Читать книгу Der Goldvogel - Werner Gerl - Страница 10
Оглавление06 Der schöne Tag lockte die Schrebergärtner des Münchner Ostens in ihre Parzellen. Erstaunt nahmen sie wahr, dass man einen Teil des Parkplatzes abgeriegelt hatte. Zwei Männer, die mit ihren Plastikhandschuhen und ihrer sonderbaren Kleidung ein wenig nach Außerirdischen aussahen, tummelten sich innerhalb der Absperrung. Davor standen eine Frau und ein Mann, die vergeblich versuchten, die Schaulustigen zu vertreiben wie Wespen im September.
Tischler wollte kein allzu großes Aufsehen erregen und hatte deshalb auf die Kollegen von der Schutzpolizei verzichtet, was sie angesichts der penetranten Schaulust bitter bereute.
»Wenn ich noch einmal ›Hier gibts nichts zu sehen‹ und ›Lediglich eine Routineuntersuchung‹ sagen muss, dann kotze ich«, gestand die Kommissarin Mangel.
»Machs nicht, denk an die Sauerei!«, entgegnete Mangel ungewohnt trocken.
»Woher weißt du, dass ich deine Jacke als Kotztüte benutzen wollte?«, fragte ihn Tischler ironisch.
»Ich danke dir, Barbara«, meinte Paul Siewert, der die Absperrung verlassen hatte und zu den Polizisten gegangen war.
»Ich wüsste nicht, wofür.«
»Ganz einfach, dir habe ich es zu verdanken, dass ich heute nicht acht Stunden in einem muffigen Labor und einem noch muffigeren Büro darbe, sondern ein bisschen in die Sonne komme. Da hat man ja richtig Frühlingsgefühle, auch wenn man so romantische Tätigkeiten verrichtet wie Blutflecken abkratzen.«
»Na, deine Frau wirds mir noch danken, wenn du wegen mir Aprilschmetterlinge im Bauch bekommst«, meinte Tischler etwas anzüglich. »Es handelt sich also wirklich um Blutflecken?«
»Was hast du gedacht? Dass die hier Rotwein ausgekippt haben?«
»Den Spruch habe ich heute schon aus weniger berufenem Mund vernommen.«
»Nein, du hast Recht. Hundertprozentig kann man sich nicht sicher sein, aber mein geübtes Auge sagt mir, dass das Blut ist, möglicherweise von mehreren Personen. Aber Genaueres erfährst du heute Abend.«
»Was sagst du zu den Spuren auf dem Rollsplit?«
»Die sind fast noch eindeutiger als die Blutflecken. Da ist einer ausgerutscht. Ob ein Schlag oder ein Kampf vorausging, kann ich nicht sagen. Auf jeden Fall hatte derjenige, der zu Boden ging, mit höchster Wahrscheinlichkeit einen speziellen Gegenstand dabei.«
»Einen goldigen Gegenstand?«, riet Tischler und hob die Augenbrauen.
»So ist es. Könnte ein großer Pokal gewesen sein oder dergleichen. Die Spuren im Lack sind auf jeden Fall frisch.« Plötzlich nieste Siewert mehrmals hintereinander, als hätte er ein Munitionsdepot in der Nase.
»Das sind wohl auch Frühlingsgefühle, allerdings der unangenehmen Art«, meinte Tischler süffisant.
»So ist es. Birken, die sind die Schuldigen. Und davon gibts in den Schrebergärten wohl einige«, entgegnete Siewert und schnäuzte kräftig.
»Woher kamen die Leute, die diese Spuren hinterließen?«, wollte Tischler noch wissen.
»Das kann ich nicht genau sagen, der Regen in den Morgenstunden hat wohl einiges weggewaschen. Aber ich vermute, aus dem südlichen Gartenabschnitt.«
Siewert deutete auf das Portal neben dem Parkplatz.
»Du meinst also, dass zwei Leute in der Nacht aus der Gartenkolonie gerannt kamen. Einer hat einen goldenen Gegenstand dabei, den er möglicherweise gestohlen hatte. Er wird von dem Mann, dem das wertvolle Stück gehört, niedergeschlagen oder zumindest in eine Rauferei verstrickt.«
»Das ist alles denkbar, aber pure Spekulation.« Siewert nieste noch einmal kräftig und fluchte auf die Birken.
»Wie kommt nun unser Kemal ins Spiel? Hat er die beiden bei ihrer Schlägerei überrascht? Wurde wirklich einer von den beiden ermordet? Wo ist dann der Tote? Wo ist der goldene Gegenstand?«
»Das klingt nach einer Menge Arbeit, Barbara. Forsch mal nach. Ich kümmere mich inzwischen um die Blutproben hier und vergleiche sie mit den Blutspritzern auf Kemals Kleidung. Bis dahin solltest du aber auch daran denken, dass wir hier nur einen Vielleicht-Tatort haben. Vielleicht ist jemand gestern Abend hier ausgerutscht? Und ein anderer hatte schweres Nasenbluten? Ist alles möglich. Oder vielleicht ist das hier nur Ochsenblut?«
Siewert packte seine Utensilien zusammen und bedeutete seinem Gehilfen, er solle sich zum Aufbruch bereit machen.
»Das heißt, Kemals Mord, den er möglicherweise beobachtete, könnte auch an einem anderen Ort stattgefunden haben.«
»Das heißt das wohl«, grinste der Spurenexperte, der genau wusste, was dieser Schluss für die Kommissarin bedeutete.
