Читать книгу »Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland - Werner Rosenzweig - Страница 22

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Nicht nur Ahmet Özkan hatte vor Jahren unfreiwilligen Kontakt mit dem syrischen Geheimdienst, auch die palästinensische Großfamilie Abusharekh in Berlin-Neukölln pflegte rege Beziehungen mit den Glaubensbrüdern, wobei sich diese Aktivitäten jedoch am Rande der Legalität bewegten. Ali, der Familienvorstand, stand politisch dem syrischen Regime und dem Führungsgremium der Baath-Partei sehr nahe. Er unterstützte den 1969 gegründeten Geheimdienst der Syrer, indem er schon so manchen in Deutschland aktiven Regimefeind diskreditiert hatte. Einige unaufgeklärte Morde und Entführungen wären ohne seine Informationsbereitschaft nicht geschehen. Obwohl Ali Abusharekh bei seinen Kontakten sehr vorsichtig war, war ihm der Bundesnachrichtendienst doch auf die Schliche gekommen und hatte auch den Verfassungsschutz informiert. Ali Abusharekh wurde von Zeit zu Zeit observiert, sein Festnetz- und sein Mobiltelefon wurden vom BND abgehört.

Doch er war ein äußerst vorsichtiger, verschlagener und misstrauischer Mann. Über vertrauliche Angelegenheiten, die nicht für die Allgemeinheit bestimmt waren, sprach er nie am Telefon. Er zog das persönliche Gespräch außerhalb der eigenen vier Wände vor. Im Notfall benutzte er sein abhörsicheres Satellitentelefon. Nur ganz wenige Menschen kannten die Telefonnummer. Seine Kontakte reichten bis tief in die Türkei hinein, wo noch Hundertausende Flüchtlinge, vor allem aus Syrien, dem Irak und Afghanistan, darauf warteten, bis an die nordafrikanische Küste weitertransportiert zu werden, um ihre ungewisse Überfahrt nach Europa anzutreten. Seine Beziehungen waren aber auch über halb Europa verteilt, und wann immer ein Boot mit Flüchtlingen in Lampedusa oder einem anderen Mittelmeerhafen eintraf, wusste er nach wenigen Stunden, ob Syrer unter den Ankömmlingen waren und welche politischen Ansichten sie vertraten. Der Chef des Familienclans befehligte höchstpersönlich mehrere Schleuserbanden im Nahen Osten, Tunesien und Libyen. Er verdiente am Leid der Flüchtlinge und setzte bewusst ihr Leben aufs Spiel, indem er seine Handlanger anwies, nur alte, verrottete Seelenverkäufer für die Überfahrt zu beschaffen, Boote und Fischkutter, welche den Namen seetüchtig in keinster Weise mehr verdienten. Darauf pferchten seine Leute die hoffnungsvollen Flüchtlinge und ließen sie dann mit den Schleppern in See stechen. Meist in der Nacht und bei jedem Wetter. Circa einhundertdreißig Kilometer waren es von Tunesien, circa dreihundert von Libyen bis nach Lampedusa. Kurz genug, um zu jeder Zeit zu sterben, lange genug, um stundenlange Ängste und Zweifel zu durchleben. Auch im Mittelmeer gab es nicht selten überraschend auftretende, heftige Stürme und Gewitter mit meterhohen Wellen. Einmal, als die Flüchtlinge sich weigerten, auf hoher See auf ein anderes Boot umzusteigen, versenkten die Schlepper kurzerhand das Flüchtlingsboot. Ali Abusharekh erinnerte sich an den Anruf auf seinem Satellitentelefon, damals, vor einem knappen dreiviertel Jahr, als er weit nach Mitternacht mit dem Problem konfrontiert wurde. »Lasst sie absaufen«, hatte er voller Zorn in den Hörer geschrien. Mehr als zweihundert Menschen – Kinder, Frauen und Männer – ertranken elendiglich und qualvoll, als ihr alter Kutter in den Tiefen des Mittelmeers versank. Die Schlepper, welche die Ventile des alten Kahns geöffnet hatten, verhöhnten die wenigen, die noch schwimmend auf der Wasseroberfläche trieben. Bald würden auch ihre Kräfte nachlassen.

