Читать книгу »Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland - Werner Rosenzweig - Страница 9
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ОглавлениеNicht nur den Röttenbacher Senioren versaute der Regen an diesem 25. August 2013 die Stimmung. Auch der Röttenbacher Neubürger Bernd Auerbach, seine Freundin Anna Wollschläger und ihre Umzugshelfer waren nicht gerade in bester Stimmung. Während die Röttenbacher Senioren mit aufgespannten Regenschirmen missmutig durch den Coburger Regen stapften, war der Umzug von Hoyerswerda, im Landkreis Bautzen, nach Röttenbach noch voll im Gang. Gleich hinter der Brauerei Sauer war ein zweistöckiges Wohnhaus frei geworden. Der Eigentümer war vor drei Wochen mit seiner thailändischen Freundin in ihre Heimat ausgewandert und hatte dem fränkischen Dorf den Rücken gekehrt. Das Anwesen selbst war vormals ein Bauernhof gewesen, hatte einen großen, gepflasterten Hof und eine große Scheune, welche quer zum Wohnhaus stand.
Bernd Auerbach trieb seine Freunde und Bekannten, die ihm beim Umzug halfen, zur Eile an. Er war schon sehr gespannt, wie sich er und seine Freundin hier im tiefsten Mittelfranken einleben würden. Andererseits, schlimmer als in seiner Heimatstadt konnte es auch nicht werden.
»Do gennsde bleede wärn«, kommentierte einer der sächsischen Umzugshelfer. Seine Füße steckten in hohen, schwarzen Springerstiefeln, und von seinem glatt rasierten Schädel rannen ihm kleine Rinnsale in den dunklen Hemdkragen. Bernd Auerbach war stinksauer als er in seinem Neonazi-Outfit hier in Röttenbach ankam. »Das nächste Mal ziehst du dir zumindest normale Kleidung an«, herrschte er ihn an. »Da machdor eiorn Dregg alleene«, erhielt er zur Antwort. Die Möbel des Schlafzimmers lagen noch in Einzelteile zerlegt auf der Ladefläche des MAN-Kastenwagens, und Anna Wollschläger war seit Stunden in der Küche damit beschäftigt, Gläser, Geschirr und Besteck zu spülen, um die neue Bleibe möglichst schnell wohngerecht einzurichten. Überall standen noch Kartons mit Klamotten herum, und die Lampen waren auch noch nicht montiert. Der Glatzkopf stand im Hof, drehte Däumchen und rauchte eine Zigarette. »Moch die Gusch zu un glodds nedd su bleede«, fuhr er einen seiner Kollegen an, der gerade dabei war, ein Nachtkästchen ins Haus zu tragen. »Scheiß Räschn«, fluchte er vor sich hin.
Bernd Auerbach hatte sich das Angebot von Thomas Keller nicht lange überlegen müssen. Er wollte schon lange raus aus der Plattenbausiedlung in der Dr. Wilhelm-Külz-Straße, Ecke Südstraße, ein sechsstöckiges Monster in Großblockbauweise. Eine gigantische Häuserreihe, hässlich wie die Nacht finster. Hoyerswerda war auch nicht mehr das, was es einmal war. Die Bevölkerung war stark geschrumpft. Hohe Arbeitslosigkeit kam hinzu. Vorbei die alten Zeiten, als in den fünfziger Jahren das Braunkohleveredelungswerk Gaskombinat Schwarze Pumpe gebaut wurde. Da war er zwar noch nicht geboren, aber sein Vater schwärmte immer noch von damals. An die Wende konnte er sich deshalb noch erinnern – da war er gerade sieben Jahre alt –, weil er miterleben musste, wie sein Vater seinen Arbeitsplatz verlor. Ein Türke, der aus der Oberpfalz nach Sachsen kam, bekam den Job – zu einem viel niedrigeren Stundenlohn. Heute fragte er sich des Öfteren, ob es schon in den Anfängen der DDR Leute gab, die ähnlich dachten wie er heute, die von Anbeginn gegen das politische System der SED