Читать книгу »Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland - Werner Rosenzweig - Страница 11
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ОглавлениеNicht nur im Kreise der Kirchweihburschen sorgte die vermeintliche neue Liebschaft für heftige Diskussionen. Auch im Familienkreis der Familie Özkan war Feuer unterm Dach. Vor vier Jahren waren die Özkans aus der südostanatolischen Stadt Urfa, vierzig Kilometer von der türkisch-syrischen Grenze entfernt, nach Deutschland gekommen. Nach einem sechsmonatigen Aufenthalt in einem Asylantenheim in Niedersachsen wurde der Familie politisches Asyl gewährt. Vater Özkan konnte den deutschen Behörden gegenüber glaubhaft nachweisen, dass der syrische Geheimdienst, in seinem Fall die Abteilung für militärische Aufklärung, ihn massiv unter Druck gesetzt hatte, syrische Oppositionelle auf der türkischen Seite zu denunzieren. Nachdem seinem Asylantrag endlich stattgegeben wurde, machte ihn ein Bekannter, der schon längere Zeit in Deutschland lebte, auf eine Stellenausschreibung der Firma Schaeffler im fränkischen Herzogenaurach aufmerksam. »Du bist doch gelernter Maschinenschlosser«, ermunterte er ihn. Ahmet Özkan bewarb sich und wurde eingestellt. So kamen die Özkans vor drei Jahren nach Röttenbach und leben seitdem zurückgezogen in einem kleinen Häuschen in der Amselstraße. Anschluss an die einheimische Bevölkerung suchten sie nicht. Sie wollten lieber unter ihresgleichen bleiben. Ahmet Özkan war ein konservativer, frommer Muslim und wollte keinen zu nahen Kontakt zu den Ungläubigen. Das galt nicht nur für ihn, auch seiner Familie untersagte er diese Kontakte. Er vermisste die Moschee seiner Heimatstadt. Allah hatte ihm eine schwere Prüfung auferlegt, aber er würde nicht klagen. Nach dem Anruf von Müselüm, dem Freund seiner Tochter, war er regelrecht schockiert. Er glaubte ihm nicht und bezichtigte ihn der Lüge. »So etwas macht Akgül nicht«, hielt er ihm am Telefon vor. »Meine Tochter ist keine Hure.« Doch die Informationen, die sich sein Sohn Kemal daraufhin besorgte, deuteten auf eine eindeutige Situation hin. Er hatte tatsächlich eine Hure im Haus, in der eigenen Familie. Er verfluchte den Tag, an dem er entschieden hatte, mit der ganzen Familie nach Deutschland zu ziehen. Gut, er hatte Glück gehabt mit seinem Asylantrag, und einen gut bezahlten Job hatte er auch relativ schnell gefunden, aber das Leben hier in Deutschland hatte er sich ganz anders vorgestellt. Er verfluchte die vielen nackten Frauen im Fernsehen und auf den Titelblättern der Zeitungen. Selbst in dem kleinen Kaff Röttenbach liefen sie im Sommer halbnackt auf den Straßen herum. Er verehrte Karpfen als heilige Tiere. Hier wurden sie in viel zu engen Teichen gezüchtet. Und was machten die fränkischen Barbaren mit den heiligen Tieren? Sie töteten sie, und verspeisten die Fische mit einer abartigen und perversen Wolllust. Das Schlimmste aber waren die Demütigungen so mancher Dorfbewohner und Arbeitskollegen: »Du stinkst heut wieder. Schlimmer wie a ganze Odelgrubn.« »Hast dich in Knoblauch gwälzt, Ahmet?« »Stinkn alle Türkn so wie du?« Er hasste diese Deutschen. Wäre er doch nur in Urfa geblieben.
