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„Herr Lauth, da sind wir wieder.“ Wolfi Wagner und Lothar Busse standen am Dienstag mit ihren Werkzeugkoffern pünktlich um acht vor der Haustür des Einfamilienhauses.

„Kommen Sie rein, meine Herren“, forderte Lauth die beiden auf. „Ich habe gerade Kaffee aufgebrüht, möchten Sie auch einen? Nun kommen Sie, setzen Sie sich bitte.“

Wolfi und Lothar Busse schwiegen, warteten am Tisch, bis Lauth zurückgekehrt war und Kaffee einschenkte.

„Ich muss Ihnen etwas Merkwürdiges erzählen“, begann er nach dem ersten Schluck. „Als Sie letzte Woche gerade raus waren, bekam ich einen Anruf von meiner Hausbank. Ein Dr. Fischer sagte mir, dass ein Unbekannter mit meiner Scheckkarte versucht hat, vom Konto Geld abzuheben. Weil dieser Dr. Fischer meine Karte sofort sperren wollte, redete er ununterbrochen auf mich ein, bis ich so verwirrt war und ihm schließlich meine Pin-Nummer verraten habe. Als ich etwa eine Stunde später bei meiner Hausbank telefonisch nachfragte, kannten sie einen Dr. Fischer überhaupt nicht. Sie baten mich, in die Filiale zu kommen. Dort erfuhr ich, mein Konto wurde inzwischen bis auf den letzten Pfennig abgeräumt. Ich ließ die Karte sofort sperren, das nützte mir aber nicht viel, ich hatte leichtfertig meine Geheimnummer am Telefon herausgegeben und muss nun für den Schaden alleine aufkommen. Meine Herren, darum bin ich zurzeit etwas klamm und möchte Sie bitten, die Feuermelder etwas später einzubauen. Das alles ist mir furchtbar peinlich, das müssen Sie mir glauben.“ Er beugte sich verlegen vor, seine Augen baten um Verständnis.

„Das ist ja eine unglaubliche Geschichte“, empörte sich Wolfi. „Wir haben natürlich für ihre momentane Situation Verständnis. Wissen Sie inzwischen, wo Sie Ihre Scheckkarte verloren haben?“

„Das ist ja das Merkwürdige, ich kann mich nicht erinnern, wann ich sie zuletzt benutzt und verloren haben könnte“, antwortete Lauth verzweifelt. „Die Polizei hat mich auch schon danach gefragt, als sie die Anzeige aufgenommen haben.“

„Herr Lauth, da wir nun schon mal hier sind, schlage ich Ihnen vor, die Feuermelder trotzdem einzubauen. Über die Bezahlung brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Wir räumen Ihnen einen dreimonatigen Zahlungsaufschub ein. Ist Ihnen das recht?“ Wolfi erhob sich und lächelte den Hausherren verständnisvoll an.

„So eine Großzügigkeit, meine Herren, hätte ich nicht mal im Traum von Ihnen erwartet“, stimmte er erleichtert und freudig zu. „Noch einen Kaffee?“

„Nein, danke, Herr Lauth, der Kaffee ist hervorragend, lassen Sie uns zuerst die Arbeit erledigen. Zeit ist bekanntlich Geld, heißt es im Sprichwort.“

„Werner, hol bitte die Melder aus dem Wagen. Ich gehe in den Keller und setze die neue Sicherung.“ Wolfi schnappte sich den Werkzeugkasten.

„Ich bin schon auf dem Weg, Manfred. Bleiben Sie ruhig sitzen, Herr Lauth. Ich kenne den Weg“, entgegnete Wolfis Chef Lothar Busse.

Kein Verdacht würde auf sie fallen. Sie taten nur ihre Arbeit, sonst nichts. Wer würde schon vermuten, dass sie so frech wären, nach dem Diebstahl an den Tatort zurückzukehren, um den mit dem Opfer vereinbarten Auftrag abzuarbeiten und das Schwarzgeld dafür zu kassieren. Unvorstellbar.

„Guten Abend, Helga mein Schatz.“ Er hängte müde den blauen Arbeitskittel mit dem Logo seiner Firma auf der linken Brustseite an die Garderobe im Flur. Der Tag war anstrengend gewesen, Lothar wollte nur Erfolge sehen. Wolfi legte das Schlüsselbund griffbereit auf den Schuhschrank.

