Читать книгу Sommer Bibliothek 11 besondere Krimis - Alfred Bekker, Frank Rehfeld, Karl Plepelits - Страница 63
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Ein kühler Wind strich durch die Häuserzeilen von Brooklyn, als wir das Hotel Parrinder verließen. Schräg gegenüber befand sich eine Snack Bar und da uns erstens der Magen knurrte und wir zweitens unsere bisherigen Ermittlungsergebnisse resümieren wollten, begaben wir uns dort hin. Zuvor gingen wir mit dem Rechner unseres Sportwagens kurz online, um über NYSIS die verfügbaren Daten abzurufen, die über Jaden Nichols vorhanden waren.
Wir wussten ja bereits, dass er der Vorbesitzer des ‚Hidden Joy’ gewesen war und den Club unter dubiosen Begleitumständen an Sonny Ricone verloren hatte.
„Also fest steht, dass hier im Hintergrund eine Zuhälterfehde läuft“, stellte Milo fest. „Und das schon seit Jahren.“
„Zeitgleich mit dem ersten Mord des Barbiers“, murmelte ich.
„Du willst doch nicht behaupten, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt!“, erwiderte Milo. „Der Barbier ist ein Psychopath und...“
„Ich habe nur laut gedacht, Milo.“
Die Snack Bar war im Stil eines Diners aus den Fünfzigern gehalten. Wir nahmen jeder einen Hot Dog und Kaffee. Milo zusätzlich noch einen Salat.
„Man soll ja auch auf die Vitamine achten“, meinte er grinsend.
„Sieh mal, wer dort ist!“
Eine dunkelhaarige Frau in einem konservativ geschnittenen Business Kostüm saß an einem Tisch am Fenster für sich allein. Von ihrem Platz aus hatte sie eine hervorragende Aussicht auf die Vorderfront des Hotel Parrinder.
Ihr elegantes Äußeres wirkte schon als starker Kontrast zu der eher schlicht gehaltenen Einrichtung der Snack Bar. Ein Fast Food Fan schien sie auch nicht zu sein, denn vor ihr stand nur eine Tasse Kaffee.
Sie blickte nachdenklich hinaus auf die Straße.
„Wer soll das sein?“, fragte Milo.
„Ist dir die Lady nicht aufgefallen? Eine besonders dreiste Gafferin am Heckscher Playground, die wohl glaubte, dass das Flatterband nur zur Zierde gespannt worden ist!“
„Und du glaubst nicht daran, dass sie zufällig hier ist?“
„Jedenfalls passt ihr Aufzug weder zu dieser Snack Bar, noch zu den Girls, die für Sonny Ricone anschaffen gehen!“
„Sag das nicht zu laut, sonst verklagt dich Sonny Ricone wegen übler Nachrede, Jesse!“
Wir traten an den Tisch der Dunkelhaarigen.
„Guten Tag.“
Ein Ruck durchfuhr sie.
Ich zeigte ihr meinen Ausweis. „Jesse Trevellian, FBI. Vielleicht erinnern Sie sich. Wir sind uns kürzlich auf dem Heckscher Playground begegnet.“
Einen Augenblick wirkte sie etwas verunsichert. „Natürlich erinnere ich mich“, erwiderte sie.
„Dies ist mein Kollege Spezial Agent Milo Tucker. Haben Sie etwas dagegen, wenn wir uns zu Ihnen setzen?“
„Nein. Ich bin auch schon so gut wie fertig.“
Wir setzten uns. Mir fiel auf, dass ihr Kaffee nicht mehr dampfte und wohl längst kalt geworden war.
Ich begann meinen Hot Dog zu essen.
Seit dem Frühstück hatte ich nichts mehr zwischen die Zähne bekommen und dasselbe galt auch für Milo.
„Haben Sie inzwischen etwas Neues über den Mörder herausgefunden, der für den Tod der jungen Frau im Central Park verantwortlich war?“
„Die Ermittlungen sind zäh“, sagte ich.