»Dann marschieren wir mal bis Kemals Wohnung, Ralf. Auf gehts. Wir drehen eine kleine Runde durch den Ostpark. Und immer die Augen offen halten, wir könnten ja einen Blutfleck entdecken.«
Überrascht blickte Mangel seine Chefin an. Er war felsenfest davon überzeugt, hier den Tatort vor sich zu haben.
»Nein, der könnte auch anderswo sein«, korrigierte ihn Tischler. Dann holten sie Kemal von seinem Freund ab, wo sie ihn während der Untersuchung deponiert hatten. Aus Rücksicht auf ihren Kollegen wimmelte Tischler diesmal jedoch Leo ab. Sie wollte nicht riskieren, dass es auf dem Weg nach Neuperlach einen weiteren Blutfleck gab.
Als sich die Tür öffnete, erblickte David Walker ein altbekanntes Gesicht. Man hatte sich gestern schon zweimal gesehen, einmal allerdings im Dunklen. Das war einmal zu viel. Er hatte seinen Kontrahenten unterschätzt und einen Fehler begangen, einen amateurhaften Fehler. Wie konnte ihm das bei seiner Erfahrung passieren? Doch Routine ist oft der Feind der Konzentration.
Sein Gegenspieler hielt etwas linkisch ein Fleischmesser in der Hand, vermutlich die schärfste Waffe, die er in seinem Haus hatte.
»Steck den Zahnstocher wieder ein, ich bin am Ende«, keuchte Walker.
»Sicher ist sicher«, entgegnete der Mann und hielt das Messer weiterhin kampfbereit. »Sie haben gestern schon versucht, mich aufs Kreuz zu legen. Außerdem sind Sie ein Profi, Mr. Walker.«
»Aber nur ein professioneller Dieb, kein professioneller Schauspieler.« Seine Schmerzen waren wieder unerträglich geworden. Die kleinste Regung ließ sein Hirn explodieren. »Ich brauche einen Arzt, Mann«, bat er fast flehentlich. »Mein Schädel ist zertrümmert.«
»Erst will ich wissen, wo du meine Figur hast?« Der Mann versuchte, einen möglichst rauen, bestimmten Ton anzustimmen. Er wollte wie ein knallharter Gangster klingen.
»Ich hab keine Ahnung, wo der Vogel hingeflattert ist.«
»Verarsch mich nicht, du Mistkerl«, giftete der Mann und stieß Walker mit der linken Faust gegen den Kopf, dass dieser laut aufschrie.
»Mach das nicht, Mann«, wimmerte er. »Ich muss ins Krankenhaus. Sofort.«
»Erst wenn ich meine Plastik zurück habe.«
»Okay. Sie ist in meinem Wagen, ein schwarzer Chevrolet Camaro.« Walker wusste, dass er verloren hatte und er auspacken musste, wenn er überleben wollte.
»Schickes Auto. Dein Handwerk hat goldenen Boden.«
»Ist ein Leihauto, nichts zum Angeben.« Dann nannte Walker das Kennzeichen und den genauen Standort.
»Und der Schlüssel?« Der Mann streckte die Hand aus und machte eine ungeduldige, bittende Bewegung.
Walker keuchte, er konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten. Langsam setzte er sich auf den Stuhl. Er griff in seine Hosentasche und zog ein Bündel mit Schlüsseln hervor.
»Da haben wir ein kleines Problem.« Walker durchsuchte den Schlüsselbund. Es wurde ihm immer wieder schwarz vor Augen. »Hier. Der müsste passen«, sagte er zu dem Mann und zeigte ihm einen bestimmten Schlüssel, der in keiner Weise aussah wie ein Original von Chevrolet. »Wenn nicht, hast du Pech gehabt und die Sirene geht los.«
Dann nahm der Mann den Schlüssel. Er betrachtete den ganzen Bund. So etwas hatte er schon einmal gesehen, als er einen Schlüsseldienst kommen lassen musste, weil er sich ausgesperrt hatte. Über 200 Euro hatte ihn seine Schusseligkeit gekostet. Das waren keine normalen Schlüssel, das waren Dietriche, die ganze Ausrüstung des genialen Einbrechers. Sicherheitshalber nahm er den Bund an sich. Walker war sicher nicht nur ein geübter Ein-, sondern auch Ausbrecher.
»Ich hoffe für dich, dass du nicht gelogen hast. Wenn ich meine Figur finde, fahre ich dich sofort ins nächste Krankenhaus. Wir müssen uns allerdings eine hübsche Geschichte zurechtlegen, wie das mit deinem Kopf passiert ist.«
»Ist in Ordnung. Du kannst dir vorstellen, dass ich noch weniger Interesse daran habe als du, die Wahrheit zu erzählen.«
»Ja, das glaube ich auch. Übrigens, in wie vielen Ländern wirst du eigentlich gesucht?«
»In gar keinem. Ich war nicht so dämlich und habe mich erwischen lassen«, log Walker.
»Ach, dann bin ich der Erste gewesen. Welch Ehre. Denn dein Ruf ist dir vorausgeeilt. Sonst hätte ich dir gestern auch nicht aufgelauert. Ich habe dir einfach nicht getraut.«
Der Mann lächelte. Er war stolz auf seinen Spürsinn.
»Du bist einfach zu clever für mich. Und jetzt gib Gummi, Mann, mein Schädel explodiert.«
»Soll ich noch ein paar Aspirin plus C runter bringen?«, fragte der Mann spöttisch.
»Verpiss dich. Ich brauche einen OP-Saal, keine Tabletten.«
Daraufhin zog sich der Mann zurück und verschloss die Tür.