„Leider ist es heute wieder spät geworden, dann hatten wir auch noch einen langen Stau hinter Aschaffenburg.“ Er umarmte und küsste liebevoll seine Freundin. „Schläft Anna schon?“

„Du machst mir Spaß, Wolfi. Was sollte sie mit ihren acht Jahren anderes tun, als um halb elf zu schlafen. Sie hat dich in den letzten Wochen fast nie gesehen. Ständig fragt sie, wo denn ihr lieber Papa ist!“, schimpfte Helga Bruns, Wolfis langjährige Freundin und Mutter seiner Tochter.

„Du hast ja recht, Liebe“, versuchte Wolfi zu beschwichtigen. „Bald wird es besser, hat mir Lothar versprochen. In zwei Wochen macht er Betriebsferien. Dann können wir endlich alle zusammen ein paar Tage wegfahren, versprochen.“ Das zärtliche, strahlende Lächeln ließ Helgas Zorn verrauchen.

„Du musst hungrig sein. Soll ich dir schnell etwas machen?“, fragte sie vorerst beruhigt.

„Nein, Danke, wir haben unterwegs gegessen, aber zu einem Feierabendbier sage ich nicht nein.“ Er setzte sich zu ihr an den Küchentisch. „Lothar hat mir heute das Gehalt ausgezahlt.“ Wolfi griff in die Hosentasche, nahm aus dem dicken Bündel zweitausend Mark und schob sie über den Tisch zu Helga. Sie sah ihn betrübt an, schob den zweiten Tausender zurück. „Den Rest will ich nicht, Wolfi“, sagte sie in die bedrückende Stille hinein, ihr Lächeln erlosch. „Das ist schmutziges Geld. Ich will damit nichts zu tun haben, das müsstest du inzwischen wissen. Ich hoffe nur, dass es mit dir und Lothar nicht schlimm endet.“

„Mach dir keine Sorgen, Helga, Lothar ist schon lange im Geschäft und äußerst vorsichtig. Außerdem haben wir für den Fall der Fälle vorgesorgt“, versuchte Wolfi seine Freundin zu beruhigen. Wie immer, gelang es ihm auch heute nicht. Helgas Furcht stand seit Langem zwischen ihnen, erlaubte, trotz aller Bemühungen, kein normales freies Leben.

Viel Zeit verbrachte Wolfi bei ihr und Anna in der Wohnung, doch offiziell war er immer noch bei seinem Vater in der Sozialsiedlung der Vorstadt gemeldet. In ihr hatte er die Kindheit, Jugend und einen großen Teil seines erwachsenen Lebens verbracht. Alle Freunde, auch sein bester, Reinhard Amper, wohnten dort oder waren nach kurzer Zeit an einem anderen Ort schnell zurückgekehrt. In der Umgebung der Freunde fühlte sich Wolfi sicher und geborgen. Im Tal des Todes durfte er sich ungeniert daneben benehmen, musste keinen Schein wahren. Wenn er aber doch einmal leichtsinnig unvorsichtig wurde, war ihm der Schutz der anderen sicher. Diese Verlässlichkeit ließ ihn nie, trotz des unsteten Lebens, auf den Gedanken kommen, die Vorstadtsiedlung zu verlassen. Jedes Mal nach den unzähligen langen und kurzen Reisen kehrte er zurück, war dann freudig erregt, endlich zu Hause zu sein.

Wolfi hielt nichts mehr bei Helga in der Küche. Ihre unausgesprochenen Vorwürfe trieben ihn, trotz der bleiernen Müdigkeit, auf die Straße. Enttäuscht und stumm ging er.

Sie blieb am Tisch sitzen, der Rücken krümmte sich, ihren Blick heftete sie starr und verloren an die Küchenwand.

Die Wohnungstür fiel leise ins Schloss. Verschreckt hob sie den Kopf, die Tränen liefen, das Schluchzen ließ den Körper erbeben, Furcht und Trauer endeten in auswegloser Verlassenheit.

Spät kam sie zu sich. „Was soll ich machen? Ich liebe ihn doch“, murmelte sie, erhob sich und verließ zitternd die Küche. Erst der gleichmäßige, ruhige Atem des Kindes im Schlafzimmer erlöste sie aus ihrer Qual.

Sehen will gelernt sein

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