„Die Zeit spielt immer für den Mörder, nicht wahr?“
„Das ist leider so.“
„Ich habe gelesen, dass dieser Barbier schon seit Jahren sein Unwesen treibt, aber in letzter Zeit besonders aktiv geworden ist. Was glauben Sie, wie lange es noch dauern wird, bis Sie den Kerl haben. Sie gehen doch davon, dass es ein Kerl ist oder?“
Ich nickte. „Die statistische Wahrscheinlichkeit spricht dafür. Derzeit ist uns ein Psychologe zugeordnet. Seiner Analyse nach ist der Täter zwischen 25 und 35 Jahre alt, männlich, und fiel als Kind durch Tierquälerei, Aggression gegenüber Mitschülern und so weiter auf.“
„Was glauben Sie, weshalb er jetzt plötzlich so aktiv geworden ist und mehrere Morde innerhalb relativ kurzer Zeit verübte?“
„Ein Auslöser könnte ein besonderer Stress durch eine Umbruchsituation in seiner Lebensführung sein. Verlust des Jobs oder der Partnerin zum Beispiel.“
Sie lächelte.
„Interessant in welcher Reihenfolge Sie das sagen, Agent Trevellian.“
„Wenn der Täter ein Mann ist, kann der Verlust des Jobs tatsächlich mit mehr Stress verbunden sein als eine Scheidung.“ Ich machte eine Pause und fuhr schließlich fort: „Was ich Ihnen bis jetzt gesagt habe, hätten Sie selbst in jedem Lehrbuch nachlesen können. Wenn wir uns richtig über die Sache unterhalten wollen, müsste ich schon wissen, mit wem ich es zu tun habe...“
„Oh, das tut mir leid.“
Sie zeigte mir einen Presseausweis. Danach hieß sie Donna McNolan und war freie Reporterin.
„Da Sie kein Kamera- oder Sound-Team in Ihrer Nähe haben, gehe ich davon aus, dass Sie zur schreibenden Zunft gehören“, sagte Milo.
Sie wandte den Kopf in Richtung meines Kollegen und lächelte hintergründig. Ein Blick, den ich nicht wirklich einzuschätzen wusste. „Als FBI-Agent sollten Sie doch wissen, dass die Kamera- und Aufnahmetechnik heute so winzig geworden ist, dass Sie schon mit einem falschen Knopf in exzellenter Qualität filmen können!“
„Ich hoffe nicht, dass das hier so etwas wie die Versteckte Kamera ist“, gab ich zurück.
Sie schüttelte den Kopf. „Keine Sorge. Sie hatten Recht. Ich schreibe.“
„Und gegenwärtig recherchieren Sie über den Barbier?“
„Ja.“
„Ich habe gleich gewusst! Es konnte kein Zufall sein, dass wir Ihnen am Heckscher Playground und hier begegnet sind. Woher wussten Sie, dass Eileen Genardo hier wohnte?“
„Ich...“ Sie stockte. Dann setzte sie noch einmal an und brach erneut ab. Irgendwie schien meine Frage sie etwas durcheinander gebracht zu haben. „Wie gesagt, ich recherchiere schon länger in der Sache und habe mit Susan Michaels gesprochen, einer Bekannten von Gail Montgomery.“
„Dem Opfer Nummer eins“, stellte ich fest.
„Richtig. Der Fall Gail Montgomery liegt ja bereits sieben Jahre zurück. Inzwischen ist Susan mehrfach umgezogen und jetzt wohnt sie hier.“
Ich zog einen Zettel aus der Innentasche meines Jacketts, auf dem ich mir die Personalien der Bewohnerinnen des Hotel Parrinder notiert hatte. Eine Susan Michels war dabei. Sie war von unserem Kollegen Fred LaRocca befragt worden. Angeblich hatte sie keine sachdienlichen Angaben machen können.
„Sie ist da drin! Warum gehen Sie nicht einfach hinein und sprechen mit ihr?“, fragte ich.
