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Rechtsstaat in Verruf

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Deutschland ist eine repräsentative parlamentarische Demokratie, und dieses System hat uns nicht nur politische Stabilität beschert, sondern auch Jahrzehnte des Friedens und des relativen Wohlstandes. Niemand sollte es daher leichtfertig aufs Spiel setzen und bei kritischer Betrachtung das Kind mit dem Bad ausschütten. Aber irgend etwas ist faul im Staate. Wie ein Computer, der immer langsamer und träger wird, scheint er dringend ein Update zu brauchen, etwa durch Ergänzung der repräsentativen mit Elementen der direkten Demokratie. Die Akteure hatten zu viel Zeit, um sich das System anzupassen, statt sich den Forderungen der Verfassung wirklich zu stellen. Das spüren immer mehr Menschen im Land und reagieren mit außerparlamentarischer Opposition, Wahlenthaltung oder „Denkzettel-Wahlen“. Angesichts dieser Tatsachen ist es zumindest fahrlässig, den Zorn der kleinen Leute etwa auf die Urheber der Finanzkrise sowie die hilflosen politischen Reaktionen darauf „albern“ zu nennen (wie Bundespräsident Joachim Gauck).

Hans-Ulrich Jörges schrieb am 23.10 2014 im STERN, Deutschland sei inzwischen eine „Diktatur der Minderheiten“ und nennt die Suche nach einem Nachfolger für den Berliner OB durch die SPD den „bislang schamlosesten Zugriff einer Partei auf ein Spitzenamt im Staat – unter Ausschaltung des Volkes und seiner Vertreter. Und die krasseste Verletzung des Mehrheitsprinzips der Demkokratie“. Darüber hinaus konstatiert der Journalist sein Erstaunen über die Gewöhnung der Leute an solche Zustände: kein Sturm der Entrüstung, nirgends. Rein rechnerisch ist die Entwicklung deshalb so dramatisch, weil sinkende Wahlbeteiligung das Gewicht der wählenden Minderheiten extrem steigert. Jörges rechnet einmal genau nach, für wie viele Wähler in Deutschland welche Regierung wirklich steht, und kommt auf folgende Zahlen: „Rot-Rot in Brandenburg für 23,8 Prozent, Rot-Rot-Grün in Thüringen für 24 und Schwarz-Rot in Sachsen für 25,1 Prozent der Wahlberechtigten. Selbst die Große Koalition im Bund, die vier Fünftel der Parlamentssitze erobert hat, kam nur auf gut 47 Prozent der Wahlberechtigten. Denn die Beteiligung ist auf 71,5 Prozent abgesackt.“

Darin steckt ein gewaltiges Legitimationsproblem. Ursache sei, so hört man immer wieder, dass nur sechs Prozent der Deutschen der Meinung sind, sie hätten durch Wahlen einen starken Einfluss auf die Politik. Zwei Drittel der Menschen glauben aber, auf die Interessen des Volkes werde kaum noch Rücksicht genommen. Beispiele dafür sind kaum zu übersehen. Artikel 20 Absatz 2 des deutschen Grundgesetzes lautet: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“. Man sollte meinen, das sei eindeutig. Trotzdem – oder gerade deswegen – hüten sich deutsche Politiker inzwischen vor dem Volk. Vor allem die direkte Demokratie mögen sie nicht.

Die Quellen des Zorns

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