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Der blaue Kastenwagen mit der großen Aufschrift, Feuer-und Sicherheitssysteme, parkte vor dem schmucken Einfamilienhaus in der Aschaffenburger Vorortsiedlung, die sich vor allem durch gnadenlose Monotonie in Bauart und Gartengestaltung auszeichnete.

Wolfi Wagner und Lothar Busse, in blauen Arbeitshosen und passenden Kitteln, entstiegen geschäftig dem Wagen. Busse griff sich sofort den Werkzeugkasten, Wolfi nahm aus dem Handschuhfach das Klemmbrett mit den Arbeitszetteln, auf denen das Logo ihrer Sicherheitsfirma prangte, bog gemeinsam mit seinem Chef vom sauber gefegten Bürgersteig auf den ordentlich gepflasterten Hausweg ab und klingelte gleich an der verglasten Tür.

Wolfi plagten keine Skrupel, für ihn war es ein ganz normaler Arbeitstag, der sich nicht von den vorangegangenen unterscheiden sollte.

Die Aufgaben waren auch heute klar verteilt. Wolfi übernahm den operativen Teil, Busse würde ihm die nötige Zeit dazu verschaffen.

„Herr Lauth“, lächelte Wolfi verbindlich, als der Hausherr öffnete. „Wir haben gerade hier in der Gegend zu tun und wollten uns erkundigen, ob Sie Ihr Haus gegen Feuer und Diebstahl gesichert haben. Wir würden es uns gern mal anschauen und Ihnen unverbindlich ein Angebot machen. Bei Ihrem Nachbarn, Herrn Neumann, nebenan, waren wir letzten Monat, und der hat uns empfohlen, bei Ihnen vorbeizuschauen, weil er sich sicher sei, dass Sie an einem Feuermeldesystem Interesse hätten. Wenn es Ihnen jetzt nicht passt, können wir auch ein andermal wiederkommen, aber unsere Auftragsbücher sind zurzeit randvoll. Wir haben leider nur noch in der nächsten Woche einen Termin frei.“

„Sie kommen nicht ungelegen, meine Herren“, sagte Herr Lauth freundlich. „Kommen Sie rein. Ich habe gerade gestern mit meinem Nachbarn über Sie gesprochen und bin sehr an Ihrem Feuermeldesystem interessiert, man hört ja in letzter Zeit so viele schreckliche Sachen über Rauchvergiftungen. Kommen Sie nur, ich habe Sie schon erwartet, meine Herren. Schauen Sie sich alles in Ruhe an.“

Herr Lauth hatte, ohne es zu ahnen, den Weg für einen erfolgreichen Arbeitstag geebnet.

„Das Beste wird sein, wenn Sie uns zuerst durch die Räumlichkeiten führen, damit wir uns einen genauen Überblick verschaffen können.“ Wolfi zückte erleichtert, mit professioneller Mine seinen Stift. „Herr Lauth, das ist doch richtig?“, fragte er und notierte auf dem Klemmbrett Name und Adresse. „Wie viele Personen wohnen in Ihrem Haushalt, Herr Lauth? Das ist nicht wichtig für das Feuermeldesystem, dient aber unseren internen statistischen Erhebungen.“ Wolfi schaute von den Notizen auf, sein offener Blick suchte Lauths, gleich darauf Busses, der nur kurz nickte.

Es war immer gut zu wissen, auf wie viele Personen sie bei der nervenaufreibenden Arbeit treffen würden. Je weniger, desto besser.

„Seitdem die Kinder aus dem Haus sind, ist es leer geworden bei uns. Meine Frau und ich wohnen nur noch hier“, antwortete Lauth traurig.

„Gut, Herr Lauth, so ist das Leben. Da kann man nichts machen. Jetzt führen Sie uns erst einmal durch die Räumlichkeiten.“

Die Hausbegehung hatten sie schnell hinter sich gebracht, alle standen wieder einträchtig im Wohnzimmer. „Aber setzen Sie sich doch, meine Herren, so viel Zeit muss sein“, sagte Lauth und zeigte auf die Stühle am großen eichenen Esstisch. „Möchten Sie vielleicht etwas trinken?“

„Ja, gern, ein Kaffee wäre nett, wenn es keine Umstände macht“, antwortete Wolfi, schrieb geschäftig auf seinem Klemmbrett, blickte nur kurz auf und befahl. „Werner, geh noch mal in den ersten Stock, ich glaube, im großen Zimmer mit der offenen Wand brauchen wir nur einen Rauchmelder. Überprüfe das bitte, wir wollen doch die Kosten für Herrn Lauth so gering wie möglich halten.“ Er zwinkerte seinem Chef Lothar Busse verstohlen zu.