eingestellt und eher dem Nationalsozialismus zugeneigt waren. Er konnte das damals, in den Zeiten der Wende, nicht selbst beurteilen, er war ja noch ein Kind, aber er konnte sich gut daran erinnern, dass er auf dem Friedhof Grabsteine gesehen hatte, die mit Hakenkreuzen beschmiert waren. Seine Eltern unterhielten sich unter vorgehaltener Hand auch manchmal über diese Dinge. Er erinnerte sich, wie sein Vater einmal sagte: »Wir haben eine Legitimationskrise in der DDR, die sich wirtschaftlich, sozial und politisch kontinuierlich vertieft. Sie treibt immer mehr Bürger in die Opposition. Manche träumen schon wieder von einem neuen Kaiserreich.« Er verstand nicht, was sein Vater damit sagen wollte, aber er erahnte, dass es nichts Gutes war. Dann kam diese politische Veränderung, welche die Erwachsenen als »Wende« bezeichneten. Von Erich Honecker hörte man plötzlich gar nichts mehr. Man sah nur noch diesen dicken Helmut Kohl im Fernsehen. Der wurde doch noch vor einem Jahr als Klassenfeind bezeichnet? Jedenfalls kamen nach dieser sogenannten Wende unheimlich viele neue Menschen in die ehemalige DDR, die plötzlich auch, wie der Klassenfeind, Bundesrepublik Deutschland hieß. Er verstand das damals alles noch nicht so richtig. Überall wurde plötzlich in neue Straßen und neue Gebäude investiert. Selbst die alten Straßenbahnen gab es nach einigen Jahren nicht mehr, in jeder Stadt fuhren bald nagelneue auf den Schienen herum. Gehörten die auch zu den blühenden Landschaften, die dieser dicke Helmut Kohl versprochen hatte? Wo kam denn plötzlich das viele Geld her? Aber es war nicht alles gut, was da plötzlich auf die Menschen in seiner Heimat zukam. Das sagten auch seine Eltern. Ein regelrechter Ansturm von Ausländern kam aus dem Westen, auch Schwarze, die in den Straßen und in den Parks herumlungerten. Es wurden im Laufe der Jahre immer mehr. Rauschgift machte die Runde. Sein bester Freund, Dieter Faustka, setzte sich den goldenen Schuss. Dieter wollte noch nicht sterben. Er war erst siebzehn Jahre alt und drogensüchtig. Der Reinheitsgrad des Stoffs war unerwartet hoch. Er war mit dabei, als Dieter starb, als er in Atemdepressionen verbunden mit einem Atemstillstand verfiel. Sein Herz blieb stehen. Das Heroin finanzierte Dieter durch Kleindiebstähle. Er hatte selten Geld. Sein Vater war Alkoholiker und arbeitslos. Seine Mutter verkaufte ihren ausgemergelten Körper an jeden, der dafür bezahlte, auch an Ausländer, wie die schwarzen Rauschgiftdealer, die ihren Sohn umgebracht hatten. Es war ihr einerlei. Ein Esser weniger. Dieter war schon seit vielen Jahren tot.
Seit diesem Erlebnis konnte er Türken und Neger nicht mehr leiden. Begeistert las er ein paar Monate vor der Wende in der Tageszeitung seiner Stadt vom Negerklatschen. Jugendliche Glatzköpfe hatten auf dem Rummelplatz einen Afrikaner verprügelt, der blutüberströmt in das Krankenhaus eingeliefert wurde. Dabei konnte sich Bernd Auerbach noch vage daran erinnern, dass es so etwas vor langer Zeit schon einmal gegeben hatte. Es musste im Jahr 1987 gewesen sein, wenn er sich recht an die Erzählungen seiner Eltern erinnerte. Damals veranstaltete eine Westberliner Punkband ein Konzert in der Berliner Zionskirche. Dreißig Skinheads stürmten das Konzert, riefen »Sieg Heil« und verprügelten auf dem Kirchenvorplatz Besucher der Veranstaltung. Er mochte diese Glatzköpfe zwar nicht, aber wo sie recht hatten, hatten sie recht.
