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Abends holte Renate ihren Sohn ab, der Herbstferien bekommen hatte. Frank war gerade dreizehn geworden. Er ähnelte Zylvercamp in der Kinnpartie. Von seiner Mutter aber hatte er die Stirn, die für einen Jungen merkwürdig hoch und weiß war. Die Augen, sehr große, braune Augen, die fragend und schneidend waren, hatte er von keinem von beiden.

Er war überhaupt aus einem Stoff gemacht, der seinen Eltern nicht leicht verständlich war. Deshalb hatten sie ihn wohl auch in einem Landerziehungsheim untergebracht. Deshalb und weil sie viel reisten. Weil sie bald in Berlin und bald in ihrem Häuschen im Fextal, oberhalb des Engadins, lebten, und glaubten, es müsse so sein.

Frank war nur an diesem einen Abend da. Am anderen Tag sollte er zur Großmutter fahren, zu Zylvercamps Mutter, die auf ihrem Altenteil in Westfalen saß. Er fuhr in jedem Herbst hin, erntete die Obstbäume ab, die in Großmutters Gartenstück standen, half dem Onkel Paul, Zylvercamps Bruder, ein wenig beim Pflügen und trieb sich mit den beiden Kusinen im Walde umher, um Pilze und Beeren zu sammeln, Kienäpfel und Bruchholz für die Großmutter. Es war die schönste Zeit des Jahres für ihn, und er sprach fast den ganzen Abend von Ohrau und der Großmutter.

Zylvercamp ging mit Frank eine Stunde in Berlin bummeln. Sie saßen in der Konditorei am Kurfürstendamm, in der er mit Baudis am ersten Oktober verabredet gewesen war. Frank aß vier Mohrenköpfe und zwei Portionen Eis. Er sprach von einem Lehrer, der „großartig“ laufen könne, „aber auch sonst sehr klug sei“. Er sprach von einem Wettkampf, in dem er der Dritte geworden war. Er fand Berlin „ulkig“ und eigentlich langweilig. Man könne hier im Café gar nicht glauben, daß die vielen Leute auch einmal arbeiteten. Sicherlich gingen sie immer auf der Straße auf und ab oder saßen vor leeren Tassen und Tellern und lasen Zeitungen.

Zylvercamp fragte ihn, ob es dabei bleiben würde, daß er einen Bauernhof in Westfalen, gleich neben dem Altenteil der Großmutter, haben wollte. Frank sah ihn erstaunt an. Er sagte: „Aber das ist doch selbstverständlich! Das geht doch gar nicht anders.“

„Das geht gar nicht anders?“ Zylvercamp mußte lachen. Genau so war er mit dreizehn Jahren gewesen. Was er haben mußte, das bekam er auch, weil es gar nicht anders ging.

Er marschierte mit dem Jungen Arm in Arm nach Hause. Er dachte, als sie zusammen durch den dunklen Tiergarten gingen, der noch feucht war vom Gewitterguß, glitschig ein wenig, herbstneblig unter den Büschen, er dachte, wie spät er doch zu allen Dingen im Leben kam (außer zum Erfolg, der war sehr früh gekommen). Andere Männer waren in seinem Alter Großväter. Er wuchs erst ganz allmählich in die Rolle des Vaters hinein. Jetzt erst begann er seinen Jungen Frank richtig von Herzen zu lieben. Das war schon ein großer Fortschritt. Denn Kurt Zylvercamp, den Sohn aus erster Ehe, der jetzt in München ein feiner junger Herr war, ein Assessor und ein Bergsteiger, sehr rechtlich und auf sein Recht aus, den hatte er nie lieben können. Aber diesen Frank an seiner Seite, mit den fremden, messerscharfen Augen, den liebte er nun.

Den Rest des Abends saß Frank bei seiner Mutter. Sie spielte ihm ein bißchen Mozart vor, so wie sie es früher immer getan hatte, und Frank saß auf der Erde neben ihr und hatte seinen Kopf an ihr Knie gelehnt. Da spürte man die Musik am stärksten, und wenn gar das Pedal getreten wurde, dann wurde hier unten das Brausen und Summen herrlich und schwindelerregend. Die Töne blieben beieinander und schwangen so stark, daß man selbst mit ins Schwingen kam.

Als die Mutter zu spielen aufhörte, sagte er: „Früher klang die Musik anders. Es waren wohl dieselben Noten. Aber wahrscheinlich bist du anders geworden.“

Renate Zylvercamp nickte. „Ein bißchen anders“, sagte sie, „natürlich.“

Der Junge stand auf, umarmte sie heftig und fragte: „Wann wirst du denn wieder anders? So wie früher?“

Renate sagte: „Man ändert sich nun mal ein bißchen, wenn man älter wird. Du bist ja auch nicht mehr so, wie du mit fünf Jahren warst.“

Frank gab sich damit nicht zufrieden. Er wußte aber nicht, wie er das ausdrücken sollte, was zu sagen ihm so wichtig schien.

„Du hättest dich nicht geändert“, sagte er, „es liegt doch nicht an dir ...“

Und jetzt sah er seine Mutter wieder an mit dem schneidenden Blick, der sie schon manchmal erschreckt hatte. Einem Blick voll Haß gegen ... ja gegen die ganze Welt.

Im vorigen Jahr hatte er in einer solchen Stunde geschrien, warum er denn nicht wie andere Jungen zu Hause sein könne. Renate hatte es ihm erklärt, so gut es ging. Der Vater war eben ganz anders als andere Menschen. Stärker und empfindlicher durch sein Schaffen. Es würde für Frank nicht gut sein, in dieser unruhigen Luft zu leben. Aber Frank hatte geantwortet: „Er könnte nun auch mal ruhig werden ...“

Renate blieb nichts übrig, als das Gespräch abzubrechen. Und auch dieses Mal lenkte sie einfach ab. So tief, meinte sie, würde es bei dem Jungen auch nicht sitzen.

Sie sprachen dann noch sehr vergnügt bis in die tiefe Nacht hinein von Ohrau, von dem großen Sessel am Kamin, über dem der ewige Holzbrand schwelte, vom Torfmoor, vom Nesselgrund gleich hinter dem Haus, vom Obstgarten, vom Pilzesuchen, von den Kusinen und von der Großmutter.

Oktober

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