„Meine Herren, meine Frau ist gerade einkaufen gegangen, darum muss ich den Kaffee selbst machen. Ich darf Sie sicher für einen Moment allein lassen?“

„Das geht schon in Ordnung. Ich schreibe Ihnen gleich das Angebot, mein Kollege überprüft noch einmal im ersten Stock, ob wir mit einem Rauchmelder weniger auskommen.“

Wolfi, endlich allein im großen Wohnzimmer, wusste, was zu tun war. Er erledigte alles mit eiskalter Ruhe und überlegten, schnellen Bewegungen.

Er war gerade fertig, als Busse die Treppe herunter kam. „Das im ersten Stock geht in Ordnung. Wir brauchen einschließlich der Kellerräume nur sechs Rauchmelder!“, er sprach so laut, dass ihn der Hausherr in der Küche auch verstehen konnte. Busse und Wagner verständigten sich stumm.

„Herr Lauth!“, rief Lothar Busse. „Ich brauche Sie noch mal. Sie müssen mir den Sicherungskasten im Keller zeigen. Ich muss überprüfen, ob ein Steckplatz für die zusätzliche Sicherung frei ist.“

„Ich komme sofort, der Kaffee kann ja alleine durchlaufen.“

Herr Lauth ging gemeinsam mit Lothar Busse in den Keller. Wieder war Wolfi allein im ordentlich aufgeräumten, altdeutschen Wohnzimmer, erledigte den Rest, man konnte nicht wissen, wozu sie später noch zu gebrauchen wären. Auf jeden Fall verschafften ihnen die Papiere ein mehr an Sicherheit. Schnell verschwanden sie in der Arbeitstasche.

„Bist du mit dem Angebot fertig, Manfred?“, fragte Busse auf der Kellertreppe Wolfi. „Im Kasten ist ein Steckplatz frei, von meiner Seite geht alles in Ordnung.“ Er setzte sich zu Wolfi an den großen Esstisch. Als der Hausherr in die Küche ging, fragte er verstohlen. „Ist alles glatt gelaufen?“ Wolfi Wagner nickte stumm und beschäftigte sich wieder mit dem Angebot.

„Meine Herren, hier ist der Kaffee!“ Herr Lauth betrat das Zimmer, stellte das Tablett mit der Kaffeekanne, den Tassen und Löffeln in die Mitte des Tisches. „Bedienen Sie sich.“

Wolfi nahm den ersten Schluck. „Ich habe das Angebot schon fertig, Herr Lauth. Wir benötigen sechs Rauchmelder, mit den nötigen Anschlüssen und Arbeitsstunden würde alles zusammen auf 360 Mark plus Mehrwertsteuer kommen.“ Wolfi schob dem Hausherrn das fertige Angebot über den Tisch. Lauth las es aufmerksam und blickte ihn, als er fertig war, fragend an. Wolfi verstand den Blick, beugte sich zu ihm vor, sagte dann leise. „Wir haben in der nächsten Woche sowieso in Ihrer Gegend zu tun, wenn Sie keine Rechnung brauchen, könnten wir Ihnen die Anlage für 240 Mark einbauen.“ Wolfi wartete geduldig auf Lauths Antwort.

„Natürlich.“ Der Hausherr konnte dem letzten Angebot nicht widerstehen, versicherte eilig. „Ich brauche keine Rechnung. Wann können Sie anfangen?“

„Wir würden gleich am nächsten Dienstag um acht kommen, wenn wir das ohne Rechnung machen, muss das selbstverständlich unter uns bleiben. Sie verstehen, Herr Lauth? Ist Ihnen der Termin recht?“ Wolfi griff sich das Klemmbrett.

