Читать книгу Die Quellen des Zorns - Widmar Puhl - Страница 3

Einleitung

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Die Belagerung der „Festung Europa“ durch illegale Einwanderer und die Reaktionen verschreckter Bürger darauf sind nur ein Beispiel für Auslöser des Volkszorns. Die Griechenland-Krise (besser: die europäische Finanzkrise) und ihre Folgen, Terrorismus, islamische Parallelgesellschaften in Europa und die weit gehende Abkehr der Großmächte USA und Russland vom Völkerrecht machen die Menschen wütend. Guantanamo, die Ausdehnung der NATO und die Annexion der Krim sprechen Bände. All das sind Quellen des Volkszorns. Der bricht sich lautstark Bahn – nicht nur in linken Protestbewegungen wie der griechischen Syriza und der spanischen „Podemos“, sondern auch in rechten Protestbewegungen wie PEGIDA und neuen Parteien wie der „Alternative für Deutschland“ (AfD). Im globalen Maßstab ist zu beobachten, dass immer stärker Egoismus an die Stelle von Humanismus tritt, ruppige Nationalismen an die Stelle internationaler Solidarität, Freund-Feind-Denken an die Stelle einer differenzierten, sachlichen Debattenkultur.

Das Ausmaß dieser Entsolidarisierung ist eine Gefahr für Demokratie und Rechtsstaat. Das betrifft die Wirtschafts-, Finanz-und Sozialpolitik, aber auch die Innenpolitik mit einem Trend zu mehr Überwachung, Vorratsdatenspeicherung, Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit. Alte Maßstäbe scheinen nicht mehr zu gelten. Außenpolitik wird immer widersprüchlicher und damit unglaubwürdiger. Europa ist dabei, ähnlich wie Russland und die USA seine Ideale zu verraten, und agiert teilweise in Krisen ohne demokratische Legitimation. Wenn es nicht gelingt, die Quellen des dadurch ausgelösten Zorns auszutrocknen, ist mit einer Flutwelle zu rechnen, die alles wegspült, was uns lieb und teuer ist.

Ein Umdenken, vor allem aber ein neues Handeln sind nötig, um eine Katastrophe zu verhindern – nicht nur bei der Energiewende und im Kampf gegen Hunger und Armut, der längst auch in Deutschland tobt. Wenn wir Wirtschaftsflüchtinge einfach bloß ausgrenzen, um den sprunghaften Anstieg der Bürgerkriegsflüchtlinge zu bewältigen, vergessen wir diesen Kampf gegen blanke existenzielle Bedrohungen, die nicht von Bomben oder Gewehren herrühren. Um das Problem der illegalen Migration zu lösen, brauchen wir humane, faire Regeln und eine wirklich einheitliche Politik in Europa. Kein Land der Welt ist allein in der Lage, diese Aufgabe zu bewältigen.

Aber die Ressourcen dafür sind da, und viele Lösungsvorschläge liegen auf dem Tisch; also geht es um Aufklärung, um eine offene Diskussion mit den Ewig-Gestrigen, die konstruktive Lösungen blockieren und auf jedem Krisenherd ihr eigenes Süppchen kochen. Der Protest gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 trieb so viele Menschen auf die Straßen, weil hier zahlreiche Quellen des Volkszorns zu einem mächtigen Strom zusammenflossen. Er zeigte exemplarisch: Die Menschen haben das Gefühl, dass der Staat sie nicht ernst nimmt und die maßlose Gier der Geldeliten unkontrolliert wuchert. Repräsentanten eines Systems, das Großprojekte zu Selbstbedienungsläden für Parteien und Lobbyisten macht, werden abdanken müssen. Neuartige Formen des Bürgerprotestes in allen Metropolen der Welt entzünden sich auch an ganz anderen ungelösten Problemen. Aber immer geht es um Ethik in der Politik. Demokratie und Rechtsstaat verlieren jede Glaubwürdigkeit und Legitimation, wenn sie für die Mehrheit der Bürger zu einer permanenten Quelle des Unrechts oder der Bedrohung werden, weil sie nur die Interessen einer cleveren Minderheit schützen.

Nicht Gesetze sind daher marktkonform zu machen, sondern Märkte gesetzeskonform. Im Namen der „Globalisierung“ werden Nachrichten in Sekunden um die ganze Welt geschickt, aber auch jeder Blödsinn und selbst die unsinnigste Wette. Eine hyperventilierende Wirtschaft versucht, die Regeln der virtuellen Welt auf die real existierende Wirtschaft anzuwenden. Der Preis dafür ist der Kollaps nicht nur einzelner Unternehmen, sondern ganzer Branchen und Staaten. Firmen, die bisher den Regeln redlicher Kaufleute gehorchten, werden zu Spielcasinos hemmungsloser Spekulanten mit Allmachtsphantasien. Der Bankenkrise von 2008 - 2009 folgte die Wirtschaftskrise auf dem Fuß, und die nächste steht bevor, wenn niemand den Teufelskreis durchbricht.

Denn völlig ungeniert wetten die Zocker nach dem wirtschaftlichen auch auf den politischen Systemabsturz. Der Rechtsstaat stirbt anscheinend lieber, als Bankenkontrolle und Steuergerechtigkeit durchzusetzen oder Marktexzesse zu stoppen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel weigert sich z. B. ganz offen, das Urteil des obersten Gerichts umzusetzen, das die schleichende Steuerprogression verbietet. Recht und Gesetz nach Kassenlage sind aber nicht legitim. Nicht das Austeritätsprinzip („Totsparen“) oder das überdehnte Erfolgsrezept „Privatisierung“ kann ein Desaster verhindern, sondern nur Ludwig Erhards Prinzip „Wohlstand für alle“.