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Hinter dem mannshohen Maschendrahtzaun, an dessen oberen Ende drei Reihen Stacheldraht gezogen waren, ragten die langen, dreistöckigen Mannschaftswohngebäude der ehemaligen Polizeikaserne empor. Kein besonders schöner Anblick, diese in Stein errichtete Tristesse und die kahl geteerten Flächen zwischen den langgezogenen Gebäuden. Ein Wohnblock stand aufgereiht neben dem anderen. Es sah aus wie in einem Sammellager, aber das war es ja auch. Das Rote Kreuz hatte zusätzlich riesige Mannschaftszelte zwischen den Gebäuden aufgebaut, manche reichten bis direkt an die Hauswände heran, manche standen in unmittelbarer Nähe des Zauns. Reihen von mobilen Dixie-Toiletten, von Schmeißfliegen umschwärmt, schlossen sich an und stanken vor sich hin. Niemand fühlte sich zuständig, sie zu entleeren. Vor manchen Fenstern der Wohngebäude waren Wäscheleinen gezogen, an denen wenig reizvolle Unterwäsche, Kopftücher und Hemden zum Trocknen hingen. Ein blickdichtes Schiebetor, der offizielle Zugang zu dem Areal, rundete den unappetitlichen Eindruck der Gesamtanlage ab, welche auf ein Aufnahmevolumen von sechshundertfünfzig Asylsuchenden ausgelegt war. Derzeit lebten knapp tausend Flüchtlinge hinter dem Zaun, der die Anlage in einem großen Rechteck umgab. Die Aufnahmestelle platzte aus allen Nähten. Selbst die Kapelle und die Cafeteria waren zu Notunterkünften umfunktioniert worden. Garagen dienten zur Lagerung von allem möglichen Krimskrams, und die im Freien aufgestellten Mannschaftszelte waren auch schon brechend voll. Einhundertzwanzig Männer mussten sich einen Waschraum teilen. Asylanten aus dreißig verschiedenen Herkunftsländern lebten derzeit vorübergehend auf dem Areal der Aufnahmeeinrichtung für Asylsuchende in Zirndorf an der Rothenburger Straße 31, welches dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dem BAMF unterstand. Sie kamen aus Tschetschenien, Syrien, Irak, Afghanistan, Libyen, Ghana, dem Sudan, Uganda und anderen Krisenländern. Die wenigsten von ihnen hatten tatsächlich eine echte Chance, in Deutschland bleiben zu dürfen, und würden über kurz oder lang wieder in ihre Heimat abgeschoben werden. Das galt ganz besonders für die neuen Syrer, die sich seit ein paar Tagen in der Aufnahmestelle aufhielten. Die Leitung der Einrichtung war überfordert und aufs Höchste erbost. Noch versuchten sie herauszufinden, welcher Idiot ihnen die Syrer geschickt hatte. Wo käme man denn hin, wenn denen auch noch Tür und Tor geöffnet würden. Nun ja, jeder von denen hatte die Regeln und rechtsstaatlichen Verfahren zu akzeptieren. Flüchtling hin oder her. Den wenigsten Anträgen lagen wirklich asylrelevante Fluchtgründe zu Grunde. Das war doch jedem klar. Bürgerkrieg hin oder her, politische Verfolgung oder nicht. Was wollten denn die ganzen Ausländer in Deutschland? Sie sprachen die Sprache nicht, hatten kaum eine Chance auf eine Arbeitsstelle und bewegten sich außerhalb ihres beschissenen Kulturkreises. Die konnten doch dem deutschen Staat nicht ewig auf der Tasche liegen? Das galt nicht nur für die syrischen Flüchtlinge. Vielen der BAMF-Mitarbeiter gingen solche oder ähnliche Gedanken durch den Kopf, wenn sie das tägliche Leid wahrnahmen. »Deutschland kann es sich einfach nicht leisten, dass jeder dahergelaufene Ausländer wie die Made im Speck hier leben möchte. Noch dazu im schönen Bayern, dem deutschen Musterland.« So dachten die etwas extremistischer eingestellten Beamten, sprachen aber ihre Gedanken nicht aus. Sie arbeiteten sehr genau, nach allen Vorgaben der Regeln und waren von ihrem Naturell her eher misstrauisch eingestellt. Sie glaubten nur, was sie schwarz auf weiß sahen. Darin hatten sie Erfahrung. Mit Lügengeschichten brauchte man ihnen schon gar nicht zu kommen. Da konnten sie sehr empfindlich reagieren. Überaus empfindlich sogar. Sie hatten klare Anweisungen vom bayerischen Innenministerium.