„Ja, wunderbar, ich erwarte Sie, meine Herren, am Dienstag um acht.“

Es war knapp eine Stunde vergangen, seit er sich von den freundlichen und kompetenten Handwerkern verabschiedet hatte, als das Telefon klingelte. „Spreche ich mit Herrn Lauth, Herrn Werner Lauth?“, fragte die kultivierte, angenehme Stimme. „Herr Lauth, hier spricht Dr. Fischer von Ihrer Raiffeisenbank.“

„Jetzt nicht, Frau Mayer, die Herren von der Polizei sollen einen Moment warten!“

„Entschuldigen Sie bitte, Herr Lauth, das war meine Sekretärin. Was ich Sie fragen wollte, haben Sie eigentlich schon bemerkt, dass sich Ihre EC-Karte nicht mehr in Ihrem Besitz befindet. Nein? Dann muss ich Ihnen mitteilen, dass ein Unbekannter versucht hat, mit Ihrer Karte Geld abzuheben. Wir konnten leider nicht rechtzeitig zugreifen und müssen daher Ihre Karte jetzt sofort sperren. Die Polizei ist gerade in der Bank eingetroffen und wird umgehend die Ermittlungen aufnehmen. Die Herren werden sich zu gegebener Zeit mit Ihnen in Verbindung setzen.“

„Frau Mayer, ich hatte doch gesagt, ich will nicht gestört werden!“

„Entschuldigen Sie nochmals, Herr Lauth. Ich werde jetzt Ihre Karte sperren und habe die Daten schon aufgerufen. Sie wohnen in der Keibelstraße 6, hier in Aschaffenburg, und sind am 10.7.1934 geboren. Das stimmt doch soweit, Herr Lauth? Um den Vorgang abzuschließen, brauche ich jetzt die achtstellige ID-Nummer Ihrer Karte. Sie wissen sie nicht? Was machen wir denn da? Wenn ich die Karte ohne die ID-Nummer sperren lasse, kommen Sie vier Wochen nicht mehr an Ihr Konto.“

„Frau Mayer, die Herren von der Polizei sollen sich schon mal das Überwachungsvideo ansehen. Ich komme gleich!“

„Entschuldigen Sie, Herr Lauth, hier geht es drunter und drüber. Wo waren wir noch mal stehen geblieben? Ach, ja, bei der ID-Nummer. Sie müssen über Ihr Konto verfügen? Das wird aber schwierig, ohne die Nummer. Beruhigen Sie sich, Herr Lauth, noch ist nichts passiert, aber um zu verhindern, dass ein Unbefugter auf Ihr Konto zugreifen kann, müssen wir Ihre Karte sofort sperren. Sie sind ein alter Kunde unserer Bank, da mache ich bei Ihnen eine Ausnahme und versuche, ohne die Nummer auszukommen, aber das mache ich nur für Sie. Sie müssen mir versprechen, dass das unter uns bleibt. Ich rufe jetzt die Spezialseite auf, das dauert leider einen Moment. So, ich bin so weit. Haben Sie wenigstens Ihre Pin-Nummer zur Hand? Das ist schon mal ein Fortschritt. Einen Moment, ich notiere sie mir. 4367, das ist doch richtig, Herr Lauth? Ich gebe noch Ihre Daten ein, und die Karte ist sofort gesperrt. Jetzt kann niemand mehr Geld von Ihrem Konto abheben, aber Sie haben jederzeit Zugriff darauf. Sie müssen nur in die Filiale kommen und Ihren Personalausweis vorlegen. Überlegen Sie sich schon mal, wo Sie Ihre EC-Karte verloren haben könnten. Das würde der Polizei viel Zeit ersparen, wenn sie Sie demnächst befragt. Nun machen Sie sich jetzt mal keine Sorgen, ich habe ausnahmsweise Ihre Karte ohne die ID-Nummer sperren können. Sie werden in den nächsten Tagen wieder von mir hören. Ja, Sie können jederzeit Geld von Ihrem Konto abheben. Sehen Sie, Herr Lauth, Ihr Wochenende ist gerettet. Also, dann, auf Wiederhören“, beendete Dr. Fischer das Gespräch, verwandelte sich in Gestik und Sprache wieder zu Wolfi Wagner, der die Telefonzelle vor der Raiffeisenbank gut gelaunt verließ und am Automaten 3.000 Mark von Lauths Konto abhob.

Sehen will gelernt sein

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