„Ich war bereits im Hotel. Aber man hat mich wieder vor die Tür gesetzt, als ich begonnen habe, Fragen zu stellen. Jetzt hoffe ich, dass Susan Michaels irgendwann mal vor die Tür geht, damit ich sie abpassen kann.“
„Wie kommen Sie darauf, dass Susan Michaels wichtige Angaben machen könnte?“
„Damals, im Fall Montgomery, war sie sehr redselig. Wir hatten uns beinahe etwas angefreundet, wenn das der richtige Ausdruck ist. Ich machte eine Reportage über die Prostitution in New York gemacht, wie die Frauen dieses Doppelleben in der Illegalität verkraften und so weiter. Natürlich wurde Susan darin nicht namentlich erwähnt, dann hätte ihr Zuhälter sie so grün und blau geschlagen, dass sie nie wieder hätte arbeiten können.“
„Unserem Kollegen LaRocca gegenüber gab sie sich eher verschlossen“, antwortete ich.
„Kein Wunder. Dieser Sonny Ricone ist ein brutaler Hund. Jedenfalls sagt man das über ihn. Ich kann schon verstehen, dass sie vorsichtig ist. Aber mir vertraut sie, denke ich.“
„Was hat Sie Ihnen damals gesagt?“
„Susan Michaels kam zu einem unserer Treffen mit kahl rasiertem Kopf. Man konnte sehen, dass da kein Meisterfrisör seine Hand im Spiel hatte. Jemand hatte ihr mit einer Rasierklinge ziemlich grob die Haare abrasiert. Der Kopf war übersät von kleineren Schnittwunden. Ich dachte erst, ihr Zuhälter hätte unseren Kontakt bemerkt und sie bestraft.“
„Dann hätte er sich selbst bestraft, weil sie doch so nicht mehr arbeiten konnte, wie ich annehme“, ergänzte Milo.
„Notfalls gibt es Perücken“, erwiderte Donna McNolan.
„Wer war ihr Zuhälter damals?“
„Jaden Nichols.“
„Sieh an! Ein alter Bekannter!“, sagte ich. „Hatte er was damit zu tun?“
Donna McNolan schüttelte den Kopf. „Sie sprach von einem perversen Freier, der Spaß daran hätte, einer Frau die Haare abzuschneiden. Und zwar auf die grobe Tour. Wenig später war Gail Montgomery dann tot.“
„Warum hat Susan nie gegenüber der Polizei diesen Kerl erwähnt?“, fragte Milo. „Wir sind die Protokolle von damals mal durchgegangen, aber davon stand da nichts drin, da bin ich mir sicher.“
„Ich denke, Jaden Nichols hat ihr damals den Mund verboten.“
„Wie kam es, dass Susan jetzt für Sonny Ricone arbeitet?“
„Das hing irgendwie mit dem Besitzerwechsel im ‚Hidden Joy’ zusammen.“
„Sie meinen, Susan Michaels gehörte zur Handelsmasse?“
„Das klingt menschenverachtend, aber Sie wissen ja wohl besser als ich, wie brutal die Regeln in diesem Geschäft sind. Susan hat es mir nie genau gesagt, aber es war wohl so, wie Sie vermuten.“
Milo mischte sich jetzt in das Gespräch ein. „Vielleicht sollten wir beide Susan Michaels noch einmal wegen diesem Perversen auf den Zahn fühlen“, meinte er. „Schließlich könnte es doch sein, dass der in letzter Zeit wieder in der Gegend aufgetaucht ist und er irgendwann dazu überging, die Frauen nicht nur zu rasieren, sondern auch zu töten.“
„Ja, aber bevor wir das versuchen, sollen wir Miss McNolan eine Chance lassen. Ich denke, dass Susan Michaels ihr gegenüber offener ist. Wir können immer noch mit einer regulären Vorladung kommen.“ Ich schob Donna McNolan meine Karte über den Tisch. „Rufen Sie mich an, sobald Sie mit Susan gesprochen haben.“
„Ja, aber wie Sie sehen, kann das noch etwas dauern!“
„Ihre Nummer hätte ich auch gerne.“
Sie schob mir ebenfalls eine Visitenkarte über den Tisch.
„Wir hören voneinander“, versprach sie.