Bernd Auerbach erlebte den Umbruch der ehemaligen DDR hautnah. Er sah das gigantische Investitionsvolumen, welches von Westen nach Osten strömte. Er erinnerte sich an die »blühenden Landschaften«, die Helmut Kohl vorausgesagt hatte. Er sah aber auch die Abwanderer, die in den Westen der Republik strömten und verlassene und marode Dörfer hinterließen. Kein Wunder, im Westen zahlten Arbeitgeber höhere Löhne. Er machte sich Sorgen über die hohe Arbeitslosigkeit in der ehemaligen DDR und über die Verwahrlosung der ländlichen Regionen. Bernd Auerbach sah die vielen arbeitslosen Jugendlichen, die in den Städten lustlos herumlungerten, sich zusammenrotteten, bar jeder Hoffnung auf eine erstrebenswerte Zukunft. Er konnte für sich noch von glücklichen Umständen sprechen. Über Beziehungen fand er einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz. Die Stadtverwaltung Hoyerswerda bot ihm eine Ausbildung zum Verwaltungskaufmann an. Glücklich willigte er ein und landete im Ausländeramt. Fortan beschäftigte er sich nur noch mit den Bestimmungen des Ausländergesetzes, mit Visaangelegenheiten, Aufenthaltsberechtigungen und arbeitslosen Ausländern. Bald hasste er seinen Job. Er hasste den Mief und die Enge seines Büros. Zu viert saßen sie an einem Vierer-Schreibtisch-Block, eingepfercht auf weniger als fünfundzwanzig Quadratmetern und eingeengt von grauen, tristen Büromöbeln, die voll waren mit genauso uninteressanten farbigen Ordnern. Der kackbraune Fußboden glotzte ihn jeden Arbeitstag an, und die dreckigen Fenster gaben von seinem abgewetzten Bürostuhl aus einen faden Blick auf einen langweiligen Innenhof frei, der mit Müllcontainern vollgestellt war. Das Porträt der Bundeskanzlerin an der Wand kotzte ihn auch schon lange an. Genauso wie seine drei Kollegen, die mit ihm im Büro saßen. Er wusste genau, dass sein Büroleiter Siegbert Sauer, dieses faule Stück, mit seiner Frau in Scheidung lebte und seine Geliebte im Einwohneramt, nur ein Stockwerk über ihnen, bumste. So ein Schwein. Drei kleine Kinder hatte das Schwein zu Hause. Melissa Gumbert auf dem Bürostuhl rechts neben ihm, diese aufgetakelte Fregatte mit dem grellroten Karpfenmund und den lila geschminkten Glubschaugen, war eine Lesbierin. Bruno Seitz, den Lehrling mit seinem pickeligen Gesicht, hatte er schon häufiger beobachtet, wie er heimlich ins Pornokino schlich. Alle beherrschten das politische Taktieren bis zur Perfektion, wenn mal der Obermotz aus der vierten Etage ins Büro kam, um sich nach seinen Mitarbeitern umzusehen. Dann sprühten sie vor Belanglosigkeiten und Speichelleckerei und glaubten, auf ihrem Karrierehighway wieder ein gutes Stück vorangekommen zu sein. Bernd Auerbach hatte für sich sehr schnell erkannt, dass er diese Gesellschaft auf Dauer nicht überleben würde. Lustlos und voller Langeweile erfüllte er seinen Job nach Vorschrift. Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag – jeden Tag der gleiche Scheiß. Fast jeden Tag hatte er mit Flüchtlingen zu tun, wenn sie vor ihm saßen, mit ihren iPhones spielten,die Marlboro-Schachtel auf den Tisch legten, das Dupont-Feuerzeug daneben und nach finanzieller Unterstützung fragten. Oh ja, die Richtlinien legte er sehr erzkonservativ aus, wenn sie kamen, seine Lieblinge, die Schwarzafrikaner aus Ghana, die politisch verfolgten Tschetschenen und die Türken aus dem tiefsten Anatolien, ihre Anträge auf Unterhaltsvorschuss, auf Kindergeld und Hartz IV in den Händen. Die meisten kannten sich gut aus, welche Rechte ihnen das deutsche Sozialrecht bot. Wie viele Kinder die alle hatten und dafür Kindergeld kassieren wollten! Selbst für die Kinder zuhause in der Türkei, deren Existenz eh niemand überprüfen konnte. Müllmann? Nein, so eine Arbeit wäre nicht angemessen. Zu schmutzig. »Wissen Sie, ich habe zudem eine Müllallergie«. »Nein, ich suche keinen Arbeitsplatz, ich möchte nur Hartz IV beantragen«. Bernd Auerbach empfand seine Arbeit im Laufe der wenigen Jahre als immer schwachsinniger. Da verdiente er selbst eintausendfünfhundert Euro brutto im Monat und musste sich mit den überzogenen Forderungen dieses faulen Ausländerpacks auseinandersetzen, denen das deutsche System die Euros vorne und hinten nur so reinstopfte. Tag für Tag verwunderte ihn die Arroganz und das Wissen der Ausländer, womit sie glaubten, ihre Rechte einfordern zu können. Aber nicht mit ihm. Er machte ihnen das Leben schwer, wo und wie er auch immer konnte. Als ihn Thomas Keller das erste Mal kontaktierte, wusste er, dass sich sein Leben grundsätzlich ändern würde. Er hasste sie alle, diese ausländischen Betrüger und Schmarotzer.