*
Ahmets siebzehnjährige Tochter Akgül saß heulend und verängstigt in einem tiefen, roten Plüschsessel. Sie hatte gegen das ungeschriebene Gesetz der Özkans verstoßen, indem sie in kompromittierender, unzüchtiger Weise mit einem jungen, deutschen Mann gesehen worden war. Heiße Tränen rannen ihr ohne Unterlass aus ihren kohlschwarzen Augen. Ihr zarter, feingliedriger Körper bebte und wurde von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt. Ihr gegenüber, auf dem roten Sofa, saßen ihr wutentbrannter Vater und ihr ebenso wütender zwanzigjähriger Bruder Kemal, der gerade heftig auf sie einredete.
»Was du glaubst du bist? Eine Hure! Bringst Schande über die ganze Familie und Schande über Müselüm. Muss Müselüm von Dorfburschen erfahren, dass du hast deutschen Freund? Ich dich schlagen tot, wenn nix ist Ruhe damit! Sieh an Vater Ahmet, wie traurig und wütend ist. Du bist Türkin und nix deutsches Mädchen. Nix deutsche Freund. Ist kein Moslem. Nix glauben an Allah und Propheten. Ist ungläubig. Was er haben gemacht mit dir?«
Bei diesen Worten zuckte Akgüls Oberkörper wieder wie unter Peitschenhieben zusammen. Mit tränenerstickter, leiser Stimme antwortete sie: »Nix gemacht mit Walter, nur geküsst.«
»Schweig«, herrschte sie nun ihr Vater an, »ich will nix hören Name von deutsche Teufel.
In der Küche brach nun auch Kamuran Özkan, Akgüls Mutter, in Tränen aus. Sie konnte die lauten, an ihre Tochter gerichteten Beschuldigungen deutlich vernehmen. Sie rückte ihr buntes Kopftuch zurecht und hielt die gefalteten Hände zur Decke gestreckt. »Allahu akbar«, betete sie innbrünstig. Im Wohnzimmer brüllten Vater Ahmet und Sohn Kemal weiter auf ihre Tochter ein.
»Und nun, was du machst nun?«, wollten sie von ihr wissen.
»Ich nix lieben Müselüm«, versuchte Akgül sich zu verteidigen, »Müselüm ihr habt ausgesucht für mich. Zu alt für mich und hässlich, hat Nase wie krumme Gurke. Immer ich soll machen, was er sagt. Sagt ich soll Kopftuch tragen. Ich bin schön und nicht will bedecken mein schönes Haar. Nicht leben wie in achtzehntes Jahrhundert, wie in Urfa.«
»Müselüm hat recht, du nicht gekleidet wie türkisches Mädchen«, brüllte sie ihr Bruder an, »Hose an Arsch zu eng und Bluse zu durchsichtig. Kann jeder sehen deine Unterwäsche durch Stoff. Kann nicht glauben, dass deutscher Freund da nicht schon hat hingelangt. Vielleicht auch schon anderswo? Vielleicht du bist schon geöffnet und keine Jungfrau mehr? Müssen gehen zu Arzt und feststellen.«
»Nein«, kreischte Akgül verzweifelt, »das nicht stimmen, was du sagen. Du bist türkisches Männer-Arschloch. Macho.«
Sie reagierte zu spät, als ihr Bruder, wie von der Tarantel gestochen, über den kleinen Couchtisch hechtete, sein Glas, gefüllt mit aromatischem Apfeltee, verschüttete, und ihr einen kräftigen Faustschlag auf die rechte Wange hieb. Sein schwerer Metallring, den er am rechten Mittelfinger trug, riss ihre feine bronzefarbene Gesichtshaut auf, und augenblicklich war ihre weiße Bluse mit dicken Bluttropfen besprenkelt. Akgül schrie vor Schmerzen auf, und ihre Mutter stürzte aus der Küche herbei, um ihre Tochter in die Arme zu nehmen und sie vor weiteren Angriffen zu schützen.
»Weib, geh in Küche, hier kein Platz für dich!«, herrschte sie ihr Ehemann an.