Die junge, attraktive Frau mit der kleinen Stupsnase und dem kurzgeschnittenen blonden Haar war mit der U-Bahn bis zur Haltestelle Rothenburger Straße gefahren und dann auf die Buslinie 113 umgestiegen. Sie kannte sich in Zirndorf nicht aus, war noch nie hier gewesen, aber sie hatte sich die Straßen rund um die Aufnahmestelle, gut eingeprägt. Wozu gab es ein Internet? Sie trug eine schwarze, enge Jeanshose, welche ihren knackigen Po gut zur Geltung brachte. Ihre wattierte, dunkle Wolljacke trug sie offen, so dass sich die weiße Bluse darunter kontrastreich hervorhob. Es schien nicht, dass sie in Eile war. Sie sah sich erst einmal um, als sie auf dem Gehsteig neben der Rothenburger Straße stand, und orientierte sich. Der Berufsverkehr brauste an ihr vorbei. Eine Glocke trug ihre schweren Schläge von irgendwo her. Halb neun Uhr am Morgen. Dann zog die junge Frau ihr Samsung-Mobiltelefon aus der Gesäßtasche und fotografierte die Rothenburger Straße in westlicher und östlicher Richtung. Auf einem der Digitalfotos war am linken Bildrand die Polizeiinspektion Zirndorf zu sehen.

Die Frau lief in Richtung Osten, immer die Rothenburger Straße entlang. Es sah so aus, als wäre sie auf der Suche. Aber wonach? Nahezu orientierungslos, so schien es, setzte sie ihren Weg fort. Ab und zu blieb sie stehen, und sah sich immer wieder um. Als sie die Polizeiinspektion passierte, schoss sie mit ihrem Handy aus dem Handgelenk rasch ein halbes Dutzend Fotos. Sie lief geradeaus weiter. Nach weiteren wenigen Minuten erreichte sie die Einmündung der Zwickauer Straße und bog links ab. Spätestens als sie kurz darauf wieder links in die Plauener Straße lief, wäre einem aufmerksamen Beobachter aufgefallen, dass sie gar nicht so orientierungslos war, wie es ursprünglich schien. Ganz im Gegenteil, als sie die beiden ersten großen Wohngebäude erreichte, welche mit der Stirnseite zur Straße standen, sah sie sich verstohlen um und schlug sich in die dort stehenden Büsche. Sie blieb stehen und lauschte angestrengt. Niemand, der ihr zurief: »Suchen Sie etwas Bestimmtes?«, »Hallo, was machen Sie da unten, wohnen Sie hier?«, oder »Hallo, kann ich Ihnen helfen?« Das Buschwerk unter den zwei hohen Bäumen war dicht und gab ein gutes Versteck ab. Noch waren die Blätter dem Herbst nicht zum Opfer gefallen. Die junge Frau schlich weiter durch das Gebüsch und achtete darauf, auf keinen trockenen Ast zu steigen, dessen Knacken ihre Anwesenheit verraten konnte. Nach wenigen weiteren Schritten erreichte sie den Zaun, der die Aufnahmeeinrichtung für Asylsuchende umgab. Durch das Blätterwerk registrierte sie, dass jenseits der Absperrung rege Betriebsamkeit herrschte. Dunkelhäutige Männer und Frauen gingen in riesigen Mannschaftszelten ein und aus. Kinder steckten noch in Schlafanzügen, liefen ihren Müttern hinterher oder tummelten sich spielend im Freien. Die Handy-Kamera klickte leise. Die Männer trugen überwiegend Bärte und eigenartige Kopfbedeckungen, gestikulierten lauthals vor den Dixie-Toiletten und warteten, bis die nächste Kabine frei wurde. Drei heranwachsende Jungs spielten immer wieder einen Lederball gegen die nächste Hauswand. Ein kunterbuntes Stimmengewirr verschiedener Sprachen drang an die Ohren der jungen Frau mit der Stupsnase. Auf ihrem Samsung-Handy speicherte sie eifrig Fotos. Nach fünf weiteren Minuten des Beobachtens schlich sie wieder auf die Plauener Straße zurück und setzte ihren Weg fort. Sie hatte genug gesehen und in Bildern festgehalten. Ihre Gedanken kreisten. Für ihren Freund würde es ein leichtes Unterfangen werden, nachts, im Schutze der Dunkelheit, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Lediglich der Fluchtweg bereitete ihr noch Kopfzerbrechen. Die Polizeiinspektion lag verdammt nah, quasi unmittelbar vor dem Haupteingang des Asylantenlagers. Die Bullen würden innerhalb kürzester Zeit hier sein und waren in der Lage, den Tatort schnell weiträumig abzusperren beziehungsweise Straßenkontrollen durchzuführen. Dennoch, sie war sich sicher, dass es auch dafür eine Lösung gab. Sie musste sich in der Gegend noch etwas umsehen.

»Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland

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