin Cervato. Er war der Henker.“

„Hören Sie, Sayers ...“

Sayers stand auf.

„Kommen Sie, wir gehen!“

„Wohin?“

„Das wissen Sie doch. Der Stuhl erwartet Sie.“

„Der Stuhl?“, krächzte Conroy.

„Bin ich so schlecht zu verstehen? Sie wissen natürlich, dass ich von dem elektrischen Stuhl spreche, auf dem mein Freund Gilbert endete. Ich habe das Werkzeug für Sie auf Vordermann bringen lassen. Es hat bereits im Falle von Derek Dark bewiesen, wie funktionstüchtig es ist.“ Conroy war leichenblass. Er griff sich an sein Herz.

„Bitte, Sayers ...“

„Ich warte“, sagte Sayers scharf.

Leo Conroy stemmte sich hoch. Er schwankte wie betrunken, machte ein paar Schritte zur Terrassentür hin und brach dann abrupt zusammen.

„Verdammtes Theater!“, stieß Sayers hervor. Er ging um den Tisch herum und kickte Conroy mit der Fußspitze mehrere Male hart in die Rippen. „Aufstehen, oder ich mache Ihnen Beine!“

Conroy rührte sich nicht.

Sayers runzelte die Augenbrauen. Ihm dämmerte, dass das Geschehen nicht gespielt war. Er beugte sich zu Conroy hinab, wälzte ihn auf den Rücken und versuchte, seinen Puls aufzuspüren. Es gab keinen mehr.

Leo Conroy war tot.

Mörder sind nicht zimperlich: 10 Krimis

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