Während Millionen von Existenzen vernichtet werden, nimmt der Reichtum der Reichen immer schneller zu. Der Protest dagegen verbindet Bürger westlicher Industrieländer mit Demokratiebewegungen in aller Welt oder der Occupy-Bewegung. Eine so genannte Troika aus IWF, EZB und Brüsseler Beamten diktiert Südeuropa den Weg aus der Schuldenkrise. EU-Kommissare beschließen an den Parlamenten vorbei „Rettungsschirme“ für angeblich systemrelevante Banken oder Niedrigzinsen, die den Sparer enteignen.

Zunehmend werden in „demokratischen Rechtsstaaten“ die Rechte der Parlamente verletzt, Grundrechte wie Pressefreiheit eingeschränkt (Russland, Ungarn oder Großbritannien), ist die Unabhängigkeit der Justiz zweifelhaft wie in Berlusconis Italien, Putins Russland und in einem Deutschland, das vor der Spionagepraxis von CIA und NSA kuscht. In dieses Kapitel gehört auch die traurige Bilanz der bisherigen Strafverfolgung und Rechtssprechung in der juristischen Auseinandersetzung um das Bauprojekt Stuttgart 21. Vor dem Gesetz sind in Deutschland schon längst nicht mehr alle gleich.

Zur Erosion des Rechtsstaates trägt zudem massiv die wachsende Neigung bei, Interessen mit Gewalt zu verteidigen wie beim gemeinsamen militärischen Grenzschutz der EU (euphemistisch wird FRONTEX als „Agentur“ bezeichnet). CIA-Mitarbeiter haben etliche verdächtige Islamisten wie den deutschen Staatsbürger Murat Kurnaz illegal, allem Anschein nach über die Airbase Ramstein, entführt und gefoltert – mit Duldung der Behörden. Amerikas „Krieg gegen den Terror“ kostet viele Zivilisten das Leben und schafft weltweit einen ganz neuen Typus von Überwachungsstaat. Inzwischen will sogar das deutsche Verteidigungsministerium bewaffnete Kampfdrohnen aus Israel kaufen, um risikofrei aus der Entfernung töten zu können – ohne Gerichtsbeschluss und obwohl die Todesstrafe in Deutschland nicht existiert. Angeblich geht es dabei um den Schutz der Soldaten, aber dafür fehlt schlichtweg die gesetzliche Grundlage. Gleichzeitig schützt das staatliche Gewaltmonopol die Bürger nicht mehr ausreichend vor Kriminalität, weil Stellen bei der Polizei abgebaut werden.

Nicht weniger problematisch ist die Privatisierung hoheitlicher Aufgaben aus Gründen der Kostenersparnis. Notare ersetzen ordentliche Betreuungsverfahren vor dem Familiengericht, preiswerte Sicherheitsdienste bewachen Gefängnisse und Flüchtlingsheime, Söldner umgehen das Kriegsrecht; da war das Vorgehen der USA im Irak Vorbild und Berufungsinstanz für Russlands Annektion der Krim sowie die Infiltration der Ostukraine. Die Kosten für diese „Sparmodelle“ übersteigen jedoch inzwischen die Einsparungen deutlich. Nur trägt der Bürger diese Kosten und nicht mehr die Staatskasse, die er mit steigenden Steuern füllt. Das dürfte und müsste alles nicht sein. So etwas ist kein „Imageproblem“ mehr; es beschädigt längst die Grundfesten der Demokratie – vor allem durch die bedrohliche Zahl der Protest- und Nichtwähler.

Dieses Buch geht den Ursachen für den wachsenden Zorn von Millionen über die Art und Weise nach, wie die politische Kaste zur Zeit Begriffe wie „Demokratie“ und „Rechtsstaat“ dreist umdeutet – unter Mithilfe von Juristen. Das geschieht nicht nur in Aserbaidschan, China oder Russland, sondern auch in den USA und Europa. Das Problem ist global, die Wege zu einer Lösung ebenfalls.

Die Interessen der Mehrheit müssen endlich wieder zum Maßstab des politischen und ökonomische Handelns werden. Unsere Politiker dürfen nicht länger mit gespaltener Zunge reden. Das Tricksen und Täuschen mit juristischen Mitteln, durch Lobbyismus oder die Manipulation der Medien muss aufhören. Und wir dürfen uns nicht weiter schulterzuckend ans Unrecht gewöhnen. Die Alternative heißt Aggression – vom Wutbürger auf der Straße bis hin zu Bürgerkrieg und Terrorismus, die zum Exportartikel werden. Das zeigt sich vor allem in der islamischen Welt, wo das Streben nach Freiheit und Bürgerrechten schon allzu lange auf gewaltbereite Autokraten und Systeme ethnischer oder religiöser Unterdrückung stößt.

Dass dieser Volkszorn sich weder aussitzen noch kanalisieren lässt, zeigen nicht zuletzt die PEGIDA-Bewegung oder das Umschlagen des „ägyptischen Frühlings“ in eine neue Diktatur nach Mubarak. Ignorieren wir solche Gefahrenherde und deren Ursachen weiter, droht der Kollaps des freien Westens, möglicherweise der des ganzen Erfolgsmodells von Demokratie und Rechtsstaat. 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Absturz eines Systems nicht mehr auszuschließen, dem wir 70 Jahre Frieden und wachsenden Wohlstand verdanken.

Die Quellen des Zorns

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