Ein halbes Jahr vor seinem Umzug nach Röttenbach hatte er selbst so einem Nigger ordentlich die Fresse poliert. Schade, dass der Schwarze nicht abgekratzt war, sondern sich wieder erholte. Na ja, richtig gehen kann er auch heute noch nicht. Er humpelt immer noch auf Krücken herum. Es war ein spontanes Wutgefühl, das über Bernd Auerbach kam, damals vor fünfeinhalb Monaten, als ihm der Bimbo aus Ghana nachts um zwei Uhr gut gelaunt und ein Liedchen auf den Lippen entgegenkam. Er hätte ihn dabei nicht ansehen sollen, der Schwarze. Aber als Bernd in der Dunkelheit diese weißen Augäpfel und dieses Affengesicht sah, konnte er nicht mehr an sich halten. Er musste an seinen toten Freund Dieter denken. Es war einfach über ihn gekommen. Dieses Gefühl. Diese unbändige Wut. Ohne jegliche Vorwarnung stürzte er sich auf den Afrikaner und schmetterte ihm mit seinen Hammerfäusten zwei wohl platzierte Kinnhaken ins Gesicht. Von der Wucht der beiden Boxhiebe überrascht geriet der Ausländer ins Straucheln. Bernd Auerbach nutzte die Gunst der Situation und zog seinem Gegner die Beine weg. Der schlug mit seinem schwarzen Schädel hart auf der Bordsteinkante auf und stöhnte vor Schmerz. Sofort war der junge Einheimische über ihm und versetzte ihm mit seinen schweren Schuhen zwei Fußtritte gegen die rechte Schläfe und mitten ins Gesicht. Die wulstige Unterlippe des am Boden Liegenden platzte auf. Blut floss auf den Gehsteig. Dann, nach zwei weiteren Fußtritten gegen den Kopf und gegen die Rippen, verlor der Afrikaner das Bewusstsein. Bernd Auerbach hatte noch nicht genug. Aus dem Innern seiner Jacke zog er eine Stahlrute hervor und schlug damit wie wild auf die Beine seines Opfers ein. Dann trat er erneut mit seinen Schuhen zu. Er hörte das Brechen des rechten Oberschenkelknochens. Hätte die kühle Nacht nicht nahende Schritte an die Ohren des Schlägers getragen, wäre es um den Afrikaner wohl geschehen gewesen. Schnell trat er den Schwarzen ein letztes Mal in die Weichteile, bevor er eiligst in der Dunkelheit verschwand.
»Hallo, was ist mit Ihnen los? Können Sie mich hören? Brauchen Sie Hilfe?« Die Fragen kamen vom Ort des Überfalls. Dann gellten laute Hilferufe durch die Nacht.
Der Täter konnte nie ermittelt werden, und Bernd Auerbach, der kräftige junge Mann, der normalerweise immer innere Ruhe ausströmte und für seine Mitmenschen Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft in einer Person verbildlichte, hatte Blut geleckt. Niemand vermutete, dass sich hinter diesem attraktiven jungen Mann mit den strahlend blauen Augen und dem wie mit dem Lineal korrekt gezogenen Seitenscheitel ein Mensch mit so hohem Gewaltpotenzial versteckte. Bald würde er nun die Türken und Bimbos in Mittelfranken aufmischen. Diese Nichtsnutze. Er freute sich auf seine neue Aufgabe. Die Franken würden ihm insgeheim dankbar sein. Davon war er fest überzeugt.
Um zehn Uhr vormittags, am 2. September, trat Bernd Auerbach in das Bürgerbüro des Röttenbacher Rathauses ein. Vierzig Minuten später verließ er es wieder und hielt seine Gemeinde-Anmeldung und seinen Gewerbeschein in den Händen. »Beratertätigkeit« stand in dem Feld Beruf. Er würde oft unterwegs sein, um mit Thomas Keller »Beratergespräche« zu führen. Er machte sich auf den Weg zur örtlichen Sparkasse. Schließlich brauchte ein Beratungsunternehmen auch ein Geschäftskonto, auf welches seine Kunden die Gelder für seine Dienstleistungen überweisen konnten. Morgen würde er sich noch einen Laptop, einen Geschäftsstempel und Visitenkarten für seine Firma Auerbach-Asylberatung besorgen. Ach ja, zum Finanzamt Erlangen musste er auch, um eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer zu beantragen. Seine Finanzplanung für die nächsten drei Geschäftsjahre hatte er peinlichst genau vorbereitet. Alles musste seine Ordnung haben. Nur nicht negativ auffallen. Nur nicht gegen gültige Gesetze verstoßen, zumindest nicht nach außen hin. Immer schön den Schein wahren. Die Gespräche, die er bisher mit Thomas Keller geführt hatte, waren für ihn wie ein »Aha-Effekt«. Sie erweiterten seinen intellektuellen Horizont. Noch nie hatte er die Dinge so klar gesehen. Thomas Keller war ein kluger Kopf, reich an Erfahrung. Auch die Geschichte bestätigte, dass Veränderungen nur von wenigen, klugen Köpfen ausgingen. Er wollte ein Teil dieser Veränderungen werden, koste es, was es wolle.